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VAN WILLIAM
 
"Ein paar Werkzeuge mehr wären gar nicht so verkehrt!"
Van William
Der Name ist neu, der Mann dahinter allerdings ist ein alter Bekannter: Van William Pierszalowski war rund ein Jahrzehnt lang Frontmann der Indie-Darlings Port O'Brien und Waters, bevor der aus Kalifornien stammende Musiker nun zwischen Folk und Rock, aber auch ohne Scheu vor popmusikalischer Eingängigkeit unter eigenem Namen mit dem just veröffentlichten Album "Countries" einen Neustart wagt.
Aufgenommen wurde die LP mit dem an die Studiowand gepinnten Cover von Neil Youngs "On The Beach" als Inspiration und hochkarätigen Freunden aus seiner derzeitigen Heimat L.A. wie Dawes-Drummer Griffin Goldsmith, dem früheren Morning-Benders-Frontmann Chris Chu am Bass und Tam Visher an den Keyboards. First Aid Kit, die Van William im Jahre 2009 mit Port O'Brien auf ihre allererste Europatournee überhaupt mitnahm, sind seine Duettpartnerinnen bei der Single "Revolution".

Mit der LP ändert der heute 33-jährige Van William aber nicht nur seinen Sound, sondern ein Stück weit auch die Perspektive. Geschrieben in einer Zeit des Umbruchs für ihn - fast zeitgleich verlor er seine letzte Band, seine langjährige Freundin und sein zweites Standbein als Lachsfischer in Alaska, da sein Vater sich nach 50 Jahren in dem Gewerbe unlängst zur Ruhe setzte -, schlägt er textlich die Brücke von privatem Unglück und karrieretechnischen Rückschlägen zum Klima der allgemeinen Unsicherheit im Amerika des Donald Trump und findet dabei bisweilen verblüffende Parallelen. Die Songs, die so entstanden, sind gleichermaßen therapeutisch und jubilierend.

Bevor Van William im Herbst mit seiner Band auf Headline-Tournee nach Deutschland zurückkehren will, stand er im März als Special Guest von First Aid Kit auf der Bühne. Gaesteliste.de traf ihn vor seinem Auftritt in der Großen Freiheit in Hamburg, um mit ihm für über seinen Neuanfang, veränderte musikalische Koordinaten und die bemerkenswerten Parallelen zwischen dem Leben als Fischer und als tourender Musiker zu sprechen.

GL.de: Es sind inzwischen rund zehn Jahre vergangen, seitdem du mit Port O'Brien erstmals für Aufsehen gesorgt hast. Was ist der größte Unterschied zu damals?

Van William: Ich fühle mich schon ein wenig älter, aber trotzdem bin ich noch genauso begeistert, wenn ich auftreten kann. Bei Port O'Brien schwebten die Dinge an mir vorbei und ich ließ mich einfach treiben. Jetzt bin ich viel fokussierter und überzeugter von der Platte, mit der wir gerade auf Tour sind. Mit zunehmendem Alter wird ja alles immer ein bisschen schwerer, aber ich bin trotzdem noch voll bei der Sache!

GL.de: Wie kriegst du das denn hin, dich nach all den Jahren für noch ein weiteres Interview, noch ein weiteres Konzert zu motivieren?

Van William: Ich habe das Gefühl, dass es für mich keine Alternative gibt. Ich wüsste nicht, was ich tun sollte, wenn ich keine Platten machen und auf Tour gehen könnte. Der kommerzielle Fischfang in Alaska war das Einzige, was ich mir abseits davon vorstellen konnte, aber jetzt, da mein Dad in Rente ist - er hat gestern sein Boot verkauft, gestern! -, ist das keine Option mehr. Es wird der Punkt kommen, an dem ich mir dazu ernsthaft Gedanken machen muss, aber noch bin ich nicht in Eile, eine Familie zu gründen. Viele meiner Freunde in L.A. haben Kinder, aber daran hätte ich zum jetzigen Zeitpunkt noch keinen Spaß. Deshalb lebe ich einfach noch ein bisschen den Traum!

GL.de: Interessanterweise wirst du in der deutschsprachigen Presse bisweilen als "Newcomer", als "junger Singer/Songwriter" beschrieben, obwohl du ja mit Port O'Brien und Waters nun wirklich schon ein paar Runden um den Block gemacht hast. Bist du trotzdem gerne "der Neue"?

