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25.08.2022
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Unterwasser-Traum

Pop-Kultur Festival 2022 - 2. Teil

Berlin, Kulturbrauerei
25.08.2022

Grace Cummings
Der zweite Festivaltag begann mit einer Performance der französischen Avantgardistin Julie Bessard, die ihr Musikprojekt unter dem Kürzel HSRS für "High Self Reset System" betreibt. Was mit diesem Projektnamen genau gemeint ist, wurde nicht so recht deutlich, denn Julie und ihre Musiker setzten sich bewusst von irgendwelchen Konventionen - insbesondere aus der Chanson- und Pop-Welt - ab und verstiegen sich in vertrackten, vielschichtigen, aber nicht so recht zielführenden musikalischen Experimenten, indem Elemente aus Jazz, Avantgarde, Drum & Bass und Industrial-Electronica zu komplexen Kakophonien verdichtet wurden, die von Julie als Performerin und Sängerin mit einer gewissen emotionalen Distanz dirigiert wurde. Das musste wohl Kunst gewesen sein.

Im Frannz Club empfahlen sich gleich im Anschluss Anita "Aniqo" Goss und ihre Band als musikalische Nachtschattengewächse mit Post-Punk-, Kaputnik-Blues-, Elektronika- und New Wave-Flair. Auch Kook-Pop- und Dreampop-Anwandlungen waren im leicht depressiven Sitil-Gewusel zu vernehmen - allerdings auf rein akustischer Basis. Aufgrund des erneut rigoros implementierten Kunstnebel-Regimes und der allgemeinen Beleuchtungsverweigerung waren die Musiker nämlich wieder mal nicht zu sehen. Wie Aniqo und ihre Musiker aussahen, wissen also nur die, die bis zum Ende geblieben waren, als das Hauslicht wieder eingeschaltet wurde.

Ein absolutes Highlight in Sachen Live-Performance lieferte im Folgenden die Australierin Grace Cummings und ihre Band (in der ihr Bruder Kyle die Lead-Gitarre Spielte) bei ihrem Berlin-Debüt. Grace gefiel alleine schon durch ihre raumgreifende Bühnenpersona und ihre ungewöhnlich gutturale Gesangsstimme, die so gar nichts vom Mädchenpop-Flair vieler ihrer Zeitgenossinen, aber auch nichts von der seelenlosen Powerfrau-Röhrerei diverser Rockladies hatte - sondern in einer ganz eigenen Subnische irgendwo dazwischen anzusiedeln wäre. Zu den Klängen von CSN&Ys "I Almost Cut My Hair" betrat die Band die Bühne und bot im Folgenden eine makellose, druckvolle, unterhaltsame Rockshow mit dezenten Gospel-, Kaputnik-Blues-, Torch-Song und Psychedelia-Anteilen - allerdings fast vollkommen ohne Folk- und Folkpop-Elemente. Letzteres war insofern überraschend, als dass Craces beide eigenen Tonträger "Refuge Cove" und "Strom Queen" prinzipiell eben diesem Genre zuzurechnen sind und eigentlich ohne echte Rock-Elemente auskommen. Endlich mal jemand, der sich traute, deutlich zu machen, dass Studioproduktionen und Live-Performances durchaus unterschiedlichen Ansprüchen genügen dürfen.

In der etwas unheimlich ausgeleuchteten Spielstätte "Alte Kantine" präsentierte die französische Songwriterin, Produzentin und Sängerin Theodora (die vor zwei Jahren mit einem digitalen Projekt an der virtuellen Pop-Kultur-Ausgabe beteiligt war) ihre Version von Darkwave-Pop mit New Wave-Flair. Passenderweise ist ihr Leitinstrument dabei ein Bass, was dem unterkühlten Dreampop-Flair ihres Materials natürlich sehr entgegen kommt.

Im Soda Salon gab das Rostocker Duo mit dem lustigen Namen Sterni.Fritz sein Berlin-Debüt im Rahmen des Nachwuchs-Programmes. Pia und Joelle haben sich auf die Fahnen geschrieben, Popmusik machen zu wollen - aber irgendwie anders. Was damit gemeint sein könnte, machten die Damen mit charmant linkischer, aber dennoch irgendwie souveräner Bühnenpräsenz deutlich, als sie sich in einem Set mit recht eleganten, englischsprachigen Jazz-Pop-Songs mit Lounge-Flair verstrickten, denen man ein gehöriges musikalisches Potential unterstellen durfte - und die durch die originelle Gewichtung auf Bass, Farfisa-Orgel und Loopstation tatsächlich irgendwie anders war.

Im Kesselhaus zehrten Tobias Bamborschke und seine Jungs dann unter anderem von der Tatsache, dass im Namen ihres Projekte Isolation Berlin tatsächlich das in der Pandemie oft bemühte Unwort des Jahres enthalten ist. Freilich: Bei der Isolation von Isolation Berlin ging es ja nie um Gesundheits-bedingte, sondern um emotionale Isolation. Unter dem Strich dürfte es Tobias & Co. aber gut gefallen haben, dass das Kesselhaus zu ihrer Show im beeindruckenden Rock-Star-Setting mit Riesen-Lightshow gut gefüllt war und sich die Fans vor der Bühne drängten. Das war 2015, als sie als Frischlinge bereits beim Pop-Kultur Festival zu Gast waren, ja noch etwas anders. Heutzutage zählen Isolation Berlin zu den etablierten Acts und spulten ihr Programm demzufolge entsprechend souverän und ausgeschlafen - aber nicht überheblich - runter.

Lila-Zoé Kraus a.k.a. L Twills bloß als Musikerin bezeichnen zu wollen, griffe sicherlich zu kurz. Bei ihrer Performance im PANDA Platforma-Club sprengte sie genüsslich Erwartungshaltungen und Konventionen und präsentierte das Material ihres aktuellen Konzept-Projektes "After Her Destruction" als musikalischen Frontalangriff in Form einer aus Vocals und elektronischen Effekten bestehenden, unerbittlich quiekenden und knarzenden Soundlawine, bei der sie ihren Theaterbackground gewinnbringend performerisch einsetzen konnte.

Ganz etwas anderes gab es danach im Palais zu bestaunen: Anna-Catherine Hartley - kurz Uffie - ist eine Künstlerin, die sich vorbei an den üblichen Mechanismen des Musikbusiness durch ihrem Quereinstieg über die Modebranche (der sie sich bis heute verpflichtet fühlt) in der EDM-, E-Pop-, Club- und Rap-Szene festsetzen konnte (2010 arbeitete sie sogar mit Pharrell Williams zusammen). Nach einer Auszeit, in der sie sich mehr mit der Mode beschäftigte, begann sie ab 2019 wieder regelmäßig Musik zu veröffentlichen, mit der sie bis heute immens erfolgreich unterwegs ist. Das Bemerkenswerte an Uffies Live-Show vor einem begeisterten Party-Publikum im Palais war dann der Umstand, dass sie - bis auf einige Bass-Einlagen ihres Onstage-DJs - ohne Musikinstrumente auskam und das Publikum alleine durch ihre (Live-)Gesangsanimationen vor einer Backprojektion vorproduzierter Visuals zu unterhalten imstande ist.

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Text: -Ullrich Maurer-
Foto: -Ullrich Maurer-
 

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