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THE DRESDEN DOLLS
 
Unsentimentales Drama

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The Dresden Dolls
Der Name "Dresden Dolls" weckt ja nun alle möglichen Assoziationen - bloß nicht die an ein Duo aus Boston, das mit Gesang, Piano & Drums eine ganz eigene dramatische Variante eines scheppernden, polternden Vaudeville-Rock'n'Roll-Theaters kreiert. Dennoch ist das, was Amanda Palmer und Brian Viglione mit o.a. Instrumentarium, Attitüde, Charisma, Klauen und Zähnen und Haaren darauf hier machen, auch irgendwo im weitesten Sinne im Elbflorenz verwurzelt, wie sich später herausstellt. Bringen wir es also hinter uns, und fragen zunächst mal, wie der dennoch ungewöhnliche Name des Projektes zustande kam. "Nun, als ich über einen Namen nachdachte", erklärt Amanda, die eine Zeit lang in Deutschland lebte und die Sprache immerhin so gut beherrscht, dass sie immer wieder gewisse Phrasen in deutsch einfließen lässt, "da erschien mir 'Dresden Dolls' perfekt, wegen des Paradox, der sich einstellt, wenn man zum Beispiel an das zerbombte Dresden denkt und an eine Puppe, die dieses unschuldige, kleine, weibliche Wesen darstellt. Das spiegelt auch irgendwie die Art von Musik wider, die wir machen - denn es gibt immer zwei Seiten der Medaille bei uns. Und es klingt ein wenig europäisch, was wieder einiges über unsere Einflüsse und unseren Stil aussagt."
Haben die Dresden Dolls dabei vielleicht auch an Kurt Vonneguts "Slaughterhouse 5" gedacht? "Ja, es gibt viele dieser kleinen Referenzen", räumt Amanda ein, "'Dresden Dolls' ist auch ein Song von The Fall." Amanda ist vom Jet-Lag dermaßen erschöpft ist, dass sie in eine Art Sekundenschlaf verfällt, wenn ihr Partner das Wort an sich reißt, was er dann im Folgenden auch ausgiebig tut. "Der Name repräsentiert die Dualität in der Band", fügt Brian dann hinzu, "die Musik arbeitet oft mit dramatischen Bildern und bombastischen Strukturen, aber sie hat auch delikate, zerbrechliche Aspekte." Wie wichtig ist denn das Drama per se für die Dolls? Das Theatralische scheint ja bei diesem Projekt deutlich im Vordergrund zu stehen. "Oh, es ist ein integraler Bestandteil dessen, was wir tun", lacht Brian, "davon ernähren wir uns." - "Nein, wir ernähren uns von den Leuten", wirft Amanda ein, "es fühlt sich für uns einfach natürlich an." - "Wir haben eine Ader für das Theater, uns zu verkleiden, und für sehr emotionale und provokative Musik", ergänzt Brian, "ich denke, wir beide haben uns der Musik zugewendet, um eine emotionale Ausflucht zu haben. Wir beschäftigen uns mit internen Konflikten und untersuchen uns dabei selber. Was wir machen ist nichts für die Zimperlichen. Es gibt herausfordernde Themen und wir versuchen auch immer, dabei selber zu lernen." Wie sieht es denn mit der Arbeit in Film oder Theater aus? "Das werden wir wahrscheinlich mal machen", überlegt Amanda, "ich habe z.B. auch schon Theaterstücke geschrieben." (Und obendrein eines der unterhaltsamsten Website-Tagebücher überhaupt) Seit den White Stripes hat man sich ja an Duos gewöhnt - wobei die Kombination Piano / Drums ja immer noch ungewöhnlich genug ist. Wie fand man denn zu diesem Format? "Nun, Amanda hat des öfteren Parties in ihrem Haus, einem Künstlerkollektiv in Boston veranstaltet", erläutert Brian, "das ist ein wunderschönes altes Haus, das von diesem Vermieter verwaltet wird, der das Haus bis zum Stehkragen mit allerlei architektonischem Schnickschnack und Objekten verziert hat. Ein gemeinsamer Freund hat mich dann zu einer Halloween-Party eingeladen. Ich war von diesem wunderschönen Ort und den bizarren anwesenden