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LUCY DACUS
 
Gar nicht lustig
Lucy Dacus
Es scheint so, dass langsam auch die Indie-Labels so verfahren wie die großen Plattenfirmen - denn das in Nashville eingespielte Debüt-Album von Lucy Dacus aus Pittsburgh, Pennsylvania, war schon auf dem lokalen Label EggHunt zu einem echten Szene-Hit geworden, als Matador auf die junge Dame mit dem eigenartigen Hobby "Reiseplanung" aufmerksam wurde, und die Lizenz des Albums für den eigenen Roster übernahm. Das war aber zweifelsfrei eine richtige Entscheidung, denn Lucy Dacus passt mit ihrem eigenwilligen, anspruchsvollen Songwriter-Rock sehr gut zu dem Genre, für das das New Yorker Label ein Mal stand, als es sich noch nicht in immer eklektischeren Richtungen verzettelt hatte. Denn letztlich gelingt Lucy Dacus mit ihrem Ansatz, betont persönlich gefärbte Bespiegelungen ihrer selbst nicht etwa in sentimentaler Lagerfeuer-Folk-Romantik zu verklären, sondern mit vergleichsweise geradlinigen, betont unmaskulinen Rocksongs zu einem eigenen Sub-Genre zu verschmelzen, ein ziemlich geradliniger Coup.
Vor allen Dingen ist aber wichtig, dass es hier - seit langer Zeit - wieder ein Mal eine ordentliche Indie-Rock-Scheibe gibt, auf der nicht einfach angesagtes Ideengut wiedergekäut wird, auf der keine Retro-Sentimentalität Urstände feiert und auf der eine Frau das Sagen hat. Denn letztlich ist diese Art von Musik ja immer noch eine Männerdomäne. "Ach ja?", meint Lucy Dacus eher zweifelnd - und stellt damit auch gleich klar, worum es in ihrer Musik eigentlich geht: Alles erst mal in Frage zu stellen, von einer anderen Perspektive zu betrachten, zu analysieren - allerdings ohne zu predigen und ohne jemanden zur Last fallen zu wollen. Aber immer der Reihe nach: "Ich muss zugeben, dass ich am College niemals Musikstunden genommen habe", erinnert sich Lucy, die ihre kreative Laufbahn ursprünglich auf der Filmhochschule begann, "aber es gab immer Musik um mich herum. Mein Vater spielt Gitarre und meine Mutter lehrt Musik an der Grundschule. Sie hat versucht, mir ein Mal Klavierunterricht zu geben - das ist aber übel schiefgegangen, weil ich mich wie ein trotziges Kleinkind aufgeführt habe, so dass sie das nie wieder versuchte. Aber ich habe immer schon gerne gesungen und ich habe auch irgendwann mal angefangen, Songs zu schreiben - aber nie daran gedacht, dass das mal eine Karriere geben könnte."
