Fenster schließen
 
13.09.2022
http://www.gaesteliste.de/konzerte/show.html?_nr=3410
 
Das Geheimnis der Mysterines

The Mysterines

Köln, MTC
13.09.2022

Die Mysterines sind also das letzte Next Big Thing in Sachen Rockmusik aus England. Das Problem dabei ist allerdings, dass das hierzulande kaum jemand mitbekommen hat, da sich die Band aus Liverpool - laut ihres Managements - zunächst mal um ihre steile Karriere im UK kümmern wollte und sogar eine US-Tour absolvierte, bevor man sich bemüßigt sah, sich dem Rest von Europa zuzuwenden - und somit auf jegliche Promotion für die Veröffentlichung der Debüt-LP "Reeling" verzichtete. Das hatte dann zum Beispiel zur Folge, dass nur eine überschaubare Menge von Investigativ-Fans - die die Band vielleicht über ihre Festival-Auftritte (z.B. beim Tempelhof-Festival) bereits entdeckt hatten - den Weg zum Köln-Debüt von Lia Metcalfe und ihren Jungs in das frisch aufgehübschte MTC fand.

Sei es drum: The Mysterines ist das, was man sich unter einer passionierten Live-Band vorstellt, denn ihre gesamte Karriere haben Frontfrau Lia Metcalfe, Gitarrist Callum Thompson, Bassist George Favager und Drummer Paul Crilly darauf aufgebaut, über ihre Bühnenpräsentation das Herz der Fans zu erobern - und dieser Plan hat dann auch erstaunlich gut funktioniert. Das Bemerkenswerte daran ist eigentlich der Umstand, dass der Sound der Band - der nun wirklich fast alle Spielarten dessen, was man gemeinhin zwischen Stoner-Rock, Grunge, Indie und Post-Punk als Rockmusik bezeichnet in sich vereint - erst im Studio entstand, denn die Tracks, die dann in diversen Lockdown-Sessions unter der Regie der Produzentin Catherine Marks (Wolf Alice, The Big Moon, Howling Bells oder Eliza Shaddad) live im Studio eingespielt wurden, wurden erst bei diesen Sessions in ihre Form gebracht - und zwar unter der Maxime, den Live-Sound der Band dabei zu optimieren. Das Ergebnis ist dann eine der seltenen Scheiben, bei denen die Studio-Versionen tatsächlich (noch) druckvoller und dynamischer klingen als die Live-Versionen, die die Mysterines zur Zeit im Angebot haben. Bei der Show in Köln äußerte sich das beispielsweise darin, dass die subtilen Feinheiten und melodischen Spezifika der durchweg brillanten Songs des Quartetts dann doch zugunsten eines bemerkenswert druckvollen und lauten Frontline-Rock-Ansatzes ohne allzu große dynamische Abstufungen hintangestellt wurden.

Die Mysterines präsentierten sich in Köln mit einer für englische Bands, die an der Grenze zum Superstardom stehen, vergleichsweise unblasierten No-Nonsense-Attitüde. Ohne große Gesten oder persönliche Profilierungsversuche, dafür aber mit einer sympathischen Prise Nervosität und dem Sinn für eine raue und keineswegs auf Perfektion ausgerichteten Präsentation nahmen sich die Mysterines tatsächlich hinter ihrem Songmaterial zurück und konzentrierten sich auf eine originäre Rock'n'Roll Performance. Wie gesagt: Das ist eher ungewöhnlich, denn da haben schon weniger begabte Musiker mit wesentlich überheblicheren Ansätzen weniger überzeugend agiert. Andererseits legten die Mysterines aber auch keinen gesteigerten Wert darauf, sich mit dem Publikum gemein zu machen - da war alleine schon die monumentale Wucht des Materials vor - und natürlich Lia Metcalfes beeindruckend düstere Mord- und Gewaltphantasien, die sie in poetisch trefflich formulierten Darkwave-Lyrics zum Ausdruck bringt- mit denen man sich als Zuhörer auch nur bedingt identifizieren möchte. Das war dann alles schon deutlich größer als das (normale) Leben und somit dann auch großes Rock-Theater.

