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27.05.2011
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Trinkt aus, Matrosen, yo-ho!

Immergut Festival

Neustrelitz, Festivalgelände Neustrelitz
27.05.2011 / 28.05.2011

Immergut Festival
Im letzten Jahr waren wir noch ein wenig unzufrieden mit den kleinen Veränderungen beim Immergut Festival. Dieses Jahr sieht vieles schon ganz anders aus - und das ist gut so. Schließlich ist es doch immer wieder schön, am letzten Mai- bzw. ersten Juniwochenende ins idyllische Neustrelitz aufzubrechen. Spätestens wenige Kilometer auf der Landstraße hinter Berlin stellt sich dieses ganz besondere Gefühl ein: Entgegen der Vorhersagen hält sich das Wetter (bis hierher), aus dem Autoradio pumpt der frisch zusammengestellte Immergut-Mix, auf der Rückbank klimpern die Bierkisten, der Fahrtwind zerzaust das Haar. Immergut, wir kommen.

Mit ein wenig Glück konnte man sein Zelt am Freitag sogar noch im Trockenen aufbauen. Gegen 17 Uhr allerdings brach dann der große Sturm inklusive heftigem Schauer los. Pavillons und Mülltüten flogen über den Campingplatz, die Temperatur sank schlagartig ab, die Laune kurzzeitig ebenfalls. Doch Gottseidank war das Naturschauspiel nur von kurzer Dauer. Trotz teilweise geradezu deprimierender Wettervorhersagen in den Tagen vor dem Festival schien nach diesem Wolkenbruch praktisch bis Sonntag die Sonne.

Und so kam dann auch der Moment: Endlich wieder die Wiese am Neustrelitzer Bürgerseeweg betreten. Eben noch schnell das Bier (es wird mittlerweile etwa das fünfte sein) runterstürzen, von der netten Security abtasten lassen und endlich hinein. Verändert hat sich zum Glück kaum etwas. Ein paar mehr Bierbuden vielleicht, sonst ist fast alles beim Alten. Es ist jedoch schön zu sehen, dass man sich die Kritik vieler Besucher aus dem letzten Jahr offensichtlich zu Herzen genommen hat: Die dritte Bühne, der "Birkenhain", ist kein ultraflaches Miniatur-Zirkuszelt mehr, sondern viel mehr ein erhöhter Pavillon, der Künstler und Equipment vor Wind und Wetter schützt, dem Publikum aber einen klaren Blick auf das Geschehen bietet.

Das Geschehen wird zum Zeitpunkt unseres Eintreffens von Sterne-Kopf Frank Spilker bestritten. Der steht da oben auf seinem Podest und gibt mit der Akustikgitarre ein paar seiner Solosongs und natürlich auch gute alte Sterne-Klassiker zum Besten. Genau das Richtige, um gemütlich ins Festival einzusteigen. Spilker wie immer sympathisch und witzig und auch mit Akustikgitarre swingen die Songs einfach: "Universal Tellerwäscher" geht eh immer. Das weiß auch das Publikum und singt daher ganz (bier?)beseelt und lautstark mit.

Kurz darauf kamen dann die fünf schwedischen jungen Damen von Those Dancing Days auf die Mainstage, in diesem Falle "Waldbühne" genannt. Leider gab es hier einige Schwierigkeiten mit dem Sound. Das Publikum störte diese Tatsache eigentlich weniger - die Mädels auf der Bühne reagierten jedoch mit weniger Humor: Allen voran Sängerin Linnea Jönsson war sichtlich genervt. Das passte gar nicht zum gutgelaunten Indiepop, den die Schwedinnen eigentlich abliefern. Glücklicherweise übertrug sich diese Miesepetrigkeit nicht auf die Menschen vor der Bühne. Und so wurde zu Songs wie "Hitten", "Reaching Forward" und "I'll Be Yours" zum ersten Mal an diesem Wochenende ein wenig getanzt.

