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LOTTA ST JOAN
 
"Durch-die-Blume-Lyrik kann ich nicht gut"
Lotta St Joan
Authentisch, aber nicht anachronistisch: Mit ihrer Musik trägt die in Berlin heimische Singer/Songwriterin Lotta St Joan die Magie des Folk von gestern und vorgestern mit traumwandlerischer Leichtigkeit in die Jetztzeit und findet so, einfühlsam und stimmgewaltig zugleich, die perfekte Ausdrucksform für ihre grüblerisch-tiefgründigen Texte. Ehrlich, unverstellt und echt hatte sie schon vor rund drei Jahren auf ihrem fabelhaften Debütalbum "Hands" mit einer bemerkenswerten songwriterischen Zurückhaltung und einer herrlich empathischen Performance geglänzt und so die Reduktion auf das Wesentliche in den Fokus gerückt. Auf den Spuren von Gigantinnen wie Joan Baez oder Joni Mitchell erkundete sie dabei wunderbar intim und großer Gelassenheit die (Un-)Tiefen ihre eigenen Gefühle, bevor sie nun mit ihrem nicht weniger beeindruckenden zweiten Album "Song For The Undecided" ihr Tun stringent auf die nächste Stufe hebt.
Verarbeitete sie auf ihrem allein zu Hause eingespielten Erstling eine schmerzhafte Trennung, ist der Blick auf dem neuen Werk nicht nur nach innen gerichtet, wenn sie die Sehnsucht nach Verbundenheit und den Wunsch nach Entschlossenheit in den Mittelpunkt stellt, und auch klanglich ist der Bogen dieses Mal weiter gefasst. Produziert von Produzent Cameron James Laing, dem Gründer von Berlins musikalischer Fundgrube The Famous Gold Watch Studios, verschmelzen auf "Song For The Undecided" klassisch-elegante Folk-Schlichtheit und nostalgischer Pop mit orchestralem Glanz, der bisweilen fast an Judee Sill erinnert. Filigranes Gitarren-Fingerpicking, leichtfüßige Klavierfiguren, dezente Bassläufe, einschmeichelnde Streicher und warmtönende Bläser sorgen dabei für einen stets transparenten, aber doch liebevoll ausstaffierten Sound, der die oft Melancholie-getränkte Schwere der Songs im Handumdrehen vergessen lässt.

Auch auf der Bühne wird Lotta in Zukunft anders als zuvor nicht mehr ausschließlich allein stehen. Die Premiere feiert ihre neuformierte, international hochkarätig besetzte Band mit Schlagzeuger Tom Osander, Bassist Felix Buchner, Pianist Fabrizio Tentoni - die alle auch auf dem Album zu hören sind - sowie Gitarrist Adar Alfandari gleich am Tag nach der Veröffentlichung des neuen Albums beim Release-Konzert am 23. März 2024 in der Pfarrkirche Weißensee in Berlin. Warmgespielt für den Auftritt hat sich Lotta eine Woche zuvor bei einer kleinen Solotournee durch Deutschland und Holland gemeinsam mit Like Mint - und dort fand sie auch die Zeit, sich den Fragen von Gaesteliste.de zu widmen.

GL.de: Wo bist du, während du diese Fragen beantwortest, und wie ist die Stimmung?

Lotta St Joan: Ich sitze im Auto von Den Haag nach Berlin. Hinter dem Steuer sitzt Like Mint, hört Musik und singt, das ist sehr gemütlich. Wir haben die letzten drei Tage in Hamburg, Osnabrück und Den Haag Konzerte gespielt. Für mich fühlt sich die Autofahrt wie die Ruhe vor dem Sturm an - ab morgen ist Album-Release-Woche.

GL.de: Um mit etwas Allgemeinem einzusteigen: Welchen Stellenwert hat, welche Rolle spielt die Musik in deinem Leben - und wie hat sich das über die Jahre verändert?