Wie schon erwähnt, haben sich die Mysterines keiner bestimmten Stilrichtung des Rock-Genres verschrieben, sondern schaffen es in ihren - recht unterschiedlich ausgerichteten - Songs jeweils die richtigen Versatzstücke zusammenzuschrauben, um auf der songwriterischer Ebene tatsächlich in jeder Hinsicht brillieren zu können. Vielleicht sollte aber in diesem Zusammenhang das bisherige Konzept der Mysterines überdacht werden, die Live-Shows konsequent mit den Grindhouse-Stoner-Rock-Titeln wie z.B. "Under Your Skin" oder dem Titeltrack "Reeling" zu beginnen und dann praktisch alle Gassenhauer wie "Life's A Bitch", "All These Things" oder "Hung Up" am Ende der Show zu spielen - und dann ohne Zugabe aufzuhören, bevor die Fans noch die Möglichkeit hatten, sich in eine Mosh-Pit-Frenzy hineinzusteigern. Denn die Mysterines haben einfach viel zu viele gute Songs, um sich alle potentiellen Live-Highlights für den Schluss aufsparen zu müssen. Dessen ungeachtet muss aber attestiert werden, dass es eine Band wie die Mysterines schon lange nicht mehr gegeben hat und auf jeden Fall jede Chance genutzt werden sollte, die Band noch mal in überschaubarem Rock'n'Roll Kontext in kleineren Clubs zu erleben - denn das ist im UK jetzt schon nicht mehr möglich.

NACHGEHAKT BEI: THE MYSTERINES

GL.de: Rein musikalisch - was also eure Vorlieben und möglichen Inspirationsquellen betrifft - seid ihr ja praktisch selbsterklärend. Und auch Lias Lyrics lassen ja an Eindeutigkeit kaum Wünsche offen. Was ist denn dann aber das Geheimnis der Mysterines?

Lia Metcalfe: Willst du das wirklich wissen? Das ist nichts, was du erzählt bekommst oder was du herausfinden könntest. Das ist etwas, was du im Inneren fühlst - aber nur, wenn du aus irgendwelchen Gründen plötzlich unser Soulmate bist. Oder sonst dann eben nicht.

GL.de: Wie findet man denn als Rockband heutzutage seine eigene Identität? Schließlich macht ihr ja nichts wirklich Neues, sondern müsst euch mit zig anderen Acts messen, die Ähnliches machen wie ihr.

Callum Thompson: Dessen muss man sich natürlich gewahr sein. Aber wir haben dann unser Ding gemacht und uns kollektiv entschieden, was funktioniert und was nicht. Songs zu schreiben ist wie eine große Unterhaltung für uns. Jeder trägt zur Unterhaltung bei und jeder hat auch eigene Ideen. Und wenn man das eine Weile macht, dann weiß man, was man beim nächsten Mal ändern muss oder in welche Richtung man gehen muss. Es ist ein Kreislauf von Ideen.

GL.de: Das heißt also, dass die Mysterines nicht etwa eine Frontfrau und ihre Musiker sind, sondern eine Band.

Lia: Ja, wir sind vier Gefährten.

Callum: Das ist aber lustig, dass du das sagst.

GL.de: Wieso ist das denn lustig?

Lia: Weil wir gar keine vier Gefährten sind.

GL.de: Sag mal Lia: Wieso sind eigentlich deine Texte so düster? Hat das mit den ganzen Krisen zu tun, mit denen wir uns zunehmend konfrontiert sehen - oder ist es deine Art, die Dinge von der dunklen Seite aus anzugehen?

Lia: Ich würde eher letzteres sagen.

GL.de: Würdest du dich denn eher als Optimistin, Realistin oder Pessimistin bezeichnen?

