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Interview-Archiv

Stichwort:



 
JENNIFER TERRAN
 
Liebe und der autonome Hörer
Jennifer Terran
Mit "The Musician" legte Jennifer Terran aus L.A. eine Scheibe vor, die ihresgleichen sucht: Ohne Unterstützung einer Plattenfirma im heimischen Wohnzimmerstudio eingespielt, kreierte Jennifer eine einzigartige Collage aus "Hörspielschnipseln", sparsam arrangierten Piano-Songs und mit Streichern und Chören versehenen, voll orchestrierten Mini-Opern. Diese Scheibe widmete sie dann noch "dem Musiker" - ohne den die Musikindustrie nicht leben kann, der aber ohne die Musikindustrie existieren kann. Letzteres belegte Jennifer, indem sie ihr Album - wie auch die Vorgänger "Cruel" und "Rabbit" vollkommen unabhängig und auf eigenes Risiko. Jetzt kommt Jennifer mit ihrem Ehemann Brendan Statom auf Europa-Tour. Da wollten wir natürlich mal wissen, was sich Jennifer denn so dabei denkt, wenn sie Scheiben wie "The Musician" aufnimmt.
Gleich zu Beginn stellt sie klar, dass man das mit der Scheibe "für den Musiker" nicht so eng sehen sollte. "Müssen wir denn zwischen Konsumenten und Musiker unterscheiden? Diese Scheibe ist für jeden, der davon berührt wird. Außerdem: Muss man denn ein Maler sein, wenn man ein Buch über das Leben eines Malers liest? Oder muss man ein Musiker sein, um sich eine Scheibe anzuhören, die die Erfahrungen aus dem Dasein eines Musikers als Metapher dazu benutzt, die Sorgen und Nöte darzustellen, die wir alle durchleben? 'Why do I feel so old, where did I go? I used to be moved to tears by the sound of a simple chord'. Wer hat sich nicht schon mal so gefühlt? Also blass und uninspiriert? Es scheint so, als wollten wir doch alle mehr, als die Grundbedürfnisse zu befriedigen. Am Ende wollen wir doch alle nahe der 'Quelle' sein. Wir wollen nicht bloß körperlich, sondern auch emotional am Leben sein, Und darum geht es mir auf der Scheibe: Den Wunsch, das Bemühen, verbunden zu sein." Wenn Jennifer das so sagt, hört sich das alles ganz logisch und simpel an. Die Songs - oder sagen wir mal die Collagen - auf der Scheibe sind indes alle ziemlich verschachtelt und komplex. Was ist denn für Jennifer ein Song? "Das ist eine sehr interessante Frage. Ich würde sagen, dass ein Song eine kurzes, begrenztes populäres Format ist, worin sich die Musik wiederfindet. Innerhalb eines Pop-Songs findest du oft dieses Standard-Thema-Refrain-Schema - was so schmerzhaft vorhersehbar und langweilig ist - zumindest für meine Ohren. Ich will jetzt ja nicht herumnörgeln: Aber es gäbe so viel zu entdecken, so viel in unserer Vorstellungskraft, das herausgelassen werden könnte - wenn wir uns bloß gehen ließen. Für mich ist es traurig, dass sich so viele Leute mittels existierender Strukturen ausdrücken, nur um akzeptiert zu werden - anstatt es zu wagen, einzigartig zu sein. Wenn ich Musik mache, beschränke ich mich niemals auf die 'Regeln'. Es ist nämlich so, dass ich mich als Künstler oder als Mensch berechtigt sehe, meine eigenen Regeln aufzustellen - wenn ich denn möchte. Und das möchte ich. Solange das, was ich tue, in meinen Knochen schwingt, solange die Form dazu taugt, das, was ich ausdrücken möchte zu kommunizieren, ist das absolut gültig - worum immer es sich auch handeln mag."
Jennifer Terran
Die CD parodiert sich insofern selbst, als dass da in den Texten an manchen Stellen darauf hingewiesen wird, dass man ja soeben eine CD hört. Da ist schon sehr ungewöhnlich. Was war denn da der Gedanke? "Ich sehe den Zuhörer nicht bloß als passiven Zeugen von Geräuschen, die ich aufgenommen habe, sondern als jemanden, der ganz intensiv darin eingebunden ist, das emotionale, tonale Gemälde, die Geschichte, die sich in der Gegenwart, Vergangenheit und der Zukunft entwickelt, zu vollenden. So wende ich mich öfters mal an den Hörer und lasse ihn wissen, wo er sich gerade befindet. Was nun die Geschichten in den Geschichten betrifft: Nun, das ist eines der Dinge, die der Scheibe Tiefe geben. Da gibt's bei jedem Hören etwas Neues zu entdecken." Und welche Funktion haben diese "Hörspiele" zwischen den Stücken? "Diese Hörspiele, wie du sie nennst, sind ein Phänomen, das ich beim Mastern entdeckt habe. Ich nenne das die 'Zwischenzone'. Das ist das, was sich zwischen den Songs befindet - anders als auf einer LP. Beispiel: Wenn du am Ende von Song drei zu Track vier springst, verpasst du das, was sich dazwischen befindet. Das hörst du nur, wenn du die ganze Scheibe durchhörst. Was du da hörst ist dieser magische Bereich, in dem ich direkter zum Hörer sprechen kann, oder wo sehr persönliche Momente dargelegt werden. Oder aber die 'Zone' funktioniert als Klebstoff, der die Songs zusammenhält. Es handelt sich dabei um Sachen, die z.T. zufällig aufgenommen wurden." Die Atmosphäre auf dem Album ist sehr warm, organisch, inspiriert - in der Art eines Live-Vortrags. Was war hier der Ansatzpunkt? "Es war definitiv meine Absicht, ein lebendiges, menschlich klingendes Erlebnis zu kommunizieren - im Gegensatz zu einer