Lotta St Joan: Ich erinnere mich an wichtige Momente in meinem Leben, seit ich klein bin, bis heute, sie hatten fast immer mit der Musik zu tun. Momente, die mir das Gefühl gaben von: ja, da zieht es mich hin, das bin ich. Als ich sechs Jahre alt war, hat unsere Nachbarin aus dem Haus nebenan meine Mutter angesprochen, wer denn immer singt bei uns. In dem Alter war ich sicher, dass ich wie eine professionelle Opernsängerin klang, die Frequenz kam sicher ran. Die Idee, Musik zu meinem Lebensmittelpunkt zu machen, war lange abstrakt - lieber etwas "Richtiges" lernen. Nach dem Lehramtsstudium war der Schmerz darüber, es nicht zu leben, aber so groß, dass ich es getan habe. Berlin hat dabei geholfen. Jetzt denke ich daran jede Stunde an jedem Tag, und das ist schön, zuweilen fordert es mich aber ziemlich.

GL.de: Wann und wie bist du eigentlich (als Hörerin wie als Musikerin) zum Songwriter-Folk und speziell zu dieser herrlich unverfälschten Form gekommen - und was macht für dich den besonderen Reiz daran aus?

Lotta St Joan: Meine Anfänge im Songwriting waren textlich gesehen sehr schüchtern. Es ging mir um die Melodie, die Musik, die Stimmung - den Text versteht ja eh keiner. Es waren dann Musiker-Kollegen in der Berliner Folk-Szene und natürlich die Klassiker: Leonard Cohen, Joni Mitchell, Joan Baez, die mich gelehrt haben, dass der Text das Lied trägt. Passend dazu ging ich zeitgleich durch eine Trennung - und diese Geschichte wollte raus. Alles, was ich sage, muss in dem Moment wahr sein, das war mein Credo. Seitdem kommt oft der Text zuerst, dann die Musik. Folk bietet sich dafür an; jeder Song ist am Anfang wohl irgendwie Folk, wenn die Gitarre dazu zupft. Ich wollte mich nicht ablenken lassen, sondern auf das Handwerk konzentrieren - das Lied muss so funktionieren, ohne Schnickschnack. Das macht für mich Folk aus. Das hat beim ersten Album geklappt, aber ich bin Musikerin und liebe es, in der Gruppe zu spielen - deswegen habe ich mich für das zweite Album weitergewagt.

GL.de: Deine Songtexte haben oft Anknüpfungspunkte zu deinem eigenen Leben, eine Trennung bei "Hands", die Auseinandersetzung mit Unentschlossenheit (und mehr) auf der neuen Platte. Doch wonach suchst du in deinen Songs, vor allem textlich?

Lotta St Joan: Immer nach der Wahrheit. Das klingt ziemlich kitschig, stimmt aber. Das kann eine Erkenntnis sein oder auch eine ganz sachliche Beschreibung eines Zustandes, die es auf den Punkt bringt. Dabei ist mein Gefühl dazu der einzig zulässige Lektor. No excuses - Durch-die-Blume-Lyrik kann ich nicht gut.

GL.de: Du könntest ja auch Gedichte oder einen Roman schreiben, um deine Gedanken und Gefühle festzuhalten. Was macht das Songformat für dich besonders?

Lotta St Joan: Meine erste Liebe war die Melodie, viele Jahre bevor ich die ersten Zeilen geschrieben habe. Das hat sich über die Jahre nicht geändert - ich sehe mich in erster Linie als Sängerin. Nichts kann mich so beruhigen, wie auf der Couch zu sitzen, Gitarre zu spielen und vor mich hin zu summen. Da bin ich zu Hause, das kann das Texten allein mir nicht geben.

GL.de: Auf "Hands" hast du einen bestimmten Lebensabschnitt nachgezeichnet, in gewisser Weise war das eine Geschichte mit Anfang, Mitte und Ende. Bei der neuen Platte legt schon der Titel der Platte nahe, dass die Fülle der Möglichkeiten bisweilen überfordernd sein kann. Wie hast du dieses Mal einen Rahmen, einen Spannungsbogen für das Album gefunden?

