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12.06.2011
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Unter Hasen

Orange Blossom Special 15 - 2. Teil

Beverungen, Glitterhouse-Villa
12.06.2011

Orange Blossom Special 15
Die erste Band des dritten Festivaltages - wieder zur gewohnten Mittagsstunde - ist einer dieser Acts, die immer mal wieder das Feld von unten aufrollen. Talking To Turtles - das ist das Pärchen Florian und Claudia (hier verstärkt durch zwei Bandmitglieder und einen Globus), die die Welt des Folkpop auf ihre ganz eigene Weise entdecken. Ziemlich leise etwa - jedenfalls piepten die Vögel im Garten teilweise lauter als TTT. Im Prinzip handelte es sich hierbei um eine grundsympathische Angelegenheit, bei der sogar das Publikum wurmfangender Weise zu einem frühen Gesangs-Einsatz geführt werden konnte. Eine Eigenart gibt es vielleicht noch zu erwähnen: TTT wissen manchmal nicht so recht, wohin sie mit ihren Songs eigentlich wollen - lassen aber den Zuhörer an dieser Entdeckungsreise teilhaben.

Tamikrest aus Mali sind, wie Reinhard im Rahmen einer episch zusammengerafften Glitterhouse-Historie erläuterte, der erste afrikanische Weltmusik-Act auf dem Glitterhouse-Label. Dieses Jahr trat die bunte Kapelle ohne die Hilfe von Dirt Music auf. Insgesamt klang die Sache im Vergleich zum letzten Jahr dennoch eine Prise westlicher - was zum einen am gelegentlichen Einsatz eines konventionellen Drumkits und zum anderen an den sich fast Acid-mäßig verzahnenden Gitarrenparts lag. Neu hinzugekommen war ein Kürbophon-Percussion-Instrument (bzw. eine halbe Melone, wie Rembert meinte), dennoch konnte man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Tamikrest für eine afrikanische Band ziemlich hakelige Grooves servierten. Das mag vielleicht auch damit zusammenhängen, dass die Jungs und ihre Jubeldame nicht so besonders gut gelaunt erschienen. Immerhin: Idem Kontext zu dieser Uhrzeit war diese auch optisch ansprechende Ausnahmeerscheinung eine willkommene Abwechslung.

Der nächste Act war dann ein musikgewordener Widerspruch an sich: Bei Who Knew handelt es sich um eine gut gelaunte Band aus Island, die flotten Gitarrenpop präsentierte. Isländer sind ja gemeinhin für ihre bedeutungsschwangere, schwermütige und insbesondere langsame Musik bekannt. Nicht so der singende Flummi Armann Ingvi Armannsson und seine Wikinger, die über die Bühne hüpften, als gäbe es ein Sackrennen zu gewinnen. Da die Mucke aber nicht nur gut gelaunt, sondern zuweilen auch recht krachig daher kam, war das zu dieser Zeit genau der richtige Stoff.

Madison Violet aus Kanada stellten dann musikalisch genau die Antithese zu dieser Art von Musik dar: Begleitet von einem Bassisten, aber ohne Drumkit, spielten Brenley MacEachern und Lisa MacIsaac ein Set zwischen Folk, Pop und Bluegrass (Lisa spielt neben der Gitarre auch Fidel und Mandoline). Zwischen den Tracks erzählten die Damen Wissenswertes aus ihrer Heimat - legten dabei aber zu viel Gewicht auf den Inzucht-Aspekt ihres Heimatdorfes, in dem jeder mit jedem verwandt ist. Das war dann wieder ein Act zum Zuhören. Überhaupt darf angemerkt werden, dass das OBS eigentlich noch nie so ausgewogen balanciert war wie in diesem Jahr! Abgerundet wurde das Set mit einer Cover-Version von Nirvanas "All Apologies" (da hätte man sich vielleicht ein anderes Stück gewünscht, denn das ist ja per se schon eine Folknummer). Insgesamt überzeugten Brenley und Lisa musikalisch und gesanglich auf ganzer Linie. Es bleibt allerdings ein Geheimnis, wie man mit zwei so dermaßen unterschiedlichen Stimmen solch traumhafte Gesangsharmonien hinbekommen kann. Anekdote: Während der Umbaupause gab Lisa noch ein Telefoninterview im Glitterhouse-Büro und warf davor vor lauter Begeisterung einen Stuhl um. Die Mädels legen sich schon ins Zeug!

