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EYES ADRIFT
 
Jenseits der Unterhaltung
Eyes Adrift
Unauffälliger geht es nicht mehr: Hinter dem Namen Eyes Adrift verbirgt sich ein gutes Jahrzehnt geballter Rock-Kompetenz: Curt Kirkwood - der ehemalige Vorsitzende der Meat Puppets - und Krist Novoselic, seines Zeichens Bassist bei Nirvana - kannten sich schon von den Touren, die sie Anfang der 90er mit ihren jeweiligen Bands bestritten hatten und Drummer Bud Gaugh (ehemals Sublime) meldete sich freiwillig. Fertig ist die neue Supergroup. Eigentlich aber, so verrät uns Curt, sind Eyes Adrift eher beiläufig entstanden. "Nun, Krist und ich hatten uns angefreundet, als wir die Rehearsals zu dem Nirvana-Unplugged-Special machten (anlässlich dessen Nirvana ja einige Meat Puppets Stücke einübten). Wir haben uns dann aber seit '94 nicht mehr gesehen. Als ich jetzt solo auf Tour war, habe ich ihn wieder getroffen. Wir unterhielten uns darüber, zusammen was zu machen, und dann meldete sich zufällig auch Bob Gaugh, den wir beide persönlich nicht kannten. Wir haben also quasi gewürfelt und uns dann spontan entschlossen, zusammen etwas aufzunehmen."
Wenn sich nun drei Musikanten zusammenraufen, die jeder für sich bereits für ein Musikerleben Erfahrung gesammelt haben, darf man ja zumindest gespannt sein, was dabei heraus kommt. Allzu oft sind es ja zunächst mal Jam Sessions. Eyes Adrift war dieser Umstand dann wohl auch bewusst, denn sie nutzten diesen Effekt offensichtlich auch gleich für das Album aus. Das Kernstück desselben heißt "Pasted" und ist etwa eine viertel Stunde lang. "Wir haben uns an drei Abenden getroffen und zusammen aufgenommen", erinnert sich Curt, "das Stück 'Pasted' heißt deswegen so, weil es tatsächlich 'zusammengeklebt' ist. Wir haben es auf Pro-Tools aus verschiedenen Sachen zusammengesetzt." Das ist ein lustiger Spaß und hört sich gar nicht nach irgendeinem Masterplan an - wie Plattenfirmen ihn ja heutzutage so gerne sehen (was wohl auch der Grund ist, warum auch Eyes Adrift auf dem momentan wichtigsten Label zur Erhaltung der Rock N Roll-Ethik gelandet sind). "Wir lernen noch", erklärt es Curt, "was du hörst, ist quasi die Geburt einer Band. Es war Krists Idee, den Song so lang zu machen. Ich hatte kein Problem damit, weil es atypisch ist. Weißt du, Pop Musik ist heutzutage so: Hier sind deine drei Minuten - wie in Amsterdam im Rotlicht-Bezirk." Ein sehr schöner und auch poetisch wertvoller Vergleich. Da interessiert es natürlich schon, was genau Curt damit meint. "Pop Musik ist bis zur letzten Note allesamt totaler Scheiß. Ich kann heutzutage absolut nichts finden, was ich mag. Es ist so seltsam." Da fragt es sich natürlich, welchen Zweck die Musik für Leute wie Curt - oder auch Krist - heutzutage erfüllt. Wollen sie sich lediglich selbst unterhalten? "Bis zu einem gewissen Grad - aber ehrlich gesagt, bin ich bereits jenseits der Unterhaltung angelangt", überlegt Curt. "Ich versuche, mich um offensichtliche Sachen zu kümmern. Ich bin so eine Art Treuhänder." Der Rock Musik? "Nein - eher einer bestimmten Ästhetik. Es ist ein bisschen abstrakt. Ich verwende Rockmusik als Medium. Aber die Botschaft ist jenseits des Mediums. Das Medium ist irgendwo unwichtig. Ich könnte Finger-Püppchen verwenden, wenn ich wollte. Ich könnte dies und jenes machen - und ich wünschte, ich könnte es ausbauen und mehr Malerei und so ein Zeugs machen. Aber leider habe ich momentan wenig Zeit. Aber es ist natürlich auch irgendwie unterhaltsam. Ich denke nicht, dass du wirklich etwas Neues machen kannst. Aber andererseits: Was ist denn eigentlich neu? Bestimmt das die Meinung der Masse oder irgendeinen Kritiker im Balkan? Wer definiert das? Ich will mich nicht in die Medien-Mechanismen einmischen. Es ist für mich mehr so was wie Alchemie. Ich mag das Feeling von Magie. Ich mag den Teil, der so ist wie in einem Zeichentrickfilm. Der Moment, wo aus etwas Leblosem etwas Lebendiges wird. Aber es geht auch wieder darüber hinaus - weil Musik eigentlich etwas simpler erscheint." Geht es dabei auch ein wenig darum, als "Schöpfer" tätig zu werden? "Definitiv. Darum geht es zum Beispiel bei 'Pasted'. Wir haben nun die Möglichkeit, diesen Song jede Nacht zu spielen und dabei musikalisch zu wachsen. Wir kommen ja eigentlich von der Pop-Musik. Und außerhalb dieser genannten drei Minuten eine weitergehende Botschaft zu haben, die über den Song hinausgeht, ist ja recht schwierig. Aber mit 'Pasted' folgen wir ja nicht diesen Schemata. Wir lernen gerade, den Song 'weniger' zu spielen. Offensichtlich hat er ein paar Grundstrukturen, aber wir verwenden diese als Startpunkte für Improvisationen. Und daran wachsen wir dann auch." Schön und gut - aber so richtig neu ist das ja auch nicht - und dafür braucht man keinen Kritiker aus dem Balkan. Was ist denn nun der besondere Kick daran? "Ich mochte nie diese Hippie-Bands, die es nach den Grateful Dead gegeben hat. Ich mochte die Grateful Dead allerdings ganz gerne. Bud und Krist auch. Aber Bud und ich waren Fans. Am Ende versuchen wir also unseren Teil zur guten alten 'Improv'-Musik beizutragen, es laut zu machen und der Jugend eine Katharsis zu verkaufen, es miasmisch zu machen und eine Alternative zu der beruhigenden, delphischen Stimmung dieser Garcia Rip-Off Bands zu bieten." Nur mal am Rande - und mit Hilfe eines Wörterbuches: "Katharsis" bedeutet Läuterung, "miasmisch" ansteckend und "delphisch" schwermütig und dunkel. Curt Kirkwood ist offensichtlich schon ein belesener Mann. Was hat dieser denn zum Thema "Supergruppe" zu sagen? Kann er den Begriff noch hören? "Nun, als die Meat Puppets sich aufgelöst haben, habe ich erwogen, meinen Solo-Act so zu nennen. Aber ich mag es nicht in Schubladen gesteckt zu werden. Ich bin dann drüber hinweg gekommen. Wir haben die Namen unserer Bands verwendet, um unsere live Tour zu promoten. Natürlich haben wir zunächst mal kleinere Venues gebucht - und es hat funktioniert. Das war also nicht schlecht. Was nun Krist betrifft: Wir haben nicht auf dem Nirvana-Ding herumgeritten. Wenn du aber in einer Band wie Nirvana warst, dann kannst du nicht einfach weiter Rockmusik spielen. Es funktioniert nicht, weil Nirvana zu kraftvoll waren und alles zerstören, was du versuchst. Auch für Dave Grohl - da bin ich mir sicher..." So wie im Falle von Krists gescheitertem Band Projekt Sweet 75? "Weißt du: Ich kenne das gar nicht. Ich mag Krist als Musiker und nicht, weil er in Nirvana gespielt hat. Du kannst dir aber vorstellen, was momentan los ist - mit der Nirvana Boxed-Set, mit Courtney Love, mit Kurts Journals. Es ist eine persönliche Sache. Die Toten soll man ruhen lassen. Wir haben eine neue Band." Nirvana ist also kein Problem für Eyes Adrift? "Der Staub legt sich momentan etwas. Ich stehe aber voll hinter Krist. Es war ja so, dass Krist bei Nirvana keine Songwriting Credits hatte. Deswegen wird ihm immer unterstellt, dass er da nichts zu sagen hatte. Weißt du, ich habe einen großen Respekt vor ihm. Wir sind eine Gruppe. Ich weiß nicht, was man von mir denkt, aber ich habe ja auch meine Potentiale. Ich habe auch Sublime und Nirvana durch meine Musik beeinflusst. Und nun bin ich mit denen zusammen in einer Band. Ich will nun nicht die Vergangenheit bloßstellen, weil wir alle unseren Beitrag geleistet haben, und manchmal ist es schwer es den Leuten verständlich zu machen, aber - hey - können wir mal nach vorne schauen? Wir lassen es am besten die Musik machen. Auf lange Sicht - so nach zwei, drei Platten - werden die Leute Eyes Adrift auch als Band wahrnehmen, da bin ich mir sicher." Nun ja, das wird man sehen. Vielleicht klappt es ja, wenn man nicht - wie Dave Grohl - ständig das Personal rotieren lässt. Wird denn auch beim Songwriting als Band gearbeitet? "Ja, wir arbeiten zusammen, wir bringen unsere Sachen mit. Ich schreibe viele Songs, aber auch Krist schreibt Sachen. Er singt jetzt auch - was er bis jetzt nicht gemacht hat. Wir üben noch, aber es wird schon." Und was hat es mit den seltsamen Charakteren in den Songs auf sich, von wem stammen die? Zum Beispiel "Jean Renée" in "Inquiring Minds"? "Oh das ist eine Schönheits-Königin aus Boulder, Colorado, die Weihnachten ermordet wurde. Man vermutete, dass es die Eltern waren. Es ist eine große Medien-Sache. Man holt immer das Bild von diesem Mädchen raus und sagt: Schau mal. Das ist ja größer als Cobain. Sie ist ein Poster-Motiv für die hingeschlachtete Unschuld. Und darum geht es auch in dem Song. Es geht auch um Ironie - denn wir singen auch über ihre Mutti." Es ist denn wichtig, dass Songtexte unverständlich - oder sagen wir mal "offen für Interpretationen" sind? "Das war mal wichtig für mich", gibt Curt zu, "manchmal will ich einfach die Syntax und Punktuation einbehalten, so dass du zwar das Zeug lesen könntest, aber nicht wüsstest, was du liest. Nimm zum Beispiel 'Slow-Race': Wenn es Sinn macht, macht es Sinn - wenn nicht, dann nicht. Dieser Song ist über Heroin-Missbrauch. Es ist mein 'Needle & The Damage Done'. Ich war ja noch nie so direkt. Was ich möchte, ist, es dem Hörer zu überlassen. Ich will nicht dem Hörer sagen, dass ich zum Beispiel meinen dritten Zeh liebe. Ich möchte dem Hörer sagen, dass sie mich in Ruhe lassen sollen - und zwar, weil ja schon alles gesagt worden ist." Was ist denn jetzt bitteschön die Funktion der Texte? "Ich mag gut geschriebene Sachen. Ich denke, ich bin ganz gut. Mir fallen immer kleine Schlenker und Dreher, kleine Wortspielereien ein. Ich versuche jedenfalls, kreativ zu sein - und nicht zu erzählen, wer wen auf der Highschool mag oder nicht. Das ist alles super, aber ich versuche so zu schreiben, wie Van Gogh Möbel und andere banale Sachen wirklich aufregend gemacht hat. Die reine Kraft der Kommunikation ist eine brillante Sache - zum Beispiel dass du überhaupt unterscheiden kannst, ob etwas Unsinn ist oder nicht. Da gibt es Lewis Carroll, William Shakespeare, Hank Williams... ich versuche immer noch, mich dem anzunähern. Da ist so viel zu sagen in dieser beschissenen kaputten Welt. Und die Leute haben keine Zeit sich das anzuhören, sie wollen es nicht, sie haben Angst davor, sie sind zynisch, sie denken, dass ich ein Wicht bin, weil ich nicht laut genug singe. Ich versuche etwas zu machen - und Unterhaltung ist nicht das richtige Wort - etwas, dass auch so sein sollte - mit Akkordwechseln drin. Die Bedeutung bedeutet nichts. Es geht um den Sound oder die Syntax. Ich bin diesbezüglich aber leicht zu befriedigen und hoffe, dass ich dieses Mal ein bisschen direkter bin, als sonst. So wie in dem Song 'What I Said', wo ich einige Überlegungen anstelle und dann zu dem Schluss komme 'Silence is better than nothing' - was ja absolut keinen Sinn macht." Oh doch: Wenn Du nichts zu sagen hast, dann sage es auch nicht. "Hm, stimmt, so habe ich das noch gar nicht gesehen, Es stimmt aber. Das ist wirklich gut!"
Eyes Adrift
Was will uns eigentlich der Name "Eyes Adrift" sagen? "Das hat sich Krist ausgedacht. Wir wollten eigentlich zunächst einen einsilbigen Namen haben - so ganz was blödes, wie 'Fawn' (Reh-Kitz) aber 'Phawn' geschrieben. Es bedeutet so was wie 'nicht fokussieren'. Es bedeutet aber nicht wirklich etwas Besonderes. Mir zum Beispiel fiel nichts Richtiges ein - jedenfalls nichts, was nicht schmutzig gewesen wäre." Was dürfen wir denn live erwarten? Auf der CD gibt es ja allerlei Effekte und Studiotricks. "Die Gitarreneffekte auf der Scheibe haben wir ja nur verwendet, weil es eben ging. Ich bin mit der elektrischen Gitarre aufgewachsen und mag das auch. Ich verwende auch nur eine. Wenn wir live spielen, ist es auch kein Art-Rock. Das mag auf der Scheibe zuweilen so erscheinen, aber wenn wir live die Stücke nicht eins zu eins kopieren, ist es definitiv kein Art Rock. Wir zeigen euch dann den blanken Hintern!"
Weitere Infos:
www.eyesadrift.com
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Michael Halsband-
Eyes Adrift
Aktueller Tonträger:
Eyes Adrift
(Cooking Vinyl/Indigo)

 
 

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