ausgetüftelten, sorgfältig produzierten, glänzenden, funkelnden Aufnahme. Für mich ist bei produzierten Aufnahmen zu oft eine Barriere zwischen Musik und Realität. Je mehr eine Scheibe produziert ist, desto weniger menschlich scheint sie zu sein. Wenn ich so etwas höre, dann frage ich mich oft: Wo ist denn das passiert? Höre ich jetzt einen wichtigen Moment oder bloß ein Produkt, das perfektioniert wurde, um im Radio zu funktionieren? Das heißt nicht, dass das auch funktionieren kann. Alles kann gut gemacht werden. Es ging mir beim Musician bloß um etwas Persönlicheres und Zeitloseres. So ging es mir darum, alles bei jeder Gelegenheit so natürlich und lebensnah wie möglich klingen zu lassen. Ein wichtiger Aspekt dabei war der Gebrauch von analogem Equipment und Röhrenverstärkern. Dann musste natürlich der Vortrag inspiriert sein - sonst wurde er gar nicht erst aufgenommen. Das war wirklich das Ausschlaggebende: Die Inspiration aufzufangen - auch um den Preis von kleinen Fehlerchen und dem Verlust von Stückchen von Musik. Am Ende ging es mir darum, dem Hörer zu vermitteln, dass er fühlen konnte, wo das Ganze stattgefunden hatte - so dass er Teil des Erlebnisses wird. Natürlich ist das keine Live-Scheibe. Es gibt immer noch genügend 'Phantasie-Elemente' - z.B. wenn ich einen ganzen Chor singe oder Brendan ein ganzes Streicherensemble emuliert. Aber ich denke, es hört sich doch sehr realistisch an."
Jennifer Terran
Damit man sich überhaupt mal was unter diesen Beschreibungen vorstellen kann, wenn man die Scheibe nicht kennt, muss man sich eine Kombination etwa von Mary Lorson's letzter Saint Low-Scheibe, Laura Nyro's kompositorischem Freestyle und der stimmlichen Stringenz von etwa Dana & Karen Kletter oder Kate & Anna McGarrigle ausmalen. Wie bereits angedeutet, passiert eine ganze Menge auf der Scheibe - sowohl musikalisch, vor allen Dingen aber inhaltlich. Es gibt da z.B. ein Alter Ego namens "Mad Magdaline" - die anstehende Tour steht z.B. unter diesem Thema. Woher kommt Mad Magdaline und woher die anderen Charaktere und Themen, die sich in den Songs tummeln? "Ich weiß gar nicht, woher Magdaline kam. Sie tauchte auf einmal in meinem Kopf auf und blieb dort. Und wofür sie steht? Ich würde sagen für persönliche Freiheit und Individualität. Sie ist auch sehr menschlich. Und sie ist sehr zerbrechlich und verletzlich bezüglich dessen, was andere von ihr denken und über sie sagen oder von ihr erwarten. Durch Liebe und den Glauben an sich selbst folgt sie aber ihrem Herzen und geht am Ende ihren Weg - trotz aller Widerstände... und trotz aller Arschlöcher. Und was die Songs betrifft: Ideen für Songs und Musik, alles was inspiriert ist - alles kommt von diesem magischen Ort, diesem schönen Ding, das ich 'die Muse' nenne. Ich klopfe ständig an ihre Tür, bitte sie darum, mich hereinzulassen - aber meistens erwidert sie mein aufdringliches, widerwärtiges Betteln nicht. Statt dessen weckt sie mich zu den ungünstigsten Gelegenheiten auf - natürlich dann, wenn ich ohne Stift, Papier oder Rekorder bin. Es ist schon ein schlimmes Spiel, das sie mit mir treibt, aber ich bemühe mich, dem so offen wie möglich gegenüberzustehen." Ein wichtiger Teil der Präsentation der CD ist das Artwork. Das Booklet zeigt eine unscharfe Aufnahme einer nackten Frau, die ihr Klavier betrachtet. Auf den Innenseiten finden sich weitere Bilder: Die Frau schneidet sich die Haare ab oder sitzt mit einer Pistole in einer Ecke und fixiert dabei den Betrachter. Was bedeutet das? "Eine Frau sitzt, intensiv ihr Instrument betrachtend, am Klavier. Sie ist nackt, verletzlich - aber auch wieder stark. Sie ist von Elementen aus der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft umgeben. Ihre Hände werden von der schwarzen Haut ihres Instrumentes gespiegelt. Dieses Bild spiegelt ihre Beziehung zu sich selbst und der Welt wieder - ausgedrückt durch die Kraft der Musik. Ist dir aufgefallen, dass sie nicht in die Kamera schaut? Sie ist nicht gewillt, unsere Zustimmung zu suchen, nach Anregungen zu suchen oder die Bürde der Kritik zu tragen. Das ist ihre Geschichte. Oder soll ich sagen 'The Musician' ist meine Geschichte. Die physikalische Nacktheit, die du auf dem Cover - oder bei Magdaline auf den Innenseiten siehst, ist ein Ausdruck der Verletzlichkeit - offenbart zu werden - musikalisch - emotional. Waffen haben viele Konnotationen - die alle aus der komplexen Psyche des Musikers entspringen. Von der Angst missverstanden zu werden über das Gefühl, etwas verteidigen zu müssen bis zu Gefühlen des Zorns, der Rache, der Kraftlosigkeit, die wir manchmal spüren und dem Bedürfnis, die Kontrolle zurückzuerlangen. Worum es mir nicht geht, ist Gewalt gutzuheißen. Ich erzähle nur eine Geschichte und das Symbol der Waffe kommuniziert auf kraftvolle Art die komplexen und manchmal widersprüchlichen Emotionen dieser speziellen Geschichte. Wenn z.B. Magdaline den Repräsentanten der Musikindustrie tötet, tötet sie in Wirklichkeit die Idee, dass sie seine Zustimmung braucht."

