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KATY KIRBY
 
L(i)ebe im Moment
Katy Kirby
Auf ihrem fabelhaften Erstling "Cool Dry Place" schlug Katy Kirby vor drei Jahren im Dunstkreis von handgemachtem Folk und zeitgeistigem Indiepop mit bemerkenswerter Leichtigkeit den Bogen von authentischen Ecken und Kanten zur einschmeichelnden Eingängigkeit zarter Melodien und rückte in den detailverliebten Texten ihre eigene Vergangenheit in den Fokus, wenngleich dabei des Öfteren die Grenzen zwischen Fakt und Fiction fließend waren. Auf "Blue Raspberry", ihrem nun erscheinenden zweiten Werk, das gleichzeitig ihr Debüt für das renommierte Label ANTI- ist, setzt die ursprünglich aus einem streng christlich geprägten Umfeld in Texas stammende Musikerin, die inzwischen in New York heimisch ist, auf ein von Andy Shaufs "The Party" und Lomeldas "Hannah" inspiriertes, deutlich üppigeres und verspielteres Soundgewand. Doch nicht nur klanglich macht Katy mit dem neuen Album einen großen Satz nach vorn. Textlich dreht sich die Platte um die tiefgreifenden Veränderungen in ihrem Leben seit der Veröffentlichung ihres Erstlings, wenn sie mit bisweilen herrlich blumigen Worten ihr befreiendes Coming-Out und ihre erste lesbische Liebesbeziehung nachzeichnet und dabei menschlich wie künstlerisch Freiheit in all ihren Facetten zelebriert.
"Diese Platte ist viel persönlicher, als ich es beabsichtigt hatte", gesteht Katy Kirby im Videochat mit Gaesteliste.de. "Tatsächlich fühle ich mich ein wenig unwohl dabei, wie autobiografisch sich einige dieser Songs anfühlen, wenn ich sie singe. Die Geschichten, die ich erzähle, sind nicht immer chronologisch aufgebaut, aber im Vergleich zum letzten Album weiß zumindest ich jetzt viel besser, worum sie sich drehen. Viele Lieder handeln von einer Beziehung, in der ich vor anderthalb Jahren war. Deshalb fühlen sich viele Texte dieses Mal intimer an - und das ist ein wenig furchteinflößend." Das bedeutet, dass es nur wenig Abstand gibt zwischen Katy, der Künstlerin, und Katy, dem Menschen? "Ja", antwortet sie lachend. "Weniger als mir lieb ist!"

Die erste Nummer, die Katy für das neue Album schrieb, war der Titelsong, der nun auch das Herzstück der LP ist - ein klassischer Fall von "Das Leben imitiert die Kunst". "‘Blue Raspberry' war mein Versuch, ein Liebeslied über eine Frau zu schreiben - und das war zunächst nicht mehr als ein Experiment", erklärt sie. "Da war mir noch nicht bewusst, dass ich queer bin. In dieser Hinsicht hat das Leben wirklich die Kunst imitiert, denn mit dem Song habe ich die Dinge vorhergesagt, die später tatsächlich passiert sind. Die weiteren Lieder sind dann entstanden, als die Beziehung sich entwickelte." Doch nicht nur in diesem speziellen Fall förderte das Songwriting bei Katy versteckte Gefühle, Gedanken und Ideen zutage. "Es ist mir fast ein wenig peinlich, aber es kommt oft vor, dass ich auf Songs zurückblicke, die ich vor einigen Jahre geschrieben habe und die mir damals geradezu mysteriös vorgekommen sind", sagt sie. "Rückblickend ist es dann oft fast schmerzhaft offensichtlich, was mir damals durch den Kopf ging, ohne dass es mir bewusst gewesen wäre. Das ist irrsinnig witzig!"

