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JOHN VANDERSLICE
 
Weggucken ist keine Lösung
John Vanderslice
Manchmal kommt alles wie geplant, ein anderes Mal nimmt die Spontaneität Überhand. Trifft man auf den äußerst geselligen und aufgeschlossenen John Vanderslice, kann es gut passieren, dass die einst vorgesehenen Notizen in der Schublade bleiben und man sich auf einmal mitten in einem Diskurs rund um Politik und Religion wiederfindet, weil ein kleiner, unscheinbarer Wink plötzlich zu einem Aufhänger für ein ganzes Gespräch wird, das man angesichts der vielen interessanten Aspekte gerne beim Schopfe packt und ungern loslassen möchte. Der Singer-Songwriter aus Kalifornien gibt sich nicht nur in seinen Songs und auf der Bühne wortgewandt, sondern belegt diesen Eindruck auch beim Gedankenaustausch unter vier Augen.
JV: Bist du aus Berlin?

GL.de: Ja, ich bin in Berlin geboren, aufgewachsen und hängen geblieben...

JV: Großartig! Es muss heftig gewesen sein, als die Mauer fiel. Ich kann mir nur ausmalen, was für ein einschneidendes Erlebnis das für die Menschen bedeutet hat, die unmittelbar davon betroffen waren. Es hatte natürlich auch Auswirkungen für andere Staaten. 1989 war für Amerika ein ziemlich konjunkturschwaches Jahr und es gab auch damals alle Nase lang irgendwelche Ausschreitungen und Proteste. Ich persönlich hatte keinen allzu großen Bezug zu diesem Ereignis. Vielleicht auch, weil ich bis zu diesem Punkt noch nicht in Europa gewesen war und alles so fern schien. Dennoch hat es mich sehr glücklich gemacht und mir eine Genugtuung verschafft zu sehen, wie ein ganzes Imperium in sich zusammen fiel. Gleichzeitig ist mir bewusst geworden, dass die Welt in großen Schwierigkeiten stecken würde, wenn Amerika das einzige Imperium auf der Welt wäre. Auch andere mächtige Nationen wie China oder Indien tragen ihren Teil dazu bei, dass wirklich grausame politische sowie humanitäre Dinge geschehen und werden das auch in Zukunft tun, aber die Vorstellung von einer Alleinherrschaft Amerikas löst bei mir ein noch größeres Entsetzen aus. Das Land ist so korrupt und agiert im Bezug auf das Weltgeschehen oftmals wie ein Tyrann.

GL.de: Du warst schon stets ein Künstler mit einer starken politischen Meinung und hast dich auch im musikalischen Kontext immer wieder zu diversen politschen Missständen geäussert.

JV: Ja, das stimmt. Ich war schon immer an Politik interessiert und habe aufmerksam die Geschehnisse auf der Welt verfolgt. Zwischen meinem elften und einundzwanzigstem Lebensjahr habe ich in Washington D.C. gelebt. Das hat wohl auch so einiges dazu beigetragen, dass ich nicht um das Thema herumgekommen bin. Es ist insgesamt eine sehr politische Stadt. Wenn man dort lebt, dann kennt man automatisch immer irgendjemanden, der sich in einer Partei engagiert, etwas im Weißen Haus zu tun hat oder auf welcher Ebene auch immer daran beteiligt ist, die Gesetzmäßigkeiten des Landes zu beeinflussen oder gar zu verändern. Es werden Entscheidungen gefällt, die Millionen von Menschen in diesem Land betreffen und es wird einem bewusst, wie wichtig es ist, dass es diese politische Bewegung gibt. Das hat mich doch sehr geprägt. Ich bin angesichts der jetzigen Zustände immer sehr überrascht, dass es nicht mehr Ausschreitungen auf den Straßen gibt und die Leute sich gegen das vorherrschende System auflehnen. Folter, zum Beispiel, ist in Amerika Gang und Gebe und gesetzlich erlaubt. Es gibt so viele Sachen, die mich erschüttern, wenn ich an das denke, was das Rechtssystem in den USA zulässt.