Van William: Oh ja, das ist toll! Wenn jemand denkt, ich sei jünger, als ich tatsächlich bin, ist das ein kleiner Triumph für mich (lacht). Die Menschen, die meine früheren Bands kennen, wissen natürlich Bescheid, aber mir gefällt der Gedanke, dass manche Leute meine Musik jetzt als neu wahrnehmen, denn für mich ist es ja ähnlich. Verglichen mit meinen früheren Projekten sind diese Art von Songs und Produktion Neuland für mich. Wenn ich also in bestimmten Medien als Newcomer wahrgenommen werde, finde ich das prima.

GL.de: Dein Vater ist jetzt in Rente, deine Bands gibt es nicht mehr, eine langjährige Beziehung ging auch in die Binsen, ganz zu schweigen von der schwierigen politischen Situation in den USA. Eigentlich ein guter Zeitpunkt für einen Neuanfang, aber gleichzeitig muss das auch ein bisschen angsteinflößend sein?

Van William: Ja, auf jeden Fall, wenngleich man das natürlich in gewisser Weise über jeden Neustart sagen kann. Auch als ich Waters gestartet habe, hatte ich anfangs ein wenig Schiss, dass es nicht klappen könnte. Vor einigen Jahren hätte ich mir auch noch nicht vorstellen können, dass ich mit 31 noch mal ganz von vorn anfange, aber wie schon gesagt hatte ich einfach das Gefühl, dass die Musik die einzige Option für mich ist. Gerade vor dem Hintergrund, was das orangefarbene Monster derzeit in den USA veranstaltet, erscheint mir kreativ zu sein und sich zusammenzuschließen als der einzig richtige Weg, und die Musik war schon immer mein Mittel, um das zu erreichen. Das gilt seit der Wahl noch mehr als je zuvor.
GL.de: Gewissermaßen ist die Kunst also deine Art, die bösen Geister zu vertreiben. Aber kann Unglück ganz allgemein nicht auch ein guter Motor für die Kreativität sein?

Van William: Absolut! Das ist ja fast schon stereotypisch, aber als ich die Trennung durchmachte und all die existenzialistischen Ängste hochkamen, weil meine Karriere in einer Krise steckte - das war mit Abstand mein kreativer Höhepunkt. Es war fast so, dass ich genoss, so traurig zu sein, weil die Lieder nur so aus mir herausflossen. Es gibt da diese Zeilen von Kurt Cobain auf "In Utero": "I miss the comfort of being sad". Das ging mir ständig um im Kopf herum, denn Traurigkeit kann in der Tat wie eine Decke funktionieren, wenn auch nicht für lange. Traurigkeit oder Depression sind zwar keine wärmende Decke, aber sie bieten dir eine Art von Schutz vor der Realität der Welt.

GL.de: Kennst du auch das Gefühl, dass das Songwriting mit der Zeit eher schwerer als leichter wird, weil mit der größeren Erfahrung auch die Ansprüche steigen?

Van William: Ja! Schon sehr früh habe ich deshalb versucht, mich nicht zu viel mit Musiktheorie zu beschäftigen. Ich habe die Universität von Kalifornien in Berkeley besucht und hätte beinahe wie all die Freunde aus meinen Bands damals Musik studiert. Nach ein paar Kursen stellte ich allerdings fest, dass mich das total abturnte. Ich bin mit Punkrock aufgewachsen, und für die Art von Musik, die ich machen will, musst du nicht allzu viel Theorie kennen - und das ist ein Teil dessen, was ich daran so toll finde. In letzter Zeit bin ich mit meinem Songwriting aber an einen Punkt gekommen, an dem ich dachte: "Ein paar Werkzeuge mehr wären gar nicht so verkehrt!" Deshalb habe ich mich ganz langsam dem Piano genähert und mehr über Programmierung und Aufnahme gelernt und so meinen Horizont etwas erweitert. Manchmal kommen mir inzwischen nämlich Melodieideen in den Kopf, die ich einfach nicht spielen kann. Das kann ganz schön frustrierend sein!

GL.de: Wo hört für dich das Songwriting auf und wo beginnt das Arrangieren und Produzieren? Trotz durchaus ernster Inhalte klingen deine Lieder ja oft nach jubilierendem Pop!

Van William: Für mich gehört das alles zusammen. Ich kann keinen Song schreiben, ohne sofort auch darüber nachzudenken, wie er ausgeformt klingen soll. Sobald ich einen Melodiebogen habe, nehme ich sofort ein Demo mit Schlagzeug auf, um den Rhythmus festzulegen - noch bevor ich überhaupt einen Text habe. Letztlich bin ich wohl immer schon ein Pop-Songschreiber gewesen, denn ich mag Struktur und Melodien, auch wenn das sicherlich über die Jahre zugenommen hat. Bei Port O'Brien waren meine Songs manchmal eher dahingeworfen, jetzt gehe ich viel perfektionistischer an die Arbeit.

