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13.03.2016
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Bonjour Tristesse

Tindersticks
Miss Kenichi

Köln, Gloria
13.03.2016

Tindersticks
Einen gewaltigen Vorteil haben die drei verbliebenen Ur-Tindersticks ja: Stuart A. Staples, Neil Fraser und David Boulter werden ja offensichtlich nicht älter. Hätte sich nämlich Stuarts Haupt- und Nebenhaar im Laufe der Zeit nicht allmählich versilbert, dann könnte man allein am Aussehen der Band kaum feststellen, dass diese nun auch schon wieder seit 25 Jahren als Tindersticks rummachte. Alleine unter diesem Gesichtspunkt ist es schon beinahe erstaunlich, dass sich die Band nach all den Jahren immer noch eines gewaltigen Zuspruchs erfreut, denn auch das Konzert im Kölner Gloria war wieder mal ausverkauft.

Das war nicht immer so, aber seit sich die Band nach einer Auszeit 2007 ernsthaft reformiert hat, erfreut sich die Truppe eher zunehmender als abnehmender Beliebtheit im Kreise der brav aber im Vergleich zu den o.a. Protagonisten dann doch deutlicher erkennbarer mitalternden Fans. Als Support war dieses Mal Katrin Hahner - alias Miss Kenichi - mit an Bord. Das hatte eine besondere Bewandtnis, denn der Tindersticks-Drummer, Earl Harvin, hatte bekanntlich Katrins aktuelles Album "The Trail" produziert und ließ es sich auch nicht nehmen, Katrin an diversen Keyboards und Percussion-Instrumenten zu begleiten. Erst vor kurzem war Miss Kenichi als Band auf Club-Tour unterwegs gewesen und insofern war es dann besonders spannend zu sehen, wie sich das Material in diesem Setting machen würde. Miss Kenichi konnte dabei von dem Umstand zehren, dass ein Tindersticks-Publikum natürlich keine Speed-Metal-Rockshow erwartet und fand sich so in der glücklichen Lage, ihre betont friedfertigen, spirituellen Slow-Core-Elegien vor einem aufmerksam gespannten und vor allen Dingen mucksmäuschenstillen Publikum präsentieren zu können. Die Songs selbst entwickelten in diesem Setting eine ganz andere Dynamik als zuvor mit der Band. Gerade auch ältere Tracks wie zum Beispiel "No Water" gewannen im Zusammenspiel mit Earl Harvin ganz neue Perspektiven. Das soll aber andererseits keineswegs heißen, dass Katrin und Earl hier ansonsten einfach die Arrangements der gemeinsam produzierten Scheibe reproduzierten. Hier entstand im Zusammenspiel etwas ganz Eigenständiges und tatsächlich hatte dieser Auftritt - nicht nur der dramatischen Beleuchtung und des Kunstnebels wegen - am Ende gar etwas Magisches an sich.

Jedenfalls war das - auch schon rein atmosphärisch - die ideale Einstimmung auf das nun folgende Tindersticks-Konzert. Und hier hatten sich Staples & Co. dann zum Glück darauf geeinigt, einzig und alleine die Musik ins Zentrum zu stellen. Die Arbeiten, die die Band nebenher für Soundtracks, Performances, Ausstellungen und Video-Projekte entwickelte, spielten hier eine untergeordnete Rolle. So gab es ein instrumentales Intro vom Band und im Mittelteil der Show ein weiteres Instrumental - ansonsten stand diese Show ganz im Zeichen der Songs. Ein großes Lob ist den Tindersticks dabei für die Songauswahl und Set-Dramaturgie zu zollen. Denn den Tindersticks gelang hier eine Show mit einem perfekten Spannungsbogen. Dabei wechselten die Tracks der neuen Scheibe mit sorgsam platzierten alten "Hits" wie etwa einer besonders anrührenden Version von "She's Gone" und Tracks der Vorgängeralben, die von den Fans zuweilen frenetisch gefeiert wurden - etwa eine mächtig polternde und für Tindersticks-Verhältnisse auch mächtig druckvolle Version von "Show Me Everything", die gegen Ende des Sets gegeben wurde. Aber auch die Stücke untereinander schienen auf ihre maximale Wirkung hin platziert worden zu sein. So begann die Show mit der typischen Tindersticks-Elegie "Second Chance Man" - es folgte dann aber gleich die überraschende Semi-Funk-Nummer "We Were Once Lovers", die gleich jeden aus der Lethargie riss, der vielleicht nur eine sinnliche Trödel-Veranstaltung erwartet hätte. Überhaupt gefiel an diesem Abend der Umstand, dass die Tindersticks zwar nach wie vor Meister in der Präsentation musikalischer Streicheleinheiten sind - wie bei der nahezu zärtlich intonierten Akustik-Version der Peggy Lee Nummer "Johnny Guitar", nach der man an dieser Stelle gar nicht gesucht hätte, die aber umso effektiver das Seelenheil kitzelte -, aber andererseits können die Jungs auch mal ordentlich zulangen. Besonders Stuart Staples griff immer mal wieder gerne jenseits des Akkordes in die Saiten seiner Gitarre und schrammelte wild drauflos. Earl Harvin - der sich auch hier als Multiinstrumentalist (und Backing Sänger) betätigte, trieb derweil die Band punktuell sogar in die musikalische Anarchie. "We Are Dreamers!" endete jedenfalls in einem origiastischen Crescendo und beim bereits erwähnten "Show Me Everything" ging es nochmals - wenngleich kontrollierter - in den musikalischen Abgrund.

Interessant war bei all dem die musikalische Umsetzung. So waren etwa die souligen Bläser, die auf "The Waiting Room" noch den Ton angegeben hatten, ersatzlos gestrichen - dafür verwandelte aber Neil Fraser seine Gitarre schon mal mittels E-Bow in ein Cello oder ein Akkordeon. In der Tat spielte Fraser sein Instrument selten ein Mal konventionell, sondern traktierte dieses mit komplexen Settings, die für jedes einzelne Stück auf seinem Effektpedal abgespeichert waren. Trotz allem dominierte natürlich dann doch die Melancholie. Alles andere wäre ja auch verwunderlich gewesen. Aber: Es war eben Melancholie, die hier dominierte und nicht etwa Depression - denn irgendwo schafften es die Jungs, das Trübsal-Blasen zu vermeiden und schienen (in Maßen zumindest) auch Spaß an der Sache zu haben. Jedenfalls lächelte zumindest Neil Fraser öfters mal glücklich vor sich hin und Stuart brachte in einer seiner wenigen Adressen ans Publikum, die Besonderheit des Abends etwa dadurch zum Ausdruck, dass er erklärte, dass der neue Track "Hey Lucinda" so neu gar nicht sei, sondern bereits vor einigen Jahren auf den Straßen von Köln entstanden sei. Insgesamt war dies ein bemerkenswert runder und kurzweiliger Konzertabend, der die Tindersticks erstaunlich motiviert und wandlungsfähig zeigte.

Surfempfehlung:
www.tindersticks.co.uk
www.facebook.com/tindersticksofficial
www.misskenichi.com
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Text: -Ullrich Maurer-
Foto: -Ullrich Maurer-
 

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