Besser wurde es direkt im Anschluss mit Who Knew auf der Zeltbühne. Hatten einige Gäste bis zum Mittwoch noch gefürchtet, die Isländer würden wegen der Aschewolke des Grímsvötn auf ihrem Eiland stecken bleiben, konnte man sich hier und jetzt eindrucksvoll vom Gegenteil überzeugen lassen: Who Knew brachten mit ihrem elektronisch angehauchten Indierock zum ersten Mal die Holzdielen zum Beben. Plötzlich flogen Luftballons über die Köpfe hinweg, strahlende Gesichter überall im mittlerweile völlig verschwitzten Zelt.

Gleich danach wurde Darwin Deez zum vermutlich größten Spalter des Festivals: Die einen fanden den Mann mit den leicht bescheuerten Locken und seinem kleinen Hit "Radar Detector" gut, die anderen die halb-ironischen Backstreet Boy-Tanzeinlagen der Band eher überflüssig. Bei Ra Ra Riot danach im Zelt konnten sich jedoch wieder alle einig sein: Die Indiepopper aus Syracuse, New York, mit ihren beiden Streicherinnen Alexandra Lawn und Rebecca Zeller und ihren zuckersüßen Songs wie "Ghost Under Rocks", "Too Too Fast" und vor allem "Dying Is Fine" wussten restlos zu entzücken.

Als Abschluss des Freitags boten Mogwai ihre gewohnt furiose Show, die wie immer weniger darin bestand, sich auf der Bühne viel zu bewegen oder große Reden zu schwingen. Die Schotten überwältigten ganz einfach mit ihrem unglaublich fetten Sound, den Songs vom tollen neuen Album "Hardcore Will Never Die, But You Will" und den gelungenen Videoeinspielern auf einer großen Leinwand auf der Bühne. Doch das sollten nicht die letzten Gänsehautaugenblicke für die erste Festivalnacht bleiben.

Mittlerweile war es nämlich bitterkalt, sodass man sich zwangsläufig zur Zeltbühne verziehen musste. Hier war jetzt "Segeln" angesagt. Passend zum Festivalmotto "Schiff - Fisch" legten DJs - nicht zuletzt Immergut-Urgestein Kemper - die Indiehits der 80er, 90er und 00er auf. Und wie immer beim Immergut - vorausgesetzt der eigene Körper schaffte es denn noch bis zur Zeltdisco - gab es hier denkwürdige Augenblicke zu erleben. Gegen halb fünf Uhr morgens mit wildfremden Menschen "Don't Look Back In Anger" gröhlen, sich umdrehen und plötzlich alte Freunde aus Studienzeiten - ebenso gröhlend - treffen - das gibt es nur hier.

Und auch das war längst nicht alles: Am Samstag ging es schließlich mit mindestens ebenso gutem Programm weiter. Zunächst stand vormittags das alljährliche Fußballturnier "Immergutzocken" statt. Wer dafür nach den Strapazen vom Vortag nicht verrückt genug bzw. wem das zu heiß war, der konnte sich an einen der umliegenden Seen verziehen. Oder vielleicht doch lieber im Schatten auf dem gemütlichen Zeltplatz das erste Bier anstechen. Richtig in die Gänge kam der Samstag dann mit den Hamburgen Herrenmagazin. Die waren, scheint's, selbst überrascht, wie viele Leute den Weg zu ihnen ins Zelt gefunden hatten - und lieferten freudig überrascht ab. Band und Publikum hatten offenkundig wahnsinnigen Spaß miteinander. Sänger und Frontkasper Deniz Jaspersen konnte sein Glück kaum fassen und kam aus dem Grinsen einfach nicht mehr raus, als hunderte Kehlen lauthals Zeilen wie "Natürlich ist es besser, nur sich selber zu zerstören" oder "Es weht ein Wind, der nichts als Scheiße bringt" mitsangen. Herrenmagazin - wie immer nicht nur ein persönliches Highlight.

Direkt im Anschluss betraten die blutjungen Balthazar aus Belgien die Waldbühne. Man kann davon ausgehen, das nicht jeder Festivalbesucher die Band im Vorfeld kannte - aber nicht wenige werden danach im Merchandise-Zelt ihr Album gekauft haben. Eine junge, wenig bekannte Band wie die Belgier auf die Hauptbühne zu stellen, könnte man auch als gewagt bezeichnen. Hier ging der Plan aber voll auf: Balthazar begeisterten mit ihrer abgehangen-groovigen Mischung aus Blues- und Indierock das gesamte Gelände, sodass es zum letzten Lied hin brechend voll wurde: Schließlich wollten alle ihr Glas auf die Band erheben ("Raise your glass...") und gemeinsam anstoßen.

