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Interview-Archiv

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METRIC
 
Songs mit Geist und Seele
Metric
Besonders waren Metric schon immer. Keine andere Band fand im letzten Jahrzehnt so mühelos die richtigen Töne an der Schnittstelle von Underground und Pop, organischen und synthetischen Sounds. Jetzt blickt die kanadische Band um die beiden Songwriter Emily Haines und Jimmy Shaw ganz bewusst über den Tellerrand. Ihr just erschienenes Album "Pagans In Vegas" betont die elektronische Seite des Quartetts, während die bereits fast fertiggestellte nächste LP ganz im Zeichen eines handgemachten Vintage-Sounds stehen wird.
Entstanden sind die Songs für die beiden Werke während einer längeren Auszeit, die sich die Band nach dem Erfolgsalbum "Synthetica" von 2012 verordnet hatte. Shaw werkelte in seinem Heimstudio in Toronto mit einem CS80-Synth und tauchte tief in den elektronischen Klangkosmos seiner alten Helden der 80er ein, Haines dagegen schrieb auf Reisen nach Nicaragua und Spanien Lieder für akustische Instrumente. Anstatt die neuen Songs auf eine gemeinsame Platte zu zwingen, entschieden sich Metric dann allerdings, die unterschiedlichen Ansätze auf zwei separaten Alben ausgiebig weiterzuverfolgen. Ein Vorhaben, das ihnen mit "Pagans In Vegas" zweifelsohne geglückt ist. Denn auch wenn sich Metric soundtechnisch stärker zu den Extremen bewegen als zuvor, wartet die neue LP doch mit hinreißend melodiösen Songs auf und schlägt so eine Brücke zwischen Popsongwriting und Anleihen bei den Innovatoren von Synthie- und Wave-Pop, ohne dabei unangenehm nostalgisch zu klingen.

In einem offenen Brief an die Fans der Band schrieb Frontfrau Haines unlängst, dass sie hofft, Metric könnten mit "Pagans In Vegas" Teil der nächsten Welle elektronischer Musik werden, die sich den Größen der Vergangenheit verpflichtet fühlt und nicht in einem Vakuum agiert, das alles ignoriert, was zuvor gewesen ist. Das erklärte Ziel dabei? Songs mit Geist und Seele zu schreiben und aufzunehmen! Gleichzeitig beschreibt sie auch die gemischten Gefühle, mit der sie der "Pagans Across The Pond"-Tournee entgegensieht, die Metric im Oktober auch nach Deutschland führt. "Ich werde mir die ganze Zeit wie ein Idiot vorkommen, wenn wir Popmusik in Clubs spielen, während Flüchtlinge, die wegen der von uns angezettelten Kriege heimatlos sind, um das Überleben ihrer Familien kämpfen", ist sie sicher.

Auch beim Gaesteliste.de-Interview mit Jimmy Shaw ging es um das Gefühlsleben der Band, aber natürlich kamen wir auch auf das neue Album zu sprechen - und die "Schwesterplatte", die 2016 folgen soll.

GL.de: Jimmy, wie fühlst du dich als Teil von Metric im Jahre 2015?

Jimmy (lachend): Lass mich ehrlich mit dir sein: Dies ist mein erstes Interview für Deutschland zum neuen Album, und es ist unglaublich, dass du mit dieser Frage beginnst. Wir reden in der Band oft darüber, dass die Leute in Deutschland eine echte Gabe haben, allumfassende Fragen zu stellen. In Amerika kriegen wir dagegen nur die simpelsten Fragen gestellt, etwa: Wie seid ihr auf den Namen Metric gekommen!

GL.de: Das wäre unsere zweite Frage gewesen!

Jimmy: Hahaha! Wie fühlt es sich also an, ein Teil von Metric zu sein? Wir sind an einem sehr interessanten Punkt angekommen. Wir sind gewissermaßen eine Anomalie. Von den Bands, die mit uns zusammen angefangen haben, gibt es nicht mehr viele - schon gar nicht in unveränderter Besetzung -, und nicht viele sind so unabhängig, wie wir es sind. Wir kontrollieren alles, was wir tun, veröffentlichen unsere Platten weltweit selbst und sind auf dem schmalen Grat zwischen Unabhängigkeit und Kunst auf der einen Seite und Kommerz und Popmusik auf der anderen Seite unterwegs. Wir vereinen all diese Elemente in unserem Tun, in unserem Sein. Im Jahr 2015 regiert weltweit ohne Frage der Pop, was uns jetzt mehr als je zuvor zu einer Kunst-Band macht, weil wir nicht einmal annähernd so poppig sind wie all die anderen Künstler, die man gerade so hört, während wir vor fünf Jahren die poppigste Band in ganz Indiehausen waren.

