Nun ja: Einiges im Poe'schen Sounduniversum spricht ja schon dafür, dass sich David an den Liverpoolern orientiert - die vielseitige Instrumentierung, die komplexen Arrangements und auch die eine oder andere Harmoniefolge zum Beispiel. Aber ist es denn heutzutage nicht fast schon unpopulär - unhip - sich noch zu den Beatles zu bekennen? "Die Beatles sind meine Lieblingsband und ich finde dass das eine sehr eklektische Song-Auswahl ist auf dem weißen Album", erwidert David, "und wenn du dich schon von jemandem inspirieren lassen möchtest, dann kannst du auch gleich die besten nehmen, oder?" Gilt das jetzt nur für das Songwriting oder auch für die Attitüde? Denn wenn man sich Poe so betrachtet - sowohl auf Tonträger, wie auch live - lässt er sich ebenso wenig in ein fertiges Schema pressen, wie seine Vorbilder. Ein David-Poe-Konzert ist ein ständiges, organisches hin und her, auf und ab und ziemlich lebendig obendrein. Es scheint, als habe man hier noch Musiker, die aufeinander eingehen. "Das ist ein wenig komplizierter", räumt David ein, "ich komme z.B. von der Rock 'n' Roll Schule - im Gegensatz zu Rock. Das heißt: Es geht nicht darum, deinen Part zu lernen, und diesen simultan zu spielen. Das ist nämlich das, was heutzutage oft passiert, weil alle so laut spielen, dass sie sich gegenseitig gar nicht mehr hören können. Wenn du dich allerdings hören kannst, dann kannst du auch aufeinander eingehen." Nun käme auch kaum jemand auf die Idee, David Poe als Rocker zu bezeichnen. Allerdings ist es auch nicht unbedingt nur Pop, was der Mann macht. Und ein reiner Songwriter im klassischen Sinne ist er auch nicht - obwohl er zum Beispiel schon sehr viel Wert auf seine Songs und hier besonders die Texte legt. Auf der CD stellt er seine Musiker vor, wie das in einem Film geschieht (starring as). Eine CD als Film? "Ja - so was wie 'A Hard Days's Night' meets 'Spinal Tap' - mit einem bisschen 'The Rutles' dabei ..." Ist das jetzt nicht ein bisschen viel Beatles Referenz? "Ich vergleiche mich bestimmt nicht mit den Beatles, ich bin ein Fan - ich bin aber auch kein Beatles-Messdiener. Aber das Zeug verkörpert für mich schlicht den Rock 'n' Roll. Und das ist es, was ich machen möchte. Ich bin nicht interessiert an unmelodischem, zerstörerischen Hard Rock!" Kann man das denn noch ein bisschen genauer erklären? Bis jetzt wissen wir ja nur, was David NICHT möchte. "Wir haben jetzt zwei Scheiben gemacht, die zu meinem großen Bedauern stets als 'Singer-/Songwriter' klassifiziert werden. Ich hasse das. Ich finde das so langweilig und trocken. Wenn Du das hörst denkst Du immer gleich an Typen, die im Café sitzen und warmes Wasser schlürfen und ihre Handgelenke aufschlitzen. Das bin ich nicht. Das ist nicht sexy. Mein Ziel war stets, meine eigene Stimme zu finden und möglichst nichts zu kopieren - auch wenn die Musikindustrie dich dazu ermutigt. Nachdem ich jetzt zwei dieser Statements gemacht habe - wo jedes Wort und jede Note möglichst einzigartig waren, möchte ich nun etwas machen, was die Leute glücklich macht. Musik, die mir das Gefühl vermittelt, das ich hatte, als ich mit 16 in einer Cover Band spielte. Denn jetzt habe ich so eine Art Kreislauf durchlaufen. Es geht mir um den Rock 'n' Roll." Okay, wenn man sich das dann so vor Augen führt, dann fragt es sich aber doch, woher denn die düsteren Sachen kommen, die so zuweilen in Davids Oeuvre zum Vorschein kommen. Auf dem "Late Album" gibt es sogar Film-Noir-artige, jazzige Passagen. "New York", antwortet David wie aus der Pistole geschossen, "all die Sachen, die die Leute bei mir immer als Jazz sehen, sehe ich nicht so. Obwohl ich Jazz liebe. Aber es geht bei mir nur um die Harmonien. Sobald Du das übliche Terrain verlässt, klingt das für die meisten Leute gleich wie Jazz. Für mich ist es aber trotzdem noch Rock 'n' Roll. Was ich vom Jazz vielleicht übernommen habe ist die Instrumentierung, der Umstand dass sich die Musiker auf der Bühne zuhören und drittens die Idee, dass wenn Du leiser spielst, die Leute aufmerksamer zuhören, als wenn Du lauter spielst. Auch wenn das nicht für alle im Publikum funktionieren kann - besonders wenn Du vor größeren Mengen spielst. Ich bin dann aber nicht an den 1000 interessiert, die nicht zu hören, sondern an den 10 oder 20, die das tun. Übrigens noch einmal: ich möchte mich nicht mit Jazz oder den Beatles oder John Lennon oder Stevie Wonder oder so was vergleichen. Ich bin nicht so gut wie die, ich werde es niemals sein, ich bin kein Genie." Aber es geht doch um die Inspiration, oder? "Absolut", stimmt David zu, "und ich finde es sehr viel interessanter, wenn jemand John Lennon nachahmt, als Eddie Vedder. Nichts gegen Eddie Vedder. Er ist cool. Aber er ist cool, und nicht die 70 Leute, die wie er klingen wollen." Ist es nicht schade, dass es heutzutage üblich ist, sich an Zeitgenossen und nicht mehr den Vorgängern zu orientieren? "Die Musik Industrie begeht momentan ein kulturelles Verbrechen - speziell bezogen auf die Jugend-Kultur. Es ist schade, dass die Bands da mitmachen, weil sie berühmt werden wollen und nicht, weil sie etwas Originäres schaffen wollen. Kunst hat ein Gewissen, wie mir T-Bone Burnett mal erzählte. Wenn Du keine Vision hast, oder es nicht schön ist oder nicht relevant oder nicht auf der Geschichte basiert, dann spiel keine Musik - sei ein Game-Show-Moderator, sei ein Schock Radio DJ. Es ist faul und dumm etwas nachzumachen. Ich liebe Radiohead - es ist die beste neue weiße Rockband seit Nirvana - aber es gibt eine Menge Gitarrensounds, die du machen kannst, die Radiohead noch nicht gemacht haben. Warum also Radiohead nachahmen? Ich bin ein Ton-Snob, wenn Du so willst. Da gibts immer wieder Sachen, die ich höre, und sofort sagen kann: Aha, das kommt von der Band oder jener Scheibe. Wenn Du aber zehn Soundeffekte vor dir auf dem Boden stehen hast, dann kannst Du andere Sounds machen, als Kurt Cobain oder George Harrison." David grinst und überlegt einen Moment. "Aber wenn Du schon jemanden nachmachen musst, dann solltest Du besser George Harrison nehmen ..." Wie funktioniert denn die ganze Poe-Philosophie vom Originären bei den Texten? "Meine Texte kommen von Witzen, von Slogans und vom Leben per se. Es ist nicht wirklich autobiographisch. Sobald Du etwas niederschreibst, wird es eh zur Fiktion. Schließlich erzählst Du dann eine ganze Menge Lügen über Dich selbst. Man sagt, man solle über seine Erfahrungen schreiben. Aber täte ich das, wäre es vermutlich für alle außer mir und meiner Mutti sehr langweilig. Ich versuche mir zudem Nischen zu suchen, wie zum Beispiel meine Songs über das Familienleben - 'Childbearing' ist. so etwas. Ich weiß auch keinen Grund dafür, aber ich scheine eine Menge Songs über dieses Thema zu schreiben. Vermutlich sind das meine Familien Werte, die da durchschimmern." Und was hat es mit Sachen wie "Deathwatch For A Living Legend" auf sich? "Oh, das ist ein Lieblingsthema von mir. Ich denke da an Johnny Cash, George Harrison, Ronald Reagan, Joe DiMaggio, Warren Zevon - jeden, der zu Lebzeiten seine tödliche Krankheit publik macht. Und dann einen 'Lifetime Achievement Award' bekommt. Das ist eine typisch amerikanisches Phänomen." Das hört sich jetzt aber nach einer Botschaft an, oder? "Es ist nur ein Kommentar", streitet David das ab, "es ist keine Kritik oder so. Aber überleg doch mal: Wenn jemand sterben muss, wird doch automatisch dessen ganzes Leben 'gereinigt'. Niemand spricht dann mehr darüber, ob der betreffende nun Drogen genommen hat oder so was. Du hörst nur noch über die wundervollen Dinge, die sie getan haben, die gemeinnützigen Organisationen, die sie vor zehn Jahren gegründet haben oder wann sie zu Jesus gefunden haben. Was okay ist - in der Hollywood-Version eines Lebens ist kein Platz für die dunklen Seiten."
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