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MINISTRY
 
"Unsere besten Songs müssen erst noch geschrieben werden"
Ministry
"Ich kenne unsere Fans, und ich traue ihnen nicht über den Weg!", sagt Al Jourgensen und lacht. Zusammen mit Paul Barker sitzt er im Frankfurter Interconti-Hotel und beantwortet ungewohnt gelassen die Fragen von Gaesteliste.de. Von der drogenzerfressenen Vergangenheit Ministrys, die 1999 in dem Album "Dark Side Of The Spoon" und dem Rauswurf bei ihrem langjährigen Label Warner Brothers gipfelte, ist kaum noch etwas zu spüren. "Abgesehen davon wollen wir sogar, dass uns unsere Fans uns auch nicht trauen können", ergänzt Paul, "denn nur so ist sichergestellt, dass sie nicht vorhersagen können, was wir machen werden." Wie Recht er mit dieser Aussage hat, beweist das neue, ungemein aggressive und schnelle Ministry-Album "Animositisomina". Erstmals seit vielen Jahren wollen die zwei Amerikaner ihren Fans offensichtlich nicht mehr vor den Kopf stoßen.
Die Gitarren klingen nicht selten ebenso großartig wie auf dem Über-Album "Psalm 69", und im Gegensatz zu den letzten beiden Platten ist der Gesang viel weniger verzerrt, manch einer fühlt sich sogar an die 1986er Platte "Twitch" erinnert. "Broken" knüpft an den Burner "Scarecrow" an, die new-wavige Coverversion des Magazine-Songs "The Light Pours Out Of Me" gehört mit zu den besten Ministry-Stücken überhaupt, und das rabenschwarze, soundtrack-mäßige Instrumental "Leper" scheint mit seinen neun Minuten (!) Pink Floyds "Echoes" Konkurrenz machen zu wollen. "Wir wollten, dass die Platte auch Atempausen hat, dass sie wie eine Achterbahnfahrt ist und nicht nur eine potentiale Single nach der nächsten", erklärt Al. "Wenn du so an eine Platte herangehst, kommt nur ein mittelmäßiges Album heraus, weil alles zu gewollt klingt. Das überlassen wir lieber anderen. Unsere Platte sollte als Einheit, als Zeitkapsel funktionieren." Ein Plan, der aufgegangen ist. "Zu diesem Prozess gehört sicherlich, dass wir bei Warner Brothers rausgeflogen sind und Sanctuary uns unter Vertrag genommen hat. In mancher Hinsicht konnten wir mit dieser Platte wieder ganz von vorne anfangen", erklärt Paul, und Al ergänzt: "Sanctuary hat uns gesagt: 'Wir können euch nicht das Geld bieten, das ihr woanders verdienen könnt, aber wir geben euch völlige künstlerische Freiheit'." Das hatte zur Folge, dass Al und Paul eine für sie ungewohnte Herangehensweise ausprobierten. Anstatt die Platte im bandeigenen Studio aufzunehmen, verschanzten sich die zwei in einer texanischen Kleinstadt nahe der mexikanischen Wüste und spielten dort in nur drei Monaten die neue Platte ein. "Auf diesem Album gibt es nichts, was von der Herangehensweise auch nur im Entferntesten an frühere Platte erinnert", meint Al dann auch folgerichtig. "Wir haben beschlossen, dass wir diese Erfahrung als Entwurf für unsere nächste Platte benutzen wollen, allerdings ist jedes neue Album wie eine Reise - wer weiß, wo sie uns hinführt! Weil wir nur zwei Leute sind, ist es uns wichtig, nicht schon zu viel ausgearbeitet zu haben, bevor wir ins Studio gehen, denn erst dort hast du Zugriff auf alles, um auf kreative Weise deine Träume in Musik zu verwandeln. Wenn du schon vorher zu viel festlegst, verlierst du im Studio nur zu viel Energie und verrennst dich in Details."

Die Songs des neuen Albums spiegeln nicht nur die wiedergewonnene Lebensfreude der beiden wider, sondern auch den Versuch, an die großen Zeiten der späten 80er und frühen 90er anzuknüpfen, in denen die Band mit Platten wie "The Land Of Rape And Honey", "The Mind Is A Terrible Thing" oder "Psalm 69" ihren Platz auf dem Industrial-Olymp zementierten. "Wir haben anfangs versucht, diese Platte ähnlich wie 'Psalm 69' anzugehen", erinnert sich Al. "Damals haben wir uns irgendwo im Nirgendwo abgeschottet, und das hatte zur Folge, dass wir uns fast gegenseitig umgebracht hätten. Dieses Mal haben wir das gleiche getan - und es funktionierte großartig. Egal, was du machst, ob du isst, ob du schläfst, ob du atmest - es geht immer nur um die Musik. So weit weg von zu Hause hat uns noch nicht mal jemand angerufen. Alles, was wir hatten, waren wir selbst und die Musik. 'Dark Side Of The Spoon' waren 14 Monate endloser Frustration, und bei 'Filth Pig' waren es zwölf Monate. Ich finde diese Platten großartig, ich liebe sie, aber immer wenn wir einen Gipfel erklommen hatten, kam direkt der nächste in Sicht. Es war ein ständiges Auf und Ab!"

