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SQUIRREL FLOWER
 
Magie und Energie
Squirrel Flower
Ella Williams ist angekommen: Auf "Tomorrow's Fire", ihrem umwerfenden dritten Album als Squirrel Flower, setzt die 27-jährige Amerikanerin selbstbewusster und selbstbestimmter denn je auf einen oft herrlich unwirschen, stets explosiven (Indie-)Rock-Sound und unterstreicht mit ihrem unerschrockenen Blick auf den alltäglichen Wahnsinn, dass der eigene Weg eigentlich immer der beste ist. Eine Erkenntnis, die auf der gemeinsam mit Alex Farrar (Snail Mail, Wednesday, Indigo de Souza) in Asheville, North Carolina, co-produzierten und mit Unterstützung von Gitarrist Jake Lenderman (MJ Lenderman), Drummer Matt McCaughan (Bon Iver, Hiss Golden Messenger), Bassist Dave Hartley (The War On Drugs), Gitarrist Seth Kaufman (Angel Olsen Band) eingespielten neuen LP genüsslich auskostet. Während ihr nach einer Reihe bemerkenswerter DIY-EPs Anfang 2020 veröffentlichter Album-Erstling "I Was Born Swimming" um Coming-of-Age-Themen und die damit verbundenen Probleme kreiste und sich der 18 Monate später erschienene Nachfolger "Planet (i)" mit der Klimakrise und Naturkatastrophen beschäftigte, vereint Ella diese Themen auf der "Tomorrow's Fire" nun und rückt dabei ihre Freude am Storytelling an die Stelle der strikt autobiografischen Note ihrer früheren Lieder. Bevor sie im November erstmals mit Band in Europa auf Tournee ist und dabei auch in Berlin, Rotterdam und Brüssel gastiert, spricht Ella im Gaesteliste.de-Interview über künstlerische Freiheiten, den hemmungslosen Sound des neuen Albums, das gewisse Etwas eines guten Songs und noch so einiges mehr.
GL.de: Die erste Single des Albums, "Full Time Job", glänzt mit ungezügelter grungiger Wucht, zudem steckt in Zeilen wie "Taking it easy is a full time job / One I'm tired of" und "Doing my best is a full time job / But it doesn't pay the rent" eine Menge Frustration. Ist das auch eine Reaktion auf die Pandemie, die deinen vorherigen beiden Alben Steine in den Weg gelegt hat?

Ella Williams: Ich denke, die Pandemie war für mich tatsächlich eher eine Art Segen. Ich konnte mir einen Moment Zeit nehmen, um die Rolle der Musik in meinem Leben und meine künstlerische Stimme neu zu bewerten, und ich konnte auch schauen, wie ich in die Musikwelt im Allgemeinen passe. Ich denke, die Frustration in den Songs auf der neuen Platte bezieht sich vor allem darauf, in einer Welt zu leben, in der es sehr herausfordernd ist, Künstlerin zu sein. Sie ist allerdings nicht sonderlich mit der Zeit des Lockdowns oder Ähnlichem verknüpft.

GL.de: Auf welche Antwort bist du gestoßen, als du über die Rolle der Musik in deinem Leben nachgedacht hast?

Ella Williams: Ich weiß nicht genau, ob ich überhaupt eine Antwort habe (lacht)! Ich denke, meine Antwort ist, dass ich Musik machen möchte und die Musik auf jede mir zur Verfügung stehende Weise teilen werde - dabei spielt keine allzu große Rolle, wie die Umstände aussehen. Natürlich ist es mein Ziel, weiterhin meinen Lebensunterhalt mit der Musik zu verdienen, aber der eigentliche Grund, warum ich Musik mache, ist nicht die Karriere.

GL.de: Deine Songs seien nicht immer autobiografisch, aber immer wahr, heißt es im Waschzettel zum neuen Album. Suchst du nach den Themen und Geschichten deiner Songs oder finden sie dich auch nach all den Jahren immer noch aus heiterem Himmel?

