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29.07.2022
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Wein, Vibe & Gesang - Teil 3

Heimspiel Knyphausen

Eltville, Draiser Hof
29.07.2022 / 30.07.2022 / 31.07.2022

Porridge Radio
Der dritte Tag des Festivals bot dieses Mal drei Acts zum Ausklang - und machte damit als Nachschlag mehr Sinn als vor der Pandemie, wo jeweils nur zwei Shows angesetzt waren. Den Anfang machten dieses Mal Naëma Faika und ihr Ensemble Nullmillimeter. Dazu gibt es eine charmante Anekdote: 2019 waren Nullmillimeter nämlich schon mal als Heimspiel-Hoffnung auf dem Draiser Hof zu Gast gewesen. Damals stand Naëma allerdings noch am Anfang eines Abwägungsprozesses bezüglich ihrer künstlerischen Laufbahn und es muss dann die freundliche Aufnahme seitens des Publikums bei eben dieser Veranstaltung gewesen sein, der sie überhaupt dazu bewogen hatte, es mal ernsthaft mit dem Bandprojekt und der Laufbahn als Songwriterin zu versuchen. Seither sei viel passiert, erklärte Benjamin Metz: So hätten Nullmillimeter seither mindestens fünf weitere Konzerte gespielt und die LP mit dem malerischen Titel "Wer die Wahrheit sagt, braucht ein schnelles Pferd" eingespielt.

Und damit sind wir auch beim Thema, denn wenn sich im bemerkenswert unsortierten Liederzirkus von Nullmillimeter überhaupt ein Konzept findet, dann ist es wohl das, verblüffen zu wollen. Die Songs des generationenübergreifend besetzten Ensembles, bei dem in Eltville u.a. der Gisbert-Mitstreiter Marcus Schneider nach seinem Einsatz bei Husten eine zweite Schicht absolvierte, der inzwischen 65-jährige Bassmeister Frenzy Suhr für Bodenhaftung sorgte und nicht zuletzt Gisbert als Duettpartner gastierte, sind stilistisch nun wirklich so gar nicht zu greifen. Sicher gibt es da Folk, Pop, Talking Blues, ein bisschen Prog, Psychedelia, Krautrock und Indie-Rock - nur hilft das ja nicht weiter. Zusammengehalten - oder eher kreativ genutzt - wird das kunterbunte Durcheinander von Naëma als Basis für ihre performerischen Eskapaden, die Liedermacher-Seligkeit, Ausdruckstanz, Rap-Parodien und Rockposen gleichermaßen einschließen. Und dabei trägt sie ihren poetischen Wortkaskaden mal auf Deutsch und mal auf Englisch aber stets ohne Punkt, Komma und Stabreim - dafür aber mit viel Herzblut und Empathie - vor. Ein Auftritt von Nullmillimeter ist so etwas wie eine intelligente musikalische Naturgewalt, die man einfach mal über sich ergehen lassen - und dabei auf keinen Fall mit irgendwelchen Erwartungshaltungen an die Sache herangehen - sollte.