Welche Art von Musik inspiriert Lucy denn und welche Art von Musik strebt sie selbst an? "Das ist deswegen eine komische Frage für mich, weil ich als Kind immer Musiktheater anhörte, weil das die Lieblingsmusik meiner Mama ist. Mein Vater mag Bruce Springsteen - aber das ist nicht mein Ding. In der Highschool mochte ich dann Punk-Musik und durchlebte eine Phase, in der ich mich für Noise- und Punk-Shows begeistern konnte. Die Bands, die ich aber letztlich am längsten mag, sind Acts wie Broken Social Scene - also Indie-Bands, die atypisch strukturierte, ungewöhnlich gemischte und durchdachte Kompositionen kreieren. Das soll nicht heißen, dass ich und meine Band uns wie Broken Social Scene anhören - aber diese Art von Musik hat meine Art zu denken stärker beeinflusst, als dies zum Beispiel die Pop-Musik vermocht hätte. Wenn heute die Leute zu mir kommen und mich mit Sharon Van Etten oder Angel Olsen vergleichen, dann finde ich das schon erstaunlich. Ich kannte diese Acts gar nicht - aber wenn ich sie mir anhöre, dann stelle auch ich eine erstaunliche Übereinstimmung fest, die mit Sicherheit mit dieser Art des Denkens zu tun hat." Was inspiriert die Songwriterin Lucy Dacus? Ihre Reisen vielleicht? "Ja, das Reisen bedeutet mir viel", gibt Lucy zu, "ich habe auch jede Menge weiser, amüsanter Freunde und intelligente Unterhaltungen mit Leuten, die mir etwas bedeuten. Und ich habe auch Freunde, die nicht so weise sind, von denen ich mich aber auch inspirieren lasse. Ich habe eine wirklich unglaubliche Familie, die vielleicht nicht immer ganz einfach zu verstehen ist." Das bietet doch sicher Steilvorlagen für Themen? "Ich will es mal so sagen: Wenn ich einen Song schreibe, dann versuche ich auf diesem Wege, jemanden oder etwas zu verstehen", überlegt Lucy, "und wenn ich einen Song fertig habe, dann verstehe ich auf einer persönlichen Ebene ein wenig mehr vom Leben. Es ist am Ende fast so, dass mich die Songs kontrollieren und nicht etwa umgekehrt ich die Songs." Heißt das, dass die Songs zu therapeutischen Zwecken geschrieben wurden? "In gewisser Weise ja", meint Lucy, "die Songs erfüllten für mich einen bestimmten Zweck. Deswegen denken viele, die diese Songs nun hören, ich würde darin auffordern, mehr Einsatz zu zeigen und etwas zu versuchen - während es tatsächlich aber zunächst nur um mich ging. Ich wollte mich mit meinen Songs selbst motivieren."
Lucy Dacus
Nun ist das aber doch eigentlich ein Zeichen dafür, dass Lucys Songs auf einer universellen Ebene funktionieren - auch wenn Lucy stets aus der ersten Person heraus singt. "Ja, das kann irritierend sein", räumt sie ein, "und ich bin froh, dass du das ansprichst - denn weil ich stets aus der ersten Person singe und die Band meinen Namen trägt, denken die meisten, dass es hier um mein Tagebuch geht, das ich vortrage. Das ist aber nicht so, denn ich singe nicht nur über mich." Dabei hätten Charaktere wie der "Strange Torpedo Guy" oder der "Troublemaker Doppelgänger" ja schon darauf hinweisen können. Denn Lucy Dacus ist ja nicht schizophren. "Ja, der seltsame Torpedo handelte zunächst von einer spezifischen Person, bezieht sich aber jetzt eher auf eine bestimmte Art von Beziehung - aber nicht von meiner. Und der Doppelgänger wurde auch von einer konkreten Person inspiriert - schildert am Ende aber ein universelles Gefühl, das jeder von uns haben kann. Für mich war es eine Art kathartischer Erfahrung durch meine Songs festzustellen, dass ich nicht die einzige Person mit bestimmten Gefühlen auf dieser Welt bin." Dann gibt es aber noch einen konkreten Punkt, den man im Zusammenhang mit Lucy Dacus ansprechen sollte: Ihr Hobby, fiktive Trips bis ins kleinste zu planen und zu organisieren - ohne diese dann tatsächlich durchzuführen. Es gibt auf "No Burden" gar einen Song