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CONOR OBERST
 
Nichts ist von Dauer
Conor Oberst
Wo von Conor Oberst und seinem Werk die Rede ist, kann aufgrund der vielen und vor allem vielfältigen musikalischen Aktivitäten des Bright Eyes-Sängers eigentlich schon längst das Wort "Retrospektive" gebraucht werden. Und das würde auch nur ungefähr das zusammenzufassen, was er als einer der meinungsstärksten und sprachlich klügsten Songwriter seiner Generation so alles in den letzten zwei Jahrzehnten seiner Karriere mit Bands wie Bright Eyes, Monsters Of Folk und Desaparecidos oder Kollegen wie der Mystic Valley Band bzw. als Solokünstler an kreativem Output als Ideen ins Studio hinein und anschließend als fertige Songs wieder hinausbefördert hat. Anlässlich seines neuen Soloalbums "Upside Down Mountain" trafen wir den aufgeschlossenen und stets eloquenten Herren aus Omaha in den ausklingenden Stunden seines Besuchs in Berlin. Dort erörterten wir mit ihm bei Rotwein und Wasser das Gefühl als temporäre Erscheinung, die Zuwendung der Familie und nicht zuletzt den Aspekt der Freiheit in einer Beziehung.
GL.de: Nicht selten steckt der Autor oder Sänger gefühlsbetonter Texte im einem Zwiespalt zwischen Empfindsamkeit und Romantik. Auch deine neuen Songs bringen wieder auf eindringliche Weise Themen wie Verletzlichkeit, Schmerz und Sehnsüchte zur Sprache. F. Scott Fitzgerald hat einmal gesagt "A sentimental person thinks things will last, a romantic person hopes against hope that they won't" - würdest du dein Wesen dieser Definition nach eher als empfindsam oder romantisch bezeichnen?

Conor: Was die Empfindsamkeit angeht, kann ich klar sagen, dass ich nicht auf diese Weise mit Scotts Aussage übereinstimme. Ich mache mir auf keinen Fall die Illusion, dass die Dinge auf dieser Welt, seien es Gefühle oder Sachverhalte, von Dauer sind. Eigentlich würde ich mich Scotts Definition nach weder als besonders empfindsam, noch als wirklich romantisch bezeichnen, wenn ich so darüber nachdenke. Ich bin eher das Gegenteil von dem, was er sagt. Mir ist bewusst, dass nichts auf dieser Welt von Dauer ist, was mich sehr traurig macht. Und trotzdem gibt es Momente, in denen ich natürlich hoffe, dass ich damit Unrecht habe und ein bestimmter Zustand oder ein Gefühl doch andauern kann. In dieser Hinsicht neige ich vielleicht ab und zu dazu romantischen Idealen nachzujagen.

GL.de: Gibst du diesem Gefühl dann nach oder versuchst du es von dir wegzuschieben?

Conor: Ich glaube eher letzteres ist der Fall. Sobald ich merke, dass ich in diese Falle tappe, meldet sich diese kleine Stimme in mir, die mir die Wahrheit ins Gedächtnis ruft. Meiner Ansicht nach ist alles im Leben nur von temporärer Dauer. Genau diese Erkenntnis ist auch dafür verantwortlich, dass ich mitunter einen so existentiellen Schmerz in mir spüre. Dieser beruht vor allem auf der Tatsache, dass ich in meinem Leben gelernt habe, dass es egal ist, wie viel du in die Liebe oder andere dir persönlich nahegehende Angelegenheiten investierst - nichts von alldem wird für immer in dieser Form bestehen.

GL.de: Reflektierst du als Songwriter deine Gefühle noch einmal genauer und wägst ab, wie viel du davon und in welcher Form du diese dann in einem Song offenbarst oder schaffst du es dich von diesem Gedanken freizumachen, wenn du an deiner Musik arbeitest?

Conor: Nein, selbst wenn ich wollte, würde mir das vermutlich nicht gelingen. Wenn ich Songs schreibe, mache ich mir automatisch immer Gedanken darüber, ob der Inhalt nicht unter Umständen zu viel von mir preisgibt oder ich manche Dinge nicht lieber in anderer Form zum Ausdruck hätte bringen können. Auf "Upside Down Mountain" gibt es einen Song, "You Are Your Mother's Child", der es genau deswegen beinahe nicht auf das Album geschafft hätte. Ich habe wirklich mit mir gekämpft, ob ich ihn so veröffentlichen sollte oder nicht. Einfach aus dem Grund, weil er mir dem Inhalt nach fast schon mit zu großen Gefühlen behaftet schien. Und das, obwohl es nur eine Geschichte ist, die ich darin erzähle und nichts davon mein eigenes Leben widerspiegelt. Vielmehr hatte ich Bedenken, dass so ein emotional gefärbtes Thema zu viel sein könnte.

