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KRISTIN HERSH
 
Songs aus der Wüste
Kristin Hersh
Kristin Hersh's jüngster Sohn, Wayne, hat ein Auge auf den Tisch geworfen. Das ist jetzt wörtlich zu nehmen, denn der kleine Knuddel spielt mit einem alten Augapfel-Spielzeug - auf den Tisch hämmern, herumschmeissen - das übliche Programm. Bald wird Kristin ihn stillen müssen, um ihn zu beruhigen. In der Zwischenzeit versucht ihr Ehemann/Manager eine Etage tiefer ein Sushi Thanksgiving Dinner zu organisieren. Rockstar-Familien-Leben. Obwohl Kristin sich nicht als "Star" bezeichnen würde. Vor kurzem hat sie sich von den Throwing Muses trennen müssen - wegen der finanziellen Seite. War's das mit den Muses?
Kristin: Ja, es sei denn, einer von uns gewinnt im Lotto. Es ist eine Schande, denn ich denke, daß es perfekt war. Ich wäre gerne für immer mit den anderen zusammen geblieben, aber wir konnten uns einfach keine weitere Tour oder ein weiteres Album mehr leisten. Unser Erfolg war es, die Alben machen zu können, die wir machen wollten. Es ist schade, daß es hier in Europa keine Abschieds-Tour gegeben hat - meine Schwangerschaft kam dazwischen und da war es mir einfach zu gefährlich.

Was ist also genau geschehen, denn die Situation der Muses hat sich ja in den Jahren nicht verändert.

K.: Unsere Schulden bei Warner Brothers wuchsen schnell an. Wir haben getan, was wir konnten, wir gründeten unser eigenes Label, verabschiedeten uns von Warner Brothers und unterschrieben bei einem Indie-Label, das uns immerhin noch die Chance gegeben hat, mindestens eine weitere Tour und ein Album zu machen. Aber man kann einfach nicht mehr dem Job nachgehen, wenn man ständig auf Tour ist, und wir waren schon 30 zu diesem Zeitpunkt.

Nun, es ist aber auch immer dasselbe mit den großen Plattenfirmen: Wenn Du nicht das ablieferst, was sie erwarten, bist Du in Schwierigkeiten. Wenn sogar Bands wie die Throwing Muses, die eine loyale Anhängerschaft hatten und einen mittelmäßigen Erfolg, nicht bestehen können - wie dann erst neue Bands? Später im Gespräch erzählt mir Kristin, daß Warner Brothers ihre Stiefschwester Tanya Donelly (in ihrer Band spielt nun Muses-Drummer David Narcisco) gezwungen haben, ihre Solo-Platte nach dem Geschmack der Plattenfirma aufzunehmen, ehe sie veröffentlicht wurde - eine Sache, die Tanya nicht mal ansatzweise erwähnt hat, als ich letztens ein Interview mit ihr führte! Glücklicherweise gibt es da noch Label wie 4AD, das beide hier in Europa gesigned haben. Wie ist also Kristin ihre neue Solo-Platte angegangen?

K.: Dieses Album war schon geplant, bevor ich in Umständen war. Ich habe viel über akustische Instrumente und Shows durch mein letztes Album, "Hips And Makers", gelernt. Das hat die Produktion einfacher gemacht, und dieses Album hat sich praktisch von selbst entwickelt. Ich habe es in Joe Henry's Garage (Joe Henry ist ein cooler amerikanischer Singer/Songwriter, der zufällig eine Garage hatte und diese in ein Studio umgewandelt hat) aufgenommen, und habe alles alleine gemacht. Mein ursprünglicher Plan war es, die Platte mit einer Kombo einzuspielen - Piano, Standbass, Schlagzeug-Pinsel, etc. - Ich habe mal einen Gig mit Giant Sand gespielt, und sie boten mir dies an. Aber als ich dann jeden Tag an die Arbeit ging, war immer etwas zu tun - takes, overdubs, etc. Dann war die Platte auf einmal fertig. Es kam nie zu diesen Sessions, wo die Musiker rein- und rausgingen - und plötzlich war alles fertig.

Es gibt viele verschiedene Sounds wie z.B. Streicher und dergleichen...

K.: Ja, aber das ist alles gesampled. Joe hat viele gute Samples - Cello, Mellotron, etc. - und das war auch einer der Gründe, warum ich die Platte dort aufgenommen habe.

Wo wir gerade beim Thema Cello sind: Das letzte mal hat mir Kristin erzählt, daß sie eher vorsichtig mit dem Einsatz von Cellos umginge, denn sie würden zu dramatisch klingen.