namens "Map On The Wall" - der doch sicherlich damit zusammen hängt, oder? "Ja, total", stimmt Lucy zu, "ich hatte damals tatsächlich einen Trip geplant - und zwar diese Reise nach Europa, die ich bereits erwähnte, diese Reise war für mich eine riesige Entscheidung und ich habe damals sozusagen mein Leben in die Luft geworfen. Dazu hatte natürlich jedermann seine Meinung - war das nun eine gute Idee, oder eine schlechte? Sollte ich lieber arbeiten gehen? Oder weiter die Schule besuchen? Mir wurde dann irgendwann klar, dass diese Landkarten, die ich überall aufhängte - sogar an meiner Decke -, mich schlicht dazu aufforderten, die Welt zu sehen. Aber Landkarten sind funktionale Objekte, die - wenn sie an der Wand hängen - nutzlos sind. Wenn du was erleben willst, dann musst du sie abhängen und die Orte, die sie markieren, aufsuchen. Meine Erkenntnis war dabei, dass es nicht darauf ankommt, was die Leute denken oder sagen. Man muss auf seine eigene Stimme hören und einfach mal losziehen." Heißt das, dass Lucy alle ihre Reisepläne umsetzen möchte, oder geht es einfach darum, den Geist am Leben zu erhalten? "Ich würde ja gerne", zögert Lucy, "aber tatsächlich genieße ich es momentan eher, zu Haus zu sein. Ich habe wirklich jede Möglichkeit ergriffen, mein Heim zu verlassen - nachdem ich nun aber so viel herumreise, wenn wir auf Tour sind, dann betrachte ich die Woche, die mir in Richmond bleibt, als Erholung. Ich denke, wir werden noch eine Menge herumreisen und es gibt auch Länder, die ich gerne ein Mal sehen würde - aber im Moment bin ich aber am liebsten einfach zu Hause." Ist die Heimat dabei auch eine kreative Basis? "Richmond in Virginia liegt gewissermaßen zwischen dem Norden und dem Süden", überlegt Lucy, "das bringt einen guten Mix mit sich. Was zum Beispiel die unglaublichen Leute betrifft, oder das moderne amerikanische Essen, die kreative Musik-Szene, die Stadt als solches und meine erstaunlichen Freunde. Ich würde unter dem Strich aber doch sagen, dass es eher die Leute als der Ort sind, die ich als kreative Basis betrachten würde."

Wichtig scheint Lucy bei all dem vor allen Dingen zu sein, ernst genommen zu werden. Der Opener des Albums heißt zum Beispiel "I Don't Want To Be Funny Anymore". "Ja, da ist was dran", überlegt Lucy, "ursprünglich hatte ich den Song geschrieben, weil ich früher immer die Lustige war - und die Leute irgendwann auch dann über mich lachten, wenn ich gar nicht lustig war. Das half mir natürlich nicht weiter, weil man ja so keine vernünftige Unterhaltung führen kann. Das wurde dann zum Thema des Songs generell: Ich möchte natürlich ernst genommen werden und ich möchte wahrgenommen werden als jemand, der ernsthafte Gedanken hat. Es ist natürlich nicht besonders cool, als sensibel zu gelten und andere aufzufordern, umzudenken - aber es ist mir wichtig." Damit kommen wir zu dem Titel des Albums - "No Burden". Entschuldigt sich hier Lucy auf gewisse Weise für ihre Ansichten? "Ich meine einfach, dass wenn man Leute eindimensional beurteilt, man diesen unrecht tut", führt Lucy aus, "auch solche Leute, die in bestimmte Schubladen gesteckt werden, sind brillanter Gedankengänge fähig - die sie vielleicht nicht aussprechen, weil sie das für eine Belastung der anderen halten. Ich wünschte, dass man sich nicht als Belastung empfinden zu braucht, wenn man seiner Meinung oder seine Kreativität Ausdruck verleiht - obwohl diese vielleicht nicht einer Erwartungshaltung entspricht. Man stelle sich nur mal vor, wie vielseitig und kommunikativ unsere Welt wäre, wenn jeder so akzeptiert würde, wie er ist und sich nicht darum kümmern müsste, ob er für jemand anderen etwa eine Belastung darstellen könnte. Ich für meinen Teil kann jedenfalls versichern, dass ich für niemanden eine Bürde darstelle."

