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23.05.2006
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Rock N Roll Fun!

Sleater-Kinney

Köln, Gebäude 9 / Berlin, Maria
23.05.2006 / 25.05.2006

Sleater-Kinney
Rückblende, 20. Juli 2000: Sleater-Kinney stehen auf der Bühne des Kölner Gebäude 9 und der Abgesandte von Gaesteliste.de mit offenem Mund davor. Was die drei Mädels aus Portland, Oregon, an diesem Abend veranstalteten, war ein ungefiltertes Rock N Roll-Feuerwerk, wie man es nur ganz, ganz selten zu sehen (und zu hören) bekommt, mal ganz abgesehen davon, dass sich das Bild von Gitarristin Carrie Brownstein, einen Fuß auf der Monitorbox, die Körperhaltung wie Malcolm Young, die Akkorde zu John Fogertys "Fortunate Son" aus ihrer Gibson SG herausprügelnd, als eine der definitivsten Rock-Posen überhaupt in das Gehirn eures Korrespondenten eingebrannt hat. Und bei der Zugabe gab's sogar noch einmal "Jenny" und "I Wanna Be Your Joey Ramone" zu hören. Wow!

Jetzt, sechs Jahre später, also endlich die Chance, Sleater-Kinney wieder live in Deutschland zu sehen. Sechs Jahre, in denen viel passiert ist. Sechs Jahre, in denen das Trio das oft missverstandene "One Beat"-Album veröffentlichte, nach der Geburt von Sängerin Corin Tuckers erstem Sohn die Tourneen zusammenstrich und mit dem aktuellen Album "The Woods" eine Platte vorlegte, auf der anstatt wütender Punkrocknummern plötzlich ausgefeilte Arrangements und - wenngleich bemerkenswerte - Endlos-Improvisationen auftauchten, und ab und zu sogar Folksongs wie Richard & Linda Thompsons "I Want To See The Bright Lights Tonight" ins Programm rutschten.

In Köln bestand das Mainset fast ausschließlich aus dem (dafür aber bis auf eine Nummer kompletten) "The Woods"-Album. Klingt vielleicht sterbenslangweilig, war's aber nicht. Denn Carrie hat immer noch alle Saitenhelden-Posen perfekt drauf, macht Luftsprünge, hält die Gitarre wie ein Maschinengewehr, kniet auf dem Boden, spielt ihr Instrument mit einer Hand. Die großartige Janet Weiss spielt Schlagzeug wie ein Kerl - was ausdrücklich als Kompliment gemeint ist - und manchmal sogar gleichzeitig (!) auch noch Mundharmonika. Corin Tucker ist - das bestätigte ihr auch der Rolling Stone - die mächtigste Stimme des Rock. Und spielen können sie! Wo man andere Punkbands in dem Moment, in dem sie ihre Instrumente erlernen, für gewöhnlich in die Tonne kloppen kann, drehen Sleater-Kinney erst richtig auf: Janet Weiss beim Drumming zuzusehen, ist nicht nur beim sensationellen "Jumpers" alleine schon das Eintrittsgeld wert, und die Keith Richards-Riffs, die Carrie beim weit über zehnminütigen "Let's Call It Love" auspackt, sind nicht weniger großartig. Klar, die ungestüme Jugendlichkeit der "Call The Doctor"-Zeiten gehört der Vergangenheit an, aber echte Verschnaufpausen gab's außer beim inzwischen gar von Pearl Jam gecoverten "Modern Girl" trotzdem nicht. Dass nach dem Konzert auf den einschlägigen Message Boards einige Konzertbesucher der Band fehlende Leidenschaft vorwarfen, ist übrigens absolut lächerlich. Gerade die absolute Konzentration, die Fokussierung auf die Songs und das völlige Aufgehen in der eigenen Musik - genau das ist doch wahre Leidenschaft!

