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HANNAH COHEN
 
Von der Kinderbraut zum Lustknaben
Hannah Cohen
Vor zwei Jahren schien die Sache noch klar: Mit ihrem brillanten Debüt-Album "Child Bride" bediente Hannah Cohen die gesamte Klaviatur des mädchenhaften, verträumten Folk-Pop und empfahl sich nachdrücklich als neue Ikone auf diesem Gebiet. Das von Thomas Bartlett (alias Doveman) produzierte Album bot eine Reihe wunderhübscher, nachdenklicher, luftig inszenierter und akustisch orientierter Genreperlen und schien dem Label "trauriges Mädchen mit Gitarre" hundertprozentig zu entsprechen. Deswegen ist es jetzt - zumindest auf den ersten Blick - eine Art Schock, dass ihr zweites Album, "Pleasure Boy", sich musikalisch vollständig von diesem Setting entfernt. Statt Folk und Elfengesang gibt es nun eine sehr organische Art von New Wave Pop auf Keyboard-Basis. Da es sich bei dem neuen Werk offensichtlich um die musikalische Verarbeitung einer schwierigen Trennung handelt, ist das Ganze aber auch irgendwie erklärlich.
Hannahs Geschichte lässt jedenfalls bereits erahnen, dass es sich bei Hannah Cohen nicht um eine Musikerin handelt, die sich mit einer einzigen musikalischen Richtung zufrieden geben könnte: "Ich wuchs in einem sehr musikalischen Haus auf", umreißt Hannah ihre Historie, "mein Vater ist ein Musiker und zu Hause spielte immer Musik. Oft übernachteten Musiker auf der Durchreise bei uns auf der Couch. Ich selbst hörte als Teenager viel Billie Holiday und begann schon mit sechs Jahren Gitarre zu spielen. Auch mein Freund war ein Musiker und irgendwo lag immer eine Gitarre herum, auf der ich üben konnte und irgendwann begann ich Songs zu schreiben, wenn er nicht da war. Ich habe einen ziemlich eklektischen Geschmack und fühle mich von allem inspiriert, was ich höre - wobei es schwer ist zu sagen, wer meine Haupt-Einflussquellen sind. Ich höre Jazz, manchmal Pop, manchmal experimentelles, New Age, Disco, Brasilianische Musik aus den 60s/70s, Folk, alte Country Music, Dusty Springfield, Skeeter Davis, The Everly Brothers, traditionellen portugiesischen Fado, die große Amália Rodriguez - ich könnte da ewig weiter machen. Ich denke, ich durchlebe Phasen und mag eigentlich hauptsächlich alles."

Ist das dann auch der Grund, warum das zweite Album so anders klingt als das erste? "Teilweise ja", bestätigt Hannah, "ich wollte einfach kein zweites, folkiges Album vom Typ 'trauriges Mädchen mit Gitarre' machen. Zwar haben die meisten der Tracks ihren Ursprung noch auf der Gitarre - dann jedoch kamen die Keyboards und Synthies ins Spiel und dann ging die Sache in eine ganz andere Richtung. Für mich war das ein ganz natürlicher Prozess. Ich habe auch stärker mit Thomas Bartlett zusammengearbeitet. Wir haben uns einfach im Studio eingeschlossen und niemanden um Rat gefragt." Thomas Bartlett war es auch, der die Keyboards programmierte und bediente. Laut Hannah entstand so eine traumähnliche Atmosphäre, die zuweilen aber auch in albtraumartige Zustände ausartete - was dann auch wieder den eher düsteren Tenor des neuen Materials erklärt. Übrigens handelt es sich bei dem "Pleasure Boy" nicht um eine konkrete Person, sondern um ein Leitmotiv oder sogar "eine Art Gefühl", wie Hannah sagt.