GL.de: Pop ist heute selbst in der Indie-Welt ja kein Schimpfwort mehr. Noch vor zehn, fünfzehn Jahren war das ja noch ganz anders...

Van William: Oh ja, absolut. Als ich in der Highschool und im College war, hasste ich alles, was "Pop" hieß. Es war in meinem Freundeskreis einfach nicht akzeptabel, Popmusik gut zu finden. Selbst als eine meiner damaligen Lieblingsbands, Modest Mouse, ihr erstes Majoralbum "Good News For People Who Love Bad News" veröffentlichten, dachte ich: "Fuck this!", obwohl die Platte rückblickend betrachtet gar nicht so anders klingt als ihre vorherigen. Damals hielt ich das aber für einen Riesenverrat. Das Album, das alles für mich änderte, war "Alright, Still" von Lilly Allen. Als ich das hörte, dachte ich: "Wenn ich keine Freunde hätte, die mir sagen, was cool ist oder nicht, dann würde ich diese Platte lieben" - und letztlich habe ich diesem Gefühl einfach nachgegeben. Das war die Zeit, als ich mit Port O'Brien anfing, aber bis die Popmusik sich auch in meinen eigenen Sachen durchsetzte, dauerte es noch ein bisschen. Produktionstechnisch würde ich natürlich nie so weit gehen wie Lilly Allen, aber ich leihe mir gerne ein paar Elemente davon aus.

GL.de: Wir sprechen oft mit Musikern, die sich schwertun, ständig auf Tour sein zu müssen, weil man mit Platten heute kein Geld mehr verdienen kann. Du scheinst durch den Fischer-Job perfekt auf das Unterwegssein als Musiker vorbereitet zu sein!

Van William: Oh ja, es ist verrückt, wie ähnlich sich die beiden Jobs sind. Du bist wochenlang mit den gleichen Leuten auf engstem Raum zusammen, und jeder neue Tag ist praktisch wie der vorherige und doch auch aufregend und seltsam und abwechslungsreich. Gleichzeitig ist das Ganze sehr kräftezehrend und es riecht immer ein bisschen streng, und auch wenn du am Ende überglücklich bist, dass es vorbei ist, aber gleichzeitig bist du auch ein wenig traurig, weil du so daran gewöhnt bist. Die Gemeinsamkeiten sind geradezu unheimlich! Der einzige Unterschied ist, dass ich beim Fischen immer mehr Geld verdient habe (lacht).

GL.de: Hast du irgendwelche Tipps? Wie schaffst du es, weder auf See noch auf Tour durchzudrehen?

Van William: In beiden Situationen hilft es mir, Musik zu hören. Dann kann ich ganz bei mir selbst sein und es gelingt mir, mich mit einer gewissen Friedfertigkeit zu umgeben. Es gibt bestimmte Platten, die ich auflege, wenn ich ziemlich gestresst bin und wenn sie durchgelaufen sind, merke ich, dass ich viel ruhiger und friedvoller bin. Ich lese auch viel und versuche ganz allgemein, gut auf mich aufzupassen. Wenn du die ganze Zeit auf dein Telefon starrst und dich auf Twitter rumtreibst, kannst du praktisch hören, wie dein Gehirn verrottet.

GL.de: Während heute die Tendenz besteht, unmissverständliche politisch motivierte Songs zu schreiben oder Lieder als reine Realitätsflucht zu verwenden, bringst du Privates und Politisches zusammen. War das Konzept?

Van William: Ja, deshalb heißt die Platte auch "Countries"! Viele der Songs handeln ursprünglich von dem Ende einer Beziehung, aber ich schrieb sie zur Zeit der Präsidentschaftswahl und dachte deshalb mehr in politischen Begriffen und mir fiel auf, wie viele Analogien es gibt. Ich stellte mir die Menschen in einer Beziehung als zwei Staaten vor, die miteinander klarkommen müssen, ohne sich den Krieg zu erklären, und miteinander verhandeln, ganz egal, ob sie nun Güter austauschen oder kulturelle Ideen für ein Zusammenleben. Auf dieser Grundlage entstanden Songs wie "Fourth Of July", "Country" oder "Revolution". All diese Songs sind in erster Linie Trennungslieder, aber sie funktionieren auch als politische Parabeln.