Lotta St Joan: Das ist ein Thema, das mich viel beschäftigt hat. Auf der ersten Platte ist das ganz natürlich passiert, und es freut mich, wenn es für jemanden hörbar ist. Auf "Song Tor The Undecided" schwanke ich eher hin und her, als mich von der Frage bis zur Antwort entlangzusingen. Da steht am Anfang die Frage und am Ende ist sie wieder da. Für diesen Rahmen habe ich mich entschieden - zwischendrin stecken vermeintliche Erkenntnisse, aber nie die Auflösung. Man muss es sich also bequem machen im Zwischendrin.

GL.de: Für das Album-Artwork hast du dich auf eine überschaubare Auswahl an Analog-Fotos beschränkt. Würdest du sagen, dass dieser Weniger-ist-mehr-Ansatz auch sonst ein probates Mittel gegen Unentschlossenheit ist?

Lotta St Joan: Wie auch beim Komponieren und Texten warte ich bei allen künstlerischen Entscheidungen auf den Moment, der mir deutlich sagt: ja, so muss es sein. Der kommt oft nicht genau dann, wenn man es möchte. Dann müssen rationale Entscheidungen her, und darin tue ich mich schwer - die gebe ich gern ab. Im Cover-Artwork-Fall war das der Plan, und am Ende kam doch der Moment, der mir die Entscheidung aus der kleinen Auswahl leicht machte.

GL.de: Immer mehr Künstler suchen heute spätestens beim zweiten Album nach Abkürzungen auf dem Weg zu mehr Klicks und kommerziellem Erfolg und vergessen dabei oft, was sie anfangs ausgemacht hat. Du dagegen knüpfst mit dem neuen Album wunderbar authentisch an "Hands" und machst organisch den nächsten Schritt. Konzept oder Zufall?

Lotta St Joan: Ich höre selbst fast ausschließlich komplette Alben, der Playlist-Trend geht an mir vorbei. Das heißt nicht, dass ich nicht manchmal Songs in Dauerschleife höre - künstlerisch gesehen ist es mir aber zu kurz gedacht. Vielleicht auch etwas old-school: ich will Platten machen, am besten so viele wie möglich! Und ich will sie in der Hand halten. Ich finde es außerdem wahnsinnig interessant, Alben anderer Künstler zu hören und dann deren Leben zu recherchieren, um ganz genau zu verstehen, was gemeint ist. Die Frage, ob ich mir ein weiteres Album zumute, war also hinfällig. Dass ich mich in der Zukunft auch einmal zu einer EP hinreißen lassen werde, ist aber wahrscheinlich.
GL.de: Die neuen Songs sind Arrangement-technisch spürbar ausstaffierter. Mehr auf Kollaboration zu setzen, bedeutet auch, mehr Verantwortung in die Hände anderer zu legen. Ist dir das leichtgefallen oder zumindest leichter, weil du mit "Hands" praktisch schon einen Weg vorgezeichnet hast, der ganz dein eigener ist?

Lotta St Joan: Ich habe mich total darauf gefreut, von anderen Musikern Input zu bekommen - ob ich das annehme oder nicht, lag bei mir, deswegen war das ganz leicht! Mein Produzent, Cameron James Laing, hat schon meine erste Platte gemixt, er kennt mich und meine Musik sehr gut und versteht meine Vision. Dahingehend war es leicht, z.B. Arrangement-Ideen anzunehmen. Er ist verantwortlich für viele der orchestralen Momente. Grundsätzlich lagen aber alle kreativen Entscheidungen bei mir - alles, was von den Musikern kam, war ein Geschenk für mich. Ich erinnere mich bei dieser Frage konkret an den Studiotag mit Fabrizio Tentoni. Er spielt das Klavier bei dem Song "Until You Need Me" - was für mich der Titeltrack des Albums ist. Die Gitarre ganz wegzulassen und das Klavier nicht selbst zu spielen, hat sich damals wie ein Risiko angefühlt. Ich kannte Fabrizio noch nicht lange, als er ins Studio kam und wir den Song eingespielt haben - live, er im einen, ich im anderen Raum. Ich erinnere mich ganz genau an den Moment, als wir uns nach der Aufnahme wieder im Control Room trafen. Es fühlte sich an, als hätten wir uns gerade durch die Musik erkannt.