"Pleasure Boy" ist aber im Kern ein sogenanntes "Break-Up-Album". Dafür sind die Texte dann aber noch relativ zivilisiert, oder? "Bei den Songs handelt es sich um Beobachtungen und auf eine gewisse Art zuweilen auch um Meditationen", schränkt Hannah ein, "es sind nicht nur 'Break-Up-Songs'. Zwar handeln die Songs zumeist von einer bestimmten Person, aber einige andere Dinge, Gefühle und Personen mischen sich am Ende dann doch ins Bild oder in die Geschichte." So dass am Ende dann wohl mehr als sie berühmte "Summe der Teile" dabei herauskommt. Jedenfalls sind Hannahs Songs auch stets offen für eine eigene Interpretation.
Welche Ziele hat Hannah Cohen als Musikerin? "Ziele habe ich eigentlich gar nicht so viele", überlegt sie, "ich möchte reisen und meine Songs spielen. Dabei möchte, ich , dass diese Songs leicht zerstörerisch aber schön sind. Die Songs sind mir nahe. Es ist zwar manchmal sehr emotional sie zu singen, aber ich finde selbst auch immer wieder eine neue Bedeutung in ihnen."

Auf dem Cover ist Hannah mit Krönchen vor einer Wand aus Hochzeitstorten zu sehen. Was will uns das denn sagen? "Das Covermotiv wurde von meinem lieben Freund Will Cotton geschossen. Ich arbeite mit Will die letzten acht Jahre zusammen. Er malt wunderbare Zuckerwatten- und Phantasiewolken-Länder. Manchmal tauche ich in einem seiner Bilder auf. Ich habe Wills Arbeiten immer gemocht und speziell mit ihm zu arbeiten. Man kann dabei immer Süßigkeiten und Kuchen essen und in Schlagsahne und schönen Kleidern posieren. Ich hatte Will die Scheibe geschickt und den Titel genannt. Seine Idee war es dann mich vor dieser 2000 Pfund schweren Skulptur aus Gips und Holz zu fotografieren, die eben Kuchen darstellten. Die Skulptur heißt übrigens 'Against Nature'."

Hannah Cohen
Der letzte Song des Albums heißt "Baby" und ist der einzige, auf dem Hannah zur Gitarre greift. Ist das eine Art Wiegenlied als Abschied? "Ich denke, dass dieser Track am Ende der Platte dem Zuhörer Gelegenheit gibt, sich zu sammeln", überlegt Hannah, "weil es vorher ja so viele gewichtige Songs gab." Wie sieht sich Hannah selbst als Sängerin? "Ich bin noch dabei, das herauszufinden", räumt sie ein, "ich möchte mit meinen Songs kommunizieren, dabei eine gewisse Anmut ausstrahlen und - wie gesagt - damit herumreisen."
Was ist für die Songwriterin Hannah Cohen die größte Herausforderung? "Ehrlich gesagt, zu wissen, wann man aufhören soll - wenn eigentlich schon alles fertig ist", erklärt sie, "es kann nämlich süchtig machen, im Studio zu arbeiten. Die Außenwelt existiert im Studio einfach nicht. Ich kann mich da ganz schön verlieren und es ist schwierig aus diesem Zustand wieder zurückzufinden. Gleichzeitig ist das aber auch das beste Gefühl der Welt, wenn man musiziert und aufnimmt und am Ende etwas dabei herauskommt."
Wie sie ja selbst sagt, hat Hannah Schwierigkeiten, ihre Musik in Worte zu fassen. Deswegen überraschte es dann auch, dass in der Bio steht, sie wolle als Nächstes vielleicht eine "Elektro-Pop-Disco-Funk-Exkursion" unternehmen. Glücklicherweise bremst sie da im Gespräch gleich wieder. "Das ist jetzt noch zu früh zu sagen, wohin die Reise in der Zukunft gehen wird", räumt sie nämlich ein. Zum Glück - denn so bleibt dem Zuhörer noch genügend Zeit, die "neue" Hannah Cohen auf ihrer aktuellen Scheibe zu entdecken. Eines hat sich übrigens bei all dem nicht geändert: Hannahs Fähigkeit, einfühlsame, melancholische Pop-Songs zu schreiben. Nur dass sie sich heute eben nicht über ihre Gitarre sondern über ihre Keyboards beugt.
Weitere Infos:
hannahcohenmusic.com
bellaunion.com/artists/hannah-cohen
www.facebook.com/HannahCohenChildBride
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Pressefreigaben-
Hannah Cohen
Aktueller Tonträger:
Pleasure Boy
(Bella Union/Pias Cooperative/Rough Trade)
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