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Interview-Archiv

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STEVE WYNN
 
Das weiße Rauschen
Steve Wynn
"Static Transmission" heißt das neue Album von Steve Wynn - was soviel bedeutet, wie das Rauschen, das man im Radio empfängt, wenn man keinen Sender bekommt. Wie immer bei Steve Wynn-Scheiben ist dies vor allen Dingen einfach nur ein Titel - ohne jeden Hintersinn. "Der letzte Interviewer hat auf diesem Thema herumgeritten", bemerkt Steve, "aber es gibt nichts dazu zu sagen. 'Static Transmission' taucht im Text eines Songs auf und es ist ein Titel ohne weitere Bedeutung." Das ist so eine Sache mit Steve Wynn: Ausgerechnet der Mann, der schon seit Dream-Syndicate-Zeiten einen intelligenten, evokativen Text nach dem anderen aus dem Ärmel schüttelt, mag nicht darüber reden. "Nicht weil ich mich drücken will", entschuldigt er sich, "ich denke ganz einfach, dass es nicht mehr dazu zu sagen gibt."
Gleiches gilt auch für die neue Scheibe. Steve ist jemand, der nicht gerne mit dem Holzhammer arbeitet. Und so findet sich auf dem neuen Album auch etwa kein typischer 9-11 Song - obwohl dies prinzipiell Steves 9-11 Scheibe sein müßte - denn die Stücke entstanden - bis auf wenige Ausnahmen - alle nach dem 11. September 2001. "Ich würde nicht sagen, dass es meine 9-11 Scheibe ist, aber es ist eine Scheibe, die im Eindruck dieser Zeit entstanden ist. Deshalb wollte ich auch unbedingt, dass sie düsterer klingt, als 'Here Come The Miracles' - ohne da spezifischer werden zu wollen." "Static Transmission" schließt übrigens ziemlich direkt an "Miracles" an. Es entstand mit derselben Crew am selben Ort (in Tucson) und ist quasi die Fortsetzung dieser Scheibe - was kein Vorwurf sein soll. "Das sehe ich auch so", stimmt Steve dann auch zu, "'Miracles' war dieser starke, zuversichtliche, große sanfte Riese von Scheibe. 'Static' ist eine Nummer überschaubarer. Es wurde großteils live eingespielt, es gibt keine Gaststars - außer Chris Cacavas - aber der gehört ja praktisch dazu und Jason Victor [der Gitarrist, der Chris Brokaw ersetzte, seit dieser sich in seinen unzähligen Projekten verstrickte und einfach nicht mehr die Zeit fand auch noch bei Steve Wynn mitzumachen] ist mit dabei." Und in der Tat ist einer der Unterschiede zur letzten Scheibe der, dass der Sound wesentlich direkter, greifbarer - und wenn man so will - auch düsterer geworden ist. Die Scheibe bietet musikalisch wieder mehr Abwechslung. So gibt es - neben dem auch weiterhin vorhandenen psychedelisch angehauchten Rock - auch Balladen wie den überraschend relaxten Opener, "What Comes After", Folk-Pop à la "Charcoal Sunset", Power Pop wie im Brian-Wilson-mäßigen "Candy Machine" und auf einem Stück, "Maybe Tomorrow", sogar Strings. Es ist also in diesem Sinne eine absolut typische Steve Wynn Scheibe geworden - eine, bei der er sich selbst treu bleibt, aber auch weiterentwickelt. "Ja, das finde ich auch", überlegt Steve, "viele Leute haben mir gesagt, dass 'Miracles' so etwas wie ein Comeback gewesen sei. Was ein wenig seltsam war, weil ich der Ansicht bin, auch vorher ganz gute Scheiben gemacht zu haben. 'Static' setzt dort an, wo 'Miracles' begann - jedoch habe ich versucht, auch andere Sachen zu machen." Steve ist hierbei kein Freund von Riesenschritten. Er erwähnte einmal, dass er sich in seinem selbst gewählten Ghetto sehr wohl fühle. Der Fortschritt kommt im Detail. So gab es beim Song "Candy Machine" erstmals die Situation, dass ihm kein Text einfiel. "Ich hatte schon einen Text", erläutert er, "aber er wollte einfach nicht funktionieren. Normalerweise bin ich ja ganz gut - aber bei diesem Song wurde ich langsam nervös." Die Hilfe kam dann von seiner Partnerin, Linda Pitmon, die ja u.a. auch die Drummerin der Miracle 3 ist, und die mit diesem Song ihr Debut als Texterin präsentiert. (Linda hat übrigens keine Hemmungen, ihren Text zu erläutern (s.u.)) Ist das ein Fingerzeig in die Zukunft? "Vielleicht", sagt Steve, "ich habe ja eigentlich noch nie den Text von jemand anderem benötigt, weil ich ja eigentlich keine Schwierigkeiten damit habe - aber dieses Mal hat mir Linda aus der Patsche geholfen." Witzigerweise hat ein anderer Song, "Ambassador Of Soul", genau das Thema "Songwriting" zum Gegenstand. "Wenn es 1969 wäre, würde ich diesen Song als Single auswählen", scherzt er, "heutzutage ist er ja wohl zu rockig. Es ist ein Song über den Prozeß des Songwriting - nach dem Tenor: Je stärker man etwas erzwingen will, desto schwieriger wird es. Man kann das auch auf andere Sachen übertragen. Es ist also in dem Sinn ein ziemlicher Zen-Song. Und