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BEIRUT
 
Von nah und fern
Beirut
Der eine zieht hinaus und lässt die einst vertrauten und heimischen Gegenden hinter sich, um irgendwo anders das Gefühl von Zugehörigkeit aufzuspüren, andere wiederum bleiben ihr ganzes Leben lang mit ihrem Heimatort verbunden. Zach Condon von Beirut hat auf ganz eigene Art und Weise beide Wege für sich entdeckt und nach dem Umzug nach Brooklyn kommt es nicht von ungefähr, dass er seiner Heimatstadt Santa Fe gleich einen ganzen Song widmet. Überhaupt finden sich an einigen Stellen auf dem neuen Album "The Rip Tide" Referenzen, die vom Reisen erzählen. Wir trafen einen von einer dicken Erkältung geplagten Zach Condon im sommerlichen Berlin und wurden zwischen Niesattacken und hinter Bergen von Taschentüchern unter anderem darüber aufgeklärt, woher Condons Obsession mit Ortsnamen kommt oder warum das Vagabunden-Leben eben doch nicht das Wahre für ihn ist.
GL.de: Auf "The Rip Tide" hast du die Tradition aufrecht erhalten, dass einige der Songtitel an Ortsnamen angelehnt sind oder im Zusammenhang mit dem Reisen stehen. Warum diese Treue?

Als ich anfing Musik zu machen und mit Pro Tools arbeitete, fragte mich das Programm noch bevor ich irgendetwas geschrieben hatte immer, wie ich den jeweiligen Song bzw. die Aufnahme nennen wollte. Da ich schon immer von Städtenamen besessen war, habe ich mir also jedes Mal einen neuen überlegt. Es ist vielleicht ein wenig dumm das zu tun. Es geht mir nicht darum den Songs dadurch etwas Exotisches oder Romantisches zu verleihen. Fantasie spielt natürlich eine Rolle dabei und ist offensichtlicher Bestandteil der Songs. Ich mag einfach die Poesie und den Klang von Ortsbezeichnungen und benenne deshalb meine Songs so oft nach ihnen. Der Bandname wurde ebenfalls nach diesem Kriterium ausgewählt. Einige der Titel haben natürlich auch etwas mit meiner Identität zu tun. Santa Fe ist meine Heimatstadt und Goshen ist ein Ort, an dem ich während des Schreibens und der Aufnahmen immer vorbei gefahren bin.

Außerdem habe ich das von Robert Crumb illustrierte Comic "The Book of Genesis" gelesen und dabei ist mir aufgefallen, wie viele Orte an der amerikanischen Ostküste biblische Namen haben. Es gibt haufenweise davon. Das ist wirklich unglaublich. Es gibt immer irgendwo ein Goshen, Bethlehem oder sogar Nazareth. Und doch ist es interessant zu sehen, wie sehr sich manchmal gleichnamige Städte innerhalb der USA unterscheiden. Das Goshen, auf das ich mich im Song beziehe, ist eine durch und durch biblische Stadt und dann gibt es dieses Goshen in Upstate New York und das wirkt dagegen wie ein kleiner, trauriger Truck-Stopp. Ich fand diesen Gegensatz lustig und wollte den Stadtnamen unbedingt mit auf das Album nehmen.

GL.de: Denkst du, dass du irgendwann einmal mit dieser Tradition brechen wirst?

Das kann gut sein. Es wäre so einfach. Du musst wissen, mein Vater erstellt Landkarten. Ich glaube daher rührt meine Obsession mit Ortsnamen. Ich versuche mit aller Gewalt dagegen anzugehen, aber ich kann nichts dagegen tun! Ich bin ganz klar abhängig. (lacht)

GL.de: Andere nehmen von ihren Reisen unnütze Andenken mit. Du scheinst auf deinen physischen, aber auch gedanklichen Reisen stattdessen ganze Songs mitzunehmen.