Lisa Morgenstern hatte am Tag vor dem Festival noch in der israelischen Wüste gespielt und war demzufolge sozusagen auf die recht imperialistische Sonneneinstrahlung, mit der an diesem Tag das Festivalgelände gebraten wurde, eingestellt. Dennoch gab es da gewisse Herausforderungen ihren Auftritt in Eltville betreffend - denn sie konnte in der gleißenden Sonne die Displays ihrer Synthesizer kaum lesen. Die bulgarisch/deutsche Komponistin, Pianistin und spätestens seit ihrem Album "Chameleon" von 2019 auch Songwriterin war von Benjamin Metz zuvor noch als "Elektronik-Künstlerin" angekündigt worden. Diese Berufsbezeichnung greift in Lisas Fall aber deutlich zu kurz, denn mit ihrem Mix aus Neo-Klassik, Minimal-Musik, Ambient-Soundscapes, Folklore und Gesang geht Lisas Anspruch deutlich über das hinaus, was das Label "Electronica" gemeinhin ausdrückt. Tatsächlich liegt der Reiz gerade in dem Mix all dieser Elemente, denn Lisa nimmt die Zuhörer mit auf eine Art musikalischer Traumreise ohne zeitliche und räumliche Grenzen, die bis ins Weltall hinausreicht und die mit Harmonien und Anekdoten angereichert sind, mit der sie auch Bezug auf ihre bulgarische Herkunft nimmt. Im Prinzip wäre das Ganze sehr schön für eine meditative Auszeit geeignet gewesen, wäre es nicht so heiß gewesen, dass das Herumlungern in der prallen Sonne schon mit gewissen Gefahren für Leib und Leben verbunden war. Nicht ein Mal die Kinder wagten es zu dieser Zeit, auf die glühend heißen Lautsprechern vor der Bühne zu klettern.

Etwas weniger extrem war das dann bei dem Auftritt des Londoner Ensembles Porridge Radio. Die Band um die charismatische Frontfrau Dana Margolin war bereits 2020 zu Gast beim Heimspiel gewesen - allerdings nur bei der virtuellen "Daheim"-Ausgabe. Nun konnten Dana und ihre Mitstreiter(innen) Keyboarderin Georgie Stott, Bassistin Maddie Ryall und Drummer Sam Yardly vor einem echten Publikum aufspielen - und das schien dringend nötig. Denn Porridge Radio stürzten sich mit einer fast schon beängstigenden Inbrunst in ihr Programm, das logischerweise auch die Songs ihres gerade erschienenen Albums "Waterslide, Diving Board, Ladder To The Sky" beinhaltete. Mit diesem Album und dem Vorgänger-Werk "Every Bad" sind Porridge Radio gerade zu regelrechten Lieblingen der britischen Szene geworden, obwohl sie bereits seit 2015 zusammen musizieren. Es war auch leicht zu erkennen, woran das gelegen haben mag, denn während sich Porridge Radio sowohl produktionstechnisch, wie auch nun auf der Bühne ihre sperrige Unangepasstheit beibehalten haben, haben sie songwriterisch enorm zugelegt und begeisterten das Publikum mit ihren hinreißend intensiven Slacker-Hymnen wie "Trying", "U Can Be Happy If U Want To", "Born Confused" oder "Birthday Party", die gerne auch mal mantraartig ins Epische tendierten, denn das unerbittliche Wiederholen gewisser Phrasen gehört nämlich zum Porridge Radio-Konzept. Freilich geschieht das alles ohne Finesse, dafür aber jeder Menge Energie. Dana Margolin und ihre Musikerinnen interessieren sich dabei scheinbar gar nicht so sehr dafür, ob uns das, was sie uns bieten, gefällt - und das ist auch gut so, denn gerade durch die stoische Ich-Bezogenheit des Vortrages entsteht eine Spannung und Hingabe, die die notwendige Aufmerksamkeit schlicht einfordert (und anders schwer zu erzeugen wäre). Eine Prise spöttischen Brit-Humors und ein intensiver Diskurs über die auf der Bühne herumschwirrenden Wespen, die sich für Danas orangene Pants und Georgies Hände interessierten, rundeten das Programm ab. In musikalischer Hinsicht stellte der Auftritt von Porridge Radio ganz klar das Highlight des Festivals dar.

Fazit: Mag sein, dass das Heimspiel-Festival - außer dem persönlichen Bezug der Musiker untereinander - weder eine inhaltliche rote Linie noch ein verlässliches musikalisches Format vorzuweisen hat und auch nicht mal "für jeden etwas" bieten möchte - aber ehrlich gesagt, ist das ja gerade das, was die ganze Sache in besonderer Weise charakterlich auszeichnet.

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Text: -Ullrich Maurer-
Foto: -Ullrich Maurer-
 

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