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18.09.2019
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Hin und her und weg

Reeperbahn Festival 2019 - 1. Teil

Hamburg, Reeperbahn
18.09.2019

Inhaler
Wenn es dann nicht mehr so sommerlich heiß ist in der Hansestadt, kann man auch ein Festival in den Clubs der Reeperbahn und drumherum feiern - dass das bestens funktioniert und vor allem immer wieder für Überraschungen sorgt, haben die Jahre seit Bestehen gezeigt - die Vielfalt ist nunmal das Aushängeschild des Reeperbahn Festivals, man bekommt die Chance, unbekannte und bekannte Bands/Künstler live zu erleben bzw. zu entdecken. Diese Chance haben 2019 auch wieder viele, viele Menschen ergriffen und sind in die Clubs und die anderen Auftrittsorte geströmt.

Wie inzwischen üblich, begann das musikalische Programm wieder mit den Showcases beim N-Joy Reeperbus - und zwar bereits um 14 Uhr und damit lange bevor sich am Abend die Türen der Clubs öffneten. Es gab in diesem Jahr eine Neuordnung des Spielbudenplatzes, so dass der N-Joy Bus sich auf der anderen Seite des Geländes in der Nähe der Spielbude selbst fand - auch weil es mit der Viva Con Agua Hangout Stage vor dem Clubhaus dort eine neue Spielstätte für kurze Free-Konzerte gab. Während in den letzten Jahren beim N-Joy Bus auch öfter mal angesagte etablierte Acts präsentiert wurden, ging es dieses Mal um die Nachwuchsförderung und die Präsentation hoffnungsvoller junger Acts - hauptsächlich aus dem Pop-Bereich. Da es sich eben um junge Acts handelte, ging es dabei eher um den Präsentationscharme, den diese Acts entwickelten als um die Entdeckung neuer Trends oder musikalischer Offenbarungen.

Die Norwegerin Emma Steinbakken etwa ist gerade mal 16 Jahre alt, gehört aber bereits zu den Stream-Millionärinnen ihrer Heimat und durfte auch bereits vor der Königsfamilie singen. Emma wird wegen ihrer jazzig/bluesigen Stimme gepriesen und hat sich demzufolge dem Soul-Pop verschrieben. Elias Eli Breit aus Köln hat hingegen seine Laufbahn als Straßenmusiker begonnen und schlägt demzufolge eine organischere Richtung ein, die er mittlerweile auch mit elektronischen Elementen und Loops anreichert. Ebenfalls aus Norwegen stammt Amanda Tenfjord, die auch nicht viel älter als Emma Steinbakken ist, aber mit Jazz und Blues nicht so viel am Hut hat und ganz auf gutgelaunten Motivations-Pop setzt. Neon Dreams hingegen ist ein kanadisches Cross-Pop-Duo, deren bekanntester Fan der kanadische Premier Justin Trudeau ist. Hier verarbeiten Frank Kadillac und Adrian Morris ihre gemeinsamen Lebenserfahrungen vom Aufwachsen in den Randbereichen von Halifax und einer Reise nach Nicaragua in einem organischen R'n'B-Setting. Ebenfalls auf der (mit HipHop-Elementen angereicherten) R'n'B-Schiene bewegt sich die 19-jährige Amilli aus Bochum, die sich auf technisch ansprechendem Level durch die Manierismen des Genres kämpft. Es mag dann wirklich am jugendlichen Alter der Protagonisten gelegen haben, die sich allesamt handwerklich beachtlich schlagen, sauber singen und alle Klischees der von ihnen gewählten Subnischen souverän bedienen, dass die hier zu beobachtenden Vorträge allesamt an emotionaler Tiefe und Intensität vermissen ließen und am Ende den Eindruck musikalischen Analogkäses hinterließen: Es sah aus wie Pop, hörte sich auch so an und sättigte für den Augenblick - hatte aber keinerlei nachhaltigen Nährwert.