So richtig in Gang kam die Sache erst, als Lucy begann, mit ihrer Band zu spielen. Bei dem gemeinsamen Arbeiten an den Songs entstand dann auch das erwähnte, geradlinige Sounddesign. "Danke - das war aber der Verdienst von Colin Pastore, einem Freund von der Highschool, in dessen Schlafzimmer wir unsere ersten Aufnahmen machten", schränkt Lucy ein, "der hat uns an einem freien Tag in das Starstruck Studio in Nashville eingeladen, als er dort einen Job bekommen hatte. Das eigentliche Ziel bei den Aufnahmen war eigentlich, das Projekt als Abschlussarbeit für meinen Freund Jacob Lizard umzusetzen. Jacob studiert Gitarre und spielt auch in der Band. Und Colin wollte mit den Aufnahmen eigentlich lernen, wie er am besten mit dem Studio arbeiten könnte. Dass dabei mein Album entstehen würde, wurde uns erst während der Aufnahmen bewusst und wir haben dann natürlich auch länger an den Stücken gearbeitet." Und wie funktionierte das? "Zum Beispiel haben wir uns überlegt, welche Arrangements zu welchen Texten passen könnten", erläutert Lucy, "denn vorher bin ich immer nur Solo aufgetreten und das hört sich dann ungefähr an, wie der Song 'Trust', der sich nun auf dem Album befindet."

Das heißt also, dass Lucy als klassische Songwriterin angefangen hat? "Ja, ich habe mir zunächst gar nicht vorstellen können, wie meine Songs mit einer Band klingen", berichtet sie, "es ist auch toll, solo aufzutreten, weil die Leute dann mehr auf die Texte achten - schon alleine, weil sie nur einen Punkt haben, wo sie hinschauen können. Heutzutage mag ich es aber lieber, mit meiner Band zu spielen, weil da mehr Dynamik im Spiel ist und es auch mehr Spaß macht." Übrigens kann man Lucys Texte auf im Rock-Kontext sehr gut verstehen, da sie sehr klar singt - was in dem Genre nicht selbstverständlich ist. "Ja, es war speziell Colins Anliegen, die Stimmen so hoch auszusteuern, dass sie gegenüber der Musik durchsetzen konnten", führt Lucy aus, "wenn wir uns über technische Möglichkeiten unterhalten haben, war es Colin stets bewusst, dass meine Texte der wichtigste Teil des ganzen Songs sind und demzufolge die Stimme ziemlich klar - also ohne besonders viel Hall - in Szene gesetzt werden musste. Sogar bei den knackigeren Gitarrenparts gehen die Stimmen so niemals unter." Wonach sucht denn die Songwriterin Lucy Dacus in einem guten Song? "Ich suche nicht wirklich nach etwas", überlegt sie, "aber ich schreibe eine ganze Menge Songs und suche dann die aus, die mir etwas bedeuten und von denen ich annehme, dass die Zuhörer einen Bezug dazu aufbauen können. Dafür muss meine Botschaft möglichst klar sein, denn ich möchte niemanden verwirren oder irritieren. Das ist aber auch gleichzeitig der furchterregende Aspekt dabei, denn wenn immer man einen Song herausgibt, öffnet man ihn auch immer der Interpretation - und das kann man nicht steuern." Und mit welcher Tugend erreicht man das? "Mit Ehrlichkeit", meint Lucy seht bestimmt, "denn eine Menge Kunst wird aus niederen Beweggründen oder ihrer selbst wegen gemacht - und nicht für die Leute. Das mag immer noch ganz spannend sein, ich bevorzuge es aber, mich ehrlich und verletzlich zu präsentieren. Für manche Künstler mag es wichtig sein, eine Rolle oder eine Persona für die Bühne zu erschaffen - das gibt es bei mir aber nicht. Das wäre mir aber schon alleine deswegen zu viel, weil ich dann irgendwann die Verbindung zu mir selbst oder dem Publikum verlieren würde. Also bin ich auf der Bühne dieselbe Person, die ich auch bin, wenn ich nicht auf der Bühne stehe." Immerhin gibt es das ja nicht mehr so oft, dass sich Songwriter(innen) durch ihre Kunst dergestalt offenlegen - schon gar nicht, wenn es um Rockmusik geht. Schon alleine aus diesem Grund sollte man Lucy Dacus ein Mal zuhören.

Weitere Infos:
www.facebook.com/lucy.dacus
lucydacus.com
twitter.com/lucydacus
www.instagram.com/lucydacus
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Dustin Condren-
Lucy Dacus
Aktueller Tonträger:
No Burden
(Matador/Beggars Group/Indigo)
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