In den hochsensiblen Sehnsuchtsliedern der LP widmet sich Katy der Liebe und all ihren Graustufen und blickt dabei durchaus mit einem Anflug von Wehmut, aber trotzdem nicht übertrieben melancholisch auf ihre erste queere Beziehung zurück. Am Anfang lässt sie uns genauso daran teilhaben wie am Ende. "Wait Listen" erzählt, wie sich Katy zum ersten Mal in eine Frau verliebt, und schildert all die Verwirrung und Neugier, die damit einherging, "Alexandria" dagegen vollendete sie, wenige Wochen nachdem die Beziehung in die Brüche gegangen war. Doch fällt es ihr eigentlich leichter, Songs über den Beginn einer Romanze zu schreiben, wenn man alles noch durch die rosarote Brille sieht, oder über den Scherbenhaufen am Schluss? "Ich schreibe eigentlich nie Liebeslieder während einer Beziehung, weil ich das Gefühl habe, dass mir der nötige Abstand fehlt", erklärt sie. "Die meisten meiner Liebeslieder sind entstanden, als es schon vorbei war oder als mir bewusst wurde, dass es auf das Ende zugeht. Dann habe ich das Gefühl, dass ich das Gesamtbild vor Augen habe: Jetzt kann ich darüber schreiben!" Sie lacht. "Die glücklichen Liebeslieder sind viel schwerer!"

Trotz dieser zeitlichen Distanz faszinieren die Lieder auf "Blue Raspberry" gerade auch durch ihre Unmittelbarkeit. Während heute viele andere Künstlerinnen und Künstler so sehr mit der Zukunftsplanung ihrer Karriere beschäftigt sind, dass keine Zeit bleibt, im Moment zu leben, tut Katy mit diesen neuen Songs genau das. "Die Texte sind aus einem Blickwinkel geschrieben, in dem ich genieße, was vor meinen Augen geschieht", bestätigt sie. "Die Beziehung, um die sich die Lieder drehen, war insofern experimentell, als dass es eben meine erste queere Beziehung überhaupt war, und ich denke, meine damit verbundene Unsicherheit hat dazu geführt, dass ich versucht habe, bei all diesen neuen Erfahrungen sehr präsent zu sein. Ich habe keine Gedanken daran verschwendet, die Zukunft vorherzusagen."

Die Beziehung ist allerdings nicht der einzige lose konzeptionelle Rahmen auf "Blue Raspberry". So ist "Salt Crystal" gewissermaßen eine Reprise von "Cubic Zirconia", wiederholte Textzeilen inklusive, und auch sonst bestehen zwischen den anderen Songs mehr oder weniger offensichtliche Verbindungen. "Man hört das nicht oft, aber ich bewundere Künstlerinnen und Künstler, die sich nicht scheuen, die gleiche Textzeile in verschiedenen Songs zu verwenden", sagt Katy. "Ezra Koenig von Vampire Weekend ist einer von ihnen. Ich finde, das sorgt für ein schönes Gefühl von Kontinuität, fast so, als würde eine Unterhaltung zwischen den Liedern stattfinden. Ich schrieb all diese Lieder, und es fühlte sich einfach richtig an, bestimmte Zeile zu wiederholen. Ich ließ das einfach geschehen, da ich wusste, dass ich es später würde ändern können, wenn es sich falsch anfühlen würde, aber mir gefiel diese Art von Zirkularität."