Personen verzaubert und am Ende des Abends spielte Amanda ein Set von Solo-Stücken. Mir wurde bereits nach zwei Minuten des ersten Songs klar, dass sich das, was sich vor mir entfaltete, das war, wonach ich musikalisch und künstlerisch immer gesucht hatte. Ihre Musik schien alles zu beinhalten: Musiktheater, Punkrock, Jazz und die Leidenschaft, die ich in meinen eigenen musikalischen Projekten anstrebte. Ich spielte zu dieser Zeit Bass - ein wenig gegen meinen Willen. Die Begegnung mit Amanda war also so etwas wie eine Erleuchtung und eine großartige Gelegenheit für mich, die ich nicht ungenutzt verstreichen lassen durfte. Ich fragte sie also und es stellte sich heraus, dass sie auch nach jemandem suchte. Wir kamen also in meinem Übungskeller zusammen, bauten unsere Sachen auf und nach fünf Minuten war uns klar, dass die Chemie stimmte. Am Ende freuten wir uns, dass wir uns gefunden hatten. Wir waren so enthusiastisch, dass wir sofort begannen, kleine Clubs und Galerien zu buchen. 2003 gewannen wir dann die 'Battle Of The Bands' - eine große Veranstaltung in Boston - und begannen landesweit zu touren und unsere Platte einzuspielen, die wir dann rausbrachten."
The Dresden Dolls
Und wie sah das Ganze für Amanda aus? Wie hat sie zum Beispiel ihren einzigartigen Stil entwickelt? "Nun, ich habe mir als kleines Mädchen das Spielen quasi selber beigebracht", verrät Amanda, "meine Mutter hat mir ein bisschen geholfen. Und dann bin ich meinen Einflüssen gefolgt. Ich denke, dass dies eine Kombination von allem war, was ich jemals gehört habe." Dann hat sie einen Frosch im Hals und muss kurz rausgehen, woraufhin Brian übernimmt: "Amanda hat ja wie ich einen sehr eklektischen und vielseitigen Musikgeschmack. Von den Beach Boys und den Beatles über 80s New Wave und Abba bis hin zur Begeisterung für deutsche Underground-Musik, die daher rührt, dass sie als Teenager einen deutschen Freund hatte, der auch ihre Affinität zu deutscher Kultur auslöste. Sie mag bizarre, phantasievolle Bands. Ich selber höre viel Punk Rock und auch Jazz - mein Vater stellte mir das vor. Und dann gibt es Bands, die wir beide mögen, wie z.B. The Cure oder Nick Cave und natürlich Musiktheater. Das alles formt dann auch irgendwie unseren Sound." Musiktheater im Sinne von Brecht / Weill? Denn das scheinen die Einflüsse zu sein, die in der Dresden Dolls-Musik am deutlichsten zum Ausdruck kommen. "Alle möglichen Formen", führt Brian aus, "die Brecht / Weill-Referenz wurde mit uns in Verbindung gebracht weniger in Bezug auf das epische Theater Brechts, als vielmehr wegen der Musik Weills. Es geht um die politischen Inhalte und einen spezifisch unsentimentalen Aspekt der verhindert, dass etwa nur eine, gegebenenfalls verklärte Seite einer Person oder eines Zustandes gezeigt wird, sondern - was uns besonders wichtig ist - dafür Sorge trägt, dass die Dualität und beide Seiten dargestellt werden. Es gibt immer die Schönheit und die Dunkelheit. Wir möchten, dass die Zuhörer darüber nachdenken und nicht etwa von uns aus ihnen eine Emotion diktieren." Das erklärt dann wohl auch kleine verstörende Elemente in der Musik der Dolls - von Geräuschen über atonale Spielereien bis hin zu Stilbrüchen - nicht wahr? "Ja, es geht darum, eine realistische, nicht einseitige Perspektive aufzuzeigen. Wie gesagt: Die Dualität ist für uns sehr wichtig und ein Konzept, das allem unterliegt, was wir tun. Es geht um männlich / weibliche Energien, die wir beide darstellen. Und es geht darum, die Vorstellungskraft des Zuhörers zu fordern. Es gibt Leute, die zu unseren Konzerten kommen und etwas Bestimmtes erwarten und dann wie verändert wieder weggehen."

