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THE PERNICE BROTHERS
 
Glücklich unglücklich
The Pernice Brothers
"Du bist doch Musikjournalist, kannst du mir bitte mal eine Frage beantworten?" begrüßte mich unlängst ein Bekannter. "Warum sind die Pernice Brothers eigentlich keine Superstars?" Eine sehr gute Frage, denn eigentlich gibt es nämlich wirklich keinen Grund dafür, daß die Musik von Joe Pernice und seiner unter diversen Namen - angefangen bei den inzwischen aufgelösten Scud Mountain Boys über Chappaquiddick Skyline bis hin zu seinem Soloalbum "Big Tobacco" auf Glitterhouse - und wechselnden Besetzungen zusammenspielenden Band weiterhin einem nur erschreckend kleinen Kreis von Eingeweihten vorbehalten bleibt.
Eingebettet in ein Mini-Orchester sangen und spielten sich die Pernice Brothers schon 1998 auf dem schlicht unfassbar guten Album "Overcome By Happiness" durch zwölf Einheiten locker-flockigen Sommer-Pop, den keine Wolke am Himmel zu trüben im Stande war. Mit Songs wie "Crestfallen" oder "Clear Spot", die man einmal hört und nie wieder vergißt. Jüngere Semester oder Menschen mit einem weniger ausgeprägten Bewußtsein für die neuere Musikgeschichte hörten in "Overcome By Happiness" genau das Album, das Teenage Fanclub gerne letztes Jahr gemacht hätten. Die anderen fühlten sich an Alex Chiltons legendäre Big-Star-Truppe erinnert oder an Elvis Costello, und wirklich: Den stellenweise (musikalisch!) fast schon überschwänglich fröhlichen Pernice Brothers war mit "Overcome By Happiness" eine der schönsten, klassischsten Pop-Platten der letzten Jahre gelungen.

Das zweite Album der Band erschien dann knapp zwei Jahre später, im Januar 2000 - zumindest auf dem Papier. Denn kurz vor der Veröffentlichung bekam Joe kalte Füße, und so brachte Sub Pop die Platte unter dem umständlichen Projektnamen "Chappaquiddick Skyline" (eine Parodie auf Bob Dylans "Nashville Skyline" und ein Seitenhieb auf Ted Kennedy) auf den Markt. Aufgenommen in den eigenen vier Wänden mit einem einfachen 8-Spur-Gerät klingt "Chappaquiddick Skyline" wie eine Schmalspurversion der Pernice Brothers, womit der Sound und nicht etwa die Qualität der Platte an sich gemeint ist. Durch die eingeschränkten technischen Mittel wurde nämlich nur das Songwritertalent des Joe Pernice weiter in den Vordergrund gerückt. Das verschob die Perspektive etwas, aber unter dem Strich war das Album mindestens genauso schön wie "Overcome By Happiness". Nicht nur, aber auch, weil es mit "Leave Me Alone" eine tolle New-Order-Coverversion enthielt. Um das Namenschaos perfekt zu machen, erschien nur wenige Monate später ein Joe-Pernice-Soloalbum, "Big Tobacco", (übrigens nur in Deutschland und bei Glitterhouse), das - jetzt wird es noch einmal verwirrend - genau jene Songs enthielt, die auf das geplante, aber dann nicht mehr verwirklichte vierte Album von Joes früherer Band, den Scud-Mountain-Boys, gesollt hätten. Alles klar? Nein? Kein Wunder, Mister Pernice macht es uns ja auch nicht leicht. Um ein wenig Klarheit zu schaffen, bat die Gästeliste den Amerikaner anlässich der Veröffentlichung des neuen Albums "The World Won't End" - jetzt wieder unter dem Namen Pernice Brothers - zum Interview.

The Pernice Brothers
"Es stimmt, wenn man das neue Album nicht mitrechnet, sind die letzten vier Platten unter vier verschiedenen Namen erschienen. Aber damit ist nun Schluß. Und zwar nicht, weil ich die Abwechslung leid bin, sondern nur, weil ich es satt habe, daß sich die Leute mehr auf den Bandnamen als auf die Musik konzentrieren. Für mich klingen all diese Platten sehr unterschiedlich. Die Scud Mountain Boys lösten sich auf, also konnte ich den Namen nicht mehr verwenden. Und 'Chappaquiddick Skyline' oder 'Big Tobacco' unter dem Namen Pernice Brothers zu veröffentlichen, wäre schlicht und ergreifend nicht repräsentativ für die Band gewesen. Zugegeben, einige der Musiker sind identisch, aber nicht alle. Außerdem macht für mich das Songmaterial den größten Unterschied."