Das jetzt alles mal vorangestellt: Was müssen wir denn bei der anstehenden Tour erwarten? "Es wird mir immer bewusster, dass es darum geht, so ehrlich wie möglich zu sein, wenn man live spielt. Die Musik soll sich selbst redefinieren. Man muss etwas wagen. Ich darf nicht zu sklavisch an Strukturen, Set-Lists oder Konventionen kleben. Dieser Ansatz hat für mich und Brendan zu einem intensiven, spielerischen und unkonventionellen Konzerterlebnis geführt. In anderen Worten: Es ist eine emotionale Achterbahnfahrt. Was gut und real ist. Wir haben Glück, dass wir es uns erlauben können, dieses Ritual namens 'Konzert' zu haben, wo sich alle einig sind, dass man einen wirklichen Austausch vollziehen kann. Diese Art der Kommunikation kann in Musik und Kunst passieren, aber im 'richtigen Leben' - etwa in der Schlange an der Kasse im Supermarkt passiert es ja selten genug. Mir ist es am wichtigsten, Risiken beim Live-Spielen einzugehen - auch wenn das bedeutet, dass ich dabei manchmal auf den Hintern falle." Nun gut, das kann man nachvollziehen. Es bleibt noch eine Frage von Interesse: Was genau ist denn die treibende Kraft hinter dem Bedürfnis Jennifer Terrans, Musik machen zu müssen? "Liebe"

Weitere Infos:
www.jenniferterran.com
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Pressefreigaben-
Jennifer Terran
Aktueller Tonträger:
The Musician
(Grizelda)

 
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