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MUFF POTTER
 
Im besten Alter
Muff Potter
Die neue Muff Potter-Platte nennt sich "Gute Aussicht" und ist ein dreckiger Bastard von einem Album. So jedenfalls ließen es Nagel & Kollegen in einem ihrer vielen Newsletter verlauten und wir werden den Teufel tun, da zu widersprechen. Denn erstens stimmt es und zweitens macht diese Platte einfach riesigen Spaß. Das ist Punk-Rock. Das ist Leben. Und beim Hören wähnt man sich mittendrin im Aufnahme-Raum. "Gute Aussicht" wurde bewusst live aufgenommen, alle Mann in einen Raum und los gehts. So haben es die Songs verlangt und wer mag da schon widersprechen? Wir nicht, die Band natürlich auch nicht. Wir fragten mal bei Nagel nach, der ja eigentlich - so scheint es - immer nur unterwegs ist...
"Ich bin ja auch immer freiwillig unterwegs - letztes Jahr haben wir relativ wenig getourt, da bin ich dann immer verreist. Im Prinzip war das Urlaub. Ich war etwas länger in den USA, Skandinavien und Isreal. Wir haben zur neuen Platte einige Promo-Fotos im Stil einer Postkarte gemacht, darunter auch Tel Aviv und die 'Elliott Smith Mauer' in Hollywood - die beiden Fotos habe ich übrigens selbst geschossen. Seit ich Simon Rass [Grand Hotel van Cleef, ClickClickDecker] kenne, traue ich mich nicht zu sagen, dass ich Elliott Smith-Fan bin, weil ich weiß, dass es jemanden gibt, der viel wahnsinniger ist. Aber natürlich verehrt man als aufgeklärter Mensch Elliott Smith! Sergie von Samiam hatte so eine kleine Rundfahrt organisiert, er hat mir gezeigt wo Glenn Danzig wohnt, wo Epitaph ist und natürlich diese Elliott Smith-Wand."

16 Jahre gibt es jetzt Muff Potter - eine Band im Teenager-Alter?

"Absolut - vor allem auch Pubertät, so fühlt sich das momentan an. Alle sind zickig, alles muss ausprobiert werden, ja, doch, wir sind im Teenager-Alter, das kann so sagen! Aber Erwachsensein finde ich auch gut - irgendwann auch mal so zu wissen, was man will und dann auch irgendwann mal aus dem Teenager-Ding raus zu sein...insofern sind wir dann doch wohl nicht mehr ganz im Teenager-Alter. Aber vielleicht ist das ja mit Band-Jahren genau wie mit Hunde-Jahren..."

Die neue Platte scheint ein Schritt in Richtung der Anfangstage zu sein - sowohl was den Sound als auch die Veröffentlichung auf dem eigenen Label betrifft...

"Also, ich habe mir natürlich gedacht, dass viele Leute das so sehen, für mich ist das natürlich eher nicht so, weil ich jetzt nicht so zurückblicke und denke, wir müssen wieder dahin, wo wir vorher mal waren, sondern ich will einfach immer etwas anderes machen, damit es mir weiterhin Spaß macht. Alle zwei Jahre das gleiche zu machen, ist einfach zu langweilig. Deswegen geht es für mich eher Erich Honecker-mäßig 'Vorwärts immer, rückwärts nimmer!', aber mir ist natürlich absolut bewusst, dass es so ankommen wird wie back to the roots. Wobei ich jetzt finde, dass die neue Platte viel schroffer klingt als z.B. 'Bordsteinkantengeschichten', die meiner Meinung nach mehr Pop hatte als die neue Platte. Aber das soll jeder einfach für sich entscheiden, wie sie denn nun klingt."

Erste Reaktionen brachten Beschreibungen wie "eher düster", "bedrückter" oder "wütender" hervor.