GL.de: Faszinierend an "Song For The Undecided" ist auch, dass trotz größerer Arrangements immer noch der Song und nie allein der Sound im Fokus steht. Kannst du ein wenig den Prozess des Arrangierens der Songs beschreiben?

Lotta St Joan: Das freut mich. Den Ansatz, dass der Song auch ohne großes Arrangement funktionieren muss, habe ich auch auf diesem Album verfolgt. Das bedeutet dann, dass auf das Arrangement bezogen alles kann, aber nichts muss. Oft war die Idee, dass ein bestimmtes Instrument eine bestimmte Line spielen sollte, schon da. Genauso oft kam die Idee aber von außen. Felix Anton Remm spielt eine wunderschöne Slide Guitar Melodie auf "Always", Fabrizio Tentoni hat "Between You And I" durch seine Piano-Line maßgeblich beeinflusst, Hans Gnendinger hat mit mir z.B. das Streicher-Arrangement für "How Cruel" geschrieben und mein Produzent Cameron hat unzählige Ideen mit hineingebracht, wie z.B. das Arrangement für Once; Tom Osander hat das B3 in "Oh Woman" initiiert - ich hatte das Privileg, viel Zeit im Studio zu verbringen, und konnte dadurch viel ausprobieren. Es gibt kaum etwas, das mir mehr Freude macht.

GL.de: Das Album klingt, gerade heute, da immer mehr Acts den stets gleichen Trends nachlaufen, wunderbar zeitlos. Gibt es bestimmte Künstler, die in dieser Hinsicht als leuchtendes Beispiel gedient haben, während ihr die neuen Songs arrangiert habt?

Lotta St Joan: Ein Musiker, der mir immer wieder in den Kopf kam, wenn wir im Studio über den Sound des Albums gesprochen haben, war Nick Drake. Wer liebt ihn nicht? Mir war unheimlich wichtig, dass das Album warm und gemütlich klingt - absolut keine nicht unbedingt notwendigen Höhen im Mix, und das geht leider gänzlich gegen den momentanen Trend (ich bin eigentlich nicht dazu qualifiziert, über Trends zu sprechen). Wir haben viel mit Referenzen gearbeitet, aber immer nur in Bezug auf den Klang bestimmter Instrumente oder des Gesangs. Eher: ich spiele den Song, ich höre den Song so lange, bis er mir sagt, was er braucht. Dann bin ich natürlich auch beeinflusst von unzähligen zeitgenössischen Musikern: Rachel Sermanni, Laura Marling, Jose Gonzalez, Adrianne Lenker, Jessie Monk, Angel Olsen, Elena Tonra, um nur einen Bruchteil von ihnen zu nennen.
GL.de: Letzte Frage: Was macht dich als Musikerin gerade besonders glücklich?

Lotta St Joan: Wir fahren mittlerweile seit drei Stunden gen Berlin. Gerade war auf dem Rasthof-Schild ein großes "M" zu sehen, Like Mint hat schon den Blinker gesetzt. Es sind die kleinen Dinge!






Weitere Infos:
www.lottastjoan.com
www.instagram.com/lotta_st_joan
www.facebook.com/lottastjoan
lottastjoan.bandcamp.com
Interview: -Carsten Wohlfeld-
Foto: -Elvira Akzigitova-
Lotta St Joan
Aktueller Tonträger:
Song For The Undecided
(Must Be Mad Records)
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