GL.de: Und doch bist du am Ende offenbar zu dem Entschluss gekommen den Song zu veröffentlichen. Wie kam es dazu?

Conor: Wie man als Hörer feststellen kann, geht es um einen Vater, der zu seinem Sohn spricht und ihm etwas über das Erwachsenwerden erzählt. In alldem steckt aber auch eine bittersüße Wahrheit, die vielleicht nicht jeder sofort ausmachen kann. Nämlich die, dass der Erzähler vielleicht nicht immer der beste Vater war und nicht genügend Zeit mit seinem Sohn verbracht hat. Am Ende heißt es "Although he's a bastard, make your papa proud" und der Vater ist überzeugt, dass sein Sohn es einmal besser machen wird. Er soll wissen, dass sein Wesen gut ist und das gibt er ihm mit der Zeile "You are you mother's child" immer wieder zu verstehen. Die Mutter ist es, die ihm diese Güte mitgegeben hat. Diese kleine, emotional dunkle Färbung war es, die mich dann doch dazu bewegt hat, diesen Song mit in den Kreis der anderen Stücke aufzunehmen. Die Thematik erinnert mich ein wenig an Harry Chapins "Cat's In The Cradle".

Conor Oberst
GL.de: Du hast gesagt, dass der Inhalt des Songs nicht auf deine eigenen Erfahrungen zurückzuführen ist. Und doch könnte man besonders bei diesem Stück aufgrund der transportierten Nähe den Eindruck gewinnen, du würdest als Singer-Songwriter mit dem lyrischen Ich des Songs übereinstimmen. Woher stammt die Idee für eine Geschichte wie diese?

Conor: Bei einem Song wie diesem ist es manchmal schwer, den wahren Ursprung auszumachen, denn oftmals stolpere ich beim Songwriting unbewusst über eine bestimmte Thematik. Dann wiederum ist es bei "You And Your Mother's Child" einfach der Fall, dass der Song inhaltlich gesehen eine Situation widerspiegelt, die so oder in ähnlicher Form bereits unzählige Male auf der Welt passiert ist. Er ist wie eine Art Sinnbild für all die damit verbundenen Gefühle und Problematiken, die Kinder und Eltern durch spezielle Situationen wie diese erfahren. Wie oft kommt es vor, dass ein Vater vieles im Leben seines Kindes verpasst oder zumindest nicht genug davon mitbekommt und Jahre später dasitzt, sich ein Fotoalbum seines Kindes ansieht und anfängt all diese Liebe zu spüren, die er viel früher hätte zum Ausdruck bringen müssen. Plötzlich bedauert er nicht genug da gewesen zu sein und bereut es, so gehandelt zu haben. Und doch ist etwas aus dem Kind geworden. Nur war der Vater nicht so sehr an diesem Umstand beteiligt wie er es sich vielleicht gewünscht hätte. Das Kind hasst seinen Vater aufgrund dieser Tatsache nicht einmal unbedingt, denn manche Menschen sind eben aus verschiedenen Gründen nicht in der Lage, mehr zu geben, egal in welcher Beziehung. Es ist heftig teilweise mitanzusehen, was für Auswirkungen so ein Verhalten der Eltern gegenüber den Kindern und umgedreht haben kann.

GL.de: Es macht einem auf jeden Fall noch einmal deutlich bewusst, was für eine Verantwortung es ist, ein Kind zu bekommen und in die Rolle des Erziehenden zu schlüpfen.