der 'Botschafter des Soul' ist eine Personifikation der Muse, der Inspiration." Wie ist das denn mit dem 'Writers Block'? Jemand, der wie Steve mit schönster Regelmäßigkeit jedes Jahr eine neue Scheibe herausbringt, hat doch bestimmt auch damit Probleme, oder? "Nun, man muss einfach einen Startpunkt finden", überlegt Steve, "manchmal kann dich ein einziger Gedanke oder ein Satz auf den Weg bringen. Man darf einfach keine Angst davor haben, etwas Schlechtes zu schreiben. Am nächsten Tag kann man ja wieder etwas Gutes schreiben und vielleicht enthält das Schlechte ja das gewisse Stück, was dich dann beim nächsten Versuch weiter bringt." Ändern sich denn die Themen mit der Zeit? Auf der neuen Scheibe scheint es eine ganze Menge universeller Themen zu geben. "Stimmt, auf dieser Scheibe geht es um die Zeit, um die Sterblichkeit - es ist eine ziemlich existenzialistische Scheibe. Das liegt wohl an den Zeiten, in denen wir leben. Es ist schon eine 9-11 Scheibe, wie die von Bruce Springsteen oder Steve Earle - aber ich habe mich entschlossen, nicht über Politik oder spezifische Geschichten von einstürzenden Häusern oder so was zu schreiben. Die Scheibe reflektiert Angst, Verwirrung, Aktivismus - all das, was die Leute halt heutzutage so antreibt."
Steve Wynn
Ein Rezept hat natürlich auch ein Steve Wynn nicht. "Ich mag den Song 'Amphetamine' [einer der typischen Steve Wynn Rocker] ziemlich gerne, weil der das Thema ganz gut aufarbeitet. Dort werden Angst und Schrecken einem ziemlich optimistischen Gedanken gegenübergestellt. Ich denke aber, dass ich diesen Song unter dem Einfluß eines Gedankenganges schrieb, bei dem es um Geschwindigkeit und Aktivität ging. Du beschleunigst dich quasi - physisch und physikalisch - und du 'brichst zur anderen Seite durch' ["Break On Through To The Other Side"]." Das ist wohl einer der Gründe, warum Steve nicht gerne über seine Texte spricht: Viele Songs haben so viele Levels, dass es einfacher zu sein scheint, sich selbst seine Gedanken zu machen oder aber, den kleinsten gemeinsamen Nenner als offensichtlichen Gegenstand des Songs zu akzeptieren. Besser lässt sich schon eine ganze Scheibe definieren. "Wenn eine Platte für mich funktioniert, dann spiegelt sie einen Moment wieder. Z.B. hätte ich diese Scheibe vor zwei Jahren nicht gemacht und ich würde sie jetzt auch nicht mehr so machen." Musikalisch ist diese Scheibe zwar abwechslungsreicher als "Miracles", aber wenn man sich z.B. die Rockstücke betrachtet, dann fällt doch auf, dass sich hier Steves Vorliebe für Krautrock niederschlägt. "Das stimmt wohl", räumt er ein, "die Outtakes (auf der Bonus CD der limitierten Erstauflage) sind sogar noch mehr 'Prog'. Musikalisch war diese Scheibe sehr einfach. Als ich die Parts aufgeschrieben hatte, war ich selbst erstaunt, wie simpel die Songs waren. Es war dann zwar schwierig, die richtige Stimmung zu finden, die Sachen passend abzumischen und besonders die richtige Reihenfolge der Songs zu finden, aber die Stücke an sich sind simpel. Ich habe meiner Band z.B. gesagt, bevor wir 'Amphetamine' aufnahmen, mögen sie sich den '69er Elvis in Vegas vorstellen, der mit NEU! zusammen spielt. Und dann habe ich ihnen noch 'There's A Riot Going On' von Sly & The Family Stone gegeben, weil das eine Scheibe ist, der du nun ganz deutlich anmerkst, dass hier ein spezifischer Moment eingefangen wurde - Stimmung, Sound etc. Es hört sich an, als lausche man an der Tür. Und die Stimmung auf dem Album war so, wie ich mir die Stimmung von 'Static' vorstellte - voller Düsternis und Widerspenstigkeit." Dieser Grundtenor spiegelt sich sogar im Artwork der CD wieder. Steve bat Linda, von allen Bandmitgliedern unscharfe, verwackelte und eben düstere Schwarz-Weiß-Fotos zu schießen (im Gegensatz zu den grell ausgeleuchteten Shots auf dem "Miracles"-Cover). Aber wie gesagt: "Static Transmission" ist vor allen Dingen eines: Ein eingefangener Moment. Keineswegs spiegelt diese Scheibe einen neuen Steve Wynn wieder - er ist immer noch der zugängliche, freundliche und kommunikationsfreudige Mensch, der er schon seit Jahren ist. Ganz im Gegenteil: Begegnet man heutzutage Steve Wynn hat man den Eindruck, er sei weniger ernüchtert und wesentlich mehr mit sich im Reinen als noch zu Zeiten etwa von "Melting In The Dark" (die im Vergleich zu "Static Transmission" düsterkeitsmäßig wahrlich nicht zurückstecken muss) oder "Sweetness & Light". Und vor allen Dingen dürfen wir uns sicher sein, dass wir auf der anstehenden Tour auch wieder GANZ den alten Steve zu sehen bekommen werden - 9-11 hin oder her. Vielleicht ist das ja auch die Botschaft des Albums: Es geht weiter.