Kämen nicht später noch Retro Stefson, so hätte man Balthazer getrost als Tagessieger bezeichnen können. Doch davor waren noch Waters aus den USA dran: Waters sind Van Pierszalowski von den aufgelösten Port O'Brien mit seiner neuen Band. Die neue Band hielt den Chef aber nicht davon ab, gleich mal "I Woke Up Today", den Hit von Port O'Brien, anzustimmen. Das war auch gleich eine gute Vorgabe für die übrige Show, spielten Waters doch nach vorne preschenden Indie-Folkrock, der in die Beine ging.

Im Vorfeld eines Festivals wird ja immer viel spekuliert, welche Bands kommen und welche nicht. Mehr Gerüchte als 2011 hat es beim Immergut aber wahrscheinlich noch nie gegeben. Denn was nun kam, war schon ein besonderer Coup der Veranstalter: Als das Line-Up eigentlich schon komplett war, jubelte man dem Programm noch schnell das ominöse Jane Fonda Trio unter - und zwar ausgerechnet auf der Hauptbühne vor dem zweiten Headliner dEUS. Ein begehrter Timeslot also. Bei Facebook kursierte sogar das Gerücht, das Trio seien Die Ärzte. Gottseidank war dem am Ende nicht so. Stattdessen standen um kurz nach zehn Bodi Bill - immerhin ebenfalls aus Berlin - auf der Bühne, und zwar mitsamt komischer Kostüme und Masken. Ob diese Show nun sein muss oder nicht, darüber stritten sich manche Festivalgäste - von der musikalischen Darbietung hingegen waren alle einhellig begeistert. Insbesondere die Songs "Pyramiding" vom neuen Album "What?" und natürlich "I Like Holden Caulfield" wurden frenetisch gefeiert.

Danach ging es dann zu Retro Stefson ins Zelt. Wieder Island, wieder verdammt jung - dafür mit umso mehr Power. Afrobeats, Weltmusik, Hiphop, Indierock, Disco, Funk: Der Mix klingt zwar auf dem Papier eigentümlich, brachte das Immergut-Zelt aber trotzdem zum Explodieren. Was letztes Jahr noch FM Belfast waren, sind dieses Jahr Retro Stefson. Schon erstaunlich, was da so aus Island immer zu uns rüberschwappt und was in diesem spärlich besiedelten Land musikalisch so abgeht.

Etwas weniger los war dann leider später vor der Hauptbühne beim Headliner dEUS. Viele Besucher waren vor Müdigkeit wohl schon aus den Latschen gekippt. Das tat der Show der alten Helden jedoch keinen Abbruch. Und als die Belgier um Tom Barman als letzten Song des Festivals natürlich die Überhymne "Suds & Soda" spielten, wusste man, warum dEUS so lange schon ein Wunschkandidat der Organisatoren waren. 2011 hat es endlich geklappt und ein Kreis hat sich geschlossen.

Für 2011 kann man dem Booking mal wieder gratulieren: Mit Mogwai, dEUS und Frank Spilker konnte man alte Helden für das Herz gewinnen. Mit Who Knew, Balthazar, Waters und Retro Stefson sind (neben dem Coup mit Bodi Bill) wieder einmal einige Überraschungsknaller gelungen, die für große Höhepunkte beim diesjährigen Immergut Festival sorgten. Auch die im letzten Jahr gefasste Idee, das gesamte Festival mit einem Motto zu versehen, hat in diesem Jahr wieder schön funktioniert. So sah man auf dem Gelände Seemänner und Piratenbräute, mit Augenklappen und "auftätowierten" Anker, sogar Säbel wurden gekreuzt. Es bleibt, wie es ist: Mit einem besseren Festival kann man die Open-Air-Saison nach wie vor nicht eröffnen. In diesem Sinne: Trink aus, Matrosen, yo-ho!

Surfempfehlung:
www.immergutrocken.de
www.facebook.com/immergutrocken
de.wikipedia.org/wiki/Immergut_Festival

Text: -Felix Maliers-
Foto: -Pressefreigabe-
 

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