Ja, da ist etwas dran, obwohl ich in Gedanken viel mehr unterwegs bin als auf normalem Weg. Vieles spielt sich bei mir in der Fantasie ab. Um das zu verstehen, musst du wissen, dass ich in einem komischen Ort groß geworden bin - Santa Fe. Ich bin in New Mexico geboren, aber in Santa Fe aufgewachsen. Die Stadt ist ihrem Wesen nach zweigeteilt. Einmal gibt es den Teil, der sehr auf Touristen ausgerichtet ist und dann gibt es da noch den Stadtteil, der spanische und indianische Züge trägt. Ganz offensichtlich gehöre ich zu keiner dieser Volksgruppen und deswegen habe ich mich dort immer etwas deplatziert gefühlt. Oftmals kam ich mir vor, als ob ich dort nicht hingehören würde. Dazu kam noch, dass ich an Schlaflosigkeit litt und die Tatsache, dass ich ein sehr schüchternes Kind war. Ich bin auch vorzeitig von der High School gegangen. Das waren alles Sachen, die mir insgesamt das Gefühl vermittelt haben, dass ich kein wahres Zuhause hatte. Ich denke, daraus hat sich bei mir der Drang entwickelt, mir eine Fantasiewelt aufzubauen und meine Sehnsucht nach einem Vagabunden-Leben wurde ebenfalls verstärkt. Beide Dinge hatten für mich etwas Anziehendes an sich. Mit den vergangenen Alben habe ich diese Dinge ausgelebt, weil ich dachte, dass sie einen Teil meiner Persönlichkeit komplettieren würden. Nun habe ich aber eingesehen, dass ich nur geglaubt habe, dass ich dadurch diese Lücke in mir füllen könnte. Diese Person bin ich aber nicht wirklich.

GL.de: Als Musiker bist du aber durch das viele Touren auf gewisse Weise ein Vagabund und ein Entdecker geblieben, auch wenn du dich vielleicht mental von dieser Vorstellung verabschiedet hast.

Nun ja, ich dachte, dass ich ein Vagabund wäre, aber ich fühle mich trotz der Reisen nicht mehr als solcher. Ich wäre gerne einer, aber ich kann das einfach nicht. Ich habe nicht mehr die Ausdauer, permanent so ein Vagabunden-Leben zu führen. Vor ungefähr zwei Jahren habe ich mir ein Haus in Brooklyn gekauft. Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass ich das einmal tun würde. Schon gar nicht in meinem Alter. Ich bin gerade an diesem Punkt in meinem Leben angekommen, an dem ich das Gefühl habe, mich irgendwo niederlassen zu müssen. Erst recht nach all den Jahren, in denen ich nur aus Koffern gelebt habe. Ich bin dabei, an einem Ort Fuß zu fassen und das bisherige Chaos in meinem Leben durch dieses Zugehörigkeitsgefühl zu ersetzen.

GL.de: Ist Brooklyn ein Ort, zu dem du dich besonders hingezogen fühlst?

Ja, das kann man so sagen, aber es gibt auch viele andere Orte, die mir gefallen. Das Lustige dabei ist aber, dass ich bei den vielen Besuchen bei meiner Familie und auch bei meinen Freunden in New Mexico festgestellt habe, dass es sich nach all den Jahren doch wie ein Zuhause für mich anfühlt. Vielleicht war es das auch damals schon und ich habe es nur nicht als das wahrgenommen. Ich liebe aber Brooklyn über alles. Es ist so ein wunderbarer Ort, um Musik zu machen. Die Gegend wirkt sehr stimulierend auf mich. Es herrscht dort eine ganz freundschaftliche Atmosphäre, obwohl so viel Konkurrenz an Bands vorhanden ist. Das ist genau das, was ich momentan brauche. Ich würde mich aber nicht wundern, wenn das in zehn Jahren ganz anders aussieht und ich mich wieder stark nach New Mexico sehne.

GL.de: Ist das Musikmachen für dich so eine Art Road Trip für die Seele?

(lacht) Ja, ich schätze schon. Ich spiele in meinen Songs so viel mit Fantasie, dass es mir manchmal schon so vorkommt, als ob ich auf eine Reise gehe. Ich nehme Songs auf, seitdem ich sechzehn Jahre alt bin. Vieles davon hatte natürlich damit zu tun, dass ich der Realität um mich herum entkommen wollte. Je älter ich aber geworden bin, umso mehr hat sich das geändert. Auf dem ersten Album war ich inmitten der ganzen Fantasie und habe meinen Sound gesucht. Leute, die meine musikalische Entwicklung in der Öffentlichkeit verfolgt haben, die können mit der neuen Platte hoffentlich sehen, dass ich nicht mehr um meinen Sound kreise, sondern direkt im Zentrum angekommen bin. Ich bin mit der Zeit einfach gewachsen, so wie sich jede Persönlichkeit weiterentwickelt. Als Teenager ist man ganz klar noch auf der Suche nach sich selbst und es braucht seine Zeit bis man anfängt sich selbst zu vertrauen. Es hat viele Jahre gedauert, bis ich mich in meiner eigenen Haut wohlgefühlt habe.

GL.de: Ist die Gründung deines eigenen Labels Pompeii Records auch auf den Prozess des Erwachsenwerdens zurückzuführen, innerhalb dessen der Wunsch nach Unabhängigkeit und Kontrolle wächst?

