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Interview-Archiv

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JULIANA HATFIELD
 
Der Abschied vom kleinen Mädchen
Juliana Hatfield
Mitte der 90er sagte Juliana Hatfield in einem Interview, dass wirklich große Künstler total kaputt sein müssten und sie einfach nicht "fucked-up" genug sei, um sich dazuzählen zu können. Nach einer - zumindest für das europäische Publikum - extrem langen Auszeit von fünf Jahren meldet sich das ehemalige Aushängeschild der Bostoner Indie-Rock-Szene jetzt in vielfacher Hinsicht zurück: Im Winter erscheint das Comeback-Album ihrer legendären ersten Band Blake Babies, und bereits diesen Monat veröffentlicht Juliana nicht nur ein, sondern gleich zwei neue Solo-Alben, die es sowohl einzeln, als auch im preisreduzierten Doppelpack gibt. "Beautiful Creature" ist eine verletzliche Platte mit manchmal fast kindlichem Charme, "Total System Failure" dagegen gibt sich größte Mühe, dem Albumtitel gerecht zu werden, und zeigt die Amerikanerin völlig am Boden. Zusammen mit Mikey Welsh (Weezer) und Zephan Courtney (Milligram) wird hier gerockt und geschockt. Außerdem wird diesen Monat auch ihr 1998 nur in Amerika erschienenes Album "Bed" erstmals in Europa auf den Markt gebracht. Allen Platten gemein ist, dass sie hervorragend sind. Häh? Ich denke, dafür muss man total kaputt sein, Juliana?
Juliana Hatfield
"Inzwischen hab ich meine Meinung geändert. Ich kann mich wohl dazuzählen. Je mehr Jahre ins Land gehen, desto mehr stelle ich fest, dass ich doch ziemlich kaputt bin", erklärt Juliana beim Gästeliste-Interview und muss grinsen. Nach fünf Jahren in der legendären Bostoner Indie-Band Blake Babies startete Juliana - nach einem Aushilfsjob als Bassistin auf der Lemonheads-LP "It's A Shame About Ray" - solo durch und erreichte nach dem herausragenden, aber leider oft unterbewerteten Debut "Hey Babe" ironischerweise ausgerechnet mit ihrer wohl insgesamt schwächsten (und poppigsten) LP "Become What You Are" 1993 die Anerkennung, die ihr jahrelang versagt geblieben war. 1994 litt die Veröffentlichung ihrer nächsten - wesentlich ungehobelteren - LP "Only Everything" unter ihrem Nervenzusammenbruch, dem Julianas bereits fest geplante Europa-Tournee zum Opfer fiel und der das Album praktisch wegen fehlender Promotion von Beginn an in den Sonderangebotskisten verschwinden ließ. "Ich kann es selbst kaum glauben, dass es schon so lange her ist, seit ich das letzte Mal in Europa war. Nachdem ich die Tour absagen musste, habe ich lange Zeit damit verbracht, eine Platte aufzunehmen, die aufgrund von Differenzen mit dem Label nie erschienen ist. Daraufhin hab ich mich dann von der Plattenfirma getrennt und sozusagen ganz von vorne angefangen."
Juliana Hatfield
Also blieb die fertig aufgenommene LP ("God's Foot") bis heute unveröffentlicht und Juliana schlug eine Indie-Karriere ein. Die Alben "Do Not Disturb" (1997) und das ausgezeichnete "Bed" (1998) erschienen nur in Julianas Heimat, und trotz beachtlicher Erfolge in Amerika geriet sie in Europa in Vergessenheit. Bis jetzt. Doch in den letzten fünf Jahren hat sich nicht nur im aussterbenden Grunge- und Alternative-Boom die Musiklandschaft gewandelt, auch Juliana ist längst nicht mehr das schüchterne kleine Mädchen, das sie Mitte der 90er noch gerne nach außen gekehrt hat. Sie ist härter geworden, nicht nur musikalisch. Doch wie genau kam diese Veränderung zustande? Konnte sie sich die Freiheiten nehmen, WEIL sie keinen Majorvertrag mehr hatte, oder führte der Drang nach mehr musikalischem Freiraum zum Desinteresse bei den großen Labels? "Ich glaube nicht, dass ich es mir mit den Majors komplett verdorben habe, aber ich brauchte mehr Freiheit, um meine musikalischen Möglichkeiten auszuloten. Große Labels wollen Hits hören, und mich hat es einfach nicht interessiert, meine Songs im Radio zu hören. Vor allem deshalb, weil ich immer noch experimentiere und nach der für mich am besten passenden Richtung suche."

