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12.12.2015
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Abwechslung mit Spaß

Emily Barker

Rees-Haldern, Haldern Pop Bar
12.12.2015

Emily Barker
Bevor Emily Barker die kleine Bühne der Haldern Pop Bar betritt, genehmigt sich die australische Weltenbummlerin erst noch ein, zwei Kurze an der Bar. "Sie muss wohl die Stimme ölen", vermutet eine Dame im Publikum, doch womöglich will sich die 35-jährige Singer/Songwriterin auch einfach ein bisschen Mut antrinken. Denn während sie in der Vergangenheit zumeist mit ihrer Band The Red Clay Halo oder mit ihrem Projekt Vena Portae tourte und erst vor wenigen Monaten in Nashville gemeinsam mit Amy Speace und Amber Rubarth ein neues Trio aus der Taufe hob, ist sie am Niederrhein - wie schon bei den Aufnahmen ihres feinen aktuellen Albums "The Toerag Sessions" - auf sich allein gestellt.

Als sie gegen Viertel vor neun die Bühne betritt, sieht es trotzdem so aus, als würde gleich eine ganze Band auftreten. Neben einer Akustikgitarre liegt dort auch eine Stromgitarre, es gibt einen alten Verstärker, eine amtliche Sammlung Effektgeräte, ein Kickboard für die mit dem Fuß mitgestampften Beats und eine Mundharmonika. Davor ragen gleich zwei Mikros in die Höhe, und auch das Klavier der Pop Bar ist in Position gebracht. Doch auch wenn es im ersten Moment so scheint, als hätte Emily beim Equipment etwas übertrieben - als das Konzert 75 Minuten später zu Ende geht, ist klar, dass sich der Aufwand gelohnt hat. Denn wo andere Konzerte noch so guter Singer/Songwriter schnell eintönig werden, glänzt Emily, die seit Langem in Großbritannien zu Hause ist und inzwischen mit einem Deutschen liiert ist, mit stilistischer Vielfalt und - all den Utensilien auf der Bühne sei Dank - klanglich großer Bandbreite.

Zu Beginn erinnert "Little Deaths", herrlich altmodisch, an den britischen Folk der 60er und 70er, "Blackbird", das ihre ersten Europa-Erfahrungen als Rucksacktouristin widerspiegelt, rückt mit seinem forschen Harmonika-Einsatz fast ein wenig in die Nähe des frühen Bob Dylan, "Over My Shoulder" deutet mit einem gedämpften Jazz-Vibe in Richtung Norah Jones, und bei den beiden ganz ausgezeichneten neuen Stücken "Stockholm Down Below" und "Postcards To Bridgetown" (in dem es um die Post von unterwegs geht, die sie ihren Neffen und Nichten in ihrer australischen Heimatstadt schickt) klingen Lucinda Williams und klassischer Americana an. Familiär geht es auch in "Letters" zu, das davon handelt, wie Emily und ihre Mutter mittels alter Briefe das frühe Leben ihrer einst aus Holland nach Australien ausgewanderten Großeltern mütterlicherseits rekonstruiert haben.

Allerdings überzeugt die Dame vom fünften Kontinent nicht nur mit ihren Songs, sondern erfreut das Publikum auch mit launigen Ansagen, wenn sie "Nostalgia" als Titelmusik der "Wallander"-Krimis ankündigt ("Das Stück hat rein gar nichts mit Verbrecherjagden in Südschweden zu tun", gesteht sie lachend, wenngleich die leise Melancholie der Nummer dann doch gut zum Setting des Krimis passt), zur neuen Single "Anywhere Away" vom Lehrgeld erzählt, das sie bei ihrer ersten Filmmusik (zu Jake Gavins am Vortag in England angelaufenen "Hector") zahlen musste oder eine flammende Lobesrede auf die "Patin des Rock'n'Roll", Sister Rosetta Tharpe, hält: "Was die Männer in den 50ern gemacht haben, sie hat es schon in den 40ern gemacht! Sie ist meine Heldin!" Für "Sister Goodbye" setzt sie sich dann ans Klavier, und dass sie an diesem Instrument noch etwas wackelig ist (sie hat erst ein halbes Dutzend Mal vor Publikum am Piano gesessen) sorgt vor und auf der Bühne für viel Heiterkeit.

Ganz ernsthaft setzt sie danach das Konzert mit dem Rosetta-Tharpe-Cover "Precious Memories" fort und offenbart bei der nackten A-cappella-Version auch eine eindrucksvolle Blues-Stimme, die sie bei den anderen eher in Folk und Country verwurzelten Songs gar nicht zum Tragen kommt. Die andere Coverversion des Abends, Bruce Springsteens "Tougher Than The Rest", fällt da im Vergleich deutlich ab. Als sie danach noch einen weiteren Kurzen bestellt und ungefragt gleich auch noch einen Krug Bier dazu gereicht bekommt, lernt sie sogar noch einen neuen deutschen Ausdruck ("Oh, ein Gedeck!"), bevor sie sich mit dem eindringlichen "Disappear" verabschiedet.

Mit der Zugabe "Home Fires" gewährt sie dann noch einen Ausblick auf die in Kürze erscheinende LP mit Amy Speace und Amber Rubarth und unterstreicht mit dem Lied zwischen typischem Nashville Country und altmodischem Schlaflied ein letztes Mal ihre Wandlungsfähigkeit. Am Ende hat Emily gar nicht so viel anders gemacht als viele andere Folkies, trotzdem aber gleichermaßen musikalisch beeindruckt wie sehr gut unterhalten. "Ich liebe diese Bar und ich möchte hier wohnen", hatte sie ihrem Publikum schon gleich zu Beginn des Auftritts (und auf Deutsch!) gestanden, und der lang anhaltende Applaus nach dem letzten Lied lässt keinen Zweifel daran, dass die Halderner die sympathische Australierin gerne als Nachbarin/Mitbewohnerin begrüßen würden.

Surfempfehlung:
www.emily-barker.com
www.facebook.com/EmilyBarkerHalo
www.youtube.com/user/EmilyBarkerHalo
emilybarker.bandcamp.com
en.wikipedia.org/wiki/Emily_Barker

Text: -Carsten Wohlfeld-
Foto: -Carsten Wohlfeld-
 

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