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FLO MORRISSEY
 
Das Mädchen ohne Alter
Flo Morrissey
Paradoxerweise spielt der Umstand, der angesichts des bezaubernden Debüt-Albums "Tomorrow Will Be Beautiful" der Londoner Songwriterin Flo Morrissey am offensichtlichsten ist, keine große Rolle: Das Alter, nämlich. Zum Zeitpunkt der Aufnahmen war Flo gerade mal 19 Jahre alt und ihr erster Song, "Show Me", entstand sogar im Alter von 15. Doch zusammen mit dem Produzenten Noah Georgeson (der u.a. Devandra Banhart und Joanna Newsom unter die Arme griff) entwickelte die zweitälteste von neun Geschwistern ein Setting für ihre Songs, das einen ganz dezidiert zeitlosen Charakter hat. Flo geht noch einen Schritt weiter und wünscht sich, "alterslos" sein zu können. Gerade deswegen tat sie alles, um ihre Scheibe eben nicht wie die einer typischen 19-jährigen klingen zu lassen.
Dass ihr das ganz gut gelungen sein muss, lässt sich schon daran erkennen, dass sie mit ihren ersten Live-Auftritten bereits Support-Slots für Damon Albarn, Ibeyi, The Staves und Tobias Jesso Jr. ergattern konnte. Aber von vorne: Wie kam das denn alles zustande? "Nun ich begann ja diese Songs zu schreiben als ich 15 war", berichtet Flo (übrigens mit einer ungemein souveränen, resonanten Sprechstimme, die angesichts ihres eher ätherischen Elfengesanges überraschend sonor daherkommt), "ich bin jetzt gerade 20 geworden - das heißt also, dass die Songs eine Art Schnappschuss meiner Teenager-Jahre darstellen. Es war also für mich ein ganz natürlicher Prozess. Interessant für mich war dabei meinen eigenen Fortschritt zu beobachten, während ich doch andererseits feststellen kann, dass die Songs alles von demselben Ursprung stammen. Es ist also ein komplettes Kapitel meines Lebens." Ist Flos Familie eigentlich einer dieser kreativen Genpools, aus denen man sich als Nachgeborener dann entsprechend bedienen kann? "Nicht wirklich", erklärt Flo, "meine Eltern spielen keine Musik und kennen sich auch nicht wirklich damit aus. Meine Mutter lernte in ihrer Jugend Klavierspielen - aber die Musik als solches zum Lebensinhalt ist mehr so mein Ding. Ich wusste immer, dass ich mal singen wollte. Zunächst konnte ich meine Kapazitäten natürlich noch nicht einschätzen, aber als ich mit 14 Gitarre spiele lernte und erste Songs schrieb, konkretisierte sich das für mich. Meine Brüder und Schwestern sind alle irgendwie kreativ und unterstützten mich dabei. Es ist also gut, zwischen Gleichgesinnten aufzuwachsen - aber ich bin die einzige, die Musik als Berufung betrachtet."
