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20.12.2000
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Der Rückkehrer

Evan Dando

Brüssel, Ancienne Belgique
20.12.2000

Evan Dando
Was ist bloß aus den Helden des College-Rocks geworden? Juliana Hatfield veröffentlicht zwar fleißig Platten, kommt aber zumindest nicht nach Europa auf Tour, Superchunk sind "missing in action", Buffalo Tom veröffentlichen obskure Best-Of-Platten und J. Mascis verspielt auf der Bühne den frisch wiedergewonnenen Kredit seines "More Light"-Soloalbums. Und die Lemonheads? Die hatten sich nach ihrem müden Auftreten bei ihrer allerletzten Europa-Tournee im Frühjahr 1997 aufgelöst und Herzensbrecher und Slackerkönig Evan Dando in eine ungewisse Zukunft entlassen. Schon vor zwei Jahren erzählte uns der ehemalige Lemonheads-Bassist Nic Dalton, dass Evan zwar eine Handvoll neuer Songs geschrieben, sich aber vergeblich um einen neuen Plattenvertrag bemüht hätte. Kurz darauf machten Gerüchte die Runde, Evan würde mit seinem neuen besten Freund Ben Lee Songs schreiben, und die Herren von Giant Sand berichteten der Gästeliste, dass sie mit Evan in Arizona jede Menge Songs aufgenommen hätten. Zu hören gab es davon außer einer einzigen Strophe der Neil Young-Coverversion "Music Arcade" (auf dem neuen Giant Sand Mailorder-Album "The Rock Opera Years") allerdings bisher nichts.

Evan Dando
Um so erstaunlicher war es, dass Dando, der vor wenigen Wochen durch seine Heirat mit dem englischen Model Elizabeth Moses mehr Aufmerksamkeit erregte als durch seine Musik, nach einer Handvoll von Shows an der Ostküste Amerikas kurz vor Weihnachten in Europa aufkreuzte. Zum einen spielte er im Vorprogramm von Bettie Serveert in Amsterdam, zum anderen seine einzige Headline-Show in Europa im kleinen Saal des restlos ausverkauften Ancienne Belgique zu Brüssel. Überschattet wurde das Konzert durch die Tatsache, dass Dando kurz zuvor vom Tod seiner guten Freundin und musikalischen Weggefährtin, der englischen Sängerin Kirsty MacColl, erfahren hatte, die beim Urlaub in Mexiko durch einen tragischen Unfall ums Leben gekommen war. Nach dem Ende der Show entschuldigte Dando sich sogar für seinen etwas derangierten Zustand und die Tatsache, dass er offensichtlich betrunken war.

Nur mit einer abgegriffenen Gibson Akustikgitarre und ein paar Effektpedalen bewaffnet schlurfte der unrasierte Dando gegen Viertel vor Neun auf die winzige (und kaum beleuchtete) Bühne, warm eingepackt in eine dicke Jacke, die rote Wollmütze oft bis über die Augen (!) tief ins Gesicht gezogen, und wirkte - sicherlich nicht nur bedingt durch den emotionalen Tiefschlag zuvor - nicht gerade wie ein Mann, der vor wenigen Wochen eine unglaublich hübsche Frau geheiratet hat und nach mehr als dreijähriger Abstinenz froh ist, wieder auf einer europäischen Bühne zu stehen. "The Turnpike Down", "Down About It" und das Titelstück des 1992er Album "It's A Shame About Ray" (der vielleicht besten Pop-LP der 90er Jahre überhaupt) schrubbte er gleich zu Beginn lieblos herunter und sorgte mit seinem liebsten Spielzeug, einem Fuzzpedal, für ebenso unpassende wie ohrenbetäubende Feedbackeinlagen zwischen den einzelnen Strophen. Eine ganze Reihe seiner etwas schwächeren Songs spielte Dando so ziemlich kaputt, anderen - wie dem immer wieder genialen "Rudderless" - konnte auch das nichts anhaben. Dem belgischen Publikum schien das allerdings eh egal zu sein - die Freude über die Tatsache, dass dort wirklich Evan Dando nach einer so langen Pause auf der Bühne stand, überwog ganz offensichtlich.