Ella Williams: Sie finden mich aus heiterem Himmel! Meine Lieder zeigen mir immer, worum es in ihnen geht. Ich nehme mir nie vor, ein Lied über eine bestimmte Sache zu schreiben, und setze mich dann hin, um es zu tun. Bei der neuen Platte hatte ich das Gefühl, viel Freiheit zu haben, mich zu verändern oder mich mehr auf die Suche zu machen und mich nicht darauf zu beschränken, über Dinge in meiner unmittelbaren und wahren Welt zu schreiben. Ich denke, dass es mir viel Spaß gemacht hat, die Wahrheit in meiner Welt durch etwas andere Geschichten zu finden oder zu erforschen. Ein Lied wie "Alley Light" zum Beispiel ist nicht autobiografisch, aber es geht um viele Dinge in meinem Leben. Es hat wirklich Spaß gemacht, ein bisschen damit zu spielen.

GL.de: Es gibt also keine Grenzen des Machbaren? Was macht für dich dann einen guten Song aus?

Ella Williams: Das Einzige, was für mich einen Song zu einem guten Song macht, ist ein Gefühl von Magie und Energie. Man kann Lieder schreiben, die alle technischen Anforderungen an einen guten Song erfüllen, und trotzdem muss dabei kein Song herauskommen, der einen wirklich packt. Die Musik, die mich unabhängig vom Genre immer angezogen hat, ist so energetisch, dass ich alles stehen und liegen lassen will, und ich glaube nicht, dass das quantifizierbar ist.

GL.de: Schön, dass du das sagst, denn tatsächlich ist es oft die Unmittelbarkeit, die Dringlichkeit deiner Songs, die sie besonders machen. Spiegelt das den Entstehungsprozess wider?

Ella Williams: Ja! Mein Schreibprozess sieht in der Regel so aus, dass ich mein kleines Aufnahmegerät einschalte und anfange, einfach zu improvisieren. Ich habe versucht, jeden Tag etwas spontan zu schreiben und mir bei dem, was dabei herauskam, völlige Freiheit zu lassen. Später gehe ich zurück und bearbeite und verfeinere es und gestalte die Struktur, aber ursprünglich steht das Improvisieren im entstanden sind, steht das Improvisieren im Vordergrund.

GL.de: Das erste Lied auf "Tomorrow's Fire" ist kein neues, sondern tatsächlich eines deiner ältesten, "I Don't Use A Trash Can" von deiner ersten EP "Early Winter Songs From Middle America" von 2015. Wie kam es dazu?

Ella Williams: Ich wollte die Platte unbedingt mit diesem Lied beginnen, denn es ist wie eine Anspielung auf die Vergangenheit, aber auch wie ein Verweis auf die Zukunft. Ich habe mich bei der neuen Platte stark von meinem früheren Ich inspirieren lassen, meinem musikalischen Ich, bevor ich einen Plattenvertrag hatte und Teil der Musikindustrie war, als ich vier, fünf Jahre lang alles selbst gemacht habe. Ich wollte die Seite von mir würdigen und habe mich gleichzeitig viel davon inspirieren lassen, wie meine Musik damals klang. Ich habe angefangen, "I Don't Use A Trash Can" live auf Konzerten zu spielen, und es hat mir einfach sehr gut gefallen, dass ich mich dadurch sehr geerdet gefühlt habe.

GL.de: Wo du gerade bei deinem früheren Ich bist: Anders als in der Vergangenheit, als klangliches Wachstum, künstlerische Weiterentwicklung und zunehmende Professionalisierung dafür gesorgt haben, dass deine Platten immer größer klangen, scheint es dieses Mal ein bisschen weniger darum zu gehen, noch einen draufzusetzen, sondern eher darum, in die Breite, in die Tiefe zu gehen. Ist da etwas Wahres dran?

Ella Williams: Ja, ich denke, das stimmt, auch wenn die Idee des Draufsetzens natürlich auch mit reinspielt, denn klanglich ist die Platte viel größer als meine früheren. Das Album fühlt sich für mich auf jeden Fall wie das authentischste an, das ich je gemacht habe, und ich denke, das liegt zum Teil daran, dass ich an der Produktion beteiligt war und einen sehr klaren Plan hatte, wie es klingen und wie es entstehen sollte.

