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15.05.2023
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Die Geburt einer Legende

Blondshell
Girl And Girl

Köln, Helios37
15.05.2023

Blondshell
Während die ehemaligen Indie-Queens der letzten Generation - wie Phoebe Bridgers, Lucy Dacus und Julien Baker im praktischen Boygenius-Format - inzwischen im Arenen-Stil als Superstar-Ikonen durch die Gegend touren, empfahl sich die inzwischen in Los Angeles lebende Songwriterin Sabrina "Blondshell" Teiltelbaum bei ihrem Köln-Debüt als heiße Anwärterin auf den in diesem Segment zur Zeit vakanten Thron. Ähnlich wie die genannten Vorreiterinnen, macht Blondshell nämlich auch nichts grundsätzlich Neues, sondern bastelt sich aus den verfügbaren Versatzstücken, die in der Summe das ausmachen, was heutzutage den Indie-Rock und -Pop markiert, ein eigenes Szenario, das sie als Basis für ihre konfessionellen Selbstfindungs-, Empowerment- und dystopiekritischen Songs hernimmt. Bevor es jedoch mit einer grandiosen No-Nonsense-Rock-Show im Schatten von Blondshells soeben veröffentlichter, selbstbetitelter Debüt-CD (und einigen neuen Songs, wie Blondshell anmerkte) losging, durfte ein ulkiges Rock-Outfit namens Girl And Girl aus Brisbane für Kurzweil und Schmunzeln im Auditorium sorgen.

Nominell gibt es in dem Quartett eigentlich gar keine Girls. Zwar beschäftigt der Frontmann Kai James außer seinen Freunden Jayden Williams und Fraser Bell an Gitarre und Bass auch noch seine Tante Lissy als Schlagzeugerin - allerdings ist diese halt nun mal eine Generation älter als der Rest der Band und ja so gar nichts mädchenhaftes an sich. Das macht sie indes durch die zur Schau getragene Begeisterung für ihr Tun mehr als wett und drischt auf die Trommelfelle als gäbe es kein Morgen mehr. Musikalisch verstehen sich Girl And Girl wohl als australische Alternative zu den verblichenen Indie-Königen von Pavement - inklusive spastischer Gitarrenverrenkungen, hakeliger Virtuosität, schräger Töne und nicht zuletzt hektischer Stop-And-Go Mentalität. Der hyperaktive Kai James kann derweil kaum an sich halten und hüpft wie ein Derwisch auf der Bühne herum - Genre auch mit dem Rücken zum Publikum - und lässt seinen nervösen Tiraden über die Unbilden des Jung-Seins in Zeiten wie diesen inmitten von australischen Naturkatastrophen freien Lauf und zollt seinen Idolen - wie zum Beispiel Miley Cyrus - Tribut. Wie gesagt ist das alles recht unterhaltsam und kurzweilig. Und zwar so sehr, dass es für geringere als Blondshell ein Wagnis gewesen wäre, gerade diese Band als Anheizer zu engagieren.

Bezüglich ihrer Rezeption brauchte sich Blondshell indes keine Sorgen zu machen - und tat das offensichtlich auch nicht. Denn eine coolere, selbstbewusstere und souveräne Performerin als Blondshell ist schon lange nicht mehr aus dem musikalischen Ei geschlüpft. Dabei präsentierte sie sich allerdings nicht als eine Künstlerin, die die Nähe des Publikums sucht und lieb gehabt werden will, sondern als eine, die sich mit Leib und Seele auf die Performance konzentrierte. Zwar freute sie sich darüber, dass im Publikum jemand Texte mitsingen konnte und fragte artig, was man denn in Köln alles so machen könne - aber besonders intensiv wirkte das nicht und blