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29.07.2020
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Fliegen, bohren und beruhigen

Martin Kohlstedt

Köln, Summer Stage im Kölner Jugendpark
29.07.2020

Martin Kohlstedt
Natürlich hatte sich auch Martin Kohlstedt die Sache mit Live-Konzerten im Sommer anders vorgestellt - und hatte deswegen die Show auf der Summer Stage im Kölner Jugendpark zunächst mit einiger Skepsis betrachtet. So erklärte er in einer der Ansagen, die er zwischen seinen experimentellen Improvisationen einstreute, dass er zunächst Zweifel gehabt habe, ob ein Konzert, bei dem das Publikum nicht nur weit entfernt voneinander und von der Bühne sitzen müsse und zudem alle Kopfhörer tragen, überhaupt ohne direkten Kontakt zueinander möglich sei. Freilich hatte er dabei nicht bedacht, dass ein solches Setting für Musik, wie der angesehene Komponist sie auf der Bühne nun mal produziert, eigentlich genau das richtige ist.

Denn es hören ja schließlich alle Beteiligten - unabhängig von ihrer Position zur Bühne bzw. dem Performer - genau das Selbe und sind auf diese Weise eigentlich sogar noch dichter dran am Geschehen, als bei einer konventionellen Konzertsituation. Lediglich der Umstand, dass Kohlstedt aufgrund des Aufbaus seiner Instrumente oft mit dem Rücken zu einem Großteil des Publikums agiert, irritierte in diesem Zusammenhang. Nachdem die ersten Stücke dann allerdings erfolgreich absolviert waren, zeigte sich der Meister denn auch erleichtert und wünschte allen einen "guten Flug", nachdem er zunächst erklärt hatte, was er da eigentlich machte.

Jene, die Kohlstedt bereits kannten - entweder von seinen Live-Konzerten, seinen Tonträgerveröffentlichungen, von seinen Soundtrack-Projekten, Kollaborationen, Produktionen oder Auftragsarbeiten -, die wussten natürlich schon, worum es geht. Als Anhänger des Prinzips der "modularen Komposition" hält Kohlstedt natürlich nichts von Setlists oder festgelegten Formaten. Wie auch auf seinen Tonträgern setzt sich sein Programm somit nicht aus fertigen Stücken zusammen, die Kohlstedt dann vorträgt, sondern aus Improvisationen, die bestenfalls auf den bereits erwähnten Modulen bestehen - meistens jedoch vollkommen freistilig mit Bezug auf die jeweilige Situation in einer Art innerem Dialog mit sich selbst - und ansatzweise dem Publikum - aus dem Moment heraus entstehen. Was Kohlstedt also spielen wird und wohin das führt, kann er selbst vor einem Konzert auch nur ansatzweise erahnen. Gerade das macht die Sache dann aber natürlich besonders spannend.

Viel braucht es nicht, um Kohlstedt und sein Publikum glücklich zu machen: Ein digitales Klavier, ein Fender Rhodes E-Piano, ein Synthesizer Keyboard und ein Modul auf dem verschiedene Beats, Effekte oder Loops angerufen werden können, reichen ihm, um vom ambientmäßigen Drone über angedeutete Club-Tracks bis zu symphonisch aufgebauschten Klangwolken so ziemlich alles hervorzuzaubern, nach dem die Eingebung gerade verlangt. Stilistische Überlegungen scheinen dabei keine große Rolle zu spielen. Kohlstedt nimmt einfach das, was gerade stimmungsmäßig zueinander passt - und das kann dann herkommen, wo es will. Mal mit jazziger Leichtigkeit, mal mit klassischer Unerbittlichkeit, manchmal ansatzweise groovend und mal assoziativ freischwebend verwebt er alles so lange, bis es Sinn macht. Wichtig ist ihm dabei nur, dass nichts offensichtlich ist und Wiederholungen vermieden werden müssen. "Bislang war alles sehr schön und es hat auch alles Sinn gemacht", resümierter er im Mittelteil der Show. "Jetzt kann die Sache sich in zwei Richtungen entwickeln", zögerte er später, "entweder wir beruhigen uns jetzt alle wieder - oder wir bohren weiter." Nicht überraschend entschied das Publikum dann per Zuruf, dass weiter gebohrt werden müsse. Auch wenn "ruhig" bei Martin Kohlstedt niemals "gefällig" bedeutet hätte, war es dann natürlich ganz schön, dass die Sache dann mit einer gewissen Spannung weiterging. Vielleicht hätte man sich da an der einen oder anderen Stelle tendenziell ein wenig mehr Wagemut beim Einsatz von Beats oder perkussiven Elementen gewünscht - aber im Wesentlichen blieb das Konzert dann auf diese Weise bis nach dem Sonnenuntergang vergleichsweise lebhaft und unberechenbar - und das ist es ja, was Martin Kohlstedt selbst auch am Herzen liegt.

Kleine Randnotiz noch: Nena spielte am gleichen Abend in der Lanxess Arena vor einem Bruchteil ihres üblichen Publikums in einem wesentlich sterileren Ambiente. Vielleicht ist das Konzept der Summer Stage im Kölner Jugendpark in Zeiten von Corona einfach das richtigere.

Surfempfehlung:
martinkohlstedt.com
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Text: -Ullrich Maurer-
Foto: -Ullrich Maurer-
 

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