Echt sind auf "Blue Raspberry" allerdings nicht nur die Emotionen, die Katy in ihren Texten transportiert. Auch klanglich ist das Album wunderbar naturbelassen, wenn es zwischen Singer/Songwriter-Pop, dezenten Schlenkern zu Folk und Country und einigen willkommenen Jazz-Anleihen wohlig warm tönt und mit sanften Streicher- und Bläser-Parts deutlich facettenreicher ausgestaltet ist als das eher minimalistische "Cool Dry Place". Bei Katys brillantem Soloauftritt in Berlin vor knapp zwei Jahren spielte sie eine Handvoll der neuen Songs noch in bemerkenswerten Soloversionen, auf "Blue Raspberry" dagegen sorgen die beiden Produzenten und Multiinstrumentalisten Alberto Sewald und Logan Chung, Keyboarderin Lane Rodges (übrigens eine alte Highschool-Freundin Katys) und Drummer Austin Arnold für ein deutlich üppigeres, aber nie überbordendes Soundgewand. "Diese Menschen sind meine besten Freundinnen und Freunde und ich vertraue ihnen einfach", erklärt Katy. "Fast fühlt es sich so an, als seien die Songs erst dann wirklich fertig, wenn ich sie in ihre Hände gelegt habe. Ich habe nicht unbedingt ein Talent für Arrangements, und in gewisser Weise bin ich in der Hinsicht auch ein wenig faul, weil ich weiß, dass sie das voll draufhaben und etwas Tolles aus den Songs machen werden."

Doch obwohl Katy das Musikmachen inzwischen mehr als bei ihrem Debütalbum als Job wahrnimmt, hat man beim Hören von "Blue Raspberry" doch immer das Gefühl, dass ihr die uneingeschränkte Selbstverwirklichung wichtiger ist, als dem Ruf von Ruhm und Geld zu folgen. "Ich habe genug Dokumentationen über berühmte Leute gesehen, um mir sicher zu sein, dass ich nicht das Temperament habe, eine Berühmtheit zu werden", sagt sie bestimmt. "Ich glaube, ich habe noch nicht einmal das Temperament, eine bedeutende Person zu sein. Ruhm und Geld scheint die meisten Menschen unglücklich zu machen, und allein deshalb bin ich daran nicht wirklich interessiert."


Dass inzwischen trotzdem die Musik Katys einziger Broterwerb ist, hat deshalb eher pragmatische Gründe. "Ich hätte sicherlich einen regulären Job, wenn ich irgendwelche Talente abseits der Musik hätte", gesteht sie lachend. "Das Einzige, was ich machen kann, ist, in Restaurants zu arbeiten, und obwohl ich das wirklich mag, kam ich an den Punkt, an dem es zu kompliziert wurde, die Arbeit mit der Musik in Einklang zu bringen. Die Vorstellung, einen regulären Job zu haben, damit ich mir keine Sorgen machen muss, finde ich trotzdem toll! Tatsächlich habe ich mir in letzter Zeit Gedanken gemacht, wie ich mit weniger Geld über die Runden kommen kann, damit ich die Freiheit habe, zu sagen: "Fuck off!", wenn man mir 5000 Dollar für etwas bietet, was ich einfach nicht machen will."

Dass man nicht nur auf der Überholspur zum Erfolg Träume wahr werden lassen kann, sondern auch mit dem unbeirrten Verfolgen des eigenen Weges, hat Katy in den letzten Jahren erlebt, ganz egal, ob sie Idole wie Andy Shauf, Julia Jacklin, Waxahatchee oder Alex G supporten durfte oder inzwischen bei ihrem Traumlabel ANTI- anheuern konnte. Trotzdem bleiben ihre Ziele auch die Zukunft bescheiden. "Ich hoffe, dass dieses neue Album dazu beiträgt, dass ich weiterhin mit der Musik meinen Lebensunterhalt verdienen kann", sagt sie abschließend. "Wenn sich alles auf dem jetzigen Niveau einpendelt, wäre ich superglücklich damit. Ich habe keine echten Erwartungen, aber ich hoffe, dass es zumindest so gut läuft, dass ich auf die gleiche Art und Weise wie jetzt weitermachen kann!"
Weitere Infos:
kirbykaty.com
www.facebook.com/katykatykirbykirby
twitter.com/KatyKirby_
www.instagram.com/katykirbs
katykirbyon.bandcamp.com
Interview: -Carsten Wohlfeld-
Foto: -Tonje Thilesen-
Katy Kirby
Aktueller Tonträger:
Blue Raspberry
(Anti/Indigo)
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