Die Geschichte der Band aus einem kleinen Kaff in Massachusetts scheint nur auf den ersten Blick vor drei Jahren mit "Overcome By Happiness" zu beginnen, doch tatsächlich liegen die Wurzeln der Pernice Brothers bereits in den Achtzigern, als Joe und seine Band mit befreundeten Bands wie den Throwing Muses oder den Pixies in und um Boston die Liveclubs unsicher machten. Über die Grenzen der heimlichen US-Musikhauptstadt der 80er hinaus wurde Joe aber auch mit seiner nächsten Band, den Country Cousins, nicht. Erst als sich seine nächste Band, die nach den aus dem Golfkrieg berühmt-berüchtigten Scud-Raketen benannte Band Scuds, in Scud Mountain Boys umbenannte, kam der Stein langsam ins Rollen. Denn mit dieser Band traf Joe den Zeitgeist besser als je zuvor, und die Euphorie, die dem Americana-Sound Mitte der Neunziger in ganz Amerika zu einer Renaissance verhalf, sorgte auch dafür, daß die beiden vertriebslosen Lo-Fi-Alben der Scud Mountain Boys, erschienen auf dem kleinen Label Chunk, von Sub Pop als Doppel-Album "The Early Year" (beide waren ursprünglich innerhalb weniger Monate 1995 erschienen) wiederveröffentlicht wurden und ein Jahr später das Album "Massachusetts" als Meilenstein des No-Depression-Sound gefeiert wurde. Doch bevor die Scud Mountain Boys den Kritikererfolg zu Geld hätten machen können, ging Joe bereits wieder neue Wege und reformierte die Pernice Brothers. "Mein Ziel war es nie, ein Star zu werden", sagt Joe passenderweise dazu. "Dabei verkommt man nur zu einem Produkt. Damit will ich nichts zu tun haben! Wenn streckenweise dein Haarspray wichtiger ist als deine Songs, ist das einfach nur noch traurig. Ich lese zum Beispiel auch nichts von dem, was über uns geschrieben wird, und ich mache mir auch keine großen Hoffnungen, was die Plattenverkäufe angeht. Das bringt dich als Künstler nur ins Schleudern. Als Künstler darfst du an so etwas gar nicht erst denken. Es hat auch nichts mit dem Musikmachen zu tun."

Heute ist von den SMB nicht mehr viel übrig, abgesehen von einem einzigen Song, "Grudge Fuck", den auch die Pernice Brothers noch live spielen. "Ja, wir spielen diesen einen Song, weil ich der Meinung bin, dass die Scud Mountain Boys ihn nie richtig hinbekommen haben. Wir haben ihn früher nie live gespielt und auch nicht in einer guten Fassung aufgenommen, deshalb ist das der einzige Song, den ich noch einmal ausgraben wollte." Damit stellt sich auch gleich die Frage, wie demokratisch es bei den Pernice Brothers zugeht. Immerhin ist Joe der alleinige Songschreiber, Sänger und Gitarrist. Robert Smith hat The Cure einmal als "einseitige Demokratie" bezeichnet, weil er seinen Mitstreitern zwar ein Mitspracherecht einräumt, aber trotzdem nichts auf Platte erscheint, dem er nicht zustimmt. Handhabt Joe das ähnlich? "Am Ende des Tages habe ich das Sagen. Die Leute, mit denen ich jetzt zusammenarbeite, sind hervorragende Musiker, und ich kann ihnen soweit vertrauen, daß sie ihr eigenes Ding für die Songs machen. Wenn mir etwas nicht gefällt, habe ich allerdings in der Tat das letzte Wort."

The Pernice Brothers
Das gilt für die Arrangements im Allgemeinen genauso wie für einzelne Sounds im Speziellen. Denn eines der herausragendsten Merkmale, das die Pernice Brothers von vielen, vielen ähnlichen Bands unterscheidet, ist ihr Gespür für den exakt richtigen Sound. Egal ob es der Klang des Schlagzeugs ist oder der einer beim ersten Hinhören unbedeutenden Gitarrenspur, die produktionstechnische Sorgfalt der Band ist stellenweise geradezu verblüffend. Da verwundert es nicht, daß die Aufnahmen für das neue Album mehr als ein halbes Jahr dauerten. Während andere Bands mit Vorliebe alte Platten mit ins Studio schleppen, um gewisse Sounds zu kopieren, hält sich Joe absichtlich vom Einfluss anderer Musik fern, solange er an seinem eigenen Album arbeitet. Die einzige Platte, die er während der Arbeit an "The World Won't End" gehört habe, so sagt er, sei ein Album von Mudhoney gewesen: "Und das hat nun wirklich überhaupt nichts mit meiner eigenen Musik zu tun." Einschränkend erklärt er aber dennoch: "Manchmal sagen wir natürlich trotzdem etwas wie: 'Wäre es nicht toll, wenn diese Stelle hier wie irgendwas von 'London Calling' klingen würde?' Dann versuchen wir, darauf hin zu arbeiten, aber oft klingt ein Sound in deiner Erinnerung ganz anders als in Wirklichkeit. Bei der neuen Platte gab es dafür ein perfektes Beispiel: Bei einem bestimmten Part wollte ich eine ganz bestimmte Elvis-Costello-Harmonie erwischen. Also haben wir den Song so aufgenommen, wie mir das von der Costello-Platte in Erinnerung zu sein schien. Später hat unser Tontechniker Thom Monahan gesagt: 'Ich hab mir den Elvis-Costello-Track angehört, von dem du gesprochen hast, aber diese Stelle gibt es dort gar nicht!' Es war also nur ein Hirngespinst von mir, daß es diese Stelle in einem anderen Song bereits gab!"