Noch etwas zu den Great Crusades sagen zu wollen, hieße Euros nach Athen tragen! Bereits im letzten Jahr sandte Brian Krumm Mails durch die Gegend, in denen er sein Bedauern ausdrückte, beim letzten OBS nicht dabei gewesen sein zu können. Dieses Mal klappte es wieder - zum insgesamt sechsten Mal. Die Jungs hatten im Vorfeld die Fans eingebunden, die eine Setlist zusammenstellen sollten und ergänzten diese mit einigen Bonbons: So folgte gleich auf den Kracher "Feels So Good To Be In Beverungen" die Kult-Ballade "Killing Moon" von Echo & The Bunnymen und schließlich wurde noch Rocco Recycle (der tags zuvor während der Umbaupausen im Publikum gespielt hatte) für einen Gastbeitrag auf der Mülltonne auf die Bühne gebeten. Auch die Seifenblasenmaschine der Bertholinis kam wieder zum Einsatz - was letztlich dazu führte, dass der gewohnt druckvolle Gig der Great Crusades zu einer einzigen Party geriet (die natürlich in flüssiger Form nach dem Konzert fortgesetzt wurde).

Die nächste Band - Young Rebel Set - hatte Rembert letztes Jahr auf dem (ebenfalls sehr empfehlenswerten) Haldern Pop Festival als Live-Act entdeckt. Die englische Band um Matty Chipchase und Paddy Jordan macht besten britischen Folkpop im strikten Tanzrhythmus und im Geiste der Pogues (wenngleich weniger Irisch ausgerichtet). Wie von Rembert schon vorausgesehen, tanzte sich zu dieser lebhaften Mixtur quasi das ganze Publikum die Seele aus dem Leib. Nicht nur das: Es gab sogar Fans, die die ganzen Texte der Band mitsingen konnten - natürlich auch den des aktuellen Hits des YRC, "Lion's Mouth", nach Remberts Meinung der beste Song des Jahres.

Den letzten Act des Festivals, Holmes aus Schweden, hatte Rembert vorher noch gar nicht live gesehen, sondern alleine aufgrund der Qualität der beiden Scheiben "Wolves" und "Have I Told You That I Loathe You" eingeladen. Zu recht, wie sich nun zeigte. Holmes sind eine dieser typischen skandinavischen Acts, die mit den Versatzstücken aus Americana und nordischer Melancholie eine ganz eigene, bezaubernde Mixtur anrühren können. Es gab sogar ein eigenes Sounddesign, das nicht unwesentlich von einer atypisch eingesetzten Steel-Gitarre und Larisa Robsahms Akkordeon geprägt wurde. "Die Ansage von Rembert war ziemlich surreal", meinte der sympathisch zurückhaltende Frontmann Kristoffer Bolander, "weil wir kein Wort verstanden haben. Aber wen es interessiert: Beverungen hieße auf Schwedisch so viel wie Biberchen." Wie dem auch sei: Holmes bildeten den gewohnt nachhaltig wirkenden Ausklang des Festivals, das wieder ein Mal erfolgreich mit den Erwartungshaltungen der Fans Achterbahn gefahren wurde. So erklärte es zum Beispiel ein langjähriger Fan: "Früher konntest du dich auch mal für eine Stunde unter einen Baum legen, wenn dir ein Act nicht gefiel. Heute musst du dir schon fast alles anschauen, um auch bloß nix zu verpassen."

Den Abschluss bildete dann ein Überraschungsauftritt der Glitterhouse-Crew, die als Hasen verkleidet zu der Melodie von John Denvers "Country Road" dem sichtlich überraschten, ja gerührten Rembert ein Dankesständchen brachten. Gibt's ja auch nicht auf jedem Festival...

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Surfempfehlung:
www.orange-blossom-special.de
www.glitterhouse.com

Text: -Ullrich Maurer-
Foto: -Ullrich Maurer-
 

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