GL.de: Wie habt ihr euch denn in den frühen Tagen der Band die Zukunft vorgestellt?

Jimmy: Damals haben wir ehrlich gesagt nicht so weit gedacht, denn es ging alles so schnell. Wir waren ja alle noch viel jünger - und haben höchstwahrscheinlich auch viel mehr gesoffen. Damals war das Wichtigste, sicherzustellen, dass wir pünktlich am nächsten Konzertort aufschlagen. Solange wir nicht die Hälfte unseres Equipments verloren haben und niemand von uns im Knast gelandet ist, war alles okay. Trotzdem kann ich sagen, dass es schon etwas seltsam ist, heute zurückzublicken. Ich hätte mir nie vorstellen können, dass die Welt mal so sein würde wie heute. Ich kann nicht wirklich sagen, was ich erwartet habe, aber es war nicht das hier.

GL.de: Wenn du sagst, dass ihr damals nicht so weit gedacht habt - ist das heute anders?

Jimmy: Nein, denn wir haben inzwischen gelernt, dass es müßig ist, Prognosen über die Zukunft abzugeben, weil wir nur ein kleines Rädchen in einer riesigen Welt sind.

GL.de: Ihr hattet für dieses Album eine Menge unterschiedliche Songs zur Verfügung. Trotzdem habt ihr euch auf das konzentriert, was du in einem anderen Interview "einseitiges Material" genannt hast. Ist das etwas, das euch jetzt leichter fällt, weil ihr wisst, dass ihr noch weitere Platten machen werdet und nicht alle Ideen immer sofort auf dem aktuellen Album untergebracht werden müssen?

Jimmy: Das ist haargenau das, was bei "Pagans In Vegas" passiert ist. Emily und ich hatten beschlossen, uns das letzte Jahr freizunehmen. Als wir uns dann wieder trafen, stellten wir fest, dass wir beide in der Zwischenzeit genug Material geschrieben hatten, um zwei Alben zu füllen. Es erschien uns das Sinnvollste, aus den Songs zwei separate Platten zu machen, mit denen wir richtig in die unterschiedlichen Stimmungen eintauchen konnten, die wir beide verfolgt hatten. Weil ich wusste, dass wir bald "LP 7" - so nennen wir sie, bis sie einen richtigen Titel erhält - nachschieben werden, und klar war, wie sie aufgenommen werden würde, fühlte ich mich beim Aufnahmeprozess von "Pagans" viel freier und konnte genau das machen, wonach die Songs verlangten. Es gibt auf "Pagans" Lieder, die vollkommen ohne Gitarre, Bass und Schlagzeug auskommen. Das habe mir ich nur erlaubt, weil ich wusste, dass es auf der nächsten Platte Songs komplett ohne Elektronik - ohne Click-Track, ohne Drumcomputer, ohne Synthesizer - geben wird. So konnten wir beide Seiten für sich sprechen lassen - mit der Gewissheit, dass die beiden Platten zusammen ein Ganzes ergeben.

GL.de: Das Ganze klingt ja ein bisschen so, als wären es zwei Solo-Platten, eine von dir und eine von Emily, die nun lediglich beide unter dem Namen Metric erscheinen.

Jimmy: Nun, es ist ja nicht so, dass wir mit "Pagans" oder der nächsten Platte die musikalischen Sphären von Metric komplett verlassen würden. "Der einzige Unterschied ist, dass wir es uns bislang noch nie erlaubt haben, voll und ganz an den Rand unseres Spektrums zu gehen. Bisher haben wir uns immer schön in der Mitte aufgehalten. Dafür gab es Gründe. Als wir unsere ersten beiden Platten, "Old World Underground" und "Live It Out" gemacht haben, waren wir eine kleine Indie-Band, die ums Überleben kämpfte. Bei "Fantasies" sagten wir uns dann: Entweder funktioniert es nun endlich oder wir lösen uns auf. Zum Glück hat es geklappt, und deshalb war "Synthetica" dann ein klassischer Nachfolger zu "Fantasies". Es hätte sich nicht richtig angefühlt, nun schon wieder das Gleiche zu machen. Wir wollten einfach nicht die nächste Platte in einer Trilogie machen, sondern eine neue Richtung einschlagen und etwas ausprobieren, was wir noch nie gemacht hatten. Es gibt ja gar nicht so viele Bands, die so lange dabei sind wie wir, und um dieser Tatsache gerecht zu werden, wollten wir Grenzen überschreiten.