GL.de: Was zerrüttet dein Weltbild in dieser Hinsicht am meisten?

JV: Seien wir doch einmal ehrlich, wir geben nach außen hin vor, für Dinge zu kämpfen, die so nicht stimmen. Meiner Meinung nach erzeugen wir weltweit vorsätzlich so viel Terror, damit wir ihn anschließend wieder bekämpfen können. Es ist ein Kreislauf, der bewirkt, dass andauernd Gelder in die Staatskassen fließen. Schließlich geht es doch immer nur um's Geld. Kriege zu führen, passt da gut ins Konzept und ist die perfekte Lösung, das Militär immer mehr auszubauen. Die ständig verbreitete Angst innerhalb der Bevölkerung tut dann ihr übriges, um das Rad am Laufen zu halten. Amerika schürt radikales Verhalten und will letztendlich doch, dass Muslime sich gegen uns auflehnen, damit es wieder einen Grund zum Kämpfen gibt. Die Regierung ist nicht daran interessiert, den Konflikt zu lösen, sondern möchte ihn bewusst aufrecht erhalten. Das ist wirklich krank. Sobald ich schon daran denke, wird mir schlecht. Wie du siehst, bin ich schon mitten im Thema und nur schwer zu stoppen, wenn ich erst einmal über Politik rede.

GL.de: Kein Wunder, denn wenn man erst einmal unter die Oberfläche schaut, entdeckt man so viele Ungereimtheiten, die nur schwer zu ignorieren sind.

JV: Was mich am meisten von allem aufregt, ist, dass es ausschließlich immer um Geld geht. Ich glaube, es gibt keine politische Handlung, die frei davon ist und aus anderen Motiven heraus geschieht. Es gibt da diese Website, die alle Aktivitäten und aktuellen Projekte der amerikanischen Regierung auflistet, die mit öffentlichen Mitteln finanziert, aber unter einem privaten Deckmantel abgewickelt werden, was sehr interessant ist, wenn man sich genauer damit beschäftigt. Im Ausland werden Gefängnisse gebaut, die zwischen einhundert und fünfhundert Millionen Dollar kosten, nur um Menschen einzusperren, die für eine Gefahr gehalten werden. Das muss man sich einmal durch den Kopf gehen lassen! Zumal es den USA wirtschaftlich sehr schlecht geht und das Land in einer finanziellen Notlage steckt.

GL.de: Leider geht das anscheinend nicht genügend Menschen durch den Kopf und sie müssen erst mit der Nase darauf gestoßen werden.

JV: Die Öffentlichkeit kann sich noch so lange wundern, um was es der Regierung wirklich geht, wenn sie Kriege gegen andere Nationen führt. Am Ende dreht sich doch alles um's Geld und dann wird so ein Krieg plötzlich viel realer und die Menschen bekommen einen ganz anderen Bezug dazu. Immerhin finanzieren sie diesen mit ihren Steuergeldern kräftig mit. Krieg ist in meinen Augen in jeder Hinsicht grauenvoll, egal aus welchen Motiven heraus er entstanden ist. Die von den USA erhoffte finanzielle Bereicherung steht aber so ziemlich ganz oben auf der Liste meiner Abneigungen. Ziel und Zweck der Regierung ist es, die Bevölkerung so klein wie möglich zu halten. Ich gehe jedes Mal wählen, aber ich bin dennoch der Auffassung, dass sich durch meine Stimme nichts ändert. Kalifornien steht immer auf der Seite der Demokraten und daran wird sich auch nichts ändern. Das ganze Wahlsystem funktioniert nach diesem Prinzip und ist seit einer Ewigkeit so festgefahren, dass es fast unbedeutend geworden ist, denn es ist schon längst nicht mehr auf die Anforderungen und Nöte des Volkes zugeschnitten.

GL.de: Sollten mehr Künstler ihre Stimme dagegen erheben und sich öffentlich über politische Vorgänge äußern, so wie du es tust?

