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05.03.2022
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Auf eigenen Pfaden

Iain Matthews & BJ Baartmans

Essen, Grend
05.03.2022

Iain Matthews
Richtig voll werden will es an diesem Abend im Grend nicht. Offenbar ist der gemeine Essener nach all der kulturlosen Zeit momentan noch schwer hinter dem Ofen hervorzulocken, vielleicht wissen aber auch viele einfach nicht, dass Iain Matthews einer der berühmtesten Musiker ist, die in den letzten 25 Jahren im Essen-Steeler Kulturzentrum gastiert haben. Als Sänger auf den ersten drei Alben von Fairport Convention hinterließ der inzwischen 75-jährige, aber deutlich jünger wirkende Musiker bereits in den späten 60ern tiefe Spuren in der Welt des britischen Folk, bevor er als Kopf von Matthews Southern Comfort Joni Mitchells "Woodstock" als Nummer-1-Hit unsterblich machte und sich mit Plainsong und als Solist mehr und mehr von amerikanischer Country-, Folk- und Roots-Musik beeinflussen ließ. Später reaktivierte er sowohl Matthews Southern Comfort als auch Plainsong in neuer Besetzung, bei seinem famosen Gastspiel im Grend dagegen unterstreicht der ursprünglich aus den englischen East Midlands stammende Singer/Songwriter gemeinsam mit seinem kongenialen Sidekick BJ Baartmans, dass er viel lieber im Hier und Jetzt als in der Vergangenheit lebt.

Auch Iain Matthews hatte sich die letzten zwei Jahre anders vorgestellt: Mit einem neuen Album von Matthews Southern Comfort ("The New Mine"), einem potenten Label und einer kompetenten Bookingagentur im Rücken wollte es der nach vielen Jahren in den USA inzwischen seit Langem in Holland heimische Musiker noch einmal wissen, leider erschien das Album pünktlich zum ersten Lockdown der COVID-19-Pandemie, die fest eingeplante Tournee wurde natürlich abgesagt. Nicht gewillt, den Kopf in den Sand zu stecken, machte Matthews aus der Not eine Tugend. Gemeinsam mit seinem Band-Mitstreiter BJ Baartmans begann er, seine Enttäuschung und seine Erfahrungen in der erzwungenen Isolation in neue Songs fließen zu lassen, bis sich genug Lieder angesammelt hatten, um daraus ein Album zu machen. "Distant Chatter" heißt die im letzten Herbst erschienene Platte, deren zumeist wunderbar gedämpfte, spürbar melancholisch gefärbte Songs - allen voran "I've Gone Missing" oder "Is This It?" - beim Auftritt in Essen die emotionalen Höhepunkte sind und trotz ihrer bisweilen leicht wehmütigen Atmosphäre unterstreichen, dass Matthews nicht allein von Nostalgie leben mag.

Im Grend wirft er deshalb mit Songs wie "Right As Rain" oder "Like A Radio" Schlaglichter auf die jüngsten Veröffentlichungen seiner Band und beschränkt die Rückgriffe auf die unzähligen Soloalben der letzten fünf Jahrzehnte auf wenige Highlights wie "God Looked Down", das ihn als brillanten Texter zeigt, und "Funk And Fire", mit dem er am Ende des Konzerts den Hut vor einigen seiner größten künstlerischen Idole zieht. Vor allem aber glänzt er immer wieder als Interpret der Songs anderer, macht sich gleich zu Beginn "The Frame" von Terry Reid zu eigen, unterstreicht mit "Reno Nevada" und "Blood Red Roses" gleich zweimal seine seit Fairport-Zeiten ungebrochene Liebe zu den Songs des viel zu früh verstorbenen Richard Fariña und spielt - passend zum Wochentag und zur Besucherzahl - "(Looking For) The Heart Of Saturday Night" von Tom Waits. Dabei gelingt es ihm mit spielerischer Leichtigkeit, immer wieder neue Genres der Americana-Welt zu streifen und stimmungsmäßig ein betont breites Gefühlsspektrum abzudecken. Langweilig wird es deshalb trotz der reduzierten Duo-Besetzung nie.

Doch es ist nicht nur die beeindruckende Qualität des Songwritings, die fasziniert. Auch mit den oft amüsanten Anekdoten aus seinem bewegten Leben als musikalischer Weltenbummler, die er zwischen den Songs einstreut, hat Matthews keine Mühe, das andächtig stille Publikum rund anderthalb Stunden lang in seine Welt zu entführen. So scherzt er über seine Zeit mit Fairport ("Ihr habt bestimmt nie von ihnen gehört, viel ist aus der Band ja auch nicht geworden"), erinnert sich an seine skurrile Idee, T-Shirts mit seiner Setlist bedrucken zu lassen, weil sie in Papierform immer entwendet wurde, oder erklärt uneitel die Ursprünge des kleinen Textbuches, das er stets in Sichtweise platziert, seit es ihm mit zunehmendem Alter schwerer fällt, die eigenen Texte zu behalten: Anfangs hatte er sich lediglich kleine Reminder auf die Seite der Gitarre geklebt, um seinem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen, aber irgendwann reichte der Platz dort einfach nicht mehr aus… Seine Schlagfertigkeit hat derweil nicht gelitten. Als er kurz vor dem Ende das Publikum fragt, ob es noch Lust auf mehr Lieder hätte, und stattdessen sein Sidekick Baartmans mit "Ja!" antwortet, entgegnet Matthews spontan mit einem Lachen: "Du warst gar nicht gemeint!"

Doch nicht nur als verbaler Sparringspartner ist Baartmans ein heimlicher Trumpf. Mit seinem Begleitgesang, vor allem aber seinem ungemein variablen Spiel auf gleich drei verschiedenen Stromgitarren setzt der Niederländer auf den Spuren von Könnern wie Ry Cooder, Bill Frisell oder Nels Cline immer wieder dezent, aber spürbar Akzente, wenn er die Uptempo-Songs mit bisweilen fast perkussiv anmutender Begleitung antreibt, in balladesken Momenten für einen samtweichen Klangteppich mit psychedelisch fließendem Touch sorgt und an der richtigen Stelle auch mal ein klassisches Solo platziert.

Wie großartig Matthews und Baartmans harmonieren, zeigt sich auch bei der erfreulich lebendigen Version von "Woodstock" ganz am Ende, bei der es dem Duo gelingt, den Geist von Jonis Original, der berühmten Fassung von Crosby, Stills, Nash & Young und Matthews' eigener Hit-Version einzufangen, ohne sich zu sehr an eine der bekannten Vorlagen zu klammern. Stattdessen tut Matthews ein letztes Mal das, was ihn seit inzwischen mehr als 50 Jahren auszeichnet: Er folgt seiner Intuition und seinem Herzen - für immer unterwegs auf eigenen Pfaden.

Surfempfehlung:
iainmatthews.nl
www.facebook.com/MatthewsSouthernComfort2017
de.wikipedia.org/wiki/Iain_Matthews
www.bjbaartmans.nl
www.facebook.com/bjbaartmansnl

Text: -Carsten Wohlfeld-
Foto: -Carsten Wohlfeld-
 

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