Zumal die Band auch richtig locker wurde, nachdem mit "Entertain" die "The Woods"-Aufführung (und damit das Hauptprogramm) vorüber war. Dass auf der Setlist keinerlei Zugaben vermerkt waren, sollte dem Publikum allerdings nicht zum Nachteil gereichen. "Wunschkonzert" hieß die Devise! Natürlich wurde dann vor allem uraltes Zeug gewünscht, teils sogar aus der Zeit vor Janets Einsteig vor zehn Jahren, was Corin schmunzelnd mit "Ihr legt es aber wirklich darauf an, Janet traurig zu machen" kommentierte. Selbst den bei der Band nicht so gut gelittenen heimlichen Hit "Little Babies" wollten sie eigentlich nicht spielen, weil er einen Abend zuvor in Paris schon im Programm war. Immerhin ließ Corin aber noch ein Hintertürchen offen und meinte, wenn das Publikum zur nächsten Nummer tanzen würde, könne das die Band womöglich umstimmen. Also kam - nicht nur wegen Corins Aufforderung - bei "You're No Rock N Roll Fun" im Publikum richtig Bewegung auf, was prompt mit "Little Babies" und dann sogar noch mit "Words And Guitar" belohnt wurde! Besser hätte das Konzert gar nicht enden können! Das dachten sich wohl auch die Mädels und verschwanden hinter der Bühne. Doch genau wie sechs Jahre zuvor kamen sie - entgegen ihrer sonstigen Gewohnheiten - auch dieses Mal zu einem zweiten Zugaben-Block zurück auf die Bühne und spielten eine Coverversion, die mit "Fortunate Son" aus dem 2000er Konzert zwei Dinge gemein hatte: Sie war perfekt gespielt, und wirklich niemand würde darauf kommen, dass eine Frauenband sich diese Nummer aussuchen würde: "Mother" von Danzig! Verständlicherweise stand der Laden bereits nach den ersten Akkorden (gibt es eigentlich bessere Rockriffs als das dieser Nummer?) Kopf, und als sich an den Song nahtlos auch noch die Hymne "Dig Me Out" anschloss, kannte die Ekstase keine Grenzen mehr. Wahnsinn! Die Devotionalien - designed von Janet, feilgeboten von Corin - gingen anschließend weg wie warme Semmeln.

Zwei Tage später in Berlin merkte man der Band die Tourstrapazen an - der Feiertagsverkehr auf der Autobahn zum dazwischen liegenden Konzert in Hamburg muss sehr nervenzehrend gewesen sein -, doch auch wenn sich die drei auf der Bühne anfangs (noch) mehr als in Köln zurücknahmen - den Performances (an denen auch in Köln natürlich nichts auszusetzen war) tat das eher gut. Zumal die Mädels die neuen Songs hörbar als Spielwiese nutzten und die Nummern hier und da in andere Richtungen abdrifteten als noch zwei Tage zuvor in Köln. Bei den knappen, präzisen Punkrocksongs der Vergangenheit wäre so etwas natürlich undenkbar gewesen. Sicherlich hat es auch nicht geschadet, bereits das Mainset mit einigen richtigen "blasts from the past" zu würzen und zum Beispiel "Pompeii" gleich als zweite Nummer nach dem aufwühlenden Opener "The Fox" zu bringen. Das heimliche Highlight war an diesem Abend allerdings "Rollercoaster", das seinem Titel auch musikalisch völlig gerecht wurde. Vielleicht lag die vornehme Zurückhaltung aber einfach daran, dass das Venue größer und das hauptstädtische Publikum weniger enthusiastisch als das in Köln war?

Trotzdem wurden auch die Berliner bei den Zugaben nach ihren Songwünschen gefragt, "Step Aside" ausgegraben (nachdem Corin augenzwinkernd gefragt hatte, ob es wohl möglich wäre, die Wünsche auf Songs aus diesem Jahrtausend zu beschränken), das großartige "Get Up" gespielt und "Oh!" als letztes Stück angekündigt. Doch plötzlich wollten die drei gar nicht mehr aufhören, und so kamen die Berliner in den Genuss der längsten Zugabe der gesamten Tour, die ein weiteres Mal mit "Mother" (Corin: "Jetzt kommt eine Nummer zum Mitsingen") ihren Höhepunkt fand. Weiter kann man sich von den üblichen "Mädels in Punkbands"-Klischees nicht mehr entfernen. Der Auftritt vor sechs Jahren war der helle Wahnsinn, anno 2006 aber waren Sleater-Kinney einfach noch viel, viel besser! Um es mit einem ihrer besten Songs zu sagen: They are Rock N Roll fun!

Surfempfehlung:
www.sleater-kinney.com
www.sleater-kinney.net
www.electrip.com/sleater-kinney
www.myspace.com/sleaterkinney

Text: -Carsten Wohlfeld-
Foto: -Carsten Wohlfeld-
 

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