JV: Eigentlich mag ich es lieber, wenn Künstler sich nicht in politische Dinge verstricken, auch wenn ich selbst dazu neige, darin involviert zu sein. Ich will nicht damit sagen, dass sie keine Meinung haben sollen, sondern nur, dass es mir nicht darum geht, meine Zuhörer zu belehren. Ich versuche mich so gut es geht zu stoppen, wenn ich merke, dass ich mich schon wieder ganz in diese Thematik vertiefe. Ich schätze es sehr, wenn sich Künstler politisch engagieren, aber deswegen muss ihre Kunst nicht zwingend einem politischen Wert unterliegen. Mir ist aufgefallen, dass es im Gegenzug dazu eine Vielzahl von Musikern gibt, die so von den gesellschaftlichen und politischen Umständen frustriert sind, dass sie sich sogar ganz von jeglicher Berichterstattung abwenden und fast schon resigniert einen Bogen um alles Politische machen, was ich gut verstehen kann. Natürlich ist Weggucken keine Lösung, aber dennoch ist es eine sehr menschliche Reaktion auf unliebsame Ereignisse. Gerade, wenn man sich völlig hilflos und allein gelassen fühlt. Ich lese jeden Tag viele politische Blogs und informiere mich, aber ich muss auch gestehen, dass ich glücklicher bin, wenn ich mich mal ein paar Tage davon distanziere und mich überhaupt nicht mit Politik beschäftige. Ich denke, das geht vielen Menschen so. Einfach aus dem Grund, weil man als normaler Bürger in einer Position ist, die auf Machtlosigkeit beruht.

GL.de: Politik und Religion waren schon immer eng miteinander verknüpft. Ist Religion auch etwas, mit dem du dich intensiv auseinandersetzt?

JV: Doch, dem würde ich zustimmen. Ich halte den Papst für einen sehr schlechten, gar böswilligen Menschen. Das Amt an sich ist schon zweifelhaft genug und seine Person steht diesem in nichts nach. Schau dir doch nur einmal seine Vergangenheit etwas genauer an. Es gibt in seinem direkten Umfeld im Vatikan einige Gottesvertreter, die eindeutig pädophile Handlungen begangen haben, aber trotzdem beschäftigt und deren Machenschaften von ihm totgeschwiegen werden. Daran ändert auch seine öffentliche Anteilnahme an Einzelfällen nichts. Die Kirche ist für mich so etwas wie eine kriminelle Institution, die auf einem sehr hohen Niveau agiert. Ich bin überhaupt nicht religiös und habe vermutlich keinen einzigen religiösen Knochen in meinem Körper und das war schon immer so. Meine Eltern waren aber gläubig und so bin ich als kleines Kind von vielleicht fünf Jahren immer mit ihnen in die Kirche gegangen.

John Vanderslice
GL.de: Wie kam es dazu, dass du in einem religiös geprägten, familiären Umfeld so eine Haltung gegenüber der Kirche entwickelt hast?

JV: Mit neun Jahren ist mir wirklich bewusst geworden, wie nutzlos und dumm ich den Gang in die Kirche und alles Religiöse fand. Seitdem hat sich bei mir eine grundlegende Abneigung gegen die Kirche und ihre Machenschaften entwickelt, was besonders die katholische Kirche betrifft. Als Institution habe ich überhaupt nichts für die Kirche übrig, Gotteshäuser wie Kathedralen mag ich jedoch sehr, was den Bau und die dort empfundene Ruhe angeht. Ich schätze Kirchen als Gebäude sehr und würde behaupten, dass sie die architektonisch gesehen wichtigsten Errungenschaften sind, die existieren. Als ich das letzte Mal in Frankfurt war, habe ich bestimmt um die vier Kirchen besucht. Ich mache das sehr oft, wenn ich umher reise. Es gibt in Deutschland so viele schöne Kirchen. Bevor ich auf Tour gehe, versuche ich mir bereits Gedanken darüber zu machen, wo ich in den jeweiligen Städten hingehen könnte und das gilt auch besonders für Kirchen. Ich bin sehr daran interessiert, gerade in Europa, wirklich geschichtsträchtige Orte aufzusuchen, denen man ihre Vergangenheit ansieht.