GL.de: Bei unserem letzten Gespräch hast du erwähnt, dass du die Instrumentierung vor allem dazu einsetzt, um Dynamik zu erzeugen. Auf "Tomorrow's Fire" finden sich nun aber auch Songs wie "Canyon" oder "Finally Rain", bei denen die Instrumente für viel mehr als allein die Dynamik verantwortlich sind. Zufall oder Absicht?

Ella Williams: Ich denke schon, dass das im Grunde bewusst geschehen ist. Als ich die Songs schrieb, bekam ich das Gefühl, dass sie sehr laut sein mussten, und auch wenn ich glaube, dass in meiner Musik viel Zurückhaltung steckt, wollte ich bei diesem neuen Album betont hemmungslos sein und klanglich bis an die Grenzen gehen. Ich wollte so weit gehen wie möglich, um keinen Interpretationsspielraum zuzulassen.

GL.de: Du hast schon verraten, dass deine eigenen Frühwerke als Inspiration zu "Tomorrow's Fire" beigetragen haben. Gab es noch andere Einflüsse?

Ella Williams: Ich habe mich ehrlich gesagt sehr vom Classic Rock inspirieren lassen. Das Album ist stark von Bruce Springsteen und Tom Waits beeinflusst - auch wenn ich Tom Waits jetzt nicht zum Classic Rock zählen würde -, aber ich mag Neil Young und mag dieses unerschrockene Shredding und die vielen Gitarrensolos. Das war für mich der Kern des Ganzen. Gleichzeitig habe ich mich aber auch von vielen meiner Peers, vor allem aus dem Mittleren Westen und der Musikszene hier in Chicago inspirieren lassen.

GL.de: Oh, tatsächlich hatten wir gerade in den letzten Wochen Interviews mit einigen Bands aus Chicago wie Ratboys und Slow Pulp. Wer hat dich denn da besonders beeinflusst?

Ella Williams: In Chicago gab es schon immer großartige Musik, aber ich habe das Gefühl, dass es gerade im Moment viele wirklich gute Chicagoer Acts gibt: Ratboys, Slow Pulp, Sen Morimoto, Deeper, Kara Jackson, Tenci ... ich könnte ewig so weitermachen! Sie sind alle meine Freunde und ehrlich gesagt haben mich all diese Acts wahrscheinlich auch auf unterschiedliche Weise inspiriert. Wir haben einfach eine ganz besondere Community hier.

GL.de: Du hast bereits angesprochen, dass "Tomorrow's Fire" dein erstes Album bist, an dem du - an der Seite von Alex Farrar - auch als Produzentin mitgewirkt hast. Was hat das bewirkt?

Ella Williams: Mir zu erlauben, die Rolle der Co-Produzentin auszufüllen und die damit verbundene Verantwortung anzunehmen, war ein wirklich großer Schritt für mich, und ich spürte, dass ich zum ersten Mal wirklich bereit dafür war. Ich glaube nicht, dass ich bei den beiden vorherigen Platten das Wissen oder das Selbstvertrauen dazu gehabt hätte, aber bei dieser Platte habe ich es wirklich geschafft, und das war ein sehr, sehr ermächtigendes Gefühl.
GL.de: Zum Schluss: Wohin soll dich diese neue LP führen?

Ella Williams: Ich habe sehr große Ambitionen für diese Platte, denn ich möchte ein Leben führen, das von meinem Musikmachen getragen wird, und ich hoffe, dass mir diese Platte kreative Türen öffnet, so dass ich im nächsten Schritt alles tun kann, was ich will. Auf nur einen Sound oder ein Genre festgelegt zu sein - das würde ich als zu große Einschränkung empfinden!
Weitere Infos:
www.squirrelflower.net
www.facebook.com/sqrrlflwr/
twitter.com/sqrrlflwr
www.instagram.com/sqrrlflwr
squirrelflower.bandcamp.com/
Interview: -Carsten Wohlfeld-
Foto: -Alexa Viscius-
Squirrel Flower
Aktueller Tonträger:
Tomorrow's Fire
(Full Time Hobby/Rough Trade)
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