Genau so ist es. Ich wollte einfach mehr Kontrolle über meine Musik haben. Durch mein eigenes Label bin ich in der Lage, mir selbst viel mehr zu vertrauen als damals. Vorher lagen viele Entscheidungen in den Händen anderer und das hat sich falsch angefühlt. Ich liebe die Labels, mit denen ich in der Vergangenheit zusammengearbeitet habe. Ich glaube, ich habe sie sogar ein wenig zu sehr geliebt. Wenn du eine sehr enge Bindung mit einem Label eingehst, dann wird es früher oder später schwierig werden, weil du die Leute sehr magst, aber im selben Atemzug gibt es all diese geschäftlichen Dinge, die auch erledigt werden müssen. Eine noch höhere Stelle übt Druck auf das Label aus und schließlich sind sie es, die wiederum Druck auf dich ausüben, ob sie wollen oder nicht. So ist es nun mal. Gleichzeitig kommt es einem aber so vor, als ob man die eingegangene Freundschaft jeden Tag auf's Neue verraten würde. Sie zwingen dich irgendwann Dinge zu tun, die du nicht tun willst. Dinge, die ein Freund niemals von dir verlangen würde. Es ist einfach komisch mit dieser Art von Druck umzugehen, wenn eine so enge Bindung besteht. Ich konnte mich nie wirklich an diesem Zustand gewöhnen. Also hatte ich letztendlich zwei Optionen. Entweder hätte das eigentlich gute Verhältnis zu all den wunderbaren Leuten einen Riss bekommen oder ich laste den ganzen Druck einfach auf mir selbst ab. Letztere Variante erschien mir schließlich viel logischer.

Beirut
GL.de: Die Songs auf "The Rip Tide" sind insgesamt gesehen viel intimer ausgefallen und im Vergleich mit älteren Stücken nicht so ausladend arrangiert. Was hat dich dazu bewegt?

Es hat einfach zum Sound gepasst, der mir vor meinem inneren Auge vorschwebte und dieser hat sich dann auch beim Schreiben durchgesetzt. Ich hatte mein musikalisches Zuhause gefunden. Ich habe Wert darauf gelegt, dass die Songtexte so wahrhaft wie möglich sind. Eben einfach so nah an meiner Person dran wie es nur geht. Das war wirklich harte Arbeit für mich, denn ich mag es, die Geschichten anderer zu Songs zu verarbeiten oder mir gar selbst welche auszudenken. Das Album ist in drei Phasen entstanden. Die erste Phase fand in Upstate New York statt, wo ich an den Melodien, Akkordfolgen und der Rhythmik gearbeitet habe. Die zweite Phase bestand darin, dass ich mich zusammen mit der Band in einem Studio, ebenfalls in New York, verschanzt habe und wir die ganzen Songs in Instrumentalform und vor allem live eingespielt haben. Die dritte Phase fand in New Mexico statt, wo ich mich an die Texte gemacht habe. Das hat teilweise echt weh getan, denn ich bin überhaupt nicht voran gekommen und steckte oft fest. Um ehrlich zu sein, ich hatte totale Angst vor diesem Album. Die Angst hat sich erst gelegt, als ich die Testpressung der Vinyl in den Händen hielt. Da habe ich erkannt, dass all die Strapazen nicht umsonst gewesen waren, sondern schon ihren Sinn hatten.

GL.de: Hattest du auch bei den Aufnahmen der anderen Alben mit Selbstzweifeln dieser Art zu kämpfen oder war das eine völlig neue Erfahrung für dich?

Nein, bei den vorherigen Alben war es nicht so schlimm. Das hat auch etwas damit zu tun, dass ich im letzten Jahr so etwas wie eine Identitätskrise hatte. In meinem Leben hat sich vieles verändert, auch außerhalb der Musik. Zusätzlich dazu wurde ich in diese Karriere hineingezogen, was wirklich großartig ist, aber ich hatte nicht die nötige Kontrolle und dadurch wurde ich etwas umher geworfen. Dieses Jahr stand bisher unter dem Gesichtspunkt, dass ich wieder die nötige Kontrolle und Ruhe in meinem Leben herstelle und dadurch ergaben sich all diese Zweifel und Verwirrungen. Obendrein habe ich geheiratet und mir ein Haus gekauft. Es war nicht einfach, plötzlich diese beiden vollkommen unterschiedlichen Aspekte miteinander zu vereinbaren. Alles in allem war diese Erfahrung war sehr interessant für mich.

Weitere Infos:
www.beirutband.com
www.myspace.com/beruit
Interview: -Annett Bonkowski-
Fotos: -Pressefreigaben-
Beirut
Aktueller Tonträger:
The Rip Tide
(Pompeii/Indigo)
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