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22.04.2018
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Unleise, nicht laut

The Weather Station

Hamburg, Aalhaus
22.04.2018

Weather Station
Seit Jahren hört man immer wieder: Wer es heute im Musikbusiness noch zu etwas bringen will, muss auf sich aufmerksam machen: Lauter, schneller, bunter - je schriller, desto besser. Dass es auch anders geht, beweist Tamara Lindeman alias The Weather Station: Die 33-jährige Singer/Songwriterin aus dem kanadischen Toronto hat einfach so lange fantastische Platten veröffentlicht, bis einfach kein Weg mehr an ihr vorbeiführte. Ungezwungen und unprätentiös lässt sie ihre Emotionen in gerade anfangs wunderbar zerbrechliche, zuletzt auch immer öfter betont muskulöse Folk-Songs fließen, mit denen sie bisweilen an Joni Mitchell erinnert, ohne die Grande Dame des Genres nur zu kopieren. Dabei fasziniert Lindeman mit einem unvergleichlichen Gespür für feine Nuancen und beherrscht auch die Kunst des Weglassens wie sonst kaum eine Zweite, während der gedämpfte Ton ihrer Lieder das Nach-innen-Gekehrte der Songtexte wirkungsvoll unterstreicht. Das englische Uncut-Magazin zählte das aktuelle selbstbetitelte Album von The Weather Station zu den fünf besten Platten des Jahres 2017, daheim in Kanada war es sogar für einen Juno, das dortige Pendant zum Grammy, nominiert. Auch in Deutschland sind Lindeman und die Ihren drauf und dran, den Status des gut gehüteten Geheimnisses endlich abzuschütteln. Nach dem Start ihrer stolz von Gaesteliste.de präsentierten Tournee in Hamburg sind The Weather Station bis Ende April noch in Berlin, Jena und Köln zu sehen.

Eines ist an diesem Abend schnell klar: Tamara Lindeman mag das Aalhaus. In der herrlich altmodisch holzvertäftelten Eckkneipe im Hamburger Stadtteil Altona hat sie vor drei Jahren an der Seite von Ryley Walker ihr erstes Deutschland-Konzert absolviert und sie ist spürbar gerne wieder hier zu Gast. Dennoch ist es ein Auftritt unter anderen Vorzeichen: Dieses Mal hat sie nicht nur eine komplette Band (Schlagzeug, Bass, Keyboards/zweite Gitarre) dabei, sondern auch ordentlich Selbstvertrauen, das sie in den vergangenen Jahren ausgiebig getankt hat, nachdem ihre letzten beiden Platten gerade auch in Europe ein geradezu hymnisches Echo ausgelöst hatten.

Wie selbstsicher sie inzwischen ist, zeigt sich an diesem Abend selbst auf der Bühne im stockfinsteren Aalhaus von Beginn an. Ohne große Begrüßung wirft sie sich mit unglaublich viel Verve gleich zum Einstieg in die besten, eingängigsten Songs ihrer aktuellen Platte, mehr noch, zwischen "Impossible", "You And I (On The Other Side Of The World)", "Kept It All To Myself" und "Free" lässt sie dem Publikum noch nicht einmal Zeit zum Applaudieren und sorgt so für 15 Minuten atemlose Spannung. Musste man sich früher selbst direkt vor der Bühne anstrengen, Lindemans mit betörend sanfter Stimme vorgetragenen Texte zu verstehen, klingt sie nun gesanglich viel mutiger und ihre Songs sind musikalisch spürbar robuster. Live auf der Bühne ersetzt bisweilen ein Hauch von Velvet Underground die satten Streicher-Arrangements, die bei vielen Stücken der neuen Platte eine tragende Rolle spielen. Kein Zweifel, diese Songs sollen gehört, nicht nur mitgehört werden. Weniger filigran klingen sie dennoch nicht, denn selbst im Bandkontext steht Lindemans Stimme stets im Mittelpunkt, ihre Mitstreiter sind Begleiter im wahrsten Sinne des Wortes. Trotz Quartettbesetzung wird es nie richtig laut. "Unleise" ist das treffende Wort, das der Protagonistin selbst dazu einfällt. Folgerichtig glänzen an diesem Abend einige der ruhigsten Highlights aus ihren früheren Platten wie "Floodplain", "Loyalty" oder "Shy Woman" mit Abwesenheit, doch die Kanadierin hat inzwischen so viele großartige Lieder geschrieben, dass das gar nicht weiter auffällt.

Aber auch die Fans der ganz sachten Seite von The Weather Station kommen auf ihre Kosten: Gemeinsam mit der Band zelebriert Lindeman behutsame Versionen von "I've Been Fooled" und "Nobody" von ihrer auf Daniel Romanos Label Ye Changed Records veröffentlichten LP "All Of It Was Mine" aus dem Jahre 2011, bevor sie zur Akustikgitarre greift und einige Lieder solo spielt. Darunter auch "I Mined", das von Neil Youngs Zeile "I was mining for a heart of gold" inspiriert wurde: "Ich fragte mich, wonach ich grabe, und mir wurde klar, dass es für mich vor allem Dinge sind, um die ich mir Sorgen machen kann", erklärt sie den Hintergrund des Liedes. "Selbst wenn alles prima ist - wenn man tief genug gräbt, findet man immer irgendetwas Schreckliches!" Bei aller Ernsthaftigkeit ihrer musikalischen Performance hat sie mit solchen Ansagen die Lacher natürlich auf ihrer Seite.

Auch sonst bringt sie das Publikum immer wieder zum Schmunzeln, mit gut getimten Einzeilern wie "Wir haben noch einen Song, aber nur, wenn ich die Gitarre gestimmt bekomme" oder "Ich trage heute das gleiche Outfit wie auf dem Konzertposter - alles ganz wie angekündigt!", bevor sie sich mit dem großartigen "Thirty" genauso ausgelassen verabschiedet, wie sie eine Stunde zuvor begonnen hat. Das Publikum ist da längst so begeistert, dass das eigentlich als Rausschmeißer geplante "Tapes" allein nicht als Zugabe reicht. Also gibt es spontan mit "Now" von Dion And The Wanderers noch ein obskures Highlight aus dem Pop-Paralleluniversum, bevor Lindeman deutlich nach der 22.00-Uhr-Curfew ganz allein mit dem dahingehauchten "Traveller" für das i-Tüpfelchen sorgt: Das perfekte Ende für einen hinreißenden Konzertabend.

Surfempfehlung:
www.theweatherstation.net
www.facebook.com/TheWeatherStn

Text: -Carsten Wohlfeld-
Foto: -Carsten Wohlfeld-
 

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