"Ich finde Wut z.B. überhaupt nicht düster - sie ist das Gegenteil von Tristesse. Dadurch, dass die Platte so lebendig ist, kommt sie mir eher sehr positiv vor. Ich finde diese Platte positiver als die Startseite von spiegel.de zur Zeit - das ist für mich düster. Leben, lebendig - kann das düster sein? Weiß ich jetzt gar nicht... Aber Muff Potter waren ja auch schon immer gerne mal düster, deswegen passt das schon."

Eigentlich wird ja laut eigener Aussage bei Muff Potter nicht wirklich alles bis ins kleinste Detail geplant - war es denn zu Beginn der Arbeit am neuen Album auch so, dass man sich getroffen und einfach drauflos gespielt hat, ohne sich jetzt vorher große Gedanken über Arrangements etc. zu machen?

"Das war so, aber das wiederum ist ja auch schon fast so etwas wie ein Konzept. Erst war es eher unfreiwillig, aber dann haben wir es auch selbst gemerkt und uns gedacht, so ziehen wir das jetzt durch. Wir haben einfach lange Zeit gar keine Musik gemacht, in der ersten Hälfte von 2008 haben wir nicht geprobt, keine neuen Lieder geschrieben und nur sehr wenige Konzerte gespielt. Dann haben wir halt diese Platte in ganz kurzer Zeit gemacht. Direkt nach dieser ersten Session in so einem Ferienhaus, wo wir schon recht viele neue Lieder gemacht haben, haben wir halt gemerkt, wow, das fließt gerade gut, und das beste, was wir jetzt machen können, ist halt zu versuchen, diesen Moment einzufangen. Dann habe wir wirklich so kamikazemäßig ein Studio gebucht, ohne zu wissen, ob wir überhaupt noch ein Label haben, ohne zu wissen, wo wir das rausbringen werden. Aber das war uns scheißegal, wir wollten ganz schnell eine Platte machen, weil das einfach am besten zu diesen Songs passte. Ich glaube, wenn wir zwei Monate gewartet hätten, würde die Platte jetzt ganz anders klingen. Ich stehe durchaus immer noch auf opulente, richtig durchdachte Platten, es ist nicht so, dass ich denke, dass man jetzt nur noch Platten ganz schnell machen sollte - aber für uns war das in diesem Moment einfach das richtige. Ein ähnliches Beispiel ist die 'Zen Arcade' von Hüsker Dü - wenn die die zwei Monate vorher aufgenommen hätten, wäre das eine richige Hardcore-Platte geworden, zwei Monate später wäre das vielleicht die Pop-Platte geworden, die sie dann später gemacht haben. Aber die haben genau diesen Übergang eingefangen und deswegen finde ich diese Platte auch so interessant. Deswegen ist sie so zeitlos und toll."

Muff Potter
In welcher Situation kamen denn die ersten Gedanken an eine neue Platte auf?

"Nach den paar Konzerten im Sommer 2008 haben wir alle irgendwie gemerkt, dass wir total hungrig, durstig oder was auch immer nach neuer Musik waren. Wir haben uns da keine feste Zeit vorgenommen, in der wir Pause machen wollten, aber man hat es einfach nicht mehr ausgehalten und es war dann so eine richtige Musikmach-Wut!"

Konntest du denn für die neuen Songs irgendwelche Text-Fragmente verwenden, die du evtl. auf Zetteln oder im Computer gespeichert hattest?

