Mirwais: Ich wurde in der Schweiz geboren, aber eigentlich ist das egal, denn ich fühle mich als Weltenbürger. Bis ich sieben war, habe ich dann in Afghanistan gelebt, und das war schon eine große Umstellung, dort wegzugehen. Wenn du in den 60ern aus Afghanistan kommst, könntest du genauso gut auch vom Mond kommen. In Frankreich fühle ich mich vor allem deshalb heimisch, weil meine beiden Kinder dort leben.
GL: Wenn du heute ein musikalisches Projekt angehst, arbeitest du dann lieber mit Gästen an deinen eigenen Tracks, damit du selbst das letzte Wort hast, oder als Produzent für jemand anders, der die Entscheidungsgewalt hat?
Mirwais: Das sind zwei völlig verschiedene Sachen. Ich meine, was hast du als Produzent schon zu verlieren, wenn du mit jemandem zusammenarbeitest, der selbst sehr talentiert ist? Nimm zum Beispiel Björk. Da ist es egal, ob es nun ich bin, der am Mischpult sitzt, oder jemand anders. Das Ergebnis wird so oder so sehr positiv sein, weil sie sehr viel Talent hat. Ähnlich war es mit Madonna. Du musst ganz einfach auf die gleiche Wellenlänge kommen, und ist das einmal geschafft, macht die Arbeit sehr viel Spaß.
GL: Ich kann mir denken, dass die M-Frage die nervigste Frage an Interviewtagen wie diesem ist. Was ist denn die beste Frage, die dir in letzter Zeit gestellt wurde?
Mirwais: Die beste Frage war: "Was verbirgt sich hinter dem LP-Titel 'Production'?" Die meisten fragen danach gar nicht erst, weil sie denken, dass es zu offensichtlich ist, ich bin nun mal Produzent. Aber in Wahrheit verbirgt sich für mich viel mehr dahinter, nicht nur der technische Aspekt, sondern auch ein philosophischer. Ich lese sehr viel und interessiere mich besonders für den Ursprung und die Herkunft von Sprachen und bestimmten Wörtern. Bei den Griechen bedeutete der Begriff "Production", etwas entstehen zu lassen, etwas "aus dem Boden wachsen zu lassen". Ich finde das sehr poetisch und ganz und gar nicht technisch und kalt. Und es ist meiner Meinung nach auch sehr interessant, dass der gleiche Begriff dann später von beispielweise Marx verwendet wurde und heute sogar in der Unterhaltungsindustrie vorkommt."
GL: Du bist also nicht der typische Elektronikproduzent, der den ganzen Tag vor Sampler und Computer hockt, richtig?
Mirwais: Nein! Existenzialismus ist ein anderes Thema, das mich wirklich interessiert. Ich bin jetzt 39 Jahre alt und ich hätte gerne ein paar Antworten auf meine existenziellen Fragen. Das kann eine Frage sein wie "Warum lebe ich?, aber auch eine Frage wie "Warum steht diese Flache Wasser hier und nicht im Vorzimmer?" Ich weiß, dass ich irgendwann einmal sterben muss, und bis dahin möchte ich so viele verschiedene Erfahrungen machen wie möglich und soviel Wissen ansammeln, wie es nur irgend geht.
GL: Trotzdem scheinst du auf der Platte keine eindeutige Botschaft für die Hörer "da draußen" zu haben?
Mirwais: Zumindest ist es ein Grund dafür, dass ich nie politisch gefärbte Texte machen würde, weil das ganz einfach im Kontext der Popmusik nicht funktioniert. Du fängst vielleicht als armer Schlucker an, aber wenn du dann einmal Erfolg hast, nimmt dir doch niemand mehr ab, wenn du vom Elend des kleinen Mannes singst.