Nach einer knappen halben Stunde verschwand dann glücklicherweise die etwas beklemmende Stimmung zusammen mit Dandos Mütze, und die Version von "Ride With Me", mit zwei Meter Abstand zum Mikroständer und unfassbar viel Leidenschaft vorgetragen, war das Eintrittsgeld gleich mehrfach wert. Und es wurde sogar noch besser. Zum einen, weil der schlaksige Mädchenschwarm aus Massachusetts endlich den Mund aufbekam und einige witzige Anekdoten zum Besten gab und uns außerdem drei Songs aus den zwei neuen Alben gönnte, die Dando 2001 veröffentlichen will - zum einen das wunderschön betitelte "Griffith Sunset" mit ausschließlich Coverversionen, zum anderen die "offizielle" Comeback-LP "In The Grass All Wine Colored". Und diese Stücke waren ohne Zweifel besser als alles, was Dando seit 1992/93 zu Wege gebracht hat. Das schien auch das Publikum so zu sehen, denn das witzig betitelte "Whoops" und die ebenso wunderschöne wie herzergreifende Ballade "All My Life" - mit dem freimütigen Geständnis "All my life I thought I needed all the things I didn't need at all" - wurden begeistert aufgenommen. Wie wichtig Dando die neuen Songs sind, verdeutlicht auch die Tatsache, dass er sich nach der Show genötigt sah, dem Gästelisten-Korrespondenten den Titel des dritten neuen Songs, einer weiteren Ballade, sogar aufzuschreiben, aus Angst, der Titel könne falsch zitiert werden. "The Same Thing (You Thought Hard About Is The Same Part I Can Live Without)" heißt das bedeutungsschwangere Stück, das man wohl schon jetzt zu den Highlights des kommenden Albums zählen darf. Nach einer knappen Dreiviertelstunde verabschiedete sich Dando dann grußlos, und für einige Minuten - das Licht und die Musik im Saal waren bereits angeschaltet - sah es so aus, als würde es das bereits gewesen sein.

Evan Dando
Irgendwann kam Dando dann allerdings doch wieder hinter dem Vorhang vor, ohne seine Jacke, dafür mit einem netten T-Shirt, das Elmo aus der Sesamstraße zierte. Und es war diese 35minütige Zugabe, die den Abend rettete. Denn neben einigen Coverversionen ("Thirteen" von Big Star, Mike Nesmiths "Different Drum" und dem Punk-Classic "I Dont Care" - ja, Evan covert The Ramones!), die Dando mit hörbar mehr Herz spielte als seine eigenen alten Songs zuvor, spielte er ausschließlich Wünsche des Publikums à la "Stove", "Favorite T" sowie das ebenso willkommene wie unvermeidliche "Confetti". Der Höhepunkt der Show war allerdings wirklich erst mit den letzten drei Songs erreicht. Denn neben Ben Lees "I Wish I Was Him" (das der australische Teenager Anfang der 90er witzigerweise ausgerechnet über sein Idol Evan Dando geschrieben hatte), gab es auch noch "Homos" zu hören, ein Klassiker aus dem ersten Album der berühmt-berüchtigten Schwulen-Band The Frogs. Warum Dando ausgerechnet diesen Song seiner frischangetrauten Ehefrau widmete (die am Bühnenrand sitzend begeistert mitsang), wird wohl ein Rätsel bleiben... Jedenfalls gab ihm der Song Anlass, endlich einmal zu lächeln. Dando beschloss die Show dann mit einem emotionalen Glanzlicht, indem er seine sensationell ergreifende Version von Victoria Williams' "Frying Pan" im Gedenken an Kirsty MacColl spielte und allerspätestens damit die anfänglichen Ausfälle vergessen ließ. Denn auch wenn es die letzten dreieinhalb Jahre (und die erste halbe Stunde dieses 80-Minuten Konzerts in Brüssel) nicht danach ausgesehen hatte: Evan Dando is back, as good as ever!

Text: -Carsten Wohlfeld-
Fotos: -Carsten Wohlfeld-
 

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