GL.de: Wenn die Sprache auf klassische Trennungsalben kommt, welche fallen dir zuerst ein?

Van William: Oh... "Sea Change" von Beck, die Platte war neben "On The Beach" ein großer Einfluss während der Arbeit an "Countries". Außerdem "Didn't It Rain" von Songs: Ohia, obwohl ich gar nicht weiß, ob das wirklich eine Trennungsplatte war. Beide Alben sind unglaublich traurig. "Countries" ist da viel fröhlicher, weil ich mich beim Schreiben nicht nur auf das Ende unserer Beziehung gestürzt habe und mehr darüber schreiben wollte, wie wir uns kennengelernt haben und darüber, dass die Liebe die stärkste Droge überhaupt ist. Gleichzeitig gibt es auch einen Song wie "The Middle", der von dem großen Abschnitt in jeder Beziehung handelt, in dem alles einfach nur okay ist. Die Trennungssongs schreiben sich ganz von allein, die anderen sind deutlich schwerer, zumindest für mich.

GL.de: Nachdem deine letzte Trennung so eine große Inspiration für das Album war: Von wem trennst du dich denn für deine nächste Platte?

Van William (schüttet sich aus vor Lachen): Hoffentlich nicht von meiner derzeitigen Freundin, denn ich habe sie wirklich gern! Nein, im Ernst: Der Verlust meiner Verbindung zu Alaska fühlt sich wie eine Trennung an. Das passierte, nachdem die meisten Lieder für "Countries" entstanden waren, und deshalb wird das nächste Album vermutlich davon handeln, mich von diesem Ort und dem Leben als Fischer zu verabschieden, das ein genauso großer Teil von mir ist wie eine frühere Partnerin, vielleicht sogar mehr, weil die Fischerei zu meinem Leben gehört hat, seit ich geboren wurde.

GL.de: Natürlich kommen wir nicht ohne eine Frage zu First Aid Kit aus. Die meisten fragen ja, wie ihr euch kennengelernt habt. Wir wollen aber lieber wissen, was für dich der schönste Moment mit Karla und Johanna war, deine liebste Erinnerung?

Van William: Oh, da gibt es so viele. Die schönste Erinnerung ist vielleicht, wie wir uns nach all den Jahren wieder getroffen haben. Wir waren ja 2009 zusammen auf Tour, aber damals waren wir keine Freunde - außer auf Facebook. Wir haben uns dann erst vor zwei Jahren auf einer Party in Los Angeles zufällig getroffen und uns zu dritt für den nächsten Tag verabredet, und ich fand es schon ein bisschen aufregend, wieder mit Klara und Johanna abzuhängen. Wir haben uns zusammen die schwedische Band Dungen im Echoplex angeschaut. Kaum waren wir dort, hatte ich das Gefühl, dass wir drei seit unserer Geburt beste Freunde sind! Wir hatten einen Riesenspaß zusammen, sind nach dem Konzert noch zum Karaoke gegangen und haben uns anschließend noch im Hotel betrunken. Wir haben uns dann den Tag darauf wieder getroffen und den Tag darauf, und dann haben sie auf meiner Platte gesungen. Ich bin ein ziemlicher Einzelgänger und finde nicht so leicht neue Freunde, deshalb erinnere ich mich noch so genau an den Abend bei der Dungen-Show, weil ich dachte: "Wow! Das ist wirklich etwas ganz Besonderes!" Gute Frage übrigens, ich weiß es sehr zu schätzen, dass du nach einem anderen Aspekt gefragt hast!

GL.de: Letzte Frage: Was macht dich derzeit als Musiker am glücklichsten?

Van William: Am glücklichsten fühle ich mich, wenn ich mir zu neuen Songs Gedanken mache. So gerne ich die Songs von "Countries" noch live spiele - ich habe an dem Album zwei Jahre lang gearbeitet, und deshalb fühlen sich die Lieder für mich etwas alt an. Ich freue mich, bei Soundchecks an neuen Ideen arbeiten zu können. Ich bin immer dann happy, wenn ich ein Projekt habe. Ohne bin ich oft ziellos, verschwende meine Zeit und fühle mich depressiv, aber wenn ich etwas zu tun habe, wenn ich mittendrin bin, dann bin ich glücklich!

Weitere Infos:
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Interview: -Carsten Wohlfeld-
Foto: -Pressefreigabe-
Van William
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