GL.de: Ihr habt bereits mehrfach betont, dass es euch bei "Pagans" nicht so sehr um konzeptionelle Gedanken ging und dass der Spaß im Vordergrund stand. Dafür geht es aber ziemlich düster los...

Jimmy: Es ist lustig, dass die Platte ausgerechnet mit "Lie Lie Lie" anfängt. Das ist wirklich der düsterste Song des gesamten Albums. Ich hätte es besser gefunden, wenn die Nummer erst später auf der Platte aufgetaucht wäre, aber musikalisch musste die Nummer einfach am Anfang stehen, es gab keinen anderen Platz für sie. Emily ist ja die Fahnenträgerin für all die Menschen, die sich den Problemen in der Welt nicht verschließen. Diese Leute wären vermutlich enttäuscht gewesen, wenn Emily gleich zu Beginn der Platte gesagt hätte: "Ob ihr's glaubt oder nicht: Alles ist gut!" So ist von Anfang an klar, dass Emily immer noch für die gute Sache kämpft. Mit zunehmender Spieldauer wird dann allerdings deutlich: Obwohl sie auch weiterhin kämpft, will sie nicht mit dem Kopf durch die Wand, sie kann auch mal Spaß haben.

GL.de: Die Lockerheit der neuen Songs macht sich auch bei den musikalischen Referenzen an eure Vorbilder bemerkbar, die in einer ganzen Reihe Songs mehr oder weniger versteckt sind. Interessant dabei ist auch, dass ihr die kleine Hommagen in den Strophen unterbringt, während die Refrains typisch Metric sind.

Jimmy: Oh, das war keine Absicht, aber jetzt, wo du es sagst: Genau so ist es. In der schwarzen Musik und im HipHop gibt es ja zahllose Beispiele dafür, dass Künstler ganze Passagen aus alten Songs übernehmen. In der Indiemusik und im Rock'n'Roll, in der weißen Musik ganz allgemein, ist es den Musikern geradezu peinlich, zu ihren Einflüssen zu stehen. Vermutlich haben sie das Gefühl, dass das kein wahrer Ausdruck ihrer Gefühle wäre. Als sich die Referenzen bei uns ganz organisch einschlichen, hatten wir zwei Möglichkeiten: Wir konnten sie maskieren und verstecken oder offen dazu stehen. Letzteres ergab für uns einfach viel mehr Sinn. Ich bin mit Depeche Mode, New Order und The Cure aufgewachsen und finde es toll, dass sich diese Einflüsse jetzt bemerkbar machen.

GL.de: Wie "Pagans" klingt, wissen wir jetzt, aber wie wird sich "LP 7" anhören?

Jimmy: Das nächste Album ist unser ungewöhnlichste überhaupt. Während sich "Pagans" etwas rechts von unserem bisherigen Schaffen bewegt, wird sich die siebte LP ganz weit links davon abspielen. Für die Aufnahmen haben wir uns fast schon Dogma-mäßige Regeln auferlegt. So haben wir zum Beispiel keinerlei Instrumente verwendet, die nach 1970 hergestellt wurden, es durften keinerlei Synthesizer zum Einsatz kommen und keine der Gitarrenspuren wurde gedoppelt. Die Aufnahmen waren so puristisch, wie es uns möglich ist. Weil das bereits feststand, haben wir uns auf "Pagans" so sehr in die Popmusik gestürzt.

GL.de: Allerdings orientiert ihr euch dabei ja auch zumeist an Oldschool-Vorbildern wie Kraftwerk und versucht nicht, produktionstechnisch und klanglich auf den Zug der zeitgenössischen Popmusik aufzuspringen.

Jimmy: Richtig. Es ist schon lustig. Manchmal nehmen wir was auf und denken, dass es das Modernste, Poppigste ist, was wir je gemacht haben. Dann hören wir uns das Ganze zwei Wochen später noch mal an und stellen fest, dass wir damit im Jahr 1976 andocken, nicht im Jahr 2015. Das zeigt letztendlich nur, wie "pop" die aktuelle Popmusik ist. Sie ist durch und durch Fließbandware. Das ist einfach nur noch verrückt!

Weitere Infos:
www.ilovemetric.com
www.facebook.com/metric
Interview: -Carsten Wohlfeld-
Foto: -Pressefreigabe-
Metric
Aktueller Tonträger:
Pagans In Vegas
(MMI/Kobalt/Rough Trade)
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