Seit das Reeperbahn Festival den Anchor-Award als Preis für die beste Live-Performance des Festivals eingeführt hat, experimentiert man mit dem Format für eine würdige Auftaktveranstaltung. Dafür wurde in diesem Jahr das Operettenhaus für die Doors Open Show rekrutiert. Hier präsentierten Ray Cokes und Charlotte Roche die aus Peaches, Kate Nash, Zan Rowem Arnim Tutoburg-Weiß, Bob Rock und Tony Visconti bestehende Anchor-Jury und es gab Musikbeiträge von Joy Denalane, die als Keychange-Repräsentantin geladen war sowie zwei Konzerte von Feist und Angus Stone, der mit seinem Projekt Dope Lemon das diesjährige Partnerland Australien vertrat. Etwas eigenartig war die Pre-Show Reception, bei der die Jury, diverse geladenen B-Prominente und geladene Gäste (darunter allerlei Business-Vertreter, Schauspieler wie Wilson Gonzales Ochsenknecht, Lars Eidinger oder Matt Dillon und diverse auf dem Festival ansonsten nicht präsente Musiker wie Mogli oder Jasmin Wagner wie bei Hollywood-Premieren auf einem roten Teppich ausgesuchten Pressevertretern präsentiert wurden. Das hatte für die Musikfans keinen sittlichen Nährwert und hätte jetzt nicht unbedingt sein müssen - zumal die Veranstaltung dann auch in der arte-Mediathek landete.

Neu eingerichtet war in diesem Jahr die Viva Con Agua Hangout Stage, die den Zuschauern einen spektakulären Blick auf das Klubhaus - und einen Rundumblick auf die Musiker - ermöglichte, da sie nach hinten nicht durch ein Backdrop abgeschlossen war. Hier spielte der Kölner Surf-Dude Jules Ahoi mit seiner Band ein organisches Songwriter-Pop-Set, das das Restpotential des schwindenden Sommerwetters voll ausnutzte. Das war dann Urlaubsmusik im besten Sinne, die das Wellenreiten mit Songs wie "Robinson Crusoe" auch dem Stadtmenschen nahe brachte. Auch wenn das Ganze in mehrerlei Hinsicht ziemlich blauäugig daher kam.

Das offizielle Club-Programm begann dann gegen 20 Uhr - unter anderem mit einem Showcase im Thomas Read Irish Pub. Hier versuchte das Warner-Label mit dem Neon Nashville-Event das Augenmerk auf aktuelle Strömungen in der Country-Musik zu lenken (die beim RF nun wirklich bislang keine große Rolle spielte). In dem Fall ging es allerdings um die kommerzielle Spielart dieser Stilrichtung, was dann bedeutete, dass die auftretenden Acts auf der musikalischen Ebene lupenreinen Mainstream-Pop darboten, in dem das Country-Element nur noch als homöopathisches Alibi mitgeführt wird. Bezeichnend etwa, dass Rachel Wammack aus Nashville bei ihrem Solo-Auftritt hinter einem Piano platz nahm und dort stimmgewaltig Adele und die Kings Of Leon coverte, anstatt - wie angekündigt - eigene Songs vorzutragen. Woran diese eigenartige Genre-Konzeption lag, erklärte uns im Folgenden Ingrid Andress, die - immerhin mit Drummer und Gitarrist im Trio Format als nächstes auftrat: Wenn Musik wie diese in den USA nicht als Country-Musik etikettiert wird, werden die Tracks nicht in den spezialisierten Genre-Kanälen gespielt und erreichen die Zielgruppe nicht. Nicht dass wir uns falsch verstehen: Ingrid ist eine kompetente Songwriterin und angenehme Performerin. Nur Country-Musik war es halt nicht, was sie präsentierte.

Nebenan im Molotow startete im Backyard das Programm mit der wunderbaren Mattiel bei recht kühlen Außentemperaturen, weswegen sie dann auch mit dicker Jacke auf die Bühne kam - aber unterkühlt war der Vortrag absolut nicht, dazu packen die Songs und vor allem Mattiels Stimme einfach zu sehr. Im Molotow Club stand dann das Quartett Do Nothing aus Nottingham auf der Bühne und präsentierte sich mit IndieRockPop in bester Laune, auch wenn man bemängeln könnte, dass sich der Sänger durch sein Auftreten (bezeichnenderweise der einzige mit Anzug auf der Bühne) schon sehr vom Rest der Band abhebt, bewusst oder unbewusst. Weiter ging es mit Musik aus Österreich in der Molotow SkyBar - Culk nennt sich die Band um Sängerin Sophie Löw und spielt einen tollen Mix aus Indie-Rock und Post-Punk, teils etwas düster gehalten inkl. prägnantem Bass-Spiel. Sollte man auf jeden Fall auf dem Zettel haben für die Zukunft.