K.: Stimmt, aber das ist okay. Akustische Musik wirkt leicht dramatisch in einer melancholischen Weise. Nicht dramatisch im eigentlichen Sinne, und es ist schwierig, davon los zu kommen. Ich denke z.B., daß diese Songs sehr happy sind. Aber mit dieser Art von Sound ist da immer etwas Melancholie im Hintergrund.

Kristin wird eine Solo-Tour starten. Bei einer Akustik-Show ist gewöhnlich ein sehr lautes Hintergrund-Geblubber der Leute im Publikum zu hören - nervt das nicht, wenn man solo spielt?

K.: Wirklich? Ich wünschte, es wäre lauter wenn ich spiele! Diese Ruhe ist genauso wie im Film. Meistens frage ich nach Stühlen, so daß die Leute aufmerksamer sind. Als ich die ersten Akustik-Shows spielte, war es ganz fürchterlich für mich, denn ich war ja nunmal das Muses-Publikum gewohnt. Wenn man nun einen Gig spielt, und man kann eine Nadel fallen hören, kann das schon sehr unangenehm sein, und das hat mich schüchtern gemacht. Aber nach und nach habe ich dann erkannt, daß der Grund für diese Ruhe die Tatsache war, daß die Leute Geld dafür bezahlten, um einen Song in diesem Raum zu hören. So habe ich dann erkannt, daß die ihren Teil machen und ich meinen Teil, und das war genau das, was jeder wollte. Das ist großartig, denn schwierige Songs wie "Strange Angels" funktionieren nicht, wenn nicht jeder seinen Teil macht.

Auf der anderen Seite: Die Songs auf "Angels" klingen nicht nach den typischen Folk-Songs. Konnten sie nicht auch einfach Muses-Songs, also Rock-Songs, sein?

K.: Danke, daß Du das sagst. Die Songs sind eher so wie ich. Ich bin zwar nicht unbedingt stolz darauf, aber ich denke, ich habe eine "Rock-Brat"-Anschauung. Ich habe definitiv nichts mit der harmlosen Folk Musik zu tun. Zum Beispiel: Ich habe Piano auf "Angels" gespielt - da bin ich nicht besonders gut drin, denn ich bevorzuge die Gitarre. Wenn Du Tasten hast, ist es immer so sauber und glatt. Du hast alles in einer Reihe, und Du kannst Dir nicht die Finger wie beim Gitarren-Spielen blutig spielen. Also, ja, ich bevorzuge die Rock-Methode.

Wie immer sind Kristin's Texte ein wenig verwirrend. Das kommt vielleicht manchmal davon, daß sie sie oft selbst auch nicht erklären kann. Zum Beispiel "Gazebo Tree": Das war ein Bild, daß ihr in Bezug auf Frieden und Schutz einfiel, aber nicht mehr zu sagen konnte. Aber es gibt auch sehr viel persönliches:

Kristin Hersh
K.: "Heaven" ist der einzige Song, den ich in der Wüste geschrieben hatte, als wir gerade in die Mojave Wüste gezogen waren. Dieser Song scheint davon zu handeln, daß man eine Pause braucht. Als die Band sich getrennt hatte, war ich sehr depressiv. Mein ganzes Ich hat sich komplett zurückgezogen, und es war auch irgendwie nötig. Ich hatte keine Pause seit ich 14 Jahre alt war, und dieser Song sagt aus, daß es okay ist, mal eine Pause zu machen.

Und warum seid Ihr in die Wüste gezogen?

K.: Die Muses hatten mal ein Photo-Shooting draußen am Joshua Tree, und Billy, mein Mann, hat sich sofort in die Landschaft verliebt. Und da ich nie unbedingt auf eine bestimmte Landschaft eingeschossen war - außer dem Ozean, aber da kann man ja nicht leben - habe ich zugestimmt. Es ist unglaublich dort - ich kann nicht aufhören, davon zu erzählen, und eigentlich hasse ich die Hitze und den Sonnenschein! Es ist sehr hart jetzt zu touren, denn dann müssen wir für eine Weile von dort weg. Ich mag die Art, wie unsere Familie in der Natur lebt - es ist groß, und unsere Nachbarn sind wirklich weit entfernt. Da interessiert es einen nicht, was in der Welt passiert und man fühlt sich einfach frei.

Heutzutage scheint Kristin Hersh sehr glücklich und im Gleichgewicht zu sein - aber sie hat dennoch nicht die Fähigkeit verloren, on-the-edge-style Songs zu schreiben, die sofort die Aufmerksamkeit auf sich ziehen und einem Stoff zum Nachdenken geben. Es wird sicherlich interessant sein, ihre weitere Entwicklung zu verfolgen.

[Erstveröffentlichung in Gästeliste #1, August 1998]

Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Ullrich Maurer-

Aktueller Tonträger:
Strange Angels
(4AD/Zomba)

 
 

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