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SPIRITUALIZED
 
"Stooges For Airports"
Spiritualized
Als sich Jason Spaceman vor vier Jahren zum letzten Mal der deutschen Journaille stellte, hatte er gerade sein drogenverhangenes Meisterwerk "Ladies And Gentlemen We Are Floating In Space" fertiggestellt. Und die Interviews spiegelten das unweltliche Album gut wider: Jason schien ständig in einem Paralleluniversum zu sein, wirkte abwesend, relativ unglücklich und von seinen viel diskutierten Drogenexzessen gezeichnet. Das alles machte ihn nicht unsympathisch, aber kaum zu einem idealen Gesprächspartner. Aber wenn dabei so großartige Musik herauskommt wie bei Jason, kann man ihm das natürlich kaum wirklich übel nehmen. Mit seinem neuen Werk "Let It Come Down" gelingt dem Briten und seiner völlig neuformierten Band nun ein weiterer orchestral-ausladender Geniestreich, und wieder hätte man Jason ein gewisses Maß an Abgehobenheit nicht nachtragen können.
Hamburg. Maritim Hotel. Wenige Stunden vor dem vorläufig einzigen Deutschland-Konzert von Spiritualized (einen Nachschlag soll es im März geben) begrüßt uns ein gut gelaunter und fast ungewohnt entspannt wirkender Jason in der Lobby. Auch während des Gesprächs mit der Gästeliste bereitet es ihm offensichtlich größte Freude, immer wieder kleine schelmische Bemerkungen einfließen zu lassen, und selbst sein spitzbübisches Grinsen zeigt er für einen Mann, der seine größten Erfolge damit erzielt hat, über die dunkleren Seiten des Lebens zu schreiben, erstaunlich oft.

Vielleicht liegt es an den überschwenglichen Reaktionen auf seine neue Platte, vielleicht daran, daß Jason - wie man hört - den chemischen Spaßmachern fernbleibt, oder vielleicht auch daran, daß er seine langjährige chaotische Beziehung zur ehemaligen Spiritualized-Keyboarderin Kate Radley (Jason schrieb für sie eines der ergreifendsten Liebeslieder aller Zeiten, sie heiratete zum Dank Richard Ashcroft von The Verve) endgültig hinter sich gelassen hat - sicher ist, daß Jason wie ausgewechselt wirkt.

Gästeliste: Du siehst sehr entspannt aus, die Tour läuft gut?

Jason: "Ich liebe es, auf Tournee zu sein, das ist der beste Aspekt am Musikerdasein. Ich kann nicht verstehen, wie jemand diese Erfahrung nicht genießen kann. Ich habe keine Ahnung, was du tust, wenn du Musiker bist, aber nicht gerne Musik machst. Viel bleibt dir da ja nicht übrig."

Gästeliste: Trotzdem verbringst du mehr Zeit im Studio als auf der Bühne!

Jason: "Die Produktion von Studio-Platten ist nur ein Mittel zum Zweck. Das ist der einzige Grund, warum ich Platten mache. Wenn ich nicht gezwungen wäre, Platten aufzunehmen, würde ich Liveshows spielen. Bei Plattenaufnahmen bleibt die Musik an sich völlig außen vor. Du versucht, deine Arbeit objektiv einzuschätzen. Bei Konzerten kommt alles vom Inneren der Musik, auch die Veränderungen. Bei der Studioarbeit geht es nicht wirklich ums Musikmachen. Während des ganzen Aufnahmeprozesses spielst du ja nie länger als die tatsächliche Spielzeit. Das sind 70 Minuten in einem Jahr, oder vielleicht sogar in zwei. Es geht nicht ums Musikmachen, sondern eher darum, einen Sound zu kreieren, der mehr ist als nur eine Platte einer bestimmten Kategorie."

Gästeliste: Du scheinst im Gegensatz zu den meisten anderen Musikern bei einem Album von der Idee des Ganzen auszugehen und dir dann die passenden Bruchstücke zusammenzusuchen und nicht wie andere 12 neue Songs irgendwie zu einem Album zu formen. Immerhin hast du ja auf den letzten beiden Platten alte Stücke neu aufgenommen bzw. in einen neuen Kontext integriert.

Jason: "Bei dieser Platte drehte sich alles um die Orchestrierungen, die ein integraler Teil der Songs sein sollten. Die Idee der Platte begann mit den Orchester-Parts, und die diktierten dann, wie Texte, Arrangements und diese Dinge auszusehen hatten. Bei den meisten Platten, die Orchester und Chöre verwenden, werden diese Elemente später hinzugefügt. Ich dagegen wollte eine Platte machen, die so weit wie möglich von der Art und Weise entfernt war, wie die letzte entstanden war. Es ging viel mehr um die Harmonien und die Arrangements, nicht so sehr um den Sound. Das war außerdem ein Weg, mich von einem Großteil der populären Musik abzusetzen, bei dem nur die Soundkomponente im Mittelpunkt steht und dem Inhalt des Songs, seiner Tiefe - wenn überhaupt - dann viel später Beachtung geschenkt wird. Egal, um was für Musik es geht, ob HipHop, Drum & Bass, Trance, Electronics, Psychedelia, es geht dort überall um ein bestimmtes Vokabular des Sounds, das dazu benutzt wird, den Hörer 'einzufangen', auch wenn es nur diese Soundlandschaft der Effekte ist, die den Hörer anspricht. Ich dagegen wollte versuchen, etwas zu machen, das all das völlig außen vor läßt."

