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CHARLIE RISSO
 
Das wichtigste ist das Vertrauen
Charlie Risso
Die aus Genua stammende, italienische Songwriterin Charlie Risso hatte mit ihrer Vorliebe für englischsprachigen Noir-Folk, Indie-Pop und Psychedelia sei jeher nur eingeschränkte Möglichkeiten, sich in ihrer Heimat künstlerisch verwirklichen zu können. Zum einen ist da die Sprachbarriere, die aus unerfindlichen Gründen in Italien deutlich höher liegt als etwa bei weiter nördlich gelegenen europäischen Staaten - und zum anderen ist da die die zersplitterte Musik- und Konzertszene, die Charlie selbst als "tricky" bezeichnet und die es Musikern - insbesondere Abseits der Hauptstadt Rom - schwer macht, sich einen Namen zu machen, wenn man sich halt nicht muttersprachlich äußern möchte. Um das erste Problem mit der Sprache in den Griff zu bekommen, zog Charlie mit 20 nach London und machte sich dort mit der englischen Sprache vertraut. Und dann baute sie sich eine kleine Community Gleichgesinnter auf, mit der sie dann ihre ersten beiden Alben "Ruins Of Memory" und "Tornado" sowie die EP "The Light" realisierte. Davon bekam dann der australische Musiker Hugo Race Wind, der nach längerer Zeit des Herummäanderns schon seit mehreren Jahren seine musikalischen Aktivitäten vom heimatlichen Australien nach Italien verlegt hat und Charlie Risso anbot, das nun vorliegende Album #3 zusammen in einem Hausboot-Studio in Florenz zu produzieren. Aber lassen wir Charlie Risso ein mal selber berichten.
Wie unterschieden sich die Arbeiten mit Hugo denn von den vorangegangenen Erfahrungen? "Es geht immer um das Vertrauen - da ist das Wichtigste", meint Charlie, "zuvor hatte ich mit dem Produzenten Mattia Cominotto gearbeitet, der hier recht populär ist. Für das Projekt mit Hugo wollte ich jedoch mit einem anderen Sound-Ansatz arbeiten. Ich bin immer an neuen Kollaborationen interessiert und fand in Hugo und Nicola Baronti zwei Partner, denen ich vertrauen konnte und mit dem Lake-Studio - das ein umgebautes Hausboot ist - einen geeigneten Ort, das Projekt umzusetzen. Das Studio nennt sich übrigens 'Pucchini Floating Music Academy'. Ich bin mit dem Gitarristen Robin Manzini dort hin gegangen, der auf dem Album dann Gitarre spielte und auch als Songwriter an einigen Stücken beteiligt war Die Texte stammen aber alle von mir - bzw. von Hugo und mir." Zu diesen Stücken gehört dann auch der Song "The Wolf", bei dem Hugo Race selbst auch als der Titelcharakter des Songs zu hören ist. "Ja, denn ich wollte unbedingt Hugos Stimme auf dem Album haben und das sollte dann in einem Duett passieren. Ich bin natürlich ein großer Nick Cave-Fan und erinnerte mich an das Duett 'Where The Wild Roses Grow', das er mit Kylie Minogue aufgenommen hatte. So etwas in dieser Art wollte ich auch machen." Dafür ist Hugo Race ja schon alleine deswegen der richtige Mann, weil er sich als Gründungsmitglied der Bad Seeds mit der Welt von Nick Cave gut auskennt. "Ja genau - ich wollte immer schon so eine Atmosphäre und Attitüde einsetzen - hatte aber bislang nie die Gelegenheit dazu, weil ich dazu halt eine männliche Stimme wie die von Hugo brauchte, wie man sie ansonsten nicht wirklich findet. Ich habe ihm meine Notizen geschickt. Er mochte sie und wir haben ein paar Tage zusammen daran gearbeitet, als ich vor Ort war. Wir haben dann insgesamt ein ganzes Jahr an dem Material gearbeitet. In der Zeit zog Hugo von Italien nach Australien und dann wieder zurück. Wir hatten uns dann immer mal wieder getroffen und dann 2023 mit den Aufnahmen begonnen."

Wenn man sich die älteren Arbeiten von Charlie Risso anhört, so sind diese vom Ansatz her recht unterschiedlich zu dem, was sie auf "Alive" erreichte. Das Debüt-Album war noch im Singer/Songwriter- und Folk-Modus angerichtet, "Tornado" ist im Vergleich rockiger und rauer und die "Light"-Ep experimenteller. Tatsächlich klingt "Alive" mit seinen Referenzen an klassischen Gitarren-, Dream-, Retro- und Psychedelia-Pop wesentlich zugänglicher - fast schon lieblicher als alles, was Charlie Risso zuvor machte. "Nun, ich begann 2016 meine ersten Sachen einzuspielen. Hugo habe ich ja erst 2020 kennengelernt", erzählt Charlie, "ich habe natürlich - wie jeder andere auch - eine musikalische Reise hinter mir. Ich begann als Folk-Künstlerin, denn ich liebe Folkmusik und schloss mich der Band Red Wine an, mit der ich auch in den USA gastierte. Meine erste Scheibe war also Folk-orientiert. Bis heute achte ich deswegen darauf, dass meine Songs auch alleine mit Stimme und Gitarre funktionieren. Das ist mir sehr wichtig und der Schlüssel für alles, was ich mache. Ich orientierte mich dann an meinem Produzenten Mattia Cominotto, denn es ist sehr schwer, seine musikalische Identität zu finden. Nachdem wir das erste Album dann folky angerichtet hatten, wollte ich auf dem folgenden Album etwas ausprobieren, was mir der Gitarrist von Red Wine empfohlen hatte - nämlich mit Garageband zu komponieren. Das ist ganz einfach zu bedienen und sehr spontan. Aber das Wichtigste war, dass ich meine Gitarre eine Weile zur Seite legte und stattdessen auf dem Piano und Keyboard schrieb. Dieses Album wurde dann wie ein Dreampop-Album angelegt, denn ich bin ein großer Fan von David Lynch, Angelo Badalamenti, Julee Cruise, Enya und Portishead. Das erlaubte mir mehr Optionen. Die EP 'The Light' wurde dann mit Federico Dragogna von der Indie-Rock-Band Ministry produziert. Die Songs schrieb ich bei einem verregneten Urlaub in Norwegen und er arbeitete an dem Material und schlug eine experimentelle Uptempo-Richtung ein, die ich sehr schätzte." Demzufolge ist das neue Album "Alive" der logische nächste Schritt, denn hier führten Charlie Risso und ihre Mitstreiter die verschiedenen musikalischen Elemente in einem organischen Noir-Pop-Setting zusammen, in dem Charlie Risso ihre assoziativen Texte zu einer Art eskapistischer Traumwelt verdichtet.
