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BRETON
 
Lasst uns eine Band sein!
Breton
Sie als reine Band zu bezeichnen, würde ihrem Schaffen nicht gerecht werden. Schließlich hegen Breton nicht nur musikalische, sondern auch filmische Ambitionen, die das Output des Londoner Kollektivs einer Symbiose gleich zu einem Ganzen verschmelzen lassen. Mit der Verknüpfung von Musik und Visualität im Fokus arbeiten die Musiker und Filmemacher mittlerweile sogar nicht nur an ihren eigenen Projekten, wie ihrem Debütalbum "Other People's Problems", sondern greifen zunehmend auch als Regisseure anderen Künstlern unter die Arme, wie zuletzt Sinead O'Connor. Überhaupt scheinen die kreativen Köpfe aus dem Südosten Londons davon angetrieben zu sein, ein möglichst buntes, auf den ersten Blick inhomogenes Bild zu zeichnen. So schöpfen vor allem ihre Songs aus einer ganzen Palette an Einflüssen, wie Rock, Elektro oder auch HipHop. Statt Verwirrung macht sich jedoch Spannung breit und Breton verwandeln die verschiedenen Elemente auf ihrem ganz eigenen Spielfeld zu einer wirkungsvollen Einheit. Wir trafen Sänger Roman Rappak zum Gespräch über gewollte Imperfektionen, kalte Arbeitstage im Studio, aber auch den Drang Musik zu machen, die ungebunden ist und dabei menschlichen als auch technischen Ansprüchen genügt.
Dass die Mitglieder von Breton Sound-Tüftler sind, daran besteht kein Zweifel. Bieten ihre Songs doch Grund genug für eine klangliche Expeditionsreise, die man besser aufmerksam antreten sollte, wenn man nichts verpassen möchte. Kein Wunder also, dass der kommunikative Gedankenaustausch untereinander, aber auch mit Außenstehenden unverzichtbar für das Kollektiv ist: "Ich diskutiere sehr gerne über Musik und bin daran interessiert, mehr über andere Sichtweisen zu erfahren, die meiner eigenen eher fremd sind. Mir hat es schon immer gefallen, eventuelle Reibungspunkte näher unter die Lupe zu nehmen und zu erforschen, warum andere Menschen eine unterschiedliche Auffassung von ein und derselben Sache haben", sagt Rappak. Während andere Künstler oftmals allein darauf bedacht sind, ihren eigenen Standpunkt näher zu ergründen und nicht die Muße haben, sich mit den Belangen von Musikerkollegen zu beschäftigen, steht der Sänger dem Entstehungsprozess von Werken im Allgemeinen äußerst interessiert gegenüber, wie er bekräftigt: "Es liegt für mich ein großer Reiz darin herauszufinden, wie ein Künstler seine Album-Aufnahmen gestaltet, was dabei im Detail passiert und welche Auswirkungen das alles hat. Ich liebe Musik-Dokumentationen! Ich glaube, das hat alles etwas damit zu tun, dass ich gerne verstehen möchte, was in den Köpfen anderer Menschen vorgeht, wenn sie Musik machen. Musikalisches Verständnis basiert auch immer auf Neugier, einem offenen Ohr sowie dem Blick auf das große Ganze."

Und genau dieses ist teilweise so unergründlich und weitreichend, dass sich Roman Rappak auch in Zukunft noch ausgiebig mit dem Sinn nach Erkenntnis beschäftigen kann: "Ich bin für meinen Teil noch lange nicht an dem Punkt angekommen, an dem ich Musik wahrhaftig verstehe. Wenn man erst einmal anfängt ein Stück zu analysieren, dann hört man nie damit auf. Das macht es wiederum sehr aufregend, denn jeder kann etwas Neues darin sehen und eine ganz eigene Bedeutung finden. So seltsam es einerseits ist, dass die Geschmäcker so unterschiedlich sein können, so interessant ist es auf der anderen Seite, dass es dennoch gewisse Merkmale zu geben scheint, die eine größere Masse anziehen, und bestimmte Songs von anderen abheben." Mit dem Blick auf das eigene Debütalbum haben sich während der Arbeit zusätzliche Fragen ergeben, denen die Band ohne Umschweife nachgehen musste, um zu einer grundlegenden Erkenntnis über die eigene Musik zu kommen: "Wir haben versucht auf ‘Other People's Problems' unsere ganz eigenen Antworten auf diese Fragen zu finden. Warum mögen wir HipHop? Was macht den Gitarren-Sound so anziehend für uns? Können wir einen ganzen Song, der wie für eine Gitarren-Melodie gemacht ist, nur mit Synthesizern füllen? Diesen Fragen nachzugehen und die Erfahrung zusammen Musik machen, ist wie ein Experiment für uns, obwohl niemand von uns behaupten würde, experimentelle Songs zu schreiben. Wir sind schließlich nicht John Cage oder Test Dept! Wir schaffen keine Songs mit Überlänge, die extrem kompliziert sind. Dagegen machen wir wohl am ehesten Pop-Musik, die zugänglich und einprägsam ist."