Gästeliste: Ist das ein Gedanke, auf den du erst in letzter Zeit gekommen bist?

Spiritualized
Jason: "Ich versuche, meine eigenen Erwartungen an das, was ich zu leisten im Stande bin, außen vor zu lassen. Meine einzige Chance, etwas zu schaffen, das über die letzte Platte oder das letzte Konzert hinausgeht, ist, mich in eine Lage zu versetzen, in der ich selbst nicht weiß, was passieren wird. Ich sage das bei jeder neuen Platte: Ich könnte noch zehn weitere Platten wie diese machen, dazu noch sehr viel schneller, weil ich jetzt wüßte, was zu tun ist und welche Pfade ich besser nicht betreten sollte. Es geht mir aber mehr darum, mich in eine Situation zu bringen, in der ich gar nicht darum herumkomme, die Dinge anders anzugehen."

Gästeliste: Bedeutet das, du würdest lieber eine schlechtere Platte vorziehen, wenn sie nur anders wäre, als eine wirklich gute, die sich zu sehr auf Vergangenes bezieht?

Jason: Nein, es geht nicht darum, ein Statement abzuliefern. Es gibt eine bestimmte vorgegebene Richtung, die ist seit meiner ersten Platte immer gleich geblieben. Es geht mir jetzt darum, dieses Spektrum zu erweitern. Die Wurzeln sind beim neuen Album die gleichen wie bei all meinen anderen auch. Manche Leute machen nach einiger Zeit eine komplette Kehrtwende und sagen dann: 'Erst jetzt machen wir das, was wir wirklich wollen'. Das kaufe ich ihnen nicht ab. Mir geht es um konstante Weiterentwicklung und darum, sich mit jeder neuen Platte höhere Ziele zu stecken."

Gästeliste: Gehört dazu auch der fortwährende Wechsel deiner Musiker? Immerhin ist die neue Band bereits die dritte Inkarnation von Spiritualized!

Jason: Irgendwie schon! Trotzdem ist die Band wichtig, es dreht sich alles um die Interaktion mit der Band. Es geht mir nicht darum, Leute zu finden, die großartige musikalische Fähigkeiten haben, die ihre Parts schnell lernen können - sie müssen vor allem die Gabe haben zuzuhören. Als Musiker haben die neuen Leute die gleichen Fähigkeiten wie die Musiker, die jetzt nicht mehr dabei sind. Der Hauptunterschied zwischen den beiden Bands ist: Die neuen Musiker wollen touren. Und bei Spiritualized ging es ja schon immer im besonderen Maße um das Livespielen, denn dabei ist die Musik am elektrifizierendsten, hat die meiste Power und die meisten Emotionen. Wenn du das aus der Gleichung streichst, verlierst du den Sinn, in einer Band zu sein. Die letzte Band wollte nicht auf Tournee gehen. Ich habe gesagt, sie seien nur noch am Cash-In interessiert gewesen, aber das wäre wohl ein bißchen unfair, das so zu sagen. Sie wollten nur noch die Shows spielen, bei denen gutes Geld zu verdienen war. Und selbst davon noch so wenig wie möglich. Das Problem ist: Sobald dein Motiv nur noch das Geldverdienen ist, kannst du nie mehr zu deinem Ursprung zurückkehren. Du kannst deine Integrität nicht mehr zurückkaufen. Dein einziges Ziel ist es dann: Wie viel Geld kann ich verdienen und wie gut kann ich es mir gehen lassen? Das gehört aber nicht zu meinen Zielen. Wenn wir auf Tournee sind, verlieren wir meistens Geld, was aber nicht heißt, daß die Musiker umsonst spielen sollen. Es ist nur so, daß es nicht darum geht, wie wenig ich der Band bezahlen kann, sondern wie viel!"

Gästeliste: Ist das nicht schwierig, egal ob für die alten oder die neuen Musiker, im Studio zwei Jahre an einer Platte wie der neuen zu arbeiten?

Jason: "Sie haben ja nicht so lange daran gearbeitet! Im Studio bin ich die meiste Zeit alleine. Die eigentlichen Aufnahmen sind sehr schnell über die Bühne gegangen, das ganze Album wurde innerhalb von vier Wochen aufgenommen. Es geistert das Gerücht herum, daß ich den Leuten immer wieder sage: 'Spiel's noch mal, spiel's noch mal'! Das stimmt einfach nicht. Bei dem Szenario würden die meisten mir wohl davonlaufen (lacht)!"