Flo Morrissey
Musikalisch hat Flo Morrissey bereits jetzt eine sehr eigene Art entwickelt, ihr Material zu präsentieren - etwa indem sie hochmelodisch um ihre eigenen Songstrukturen herum singt und diese quasi mit ihrer Stimme koloriert. So etwas hätte man mit einer klassischen Ausbildung wohl niemals lernen können, oder? "Ja, das stimmt wohl", stimmt Flo zu, "ich kann aber gar nicht sagen, woher das kommt. Das hängt wahrscheinlich damit zusammen, dass ich mir immer Mühe gebe, die Sache nicht allzu bewusst anzugehen und zu sehr über das, was ich tue, nachzudenken. Vielleicht hat es mit meinen Einflüssen zu tun. Mein Vater spielte früher etwa Devendra Banhart oder Coco Rosie im Auto - oder aber auch Bob Dylan und Neil Young. Das sind ja auch eher atypische Musiker, die eben keine stereotypische Charts-Musik machen. Ich denke schon, dass dies mir geholfen hat, meinen eigenen Weg zu finden. Erst jetzt entdecke ich Künstler wie Billie Holiday, die mich weiter ermutigen, zu erkunden, wohin man mit seiner Stimme gelangen kann." Das ist insofern witzig, als dass Flo Morrissey durchaus ein bluesiges Billie Holiday-Timbre ihr eigen nennt. "Ja, aber das ist eher ein neues Ding für mich. Ich kann zwar die Parallelen erkennen - immerhin war sie ja eine der unglaublichsten Sängerinnen - und ich kann die gemeinsamen Wurzeln erkennen und mich damit in Beziehung bringen - aber es wird erst jetzt zu einer Inspiration für mich. Ich denke, ich könnte mir etwa vorstellen, in diesem Sinne ein wenig mehr in Richtung Jazz zu entwickeln."

Flos Gesangsstil ist ziemlich emotional. Was möchte sie selbst als Sängerin erreichen? "Für mich ist sehr wichtig, mich nicht auf die Zukunft zu fixieren", überlegt Flo, "ich freue mich jedenfalls, wenn ich mit meinen Songs andere erreichen kann. Und wenn sich auch nur eine Person sich von meinen Songs angesprochen fühlt, dann ist das sehr wichtig für mich. Ich hoffe, dass ich mehr reisen, auftreten und Leute treffen und Erfahrungen sammeln kann. Es liegt mir am Herzen, dass meine Shows etwas Besonderes sein sollen - die sind mir sozusagen heilig. Und das ist auch der Grund, warum ich bislang noch nicht so viel aufgetreten bin. Dieses spezielle Erlebnis ist mir sozusagen heilig und ich bin gespannt, wohin mich meine Reise bringen wird und was ich noch alles erfahren und erreichen kann." Singt Flo Morrissey eigentlich über sich selbst, wenn sie ihre allegorischen Gedankenwelten universellen Charakters ausbreitet? "Ich denke schon", meint sie schmunzelnd, "natürlich lasse ich mich dabei auch von Geschichten oder anderen Leuten inspirieren, aber oft sind es eigene Gefühle - oder besser gesagt übersteigerte eigene Gefühle, über die ich singe." Und dies in Form von Ideen oder Gedanken, oder? "Ja, ja, ja - das ist eine gute Art es zu beschreiben", pflichtet sie bei, "ich mag das. Es ist nämlich so, dass ich selbst nicht immer weiß, worüber ich schreibe - was sich vielleicht verrückt anhört - aber manchmal weiß ich erst nachher, worüber ich geschrieben habe. Das ist ein bisschen so, wie bei einem Tagebuch." Flo hat dabei eine kristallklare Diktion, bei der jedes Wort zu verstehen ist. Gibt es also eine Botschaft in ihren Songs? "Das würde ich gerne so sehen, ja", zögert Flo, "mir war aber gar nicht bewusst, dass ich besonders deutlich singe. Das habe ich nicht bewusst gemacht. Es ist aber nett, das zu wissen, denn Worte sind mir schon wichtig. Wie du ja sagst, gibt es da diesen universalen Faktor in meiner Arbeit. Ich singe über Dinge, die jeder fühlen kann - und das muss gar nicht unbedingt die Liebe sein, sondern jede Art von Emotion. Man sollte keine Angst vor seinen Gefühlen haben und die Schönheit dieser Gefühle ergründen. Das ist meine Botschaft." Das hört sich aber ein wenig aus so an, als ließe sich Flo von ihren Inspirationen leiten anstatt etwa zu versuchen, alles zu kontrollieren. "Genau - man muss sich von der Musik leiten lassen, wohin sie will - und sei es auch ins Unbekannte. Was ich herausgefunden habe, ist, dass es besser wird, je weniger von mir da drin steckt. Man muss sich eher als Kanal betrachten und darf nicht alles durchdenken, was man tut. Das klappt natürlich nicht immer und konstant - aber es ist umso schöner, wenn es passiert."