Conor: Das stimme ich dir zu. Ich habe solch ein Glück, was das Verhältnis zu meinen Eltern angeht. Beide haben mich schon immer wahnsinnig unterstützt, wofür ich ihnen sehr dankbar bin. Ich kenne wirklich niemanden, der so selbstlos ist wie mein Vater. Er ist ständig damit beschäftigt, sich um andere zu sorgen, ihnen etwas von sich zu geben und tut dabei kaum etwas für sich selbst. Ich bewundere das sehr. Ich habe keine Kinder, aber frage mich manchmal schon, wie das wäre. Weisst du, es gibt so viele Leute, die Angst davor haben, Kinder in die Welt zu setzen, weil sie sich davor fürchten, dieselben Fehler zu machen wie ihre Eltern. Meine Mutter und mein Vater haben dagegen die Messlatte ganz schön hoch gelegt, was die Kindererziehung im positiven Sinne angeht. Wenn überhaupt, dann fürchte ich mich davor Vater zu werden, weil ich Angst davor habe, niemals so gut zu meinem Kind sein zu können wie meine Eltern das all die Jahre zu mir waren und immer noch sind. Es braucht schon einiges, um diesem Anspruch auch nur annähernd gerecht werden zu können. Ich denke, ich bin viel zu egoistisch, um dazu in der Lage zu sein.

GL.de: Manchmal ändern sich die Dinge erst, wenn man ins kalte Wasser springt und man an der Herausforderung wachsen kann. Vielleicht bist du deinem Vater ähnlicher als du denkst…?

Conor: Das hoffe ich sehr. Ich versuche so gut es geht meiner Selbstbezogenheit entgegenzuwirken, aber ich glaube nicht, dass ich die Selbstlosigkeit meines Vaters in diesem Maße geerbt habe. Er hat sich sein ganzes Leben lang immer für seine Mitmenschen aufgeopfert und ist nicht umsonst immer die erste Person, die jeder anruft, wenn er Hilfe oder einen Rat braucht. Und damit meine ich nicht nur unseren engsten Familienkreis, sondern auch Freunde und sogar Nachbarn! Er ist einer dieser Typen, auf die wirklich immer Verlass ist.

GL.de: Mit Aussagen wie "Freedom is the opposite of love" oder "There is no dignity in love" vermittelst du auf deinem neuen Album bisweilen den Eindruck, das Thema Liebe aus einer vergleichsweise getrübten Perspektive heraus zu begegnen. Ist dein Ausblick hinsichtlich dessen wirklich so trist oder spricht nur ein flüchtiger Moment der Enttäuschung aus dir?

Conor: Ich sehe die Liebe als eine Art Kompromiss. Die von mir in den Songs aufgeworfene Frage des Freiheitsgedankens ist ein Teil davon, der in vielerlei Hinsicht eine große Rolle in jeder Liebesbeziehung spielt. Wenn du jemanden mehr liebst als dich selbst, dann bist du meiner Meinung nach grundsätzlich nicht mehr "frei", weil jede Entscheidung, die du triffst, auf dem Wohlergehen deines Partners basiert. Schließlich will man, dass es dem anderen gut geht, dass das Miteinander durch Zufriedenheit bestimmt ist und sich der andere sicher fühlt. Du bist also keineswegs so frei wie zuvor, wenn du in einer Beziehung bist. Du bist emotional abhängig und hast Angst, all das zu verlieren, weil die Person, die du liebst, sich irgendwann verletzt fühlen könnte. Es ist wie in diesem Song "Me And Bobby McGee", in dem es heißt, "Freedom's just another word for nothing left to lose". Wenn es nichts gibt, was du liebst, dann ist es ziemlich einfach, sich frei zu fühlen. Du musst dir um all das keine Gedanken machen und dir kann alles egal sein, weil du nur für dich selbst verantwortlich bist. Wenn du jedoch jemanden wirklich liebst, dann kannst du eine Menge verlieren.

GL.de: In "Night At Lake Unknown" schneidest du das Thema Vergebung an und sagst "Most anything can be forgiven". Bist du jemand, der nachtragend ist?

Conor: Im Allgemeinen bin ich schon jemand, der anderen unter Umständen schnell vergeben kann, obwohl es durchaus Dinge gibt, die nicht dazu zählen. Wenn du mich allerdings so direkt fragst, muss ich gestehen, dass ich mitunter absolut in der Lage bin, längere Zeit einen Groll gegen eine Person zu hegen! (lacht)

Weitere Infos:
www.conoroberst.com
www.facebook.com/conoroberst
www.twitter.com/conoroberst
www.myspace.com/conoroberst
Interview: -Annett Bonkowski-
Fotos: -Butch Hogan-
Conor Oberst
Aktueller Tonträger:
Upside Down Mountain
(Nonesuch Records/Warner Music)
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