Dazu gehört auch, dass sich Amanda und Brian schminken und verkleiden, nicht wahr? "Ja, das gehört dazu", pflichtet Brian bei, "das Hauptziel unserer Live Shows ist, zusammen Musik auf der Bühne zu kreieren. Es geht nie darum, einfach die Songs zu spielen. Wir leben ziemlich im Moment und somit gibt es eine ziemlich intensive - auch visuelle - Kommunikation zwischen uns auf der Bühne. Natürlich auch eine Menge Spontaneität. Die Songstruktur ist bloß ein Rahmen, innerhalb dessen wir uns bewegen. Ansonsten lassen wir unserer Phantasie freien Lauf. Das ist auch der Grund, warum wir Songs wie 'Coin Operated Boy' jeden Abend immer total unterschiedlich spielen. Die angemalten Gesichter sind eine Verbeugung vor dem Stil und der Art aufzutreten aus der Zeit, der wir uns beide sehr verbunden fühlen. Es soll kein Schutz sein oder der Versuch uns zu verstecken, sondern ein Mittel, um unser Ziel zu erreichen." - "Es ist unsere Art zu sagen, dass wir Performer sind", fügt Amanda hinzu., die zwischenzeitlich wieder genesen ist." - "Und es gibt einen Kontext", fällt Brian noch ein, "wir haben zunächst in unserer Straßenkleidung gespielt, aber wir suchten ein Mittel, unseren Ausdruck auf optische Art zu verstärken. Wir sind beide sehr visuelle Menschen und eine visuellen Band. Es hat nichts mit Kiss oder Marilyn Manson zu tun. Unsere weißen Gesichter sind eher Projektionsflächen." Es schadet ja auch nichts, wenn die Leute auf der Bühne ein wenig anders aussehen als die im Publikum. "Genau das ist auch meine Meinung", stimmt Amanda zu. "Es ist ja so, dass in den 90ern Bands wie Nirvana es uncool erscheinen ließen, ein Image zu haben", überlegt Brian, "das ist z.B. in Boston immer noch die gängige Meinung. Wenn die Leute uns dann sehen, meinen sie zunächst, wir seien Mimen, die versuchen, das Publikum von der Musik abzulenken. Es ist aber tatsächlich ein visuelles Hilfsmittel für uns. Warum nicht alle fünf Sinne stimulieren?" Ein besonderes Schmankerl im visuellen Panoptikum der Dresden Dolls sind mit Sicherheit Amandas Augenbrauen. Beziehungsweise das Fehlen derselben: Statt dessen malt sich Amanda Runen, die an Schriftzeichen erinnern auf. Wie kam es dazu? "Nun, das war mal wieder eine Party", meint Amanda, "ich wollte wie Marlene Dietrich aussehen und habe mir deshalb die Augenbrauen abrasiert, weil ich von Natur aus diese hochgewölbten Augenbrauen habe. Dann hatte ich aber gar keine Augenbrauen mehr und deswegen bin ich kreativ geworden und habe mir welche aufgemalt. Das hat mir dann gut gefallen und ich bin dabei geblieben." Die Zeichen bedeuten aber weiter nichts, oder? "Nein, das sind bloß Zeichen", meint Amanda, währen Brian noch hinzufügt, dass man schon überlegt habe, die Augenbrauen als Werbefläche für Coca Cola oder so zur Verfügung zu stellen. Die Musik auf der Scheibe enthält ja neben den Drums und dem Piano noch allerlei andere musikalische Zutaten. Was ist denn das Konzept hier? Wie entstehen die Songs? "Nun, ich schreibe die Songs alleine", erklärt Amanda, "dann nehme ich sie zu Brian und wir erarbeiten eine zu ca. 70% fertige Skizze." - "Ich versuche zunächst zuzuhören", fügt Brian hinzu, "und dann versuche ich, den Song auszupolstern. Meine Hauptaufgabe ist es, ein guter Supporter zu sein. Obwohl ich durchaus frei bin, die Sachen mit den Drums zu orchestrieren - was für mich ziemlich spannend ist, weil ich nicht mit einem Bassisten arbeiten muss. Wenn der Song live gespielt wird, dann ist das der Zeitpunkt, zu dem er erst richtig entsteht. Denn das Feedback des Publikums ist schließlich das Ausschlaggebende." - "Die Reaktion des Publikums hilft beim Songschreiben", meint Amanda. Das ist also ein vergleichsweise zeitraubender Prozess. Wann ist denn ein Song fertig und was führt zum endgültigen Aussehen? "Nun, manchmal erscheint es eben notwendig gewisse Dinge hinzuzufügen", erläutert Brian, "was mir immer an Amandas Songwriting gefällt, ist der Umstand, dass sie immer gleich eine komplette Band in ihrer Musik zu hören scheint. Und da gibt es eben Momente, wann wir dieses auch realisieren möchten. Bei anderen Songs funktioniert es eben besser zu zweit. Das ist auch der Grund, warum wir nur zu zweit auftreten. Es definiert unsere Rollen als Performer."