Wie geht Charlie Risso überhaupt ihre Lyrics an - denn eine Geschichtenerzählerin ist sie ja nicht gerade. Stattdessen beschreibt sie Szenarien, Stimmungen und Gefühle. Ist das Poesie? "Ich denke schon", meint Charlie, "ich bringe die Worte zu Papier und versuche dann, mir eine Geschichte dazu zu überlegen - aber am wichtigsten ist mir, dass der Hörer über das Gefühl erahnen kann, worum es in den Songs geht und worüber ich spreche. Du wirst über die Texte in meine Traumwelt transportiert. Es wäre ja nett, mal zu versuchen einen Song mit einer Geschichte zu schreiben - aber zur Zeit kann ich am aufrichtigsten sein, wenn ich meine Worte in einem träumerischen Zusammenhang instinktiv niederschreibe. Das ist für mich eine sehr unmittelbare Art zu arbeiten. Der Klang ist mir auch sehr wichtig. Manchmal schreibe ich Worte auf, ohne auf deren Sinn zu achten und wenn mir der Klang der Worte gefällt, dann versuche ich das zu wiederholen - und erst dann entwickelt sich daraus für mich eine Geschichte. Der Titeltrack 'Alive', der sich mit dem Gefühl der Einsamkeit und des Verlangens auseinandersetzt, ist auf diese Weise entstanden. Der verstorbene Songwriter Franco Battiato - den ich sehr mag - war ein Meister darin, durch seine Worte das Gefühl für eine Situation zu vermitteln ohne eine Geschichte zu erzählen. Das ist es, was ich auch gerne erreichen möchte." Und offensichtlich ist auch die Natur ein wichtiger Teil von Charlie Rissos Universum. "Ja, ich bin sehr sensibel der Natur gegenüber", erklärt sie, "ich erzähle meinen Freunden immer, dass mein Plan B nach der Musik der wäre, mich dem WWF oder einer anderen Organisation, die den Planeten zu retten versucht, anschließe. Das wird vermutlich ja nicht klappen - aber wenigstens können wir ja versuchen, den Planeten zu retten. Das ist jedenfalls mein Ziel." Das ist auch das Thema des Songs "Railroad" - in dem es um Blumen geht, die auf einem Bahndamm wachsen und von einem Zug erfasst werden - wobei der Zug dann ein Sinnbild für die Gier des Menschen ist.
Wie sieht Charlie ihre Musik generell? Es scheint, dass sie eine Art Leitlinie für sie darstellt. "Definitiv", bestätigt sie diese Vermutung, "wann immer ich in Gefahr bin, singe ich vor mich hin. Das habe ich schon als Kind gemacht. Das ist eine psychologische Sache für mich. Musik ist nicht nur eine Leitlinie für mich, sondern auch eine Sicherheitsleine, an der ich mich festhalten kann. Als ich zum Beispiel mit meinem Mann in Kanada wanderten, begegneten wir einem Bären. Uns wurde schon im Vorfeld geraten, Krach zu machen, wenn wir einem Bären begegnen sollten - also sang ich dann einfach. Musik ist für mich auch eine Art Flucht in Dinge, die ich anderweitig gar nicht ausdrücken könnte. Ich erkenne dann Dinge und kann sie dann zulassen. Das ist natürlich - wie für jeden anderen Musiker auch - eine sehr persönliche Sache. Wenn man diese aber dann mit anderen über seine Musik teilen kann, dann ist das sehr schön. So erfühlt man dann auch die Emotionen von anderen." Es kommt ja noch hinzu, dass Musik oft das Einzige ist, das einem in Situationen helfen kann, in denen Logik und Vernunft an ihre Grenzen stoßen. "Das ist wohl wahr", pflichtet Charlie bei, "ich muss dir da was erzählen: Wir haben gerade zusammen geprobt, weil wir ein paar Gigs geplant haben und nach einer Proben-Session sagte ich: 'Jungs, versprecht ihr mir, dass wir weiter zusammen spielen werden, auch wenn wir sterben?' - denn Musik reicht weit und Musik kommt von der Seele. Wenn du musizierst, legst du deine Seele offen - und die sollte auf eine sanfte Art behandelt werden."
Weitere Infos:
www.charlierisso.com
www.facebook.com/charlie.carlotta.risso
www.instagram.com/charlie_risso
charlierisso.bandcamp.com
www.youtube.com/@charlierisso/videos
Interview: -Ullrich Maurer-
Foto: -Pierluigi DeRubertis-
Charlie Risso
Aktueller Tonträger:
Alive
(T3 Records/Galileo Music Communication)
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