Fenster schließen
 
25.08.2019
http://www.gaesteliste.de/konzerte/show.html?_nr=3127
 
Rubarths Evolutionstheorie

Amber Rubarth
Stephanie Fraser

New York, Rockwood Music Hall Stage 3
25.08.2019

Amber Rubarth
Amber Rubarth hat eine Theorie: Sind Menschen nicht so etwas wie lebendige Sicherungskästen? Etwa in dem Sinne, dass der Metabolismus in der Lage ist, in Krisensituationen herunterzufahren, um die Existenz des Ganzen nicht zu gefährden? Also in etwa so wie Sicherungen im Falle einer Überspannung funktionieren? Nun: Amber hat viele solcher Theorien. Und zwar aus einem ganz einfachen Grund: Als ideale Songwriterin hat sie es sich selbst zur Aufgabe gestellt, nicht einfach nur mit offenen Augen durch das Leben zu gehen und zu beschreiben, was sie sieht, sondern auch ihre Schlüsse daraus zu ziehen, Dinge zu hinterfragen und die Perspektive zu verändern. Nur so können schließlich brillante Song-Kunstwerke wie z.B. das jazzige "Novocaine" entstehen. Ein Song, den Amber innerhalb von drei Stunden schrieb, weil sie vergessen hatte, ihre Aufgabe bei einem Songwriter-Workshop zu lösen und einen Song zum Thema "vorläufiges Pflaster" zu schreiben, der dann letztlich weder von Pflastern noch von Novocaine, sondern von der menschlichen Existenz auf Basis der Sicherungskastentheorie handelte. Das, liebe Leser, ist die wahre Kunst des Songwritings.

Ähnlich sieht das im Prinzip auch Stephanie Fraser, eine junge Britin, die heutzutage in Schottland lebte, aber auch Residenzen in London und Nashville hatte und gerade einen mehrwöchigen Selbsterfahrungstrip durch die USA hinter sich gebracht hat, bei dem es nicht so sehr um die Musik ging, sondern um den Selbstzweck des Reisens an sich, der aber letztlich in dem brillanten Support-Slot bei Ambers Homecoming-Konzert in der alten Heimat New York führte. Stephanie hat leider zur Zeit keine Veröffentlichungen vorzuweisen - das mindert aber nicht die Qualität ihrer großartigen Kompositionen, die zugleich durch die subtile musikalische Umsetzung im gediegenen Folksetting mit jazzigem Flair wie auch die intensiven, erstaunlich persönlichen und auf poetische Weise desolaten und selbstzerstörerischen Lyrics betreffen. Es lohnt sich also, die wenigen verfügbaren Arbeiten Stephanies auf den üblichen Online-Plattformen anzuchecken.

Kommen wir aber zurück zu Amber Rubarths Homecoming-Konzert. Bislang ist Amber ja in Nashville ansässig gewesen - nicht zuletzt, um dort ihren musikalischen Horizont zu erweitern. Aber: Zuvor war Amber für sieben Jahre ja eine begeisterte New Yorkerin gewesen und ist jetzt dann auch gerade in die alte Wahlheimat zurückgezogen, denn wie sie bei der Show in der Rockwood Music Hall glaubhaft versicherte: "Nashville ist auch cool - aber New York ist halt nun mal die tollste Stadt der Welt." Inzwischen hat Amber auch einen New York-Song im Gepäck. Damit hat es eine lustige Geschichte auf sich: In ihrer ersten New York-Phase hatte sie stets darüber sinniert, wie viele gute New York-Songs es doch gäbe, und dass sie dringend mal einen eigenen schreiben sollte - was ihr dann aber erst gelang, als sie gerade nach Nashville umgezogen war. Selbstredend heißt das amüsante Resümee dann auch "New York". Ein anderer Städte-Song - "Full Moon In Paris" - entstand hingegen auf einer ihrer inzwischen 23 Touren durch Europa, als sie alleine in Paris war und dort dem Eindruck erlegen war, dass Paris als Stadt eigentlich zu viel für eine einsame Frau sei. Ein weiterer (neuer) Song Ambers namens "Already Here" handelt im Prinzip davon, dass man mit dem zufrieden sein sollte, was man hat, anstatt ständig nach neuen Horizonten Ausschau zu halten und als sich schließlich Amber an das Klavier setzte, um dort weiteres neues Stück ("The Gift") vorzutragen, gelang es ihr damit auszudrücken, auf wie viele verschiedene Arten (bzw. Sprachen) man sich bedanken kann. Und dann leistete sich Amber auch noch den Luxus, eine wirklich betont elegante und emotionale Version von R.E.M.s "Losing My Religion" in den Ring zu werfen.

Mag sein, dass sich diese thematische Vielfalt auf dem Papier eher richtungslos und erratisch anhört - aber gerade das ist es ja, was Amber als Songwriterin auszeichnet. Wie Kollege Wohlfeld in seinem Gespräch mit Amber ja erfuhr, ist der Umstand ausschlaggebend, dass ihr schlicht alle Stufen des Prozesses des Song-Schreibens gefallen (während sich viele Kollegen auf bestimmte Aspekte konzentrieren) und das führt dann eben zu jenem vielschichtigen musikalischen und inhaltlichen Lieder-Universum, wie Amber es auch bei ihrer spontanen Show in NYC präsentierte. Um das letzte Album "Wildflowers In The Graveyard" ging es dabei eben sowenig wie um die Promotion des anstehenden Vinyl-Releases "Sessions From The 17th Ward" - sondern einfach darum, die Rückkehr nach NY gebührend zu feiern. Ein weitere Tour Ambers in unseren Breiten ist für November geplant und im nächsten Jahr gibt es auch ein neues Album, denn - wie sie im rausgehen noch ruft - sie habe viel zu viele neue Songs, um sich mit weiteren Kompilationen und Re-Releases zu beschäftigen.

Surfempfehlung:
www.facebook.com/AmberRubarthMusic
www.amberrubarth.com
www.facebook.com/stephaniefrasermusic
www.youtube.com/watch?v=W711fdaGyu8
www.youtube.com/watch?v=3_CHIyLipsA
www.youtube.com/watch?v=2a5K2T1KHZI

Text: -Ullrich Maurer-
Foto: -Ullrich Maurer-
 

Copyright © 2019 Gaesteliste.de
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Gaesteliste.de