Gästeliste: Du greifst im Studio eher auf traditionelle Mittel zurück. Neue Technologien wie DVD-A und 5.1. Surround Sound spielen für dich keine Rolle?

Jason: Ich finde 5.1. ziemlich aufdringlich. Wir haben ja nur zwei Ohren, sind also nur für stereo ausgerüstet. Über 5.1. sagt man ja Dinge wie: 'Damit kann man sich praktisch neben den Cellisten setzen, wenn man sich sein Lieblings-Orchester-Stück anhört'. Ich persönlich will gar nicht neben dem Cellisten sitzen, ich möchte vor dem gesamten Orchester sitzen, dort, wo es am besten klingt. Irgendjemand hat mal gesagt: Wenn du Musik unglaublich perfekt spielen willst, aber eigentlich gar keine Musik magst, solltest du die Bratsche in einem Orchester spielen. Dann sitzt du nämlich genau vor den Hörnern, spielst wahnsinnig tolle Sachen, hörst aber keinen Ton davon (lacht)!"

Gästeliste: Ein Wort zu den Texten: Die religiös-spirituellen Referenzen scheinen in den letzten Jahren zugenommen zu haben. Nicht nur, weil du "Lord Can You Hear Me" neu aufgenommen hast...

Jason: "Ich glaube euch das mal. Ich habe das ehrlich gesagt nicht überprüft, ich habe noch keine 'Lord'-Zählung durchgeführt."

Gästeliste: Es geht ja auch nicht um Mathematik, sondern eher um das Gefühl, das dabei entsteht.

Spiritualized
Jason: "Ich denke, das hat vor allem damit zu tun, daß der Gospel-Chor ein wichtiger Teil des Aufnahmeprozesses war. Es ging nicht darum, den Chor nur bei ein paar Stücken dabeizuhaben. Es ging um einen einheitlichen Sound. Zum Beispiel haben wir das Schlagzeug, nachdem es einmal im Studio aufgebaut und verkabelt war, auch nicht mehr herumgerückt oder uns großartig Gedanken gemacht, wie wir die Streicher bei diesem und jenem Stück soundtechnisch anders einsetzen könnten. Die Instrumente klingen alle ganz natürlich, so wie der Hörer das erwarten würde. Auf schwer zu erklärende Weise ging es mir bei der Platte darum, einen sehr spartanisch-ursprünglichen Sound zu haben. Das klingt natürlich blöd, wenn man 100 Leute einlädt, die auf dem Album spielen, aber in musikalischem Sinne stimmt es trotzdem."

Gästeliste: Also dienen die religiösen Anspielungen eher dazu, bestimmte Gefühle im Hörer auszulösen?

Jason: "Natürlich! Es gibt zum Beispiel nichts Schöneres auf der Welt als den Klang eines Gospel-Chors. Du kannst für einen solchen Chor ja auch gar nichts schreiben. Du singst eine Zeile und der Chor antwortet dir mit der gleichen Zeile, das ist ein fantastisches Gefühl. Und selbst, wenn man nicht religiös ist, wenn man an einer Kirche vorbeigeht und einen Gospel-Chor hört, wühlt das die Leute auf. Was die Sprache selbst angeht: Wenn du nur sagst 'can you hear me', klingt das sehr gewöhnlich, wenn du aber 'Lord' hinzufügst, nimmt der Satz gleich eine viel breitere Bedeutung ein, die Botschaft wird viel universeller."

Gästeliste: Letzte Frage: Während die spirituellen Referenzen zugenommen zu haben scheinen - wo sind, zumindest auf der neuen Platte, die Jazz-Avancen geblieben?

Jason: "Ich höre immer noch viel Jazz, aber dieses Mal ist ganz einfach die Instrumentierung durch das Orchester anders. Ich habe versucht, wie schon in der Vergangenheit wieder die E-Gitarren-Sounds zu verwenden, aber das funktionierte nicht, weil sie so viel Raum einnehmen. Das ganze Album kreist aber um die Orchestrierung, also diktierte das die Richtung. Abgesehen davon kannst du 100 Musiker nicht einfach frei drauflos spielen lassen. Aber die Jazz-Seite ist nicht ganz verschwunden. Es gibt dazu dieses großartige Zitat eines Journalisten aus Amerika. Er wurde gefragt, wie er Spiritualized in drei Worten zusammenfassen würde. Er hatte eine fantastische Beschreibung parat und sagte: 'Stooges For Airports'!"

Weitere Infos:
www.spiritualized.com
www.no-fi-com/spiritualized
Interview: -Carsten Wohlfeld & David Bluhm-
Fotos: -Carsten Wohlfeld-
Spiritualized
Aktueller Tonträger:
Let It Come Down
(Arista/BMG)
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