Deshalb, so sagt sie, sei es auch ganz natürlich für sie gewesen, auf "Beautiful Creature" mit einem ganzen Arsenal an Musikern und Produzenten zusammenzuarbeiten. Erstmals überhaupt in ihrer Karriere wagte sie sich auch an Computer und nahm mit dem langjährigen Folk-Implosion-Tontechniker Wally Gagel, einem weiteren Bostoner Urgestein, zwei Tracks ("Cool Rock Boy" und "Don't Rush Me") mit Pro Tools auf. Eine Richtung, die sie ausprobieren wollte, aber nicht unbedingt weiterverfolgen will. Denn obwohl ihr die beiden Stücke gut gefallen, "mag ich doch den Sound von echten Drums viel zu gern, um dauerhaft darauf verzichten zu können." Deshalb spielt sie auch nach wie vor gerne und sehr viel live. Während ihre letzte komplette Europatournee bereits sieben (!) Jahre zurückliegt, ist sie in den Staaten fast unentwegt auf Tour. Im Programm hat sie dabei vor allem neue Stücke, da ihre alten Songs ihr mittlerweile ein "seltsames Gefühl" vermitteln, wie sie sagt. Für Überraschungen sorgt sie dagegen immer wieder mit ihrem exzellenten Gespür für coole Coverversionen. Spielte sie 1993 schon den 60s-Girlgroup-Klassiker "You Don't Own Me", waren es letztes Jahr Songs von den Sex Pistols, Johnny Thunders und den Lemonheads, die sie im Live-Programm hatte, während sie dieses Jahr das Mercury-Rev-Meisterwerk "Goddess On A Hiway" und - vielleicht am überraschendsten von allen - "Have You Ever Seen The Rain" von Creedence Clearwater Revival zum Besten gab. Gerade letztere scheinen ja in letzter Zeit wieder hoch im Kurs zu stehen, denn auch Sleater-Kinney spielen mit "Fortunate Son" derzeit einen alten CCR-Song. Dabei waren John Fogerty und Co. jahrelang als Hippie-Barband abgetan worden, oder? "Die echten Rock'n'Roll-Fans haben immer gewusst, dass Creedence eine großartige Band waren. Wenn du genau hinhörst, stellst du schnell fest, dass sie viel mehr als nur eine Barband sind", kontert Juliana. "Es wird immer Leute geben, die sie mögen, und ich hab sie definitiv immer geliebt."

Viel auf Tour zu sein kommt Juliana, die im Herbst auch endlich wieder in Europa spielen will, auch insofern entgegen, als sie sehr rastlos ist, und wie sie selbst sagt, keine fünf Minuten still sitzen kann. Deshalb hat sie ihren Plan, sich ein Haus zu kaufen und dort ein eigenes Studio einzurichten, auch erst einmal auf unbestimmte Zeit auf Eis gelegt. Genauso wie ihre Majorlabel-Ambitionen. Zwar hat sie das Thema noch nicht ganz abgeschrieben, aber derzeit liefe das ihrem Drang nach (nicht nur) musikalischer Freiheit strikt zuwider. "Natürlich könnte ich mit einem Major mehr Platten verkaufen, aber das ist nicht mein Ziel. Jetzt kann ich meine Platten genau so machen, wie ich das für richtig halte, und muss mir von niemandem Vorschriften machen lassen. Das ist großartig. Das Letzte, was ich will, ist Kompromisse wegen irgendwelcher Vermarktungschancen zu machen. Da verkaufe ich lieber weniger Platten und werde als Außenseiter behandelt..."

Weitere Infos:
www.julianasite.com
Interview: -Carsten Wohlfeld-
Fotos: -Gary Smith-
Juliana Hatfield
Aktueller Tonträger:
Beautiful Creature / Total System Failure / Bed
(Rounder/EFA)

 
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