Obwohl die üppige Instrumentierung des Albums mit "echten" Streichern viel zum außergewöhnlichen Klang der Platte beiträgt, ist Joe nicht unbedingt traurig darüber, daß es ihm finanziell unmöglich ist, die Streicher auch mit auf Tour zu nehmen. "Ich will zwar definitiv in Zukunft ein paar Shows mit den Streichern spielen, wie das kürzlich eigentlich schon für das Konzert in London geplant war, aber natürlich wäre es schon ein ziemlicher Krampf, jeden Abend so aufzutreten. Die Logistik wäre der Wahnsinn. Ab und zu wäre es zwar ganz schön, aber der Zusammenhalt in der Band, mit der ich jetzt toure, ist sehr gut und wir verstehen uns prächtig. Die Dynamik stimmt einfach. Käme jetzt dauerhaft ein Streichquartett dazu, könnte das die Balance belasten."

Balance ist überhaupt ein wichtiges Stichwort für die Pernice Brothers. Schließlich stehen bei der Band eigentlich Musik und Text im scheinbar krassen Widerspruch. Musikalisch gibt es Anleihen bei den großen B's (Beatles, Beach Boys, Bacharach und Big Star), die die Hörerschaft für 40 Minuten in eine bessere Welt einführen. Die Texte dagegen handeln vor allem von den weniger schönen Dingen im Leben: Verlust, Schmerz, ja sogar das Thema Selbstmord wird mehrmals, wenn auch mit einem ironischen Augenzwinkern, aufgegriffen. Da ist es kein Wunder, daß es gerade bei den Konzerten der Amerikaner zu der paradoxen Situation kommt, daß der Sänger von den kleinen und großen Katastrophen des Alltags singt und das Publikum trotzdem strahlend vor der Bühne steht. Zumindest soweit es die Musik angeht, haben die Pernice Brothers die Lizenz, ihr Publikum rundum glücklich zu machen. "Um ehrlich zu sein, das ist nicht kalkuliert", lacht Joe. "Ich schreibe einfach Songs, ohne mir Gedanken darüber zu machen, ob sie traurig oder happy sind. Wenn das Songwriting kein natürlicher Prozess für mich wäre und ich mir erst Gedanken machen müsste, wie ein Song auszusehen hat, würde ich wahrscheinlich so depressiv, daß ich mir gleich einen Strick nehmen würde. Was ich am meisten mag beim Songschreiben, ist die Tatsache, daß ich mich völlig fallen lassen kann. Wenn ich alles durchkalkulieren und damit manipulieren würde, könnte ich mir lieber einen Job in einer Bank suchen, anstatt Platten zu machen."

Aha! Joe lässt also auch beim Interview seinen desillusioniert-spröden Außenseiter-Charme durchscheinen, der seine Texte zu etwas Außergewöhnlichem macht. Passend dazu erklärt er uns abschließend auch noch, warum er die Idee, es bei einer großen Plattenfirma zu versuchen, sehr schnell wieder aufgegeben hat. "Ich habe mit einigen Majors gesprochen, aber ich stellte schnell fest, daß unsere Platte dort sowieso fehl am Platze gewesen wäre. Bei einer großen Firma sind die Künstler selbst das Produkt. Um die Musik geht es schon gar nicht mehr. Die ist zweit-, wenn nicht sogar drittrangig. Wenn du in Amerika nicht in einer metallastigen Band oder einer Boygroup bist, hast du nicht den Hauch einer Chance. Es sei denn, du bist ein 15-jähriges Mädchen." Joe Pernice mag zu einem gewissen Grad von der Welt enttäuscht sein, aber trotzdem steht fest: Selten haben Depressionen so unglaublich erhebend und attraktiv geklungen wie auf "The World Won't End".

Weitere Infos:
www.pernicebrothers.com
www.ashmontrecords.com
Interview: -Carsten Wohlfeld-
Fotos: -Norm Demoura-
The Pernice Brothers
Aktueller Tonträger:
The World Won't End
(Southpaw/Connected)
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