"Ich schreibe Texte nur dann, wenn es das Lied gibt. Ich schreibe nie einfach so einen Songtext. Für mich ist es absolut wichtig zu wissen, welche Stimmung der Song hat und welche Längen - für mich war das schon immer so, dass Musik und Text ganz stark zusammengehören, aufeinander reagieren und auch nur zusammen dieses Bild ergeben, das man erhält. 'Alles war schön und nichts tat weh' ist so eine Bretter-Song und hat aber dann dann diesen Text - das macht für mich den Reiz aus. Natürlich schreibe ich viel auf, und wühle dann auch schonmal im Computer oder in den Büchern herum und finde dann manchmal auch Sachen - um bei dem Song zu bleiben: So etwas wie 'traurig war kein Zustand, sondern ein Adjektiv' oder auch 'Ich verachte den Tod und alle, die an ihn glauben' ist dann einfach ein Satz, den ich irgendwann mal niedergeschrieben hatte. Und so einen Song wie 'Niemand will den Hund begraben' hätte es auch nicht gegeben, wenn wir ihn nicht in Mehlsdorf, Brandenburg, geschrieben hätten. Unabhängig davon ist das natürlich auch ein großes Thema im Moment, diese Landflucht und auch diese Praktika-Problematik. Vielleicht hätte ich auch sonst ein Lied darüber gemacht, aber so ein Bild wie Bäume ohne Rinde mit Kreuzen davor, das muss man einfach gesehen haben, um darauf zu kommen. Im Prinzip ist das ja auch alles, was ich als Texter mache - ich gehe halt mit wachen Augen durch die Welt, nehme das alles irgendwie auf, drehe das durch den Wolf in meinem Kopf und spucke das mit meinen eigenen Worte wieder aus. Das ist auch das, was mich als Texter ausschließlich interessiert. Das ist ja auch eine bestimmte Sprache, die man finden muss, und es ist natürlich etwas anderes, wenn man dort vor Ort ist oder jeden Tag nur das Feuilleton liest. Im Feuilleton würde nicht 'Buhalte' stehen, sondern 'Bushaltestelle'. Aber das interessiert mich dann auch nicht so, denn ich verfasse ja keine wissenschaftliche Arbeit, sondern - wenn man es mal so nennen will - Lyrik. Da finde ich halt Sprache und Stil ganz, ganz wichtig. Stimmung zu erzeugen ist halt viel wichtiger und auch viel schwieriger als ein Statement abzugeben. Das wird meiner Meinung nach viel zu oft übersehen, dass der Stil einfach wichtig ist, wie man etwas sagt oder singt."

Was macht mann denn, um sich textlich nicht zu wiederholen? Neue Blinkwinkel, neue Ideen?

"Auf jeden Fall, klar! Weil es mich auch fordert, weil es mir sonst zu langweilig wird. Gar nicht so als Prämisse, aber unterbewusst auf jeden Fall. Deswegen gibt es auch keinen einzigen Trennungsschmerz-Song oder so auf der neuen Platte - solche Songs fallen einem natürlich relativ leicht, und deswegen gibt es ja auch so viele davon. Natürlich, wenn ich so eine Zeile habe wie 'Wenn die Liebe ein Schlachtfeld ist, dann ist das hier dein Den Haag' und ich eigentlich kein Trennungsschmerz-Lied machen möchte, das kann ich einfach nicht unter den Tisch fallen lassen, da bin ich dann einfach zu stolz auf diese Zeile. Diesmal hatte ich einfach nicht den Anreiz, über so etwas zu schreiben, das wäre mir einfach zu banal gewesen. Nikolai Potthoff, unser Produzent, meinte mal zwischendurch, dass 'Niemand will den Hund begraben' auf Platz eins gehen würde, wenn der Song einen Trennungsschmerz-Text hätte! Ich meinte nur, er solle die Klappe halten, sowas will ich gar nicht wissen..."

"Blitzkredit Bop" ist dann das Muff Potter-Statement zur aktuellen Finanzlage?