Die erste wirklich überraschende und grandiose Neuentdeckung bildete dann die Schwedin Cornelia Adamsson mit ihrem Ensemble Virginia & The Flood. Im beschaulich engen Mojo Jazz Café legten Amelia & Co. eine erstaunlich druckvolle, rockende Show hin, bei der skandinavische Folk-Weisen und progressive Rockmusik zu einer faszinierenden Melange verquickt wurden, die von Cornelia mit einer ebenso faszinierenden, jubilierenden Sirenen-Stimme dominiert wurde. Das hatte fast schon etwas Mystisches - nicht nur, aber auch, weil sich Cornelia eine elaborierte Gesichtsmaske aufmalt, die sie - zusammen mit dem wild gebündelten Haupthaar - aussehen lässt, wie ein waidwundes Gazellenkitz im Ledermantel.

Zurück zum Molotow zu einem Stammgast: Yak. Die Leute im proppevollem Club stellten sich natürlich auch wieder die Frage, wie sich Sänger/Gitarrist Oliver Henry Burslem diesmal im Griff hat - oder auch nicht. Das hatte in der Vergangenheit ja durchaus zu Verletzungen durch sein Austicken geführt. Diesmal allerdings war alles im Rahmen, hier sollte vor allem die Musik im Vordergrund stehen. Es ging hoch her, von laut bis leise, von brachial bis zart, ein Trip durch alle Gefühlslagen, hier wurden alle bekannten Register des psychedelischen Rock gezogen (wobei mehrfach das Licht und Teile der Club-Anlage kaputtgerockt wurden und es dunkel bzw. leise wurde), gegen Ende des Sets hat es dann doch noch ein Bad in der Menge gegeben und es ging sogar soweit, dass Burslem seine Gitarre jemandem aus dem Publikum überließ, um den Song zu Ende zu spielen - was durchaus klappte.

Wieder rüber auf die andere Seite der Reeperbahn, wieder im Mojo Jazz Cafe: Die junge und ungemein sympathische Schottin Tamzene genoss eine klassische Ausbildung an Geige, Gitarre und Piano noch bevor sie begann, sich für ihre Idole aus der aktuellen Soul- und R'n'B-Szene zu interessieren. Mit jazziger Leichtigkeit und bluesigem Timbre mischt sie R'n'B, Soul, Blues, EDM-Elemente und mitreißende Pop-Beats bei ihrem Vortrag zu einem insgesamt attraktiven Mix, den sie noch dadurch anreichert, dass sie zuweilen selbst Keyboards spielt und einen Multiinstrumentalisten bemühte, während sich nahezu all ihre diesbezüglich orientierten Kolleginnen auf rein elektronische Backingtracks verlassen.

Zum Abschluss des ersten Festival-Tags ging es dann noch mal ins Molotow, zu Inhaler aus Irland. Was man den Kollegen von Do Nothing (s.o.) noch in wenig vorwerfen konnte, wird bei Inhaler fast schon übertrieben - die Jungs waren komplett durchgestylt und aufeinander abgestimmt, dass es fast schon zu viel des Guten war. Auch die Gesten von Sänger/Gitarrist Elijah Hewson waren manchmal zu groß für den Club. Aber auch kein Wunder, denn U2s Bono ist schließlich sein Vater. Apfel, Stamm, man kennt das. Musikalisch ging das durchaus in Ordnung, netter IndiePopRock mit Synthie-Einsatz, genau das richtige, um den ersten Festival-Tag entspannt abzuschließen.

Weiter zum 2. Teil...

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Text: -Ullrich Maurer / David Bluhm-
Foto: -David Bluhm-
 

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