Lia: Ich bin sehr optimistisch - und überhaupt nicht pessimistisch.

GL.de: Heißt das, dass du all deine negativen Energien in deinen Songs verarbeitest und deshalb dein "richtiges Leben" als glückliche Person leben kannst?

Lia: Ja, ich denke schon. Ich habe darüber zwar noch nie richtig nachgedacht, aber vermutlich ist das so, was in meinem Geiste so vor sich geht.

GL.de: Woran mag das denn liegen?

Lia: Ich weiß auch nicht. Vielleicht liegt es daran, dass ich meine Seele an den Teufel verkauft habe.

GL.de: Gutes Stichwort: Wenn man mal drüber nachdenkt, dann könnten all eure Songs - nicht notwendigerweise musikalisch, aber inhaltlich - Blues-Songs sein.

Lia: Ja, das stimmt. Ich liebe liebe Skip James, Howlin' Wolf, Leadbelly, Blind Lemon, Jefferson. Ich liebe diese alten Blueser und habe mich auch intensiv mit denen beschäftigt - die sind eine große Inspiration für mich.

GL.de: Kennt ihr eigentlich unseren deutschen Ausdruck für die Art von Rock-unterlegter Blues-Musik, die ihr spielt? Wir nennen das "Kaputnik-Blues".

Lia (auf Deutsch): "Kaputnik-Blues"? Das ist sehr gut. Mit gefällt das.

GL.de: Worüber schreibst du denn überhaupt? Filme sind ja sicherlich eine große Inspirationsquelle für dich, oder?

Lia: Ja, genau. Ich liebe Filme. Wir schauen uns auch viele Filme gemeinsam an. Das ist eine große Inspirationsquelle für uns. Nicht nur visuell, sondern auch was die Sounds betrifft. Ich liebe z.B. Alejandro Jodorowksi. Er ist einer meiner Lieblings-Regisseure. Ich mag ihn sogar noch mehr als David Lynch, weil er mehr so auf der okkulten Seite ist und seine Kultur in seine Filme einbringt.

GL.de: Apropos Okkult: Blut und Tod gibt es ja auch auch in deinen Texten zu Hauf. Siehst du da auch einen gewissen Gospel-Aspekt in deinem Tun?

Lia: Auf jeden Fall - wenn du das heraus liest, dann stimmt das schon. Die nächsten Songs werden dann allerdings nicht mehr so offensichtlich sein - eher vage. Das liegt daran, dass ich heute eine andere Person bin als die, die die alten Songs geschrieben hat - und da verliert man manchmal die Verbindung zu den Inhalten, wenn sie zu spezifisch sind.

GL.de: Meinst du, dass du dann auf einer persönlichen Ebene vager sein willst?

Lia: Nein - auf der persönlichen Ebene vielleicht sogar konkreter, aber vager in Bezug auf Tod und Wut.

GL.de: Apropos Tod und Wut: Wie viel ist denn davon eher realtitätsgebunden und wie viel ist Phantasie?

Lia: Nun, alle Mordgeschichten sind natürlich wahr - und beim Rest weiß ich auch nicht so genau, woher der kommt. Ich meine: Man kann natürlich Narrativen hinter Metaphern verstecken. Das ist dann auch alles im Kontext der Performance zu sehen. Es gibt ja auch eine Menge Humor in unseren Songs. Ich denke, es ist eine normale Sache, auf der Bühne dann auch in eine Rolle zu schlüpfen. Ich kann ja nicht gut eine ganze Performance alleine auf dem basierend bringen, was mich auszeichnet.

Surfempfehlung:
www.themysterines.com
www.facebook.com/TheMysterines
www.instagram.com/themysterines
twitter.com/TheMysterines
www.youtube.com/channel/UC1FKvj6N-5YlH3V_DeBXT2Q

Text: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Ullrich Maurer-
 

Copyright © 2022 Gaesteliste.de
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Gaesteliste.de