Bonus-Track: Linda Pitmon erklärt die Geschichte des Textes von "Candy Machine":

Steve Wynn
"Ich muss zugeben, dass ich den Text um sechs Uhr morgens in Tucson schrieb, als ich nicht mehr schlafen konnte. Ich schrieb ihn im Badezimmer, um Steve nicht aufzuwecken. Die Ansage von der Bus-Haltestelle ['Der Bus nach Phoenix fährt nun ab - Bitte einsteigen'] hallte von der Straße rauf und ich schrieb einfach drauflos. Die ersten Zeilen sind inspiriert von meiner Mutter und der Großmutter, die beide aus South Dakota kommen. Meine Großmutter packte ihre kleinen Mädchen im Alter von sechs und sieben Jahren in den Bus, als der Vater starb und die Familie zog nach Minneapolis [wo Linda geboren wurde und aufwuchs], wo sie für eine Weile in einer Pension lebten. Meine Mutter arbeitete im Alter von acht Jahren für eine sehr reiche Familie als Kindermädchen für ein fünf Monate altes Baby. Ich denke, dass ich an diese Geschichte dachte, als ich den Text schrieb. Der Rest ist dann pure Fiktion - gerade ein Gedanke, der sich entwickelte. Vielleicht dachte ich dabei ein wenig an meine Großmutter (die als junges Mädchen in Schwierigkeiten geriet) - man weiß ja nie. Und meine Großmutter ist ziemlich schrecklich - da hast du's!"

Da kann man mal sehen, welche Universen sich z.T. hinter ein paar simplen Worten verbergen! Interessanterweise kannte Steve zum Zeitpunkt des Interviews diese Story noch nicht. Die Musikwelt funktioniert halt doch anders, als man sich das zuweilen so vorstellt, gell?

Weitere Infos:
www.stevewynn.net
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Ullrich Maurer-
Steve Wynn
Aktueller Tonträger:
Static Transmission
(Blue Rose Records/In-Akustik)

 
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