"Nein, eigentlich nicht, denn er ist vor der ganzen Sache entstanden, zumindest bevor ich davon wusste. Ich bin ja auch kein Finanz-Experte und kriege solche Themen ja auch nur über Mainstream-Medien mit und verstehe vielleicht zehn Prozent davon. Der Song ist davor entstanden, aber es ist doch schon interessant zu sehen, wie aktuell das ganze dann geworden ist. Jetzt, ein paar Monate später, ist das ja noch aktueller, und für uns als Band hatte ich da überhaupt nicht dran gedacht - wir haben diese Platte jetzt z.B. zu 100 % auf Pump finanziert. Im Prinzip behandelt dieser Song unsere Mentalität gerade, ohne dass ich das in dem Moment, als ich ihn geschrieben habe, beabsichtigt hatte. Also eigentlich ein völliger Hedonismus...ich will alles, alles her, ich will das schöne Leben...auch wenn ich überhaupt kein Geld habe und mir alles zusammengeliehen habe, ich will jetzt was machen... Im Prinzip machen wir das gerade auch mit Huck's Plattenkiste - wir investieren eine Menge in diese neue Platte, weil wir einfach daran glauben. Jeder Ökonom würde uns wahrscheinlich den Finger zeigen. Aber das ist ja das Ding, dass man so etwas nicht unter ökonomischen Aspekten macht. Ich habe da auch diese Fähigkeit, das ganze einfach ausblenden zu können, also nicht nachts lange wach zu liegen. Ich denke immer, das hat früher geklappt, als ich noch nicht meine Krankenversicherung hatte, da konnte ich Platten rausbringen, dann wird das jetzt wohl auch klappen."

Muff Potter
Bei Muff Potter läuft seit jeher sehr viel über Mundpropadanda, es vergeht kaum ein Monat, in dem nicht mindestens ein Newsletter erscheint. Es steckt also immer noch ein großes Mitteilungsbedürfnis in Muff Potter, richtig?

"Ja, schon, aber ich denke auch schon zweimal darüber nach, ob man jetzt schon wieder einen Newsletter rausschicken soll, weil z.B. letzte Woche einer rausging, aber dann kommt halt wieder etwas Neues, Interessantes dazu und man will es einfach erzählen. Ich glaube aber auch, dass wir es einfacher als andere Bands haben, weil wir eben auch Inhalte haben, dass unsere Band Substanz hat, von der ganzen Geschichte her oder auch textlich. Es gibt halt etwas über Muff Potter zu erzählen, und das mag vielleicht etwas davon kompensieren, was man an Marketing-Geld oder Mainstream-Aufmerksamkeit nicht hat. Das gleicht sich dadurch einfach gut aus. Deswegen hauen wir halt so viel raus...und ich habe einfach auch so viel Output! Ich habe auch schonmal darüber nachgedacht, ob ich das reduzieren sollte, ob ich nicht jede Kollaboration wie z.B. die mit Herrenmagazin oder Kreator oder diese Chuck Ragan-Single mache. Es gibt auch viele Künstler, die sich ihrer Marke einfach sehr bewusst sind - die sagen sich halt, dass sie sich jetzt nur auf eine Sache konzentrieren, weil sie ihre Marke halten wollen. Das will ich z.B. nicht mehr - das will ich weniger als jemals zuvor. Denn fast alle Leute oder Künstler, die mich inspirieren, sind Leute, die viel raushauen und viel Output haben, und bei denen man das Gefühl hat, dass sie das alles machen, weil es einfach raus muss, wobei es trotz hohem Output aber auch immer ein hohe Qualität gibt. Mein Lieblings (lebender) Musiker Greg Dulli zum Beispiel - soviel Musik macht der, und man nimmt ihm das einfach ab, dass er gar nicht anders kann! Und es ist alles super, es gibt fast keine Ausfälle. Das finde ich total faszinierend, und deswegen denke ich auch so, nee, Alter, du bist im besten Alter, warum sollte ich mich jetzt so künstlich runterbremsen, wenn das im Moment nunmal so ist. Vielleicht falle ich in zwei Jahren in ein kreatives Loch und kann zehn Jahre lang überhaupt nichts mehr machen, dann wäre es doch total dumm gewesen, wenn ich vorher nicht alles das, was ich denke, was raus muss, nicht rausgehauen hätte!"

Stimmt!

Weitere Infos:
www.muffpotter.net
www.myspace.com/muffpotter
de.wikipedia.org/wiki/Muff_Potter
www.die-bordsteinkante.de
www.last.fm/music/Muff+Potter
Interview: -David Bluhm-
Fotos: -Pressefreigaben-
Muff Potter
Aktueller Tonträger:
Gute Aussicht
(Huck's Plattenkiste/Rough Trade)
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