Es blieb aber nicht ausschließlich bei der gedanklichen Reise zu den eigenen Songs und sich selbst, sondern Breton traten für die Aufnahmen zu "Other People's Problems" mit einem Packen Ideen im Hinterkopf den Weg nach Island an, wo sie im Studio von Sigur Rós an ihren Songs feilten und sie auf die nächst höher gelegene Ebene hoben. Rappak erinnert sich noch genau an die Zeit, als die Songs noch in den Kinderschuhen steckten und die Band darum bemüht war ihnen den nötigen Freigeist einzuhauchen: "Vor unserer Abreise existierte eine Rohfassung des Albums, die jedoch vergleichsweise kühl und unnahbar war. Hätten wir die Platte so veröffentlicht, hätte sie vermutlich nur eine sehr spezifische Gruppe von Menschen angesprochen. Wir wollten einfach kein Album dieser Art machen. Unsere Musik soll auch noch 2020 einen Sinn ergeben und für Leute zugänglich sein, die noch nie in ihrem Leben etwas von Joy Division oder Mount Kimbie gehört haben. Wir möchten nicht, dass unsere Songs auf einem bestimmten Terrain oder in einer bestimmten Zeit Wurzeln schlagen und festwachsen. Sind sie frei und weder räumlich noch zeitlich verankert, können die Menschen sie mitnehmen und für sich selbst festhalten, wie es ihnen beliebt. Als wir nach Island gingen, waren die Songs noch nicht so weit, dass sie diesen Sprung von unserer kleinen Bandwelt nach außen machen und von jemand anderem aufgenommen werden konnten. Sie mussten erst voll in unserem Besitz sein, um auch auf Außenstehende wirken zu können und ein Teil von ihnen zu werden. Genau das haben wir durch unseren Aufenthalt in Island erreicht."

Mit dem Stichwort Besitztum und Musik verbindet Rappak eine Philosophie, die dahingehend tendiert, ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Hörer und dem Werk herzustellen. Eine Situation, die gerade aus heutiger Sicht auch eine Verschiebung der Hörverhältnisse zur Folge hat, wie der Sänger uns näher erklärt: "Wir leben in einer Zeit, in der jeder viel schneller und einfacher in den Besitz von Musik kommen kann als damals. Du lädst illegal ein Lied herunter und stiehlst direkt vom Künstler, dann stellst du es wiederum ins Netz, so dass andere Leute darauf Zugriff haben und die stehlen dann nicht nur vom Künstler, sondern gleichzeitig auch von dir. Als Künstler wird mit deinem kreativen Eigentum weitaus freier umgegangen als noch vor ein paar Jahrzehnten. Das bedeutet auch, dass du keinen oder nur einen geringen Einfluss darauf hast, wie deine Kunst überhaupt wahrgenommen wird. Die Menschen hören sich dein Album in einer mitunter ganz anderen Reihenfolge an, als du es beabsichtigt hast und nehmen sich nur das heraus, was ihnen gefällt. Die Art und Weise, wie die Menschen heutzutage Musik konsumieren, ist nicht mit den damaligen Verhältnissen zu vergleichen." Unter dem Strich eine negative Bilanz? Nicht unbedingt, wie Roman uns aufklärt: "Ich habe aber keine Angst davor, dass die Form des Albums irgendwann einmal ganz aussterben wird oder nur noch MP3s existieren. All die neuen Formen des Musikkonsums haben ja auch ihre positiven Seiten und die Menschen lernen Musik teilweise auf eine ganz andere Art kennen als bisher. Unterschiedliche Hörgewohnheiten können auch eine beflügelnde Wirkung haben."