Flo Morrissey
Kommen wir mal zur musikalischen Seite: Flo schreibt ja klassische, simple Folksongs - die aber zusammen mit Produzent Noah Georgeson zu einem orchestralen Ganzen geformt wurden. Wie involviert war denn Flo in diesem Prozess? "Ich war da sehr involviert", meint Flo sehr bestimmt, "ich kannte Noah vorher gar nicht und es war sozusagen ein Wagnis, nach Los Angeles zu gehen und dort mit ihm zusammenzuarbeiten. Das war natürlich eine tolle Erfahrung - denn welche 19-jährige würde nicht gerne die Gelegenheit ergreifen, nach Los Angeles zu fliegen? Ich hatte aber auch gleich ein gutes Gefühl und schließlich haben Noah und ich zusammen im Studio fast alles alleine gemacht. Das war neu für mich, da dies meine erste Kollaboration war. Mit Philippe Zdar habe ich dann in Frankreich noch einen Song aufgenommen, auf dem Matthieu Chedid alias M noch Gitarre gespielt hat - was einen netten französischen Touch gab." Man kann gar nicht immer ausmachen, woher die Sounds auf dem Album eigentlich kommen. War es die Idee, vom Sound her so weit wie möglich weg von einer typischen Folkscheibe wegzukommen? "Ja, denn gerade weil die Scheibe durchaus in die Folk-Richtung hätte wandern können, war ich besonders darauf erpicht, eben keine typische 'Mädchen-mit-Gitarre-Scheibe' zu machen, sondern sie cinematisch, filmähnlich aufzubauen. Ich wollte die Songs dabei aber nicht überproduzieren - aber ich denke, sie haben dann irgendwie auch nach Streichern und diesem gewissen Extra gefragt. Du hast also recht, wenn du annimmst, dass ich keine klassische Folkscheibe machen wollte - auch wenn ich Folk natürlich mag." Lässt sich Flo dabei auch von anderen Musikern inspirieren? "Oh ja - ich war jetzt gerade mit Ibeyi auf Tour und fand es sehr aufregend, dass es da Mädchen in meinem Alter gibt, die ähnliche Sachen wie ich machen. Man kann da gut voneinander lernen. Ich lasse mich also auch von zeitgenössischen Kollegen beeinflussen." Was ist dabei dann ein guter Song? "Das ist für jeden etwas anderes", meint Flo, "für mich ist es, wenn man bei einem Stück etwas fühlen kann - sei es etwas Gutes oder etwas Trauriges. Das mag sich jetzt banal anhören - aber es gibt so viel generische Musik in den Charts, die sich zwar nett anhört, bei der man aber nichts fühlt. Ich bin nicht der Meinung, dass sich etwas nett anhören sollte. Man sollte Leidenschaft und Gefühl dabei verspüren." Es scheint also so, dass die Idee der Zeitlosigkeit und der Alterslosigkeit sich nicht nur auf Flo Morrisseys Musik bezieht, sondern auch auf ihre Gedankenwelt. Jedenfalls gibt es nicht allzuoft Musikerinnen ihrer Generation, die einen dermaßen konkreten philosophischen Überbau mitbringen und dabei gleichzeitig so offen sind für die freien radikalen der Kreativität. Und wieder ein Mal belegt hier jemand, dass man die Begriffe "Alter" und "Musik" nicht zwingend und schlüssig miteinander in Beziehung setzen kann.
Weitere Infos:
www.facebook.com/FloMorrissey
soundcloud.com/flomorrissey
instagram.com/flomorrissey
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Pressefreigaben-
Flo Morrissey
Aktueller Tonträger:
Tomorrow Will Be Beautiful
(Caroline/Universal)
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