GL.de: Hast du einen Lieblingsort, wo du Kirchen aufsuchst und besonders viel Ruhe empfindest?

JV: Paris hat unheimlich viele schöne Kirchen. Eine meiner Lieblingskathedralen dort ist fast mitten im Stadtzentrum gelegen. Ich finde es immer wieder erstaunlich über Kirchen zu stolpern, die der allgemeinen Auffassung nach vielleicht gar nicht so bedeutend und kaum auf der Stadtkarte zu finden sind, aber in meinen Augen etwas ganz Besonderes an sich haben. Ich mag diese kleinen Kathedralen, die gerade so viel Charme besitzen, weil sie eben nicht restauriert und für die Öffentlichkeit hergerichtet worden sind. Darin steckt für mich eine viel größere Schönheit als in polierten Fenstern und einem funkelnden Altar oder dergleichen. Rom hat eine ähnliche Dichte, was schöne Kirchen angeht. Auch dort braucht man einfach nur die Straße hinunter laufen und stolpert von einer kleinen hübschen Kirche in die nächste.

GL.de: Was tust du, wenn du das Innere einer Kirche in Augenschein nimmst?

JV: Ich sitze meist einfach nur so da und schaue mir die Wände der Kirche an, weil es da so vieles zu entdecken gibt. Manchmal mache ich auch ein paar Fotos, aber das kommt auf die Umgebung an und ob es in diesem bestimmten Moment angemessen erscheint. Ich liebe die Stille, die einen an einem Ort wie diesem umgibt. Mit Kirchen ist es ein bisschen so wie mit Disneyland. Man muss auch in Kirchen unter Umständen Eintritt bezahlen, um sich umzuschauen. Obwohl überall Schilder stehen, die das Fotografieren verbieten, tut es trotzdem jeder. Außerdem weiß die Kirche doch genau, dass ein Drittel aller Spenden von Touristen kommen, die überhaupt nicht gläubig sind, sondern aus reiner Neugier an diesen Platz gekommen sind.

GL.de: Apropos Fotos, wenn du auf Tour bist, sieht man dich ständig mit einer Kamera in deiner Hand. Gibt es einen für dich bedeutsamen und erinnerungswürdigen Moment, den du nur vor deinem inneren Auge, jedoch nicht auf einem Foto festgehalten hast?

JV: Doch davon gab es sogar einige. Manchmal muss ich mich bewusst dazu ermahnen, keine Kamera irgendwohin mitzunehmen, weil es in gewisser Weise auch eine Last für mich bedeutet, immer auf einen tollen Moment zu hoffen. Hat man eine Kamera dabei, hat man ständig das Gefühl, etwas verpasst zu haben. Daher ist es auch mal ganz schön, nicht über Momentaufnahmen nachzudenken, sondern diese einfach für sich zu genießen. Wenn du dir meine Fotostrecken ansiehst, wird dir auffallen, dass ich fast so gut wie nie Bilder im Inneren von Clubs mache. Das hat teilweise etwas mit dem oftmals ungünstigen Licht zu tun, aber auch mit der Tatsache, dass es wenig romantisch ist. Es ist etwas traurig, denn mir ist es noch nie gelungen, das Besondere abzulichten, das einen Club oder eine Nacht darin so einzigartig machen kann. Mit Hotels ist es da ähnlich. Auch dort passieren manchmal die unwirklichsten Sachen. Man verbringt so viel Stunden in Hotels, schaut aus dem Fenster und bestaunt zum Teil die eigenwilligsten Möbel, die man sich vorstellen kann. Trotzdem mache ich in solchen Situationen nie Bilder. Vielleicht schaffe ich es irgendwann nochmal, Clubs oder Hotels abzulichten. Wir werden sehen! (lacht)

Weitere Infos:
www.johnvanderslice.com
www.myspace.com/johnvanderslice
www.facebook.com/john.w.vanderslice
Interview: -Annett Bonkowski-
Fotos: -Pressefreigaben-
John Vanderslice
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