Romans eigene Hörgewohnheiten würden wohl eher in die Kategorie "klassisch" fallen: "Ich kaufe nach wie vor Platten, obwohl ich auch MP3s anhöre. Mittlerweile sind dem Musikgenuss ja kaum noch Grenzen gesetzt. Es soll Leute geben, die Musik ausschließlich über YouTube konsumieren... was für eine schreckliche Vorstellung! Musik in Form von Vinyl zu hören, ist auf eine gewisse Weise romantisch, denn es ist eine Form Musik zu genießen, ohne dem Einfluss von neumodischen Technologien ausgesetzt zu sein. Man muss sich aber auch eingestehen, dass es diese Möglichkeiten gibt und sie ebenfalls eine Berechtigung haben, selbst wenn man sich nicht mit ihnen anfreunden kann. Wenn dieses Bild in fünfzig Jahren wieder von noch neueren Entwicklungen gestört und abgelöst wird, dann sehnen sich die Menschen vielleicht nach YouTube zurück und sagen sich "Das waren noch Zeiten, in denen das Musikhören romantisch war!", sagt Roman belustigt.

Im Fall von Breton bietet das Gesamtpaket aus Musik und den darauf abgestimmten Visuals vor allem live auf der Bühne, aber auch in Form von in Eigenregie entstandenen Videos eine Erfahrung, die über die gängigen Hörgewohnheiten hinausgeht. Die künstlerische Vielseitigkeit, die der Band letztendlich einen Plattenvertrag einbrachte, wurde ihr aber gerade in den Anfangstagen zum Hindernis. Die selbst gedrehten Kurzfilme, die mit Eigenkompositionen unterlegt waren, bahnten sich nur mit Mühe einen Weg an die Öffentlichkeit und auf die Leinwände verschiedener Filmfestivals. Um Abhilfe zu schaffen, funktionierte sich das Kollektiv kurzerhand zur Band um und begann, die eigenen Filmsequenzen mit Live-Musik zu untermalen. Ein Konzept, das in der Londoner Kunstszene auf regen Zuspruch stoß und bei dem die Musik so viel Anklang fand, dass diese zum Aushängeschild wurde. "Ab einem gewissen Punkt dachten wir, dass wir die Leute anders auf unsere filmischen Arbeiten aufmerksam machen müssen. Da wir unsere Kurzfilme schon immer mit Musik unterlegt und unsere eigenen Soundtracks gemacht haben, dachten wir uns - lasst uns einfach vorgeben eine Band zu sein!", amüsiert sich Roman.

EIne Rolle, die die Mitglieder von Breton mittlerweile so gut erfüllen, dass ihnen die Liebe zum musikalischen Detail zu einer Herzensangelegenheit geworden ist und die Fülle an Ideen sie manchmal sogar selbst überrumpelt, wie Rappak sich eingesteht: "Es kommt ab und an vor, dass ich vergesse, was ich alles an Elementen in die jeweiligen Songs hineingegeben habe und dann sitze ich da und wundere mich am Ende! Ich habe wirklich ein schlechtes Erinnerungsvermögen. Beim Mastering der Platte in New York ist mir aufgefallen, dass so viele kleine Details im Album stecken, an die ich mich kaum noch erinnern konnte. Zum Beispiel die Aufnahme von Verkehrsgeräuschen, die wir auf unserer Tour mit Tom Vek aufgenommen haben. Der Klang hat mich sofort wieder in diese bestimmte Zeit zurückversetzt, aber es war kein trostloser Moment für mich. Wir hatten uns ja seitdem ständig fortbewegt und stehen nun an einem ganz neuen Punkt in unserem Leben. Das hat mich eher mit Glück erfüllt."