Für die neue Platte nahmen Ministry nicht wie sonst zuerst die Musik und erst zum Schluss den Gesang auf, sondern sie stellten Stück für Stück komplett fertig. Die Schwierigkeit bei dieser Step-By-Step-Herangehensweise war allerdings, zum Schluss auch wirklich Songs zu haben, die auf einem Album eine Einheit bilden würden. "Ja, das stimmt, an der Reihenfolge der Stücke haben wir ziemlich lange gefeilt", gibt Paul zu. "Bei einigen Songs war von Anfang an klar, wo wir sie auf dem Album platzieren würden. 'Leper' zum Beispiel war ein klassischen Schlussstück. Beim ersten Stück der Platte war es schon schwieriger. 'Lockbox' war dafür ebenfalls ein Kandidat. Es war oft so, dass wir einen neuen Song fertig gestellt haben und davon so begeistert waren, dass wir gleich sagten: 'Das ist das beste Stück, das muss an den Anfang'! Also haben wir uns zum Schluss mit ein paar Wochen Abstand noch einmal daran gesetzt." Die alte Maxime, dass die Musik von Ministry in erster Linie für Al und Paul selbst sei, ist allerdings weiterhin unverändert. Und auch wenn über die Jahre eine Vielzahl von Schubladen für die Band bemüht worden ist, einer bestimmten Szene fühlen sie sich nicht zugehörig, wie Paul erklärt: "Wir spielen ja viel live, also wissen wir, wie unsere Fans aussehen und welche Art von Musik sie mögen, auch wenn das natürlich nicht bedeutet, das wir auch wissen, was in ihren Köpfen vorgeht. Wir haben aber keine Lust, ihnen genau das zu geben, was sie wollen. Zum Szenegedanken: Vor 15 Jahren, als Wax Trax groß rauskam, waren wir natürlich ein Teil dieser Szene, aber das war eher zufällig, weil wir dort waren und eben unsere Platten auf dem Label veröffentlicht haben. Es war nicht so, dass wir gesagt hätten: 'So, jetzt bilden wir eine große Gemeinschaft'."

Ministry
Ministry gehen lieber eigene Wege, selbst wenn es um die Wahl des Equipments geht. "Wir benutzen die Technik nur als Mittel zum Zweck, und das war auch immer schon so", weiß Paul, und Al fügt an: "Okay, wir benutzen auch ProTools, aber das bedeutet trotzdem nicht, dass wir deshalb Musik machen, die auch so klingt. Wir benutzen also ähnliches Equipment wie viele andere Bands, der Unterschied ist nur, dass wir nicht so faul sind und auf die mitgelieferten Sounds zurückgreifen. Das macht einen großen Unterschied." Obwohl sich nach zwanzig Jahren Ministry unzählige Bands - von Front Line Assembly über Helmet und Marilyn Manson bis Nine Inch Nails - als Fans des Duos geoutet haben, dass Ministry morgens das Radio anstellen und ein Stück hören, bei dem sie denken würden: 'Hey, die haben uns die besten Ideen geklaut', kommt trotzdem nicht vor. "Wir haben nie das Gefühl, dass uns jemand die besten Ideen geklaut hat, denn sie haben noch nicht einmal den leisesten Schimmer, was unsere besten Ideen sein werden!", erklärt Paul grinsend, und Al fügt an: "Unser Motto lautete ja schon von Anfang an: 'Unsere besten Songs müssen erst noch geschrieben werden'." In wenigen Tagen bereits rollt übrigens die Ministry-Tour mit zwei Auftritten in Berlin und Oberhausen durch das Gaesteliste.de-Sendegebiet. Die neue achtköpfige Besetzung der Band mit zwei Schlagzeugern lässt auf ein ohrenbetäubendes Spektakel schließen, das man in dieser Form auch schon länger nicht mehr von Ministry gesehen hat. Schließlich war das letztes Jahr veröffentlichte Livedokument "Sphinctour" gut, aber nicht großartig. Das ultimative Live-Werk der Band ist jedenfalls auch weiterhin "In Case You Didn't Feel Like Showing Up" von 1991, das die Posies vor drei Jahren als Titel für ihre Duo-Akustikplatte zu "In Case You Didn't Feel Like Plugging In" umfunktionierten. "Das ist interessant", sagt Paul. "Chris Connelly [der langjährige Ministry-Mitstreiter] macht solche Akustiktouren im kleinen Kreis seit Jahren!" Stellt sich abschließend die Frage, ob sich Ministry auch vorstellen könnten, nur mit der Wandergitarre bewaffnet zu zweit auf Tour zu gehen? "Auf jeden Fall", antwortet Al wie aus der Pistole geschossen, aber Paul fügt breit grinsend an: "Die Frage ist nur, wer würde mit dir alleine auf Tour gehen wollen?"
Weitere Infos:
www.animositisomina.com
www.prongs.org/ministry
Interview: -Carsten Wohlfeld-
Fotos: -Pressefreigaben-
Ministry
Aktueller Tonträger:
Animositisomina
(Sanctuary/Soulfood)

 
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