The Dresden Dolls
Wie passen denn dazu Amandas Texte? "Ich fühle mich von allem inspiriert, was ich lese und sehe", meint Amanda - und man achte hier mal auf die Reihenfolge des gesagten, "ich achte immer auf Worte und wie diese benutzt werden. Das ist eine Art mentales Hobby von mir. Das Interessante am Songwriting ist, dass du einen bestimmten Raum zur Verfügung hast und eine Idee und dass du eine Möglichkeit finden musst, diese Idee in dem Raum unterzubringen und zu sagen, was die Idee ist. Das ist der Grund, warum man Poesie schreibt. Es ist oft auch so, dass mir eine Idee dadurch kommt, dass bestimmte Worte gut klingen. 'Coin Operated Boy' klingt einfach gut und hat einen bestimmten Rhythmus." Abgerundet wird das ganze - auch konzeptionell - mit dem zusammengetragenen Artwork auf dem Cover und dem Booklet. "Jede Seite des Booklets soll ein Schallplattenalbum symbolisieren", verrät Amanda, "hier zum Beispiel, das sollen die Rolling Stones sein, das da ist die Dreigroschenoper. Die Bilder habe ich aus allen möglichen Quellen in Collagen zusammengetragen - da ist zum Beispiel der Reichstag nach dem zweiten Weltkrieg. Es ist irgendwie auch eine Interpretation der einzelnen Songs." Wobei deren Ursprung dann doch wieder im Schatten bleibt. Beispielsweise wurde das Stück "Gravity" - eine Reflektion über die Schwerelosigkeit und die Gravitation - inspiriert von Amandas gelegentlichen Rückenschmerzen. Aber wie gesagt: Bei den Dresden Dolls gibt es ja immer zwei Seiten zu beachten. Mit den Dresden Dolls gibt es also seit langer Zeit wieder einmal einen Act zu feiern, der sich ohne weiteres auch als solcher bezeichnen darf. Und irgendwo ist es ja auch ehrlicher, sich zu verkleiden und als Performer kenntlich zu machen als so zu tun, als sei man einer von vielen und dann den Leuten dann doch bloß etwas vorzugaukeln...

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Weitere Infos:
www.dresdendolls.com
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Ullrich Maurer-
The Dresden Dolls
Aktueller Tonträger:
The Dresden Dolls
(Roadrunner Records/Universal)

 
 

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