Wie geht die Band jedoch mit dieser Detailtreue um, wenn sie die einmal aufgenommenen Songs auf der Bühne reproduzieren muss? Roman Rappak weiß nur zu gut um die Schwierigkeit der Live-Aufführung, aber lässt sich von dieser nicht einschüchtern: "Auf der Bühne kannst du mit einem Knopfdruck ein Stück, bestehend aus Gitarre, Bass und Schlagzeug, um ein 60-köpfiges Orchester erweitern, wenn dir der Sinn danach steht. Das ist auf der einen Seite hilfreich, kann aber auch problematisch sein. Live Shows können unter diesem Aspekt des 'Nichtstuns' sehr leiden. Es ist eben nicht besonders spannend, jemanden dabei zuzusehen, wie er alle paar Minuten einen Knopf drückt. Viele Produzenten und DJs tun aber genau das und geben sich damit zufrieden." Breton wollen diesem Trend aber nicht nachgeben und stützen sich nicht ausschließlich auf die Technik, wie Rappak betont: "So sehr ich die Technik und ihre Möglichkeiten schätze, so sehr missfällt mir die Tatsache, mich nur darauf zu verlassen. Maschinen können die menschliche Komponente eben nicht vollständig ersetzen. Darum ist es mir wichtig, dass neben dem Einsatz von Computern immer ein menschliches Element in den Songs vorhanden ist. Am besten funktioniert das natürlich, wenn man kleine Fehltritte mit einbaut und nicht alles super glatt klingt. Fehler zu machen, ist menschlich. Warum sollte das bei Songs anders sein? Als Band machen wir uns die Technik zunutze, aber als Musiker wollen wir immer diejenigen sein, die den Impuls geben und als Auslöser für bestimmte Song-Ideen fungieren. Auf diese Art und Weise bewahren wir uns die notwendige Unmittelbarkeit."

Der Gegensatz von Mensch und Maschine gehört nicht nur live zum Dreh-und Angelpunkt von Breton, sondern spielte auch bei den Aufnahmen zum Debüt immer wieder eine Rolle. "Es ist insgesamt eine Ästhetik, von der ich sehr fasziniert bin. Sowohl technische als auch menschliche Formen spielen mit Gegensätzen und machen es darum so interessant, miteinander in Einklang gebracht zu werden. Wir wollten mit unserem Debüt die Verschmelzung aufgreifen, die Dance- oder Elektro-Musik mit dem menschlichen Gesang eingeht. Es gibt viele Bands, die das versuchen, aber verstärkt auf Laptops und Computer-Programme setzen. Wir wollten von vornherein 'echte' Beats in den Songs haben, die vom Schlagzeug stammen, dabei aber trotzdem nicht ganz auf elektronische Samples etc verzichten. Es hat uns sehr viel Spaß gemacht zu sehen, wie beide Welten miteinander kollidieren und welche hypnotisierenden, roboterhaften Klänge daraus entstehen können", sagt Rappak.

Kreativer Rückzugsort für das Londoner Kollektiv ist dabei ihr "LAB", welches in einer ehemaligen Lagerhalle gelegen ist und der Band die Möglichkeit gibt, sich bewusst zu isolieren, sich aber gleichzeitig von anderen ansässigen Künstlern, die die Räumlichkeiten nutzen, inspirieren zu lassen. Roman nimmt uns gedanklich mit auf eine Tour durch das Studio: "Da es dort keinerlei Heizkörper gibt, ist es gerade im Winter ein Ort, an dem es sehr kalt ist. Es ist ein Ort für uns, an dem alles entsteht - sei es die Musik oder unsere filmischen Ambitionen. Die Verschmelzung beider Dinge sollte auf einem Raum geschehen. Dafür ist das LAB ein perfekter Ort, gerade weil alles großzügig angelegt ist. Es ist alles vorhanden und du musst es nur in die Hand nehmen und loslegen. Wir sind nicht die Einzigen, denen diese Lagerhalle so gut gefällt, denn sie wird auch noch von anderen Leuten genutzt. Es gibt eine Künstlerin, die am Theater arbeitet und dort für ihre jeweiligen Stücke zusammen mit anderen Darstellern probt. Manchmal kommt es also vor, dass man auf dem Weg zum LAB inmitten von Schauspielern stehst, die vorgeben ein Baum zu sein! Im nächsten Raum arbeitet eine deutsch-italienische Cutterin, die tagein, tagaus in ihrem Studio vor unzähligen Bildschirmen sitzt und Videos schneidet. Außerdem gibt es noch einen Bühnenbildner, der sehr erfolgreich auf seinem Gebiet ist. Es ist also nicht ungewöhnlich, wenn von Zeit zu Zeit ein LKW vorfährt und die komischsten Requisiten in die Lagerhalle geschafft werden. Letztens stand eine große Holzgiraffe vor der Tür! Wir sind also immer von den interessantesten Dingen umgeben."

Weitere Infos:
www.facebook.com/bretonlabs
www.myspace.com/bretonbretonbreton
www.twitter.com/BRETONLABS
Interview: -Annett Bonkowski-
Foto: -Pressefreigabe-
Breton
Aktueller Tonträger:
Other People's Problems
(FatCat/Rough Trade)
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