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ADDIE BRIK
 
Liebeshungrig
Addie Brik
In der Bio heißt es, dass Addie Brik "in vielen Genres" zu Hause ist - und das ist noch eine starke Untertreibung. Der aus den Südstaaten stammende und zwischen ihrer Heimat und ihrem gegenwärtigen Wohnsitz London hin und her pendelnden Künstlerin ist nämlich etwas sehr verdienstvolles gelungen: Mit ihrer Solo-Scheibe "Loved Hungry" legt sie ein Werk vor, das absolut "unbeschreiblich" in des Wortes literarischer Bedeutung ist. Hier mit Wortfetzen wie Drum'n'Bass, Soul, Folklore, Jazz, World-Music oder Klassik hantieren zu wollen, ist müßig. Addies CD enthält all dieses - und ist doch in der Summe sehr viel mehr als die einzelnen Teile. Das spiegelt sich auch in der Liste ihrer Mitstreiter wider: Produzent H.B. Barnum (Aretha Franklin, Frank Sinatra) gehört ebenso dazu, wie z.B. To Rococo Rot, Wendy & Lisa (Prince), das russische Kammerorchester sowie ein Background-Chor, der ansonsten auf den Aufnahmen von Michael Jackson oder Whitney Houston zu finden wäre. Addie Brik hat zusammengearbeitet mit Re-Mix-Viz Luke Vibert, mit dem sie eine Scheibe auf dem Techno-Label Lo veröffentlichte, mit den Red Hot Chili Peppers, mit Plain, mit der Sugarhill Gang und Francis Ford Coppola. Peter Gabriel hat ihr den Plattenvertrag besorgt. All das hilft aber zur Orientierung keineswegs: "Loved Hungry" ist ein Gesamtkunstwerk, das sich jedweder Kategorisierung entzieht - und übrigens auch nur im Zusammenhang funktioniert.
Unvorbereitet mit der Musik von Addie Brik konfrontiert, reagiert das Individuum eher hilflos. "Ob man denn nicht mal was Netteres hören könne", fragte z.B. der Arbeitskollege, der mit dem Werk auf einer Dienstfahrt konfrontiert wurde. Nein, nett ist Addies Musik wirklich nicht, sondern eher anspruchsvoll, die volle Aufmerksamkeit fordernd und einiges an Toleranz obendrein. "Also, in den letzten Jahren habe ich viel mit anderen Leuten zusammengearbeitet und Songs geschrieben" erzählt Addie, "wie ich zu meinem Stil gekommen bin, kann ich auch nicht so genau sagen. Ich denke, dass meine Einflüsse hauptsächlich aus dem Süden kommen. Ich habe viel Jazz, Blues und Soul gehört. Ich weiß gar nicht, ob sich das in meiner Musik widerspiegelt, aber das sind die Haupt-Einflüsse. Davon abgesehen würde ich sagen, dass es lediglich ein wirkliches Interesse an der Musik per se ist. Ich liebe z.B. Stimmen. Als ich begann, mit Chören zu arbeiten, habe ich festgestellt, dass die so ähnlich funktionieren wie Streicher und ich habe in diese Richtung weiter geforscht. Je mehr du dich mit Musik beschäftigst, desto mehr erkennst du die Zusammenhänge - wie z.B. ein Cello gewisse Tonlagen in der menschlichen Stimme widerspiegelt. Du kannst dir dann Sachen einfallen lassen, während du an der Musik arbeitest. Es ist dann eine ganz natürliche Entwicklung." Wie sieht es denn überhaupt mit den Sounds aus? Auf Addies Scheibe finden sich eine Vielzahl von Instrumenten (und Stimmen). "Ich denke, dass Sound wertvoll sein kann, wo immer er herkommt", erläutert Addie, "so habe ich also keine Präferenzen, was die Klangerzeugung betrifft. Ich habe aber eine Vorliebe für einen reinen Sound. Andererseits muss ein reiner Sound nicht kategorisch alleine da stehen. Ich leibe es, Dinge in Harmonie zu bringen. Ich schaue z.B. gerade auf meinen alten Korg Synthesizer, der erzeugt auch unglaubliche Sounds. Andererseits bin ich gerade in der Stimmung, mit richtigen Bassisten zu arbeiten. Ich mag eine Kombination von Sounds." Wie entstehen denn die doch sehr komplexen und auch komplizierten Tracks, die sich den üblichen Kategorien von Songs wie "Strophe" und "Refrain" schlicht entziehen? "Nun, ich fand das überhaupt nicht schwierig", meint Addie beiläufig, "wenn ich z.B. Streicher-Parts habe, dann schreibe ich diese nieder - genau wie die Parts für die Sänger. Manchmal muss etwas nachbehandelt oder mit Effekten versehen werden. Und dann geht es nur darum, herumzufummeln. So in etwa, als würdest du etwas zusammenzimmern. Dann probierst du ja auch rum bis es passt. Ich habe also, wenn ich eine Idee hatte, diese niedergeschrieben und daran gearbeitet. So ist 'Loved Hungry' entstanden. Bei der nächste Scheibe werde ich indes genau anders herum arbeiten. Ich habe eine genaue Vorstellung von dem, was ich möchte, und werde dann daran arbeiten, das zu realisieren. 'Loved Hungry' entstand von innen nach außen. Das nächste Mal wird es umgekehrt sein." Ja gut, aber wie vermittelt man denn das den Musikanten, mit denen man zusammenarbeitet? "Nun, wenn ein Musiker zu mir kommt, dann bin ich gut vorbereitet und habe alles aufgeschrieben", antwortet Addie, "manchmal ist es anders. Auf 'My Little Pony Ride' z.B. haben wir drei Bassisten. Das hat sich einfach so ergeben, weil der Song sich so entwickelte. Aber meistens habe ich doch alles unter Kontrolle."
Addie Brik
Wie wichtig ist denn der Raum als solcher in Addies Musik? "Nun, das Raumgefühl ist auf dieser Scheibe zweifelsohne da", räumt Addie ein, "aber das hat mit dem textlichen und emotionalen Inhalt zu tun. Und das sage ich ohne anmaßend sein zu wollen. Es klingt ein wenig angespannt, nicht? Am Ende lockert es sich aber hoffentlich ein wenig auf." Ist die Musik eigentlich bewusst anspruchsvoll angelegt? "Nein, das war nicht die Idee", lacht Addie, "es mag so klingen, weil ich eine Menge zu sagen hatte. Vielleicht ist es eine sehr emotionale Sache - es klingt nicht leicht, es ist kein Easy Listening. Nun, vielleicht teilweise..." Addie legt ja scheinbar viel Wert auf die Texte. Wie wichtig sind diese denn, und warum sind die Texte im Booklet dann nahezu unleserlich abgedruckt? "Das habe ich gemacht, weil ich die Erfahrung gemacht habe, dass Songtexte in meinem Kopf besser erschienen, als sie tatsächlich sind", erklärt Addie, "und das sage ich als jemand, der immer schon gerne Musik gehört hat, als Musikfan. In diesem Sinne denke ich, dass es für den Zuhörer interessanter sein kann, einem Song eigene Gedanken hinzuzufügen. Ich bin eh der Meinung, dass Songs lebende Dinge sind. Der Grund, warum die Texte so dahingekritzelt erscheinen, ist der, dass es wie ein Palimpsest ([gr.-lat.] der od. das; -[e]s, -e: Antikes oder mittelalterliches Schriftstück, von dem der ursprüngliche Text aus Sparsamkeitsgründen getilgt und das danach neu beschriftet wurde) wirken sollte, es ist das Abbild des Songs im Kopfe. Ich habe zwar eine Idee davon, was der Song darstellen soll, aber letztlich entwickelt er doch sein Eigenleben. Der Zuhörer trägt genausoviel bei, wie die Scheibe selber. Das gilt zumindest für gute Alben." Die Songs rufen ja sowieso bestimmte Bilder beim Hörer hervor. Gibt es da bestimmte cinematische Referenzen? "Nun das ist kein bewusster Manipulationsversuch", wiegelt Addie ab, "es ist keine Pose, wenn du das meinst. Es hat mit meinem Background zu tun und mag deswegen so erscheinen. Es fühlte sich richtig für den jeweiligen Song an." Background? Ist damit vielleicht das Tanzen gemeint? Auf Addies Website und auf dem Cover posiert sie ja als Tänzerin. "Nein, das ist nur ein Hobby", widerspricht sie, "ich fühle mich gut beim Tanzen - so , wie jemand, der zum Yoga geht. Die Bilder auf dem Cover und der Website stammen von einer Foto-Session - so laufe ich normalerweise nicht rum. Es ging nur um ein bestimmtes Image."

In diesem Zusammenhang: Wie wichtig sind eigentlich Titel für Addie? Ihre Songs haben sehr evokative Titel und diese vermitteln ja auch ein bestimmtes Image. "Titel sind sehr wichtig für mich", räumt sie ein, "in derselben Art, wie sie wichtig für Bilder sind. Wenn du ins Museum oder eine Galerie gehst, dann hast du ja nur die Bilder als solche. Ich finde, dass es wichtig ist, zumindest einen Namen zu haben, der auf gewisse Art festmacht und zusammenfasst, woher das Bild kommt, was dahinter steckt - genau wie bei einem Song. Worte sind auch sehr wichtig für mich. Deswegen bemühe ich mich, über die Worte, die ich verwende, nachzudenken. Ich möchte ja etwas kommunizieren." Sind denn Addies Texte mit Poesie gleichzusetzen? "Nun, ich schrieb früher eine ganze Menge Gedichte", erinnert sie sich, "das kommt also daher. Das hat mich ja überhaupt erst zur Musik gebracht. Ich würde also gerne sagen, dass meine Texte Poesie sind. Das ist vielleicht auch einer der Gründe, warum ich sie nicht alle abgedruckt habe, sondern mehr als Teil eines großen Ganzen ['Tapestry' sagt sie] sehe. Der Titel der CD, 'Loved Hungry', ist für mich so etwas wie die Zusammenfassung des ganzen Trips, den die CD darstellt. Grammatikalisch ist das ja nicht ganz richtig, aber es ruft doch irgendwie ein starkes Bild hervor, was dann die CD repräsentiert." Sind es Liebeslieder im weitesten Sinne? "Ja, es sind Songs über Leute, Orte, Situationen, über Verlangen und Sehnen - generell aber eine Reise durch verschiedene Arten von Liebe - sei es die angestrebte oder sich darbietende Liebe." Wovon handelt denn z.B. der Song "Your Grandaddy Is Yelling At Slaves"? "Von der Unschuld", meint Addie überraschenderweise, "ich komme aus dem Süden, wo es ja eine bestimmte Vorstellung von Geschichte gibt. Und der Titel ist aus der Perspektive eines Kindes zu sehen, das ganz unbefangen mit diesen Themen umgeht. Es geht auch um Vorurteile, die daher rühren, woher du stammst und um die Idee, dass wir alle irgendwie unschuldig geboren werden. So etwas wie eine Erbsünde gibt es meiner Meinung nach nicht. Dabei möchte ich es dann aber auch belassen, was eine Erklärung angeht."

Nach einem Werk wie diesem ist es ja irgendwie schwierig, ein Neues vorzulegen, nicht wahr? "Das ist ja der Grund, warum ich als Nächstes etwas anderes machen möchte", stimmt Addie zu, "ich arbeite an zwei Projekten. Sie sind sehr viel definierter als 'Loved Hungry'. Es geht einerseits um richtig altmodische Songs, die ich in Georgia mit Live-Musikern aufnehmen werde, weil nur dort die Art von Musik möglich ist, die mir vorschwebt. Und dann arbeite ich noch an einer Musik für die Fernsehstation Channel 4 in England, die indes sehr viel minimalistischer ausgelegt ist. Ich habe überhaupt vor, mehr Filmmusik zu machen, wie z.B. für 'Sex & The City' - kennst du das? Bisher hat man hier nur Songs von mir genommen, aber ich würde gerne wirkliche Filmmusik machen. Es geht mir hierbei um Instrumentalmusik, in der Worte keinen Raum haben. Ich arbeite also an sehr verschiedenen Sachen." Nun - alles eingedenk - ist das nicht wirklich überraschend. Mit Addie Brik haben wir eine Künstlerin, die wirklich einmal bis in die Haarspitzen eigenständig ist und die in keine Schublade passt. Sie selbst formuliert es am besten - auf ihre musikalischen Vorlieben angesprochen: "Ich bin für alles offen und würde nichts ausschließen, denn ich glaube nicht an die Zensur."
Weitere Infos:
www.addiebrik.com
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Pressefreigaben-
Addie Brik
Aktueller Tonträger:
Loved Hungry
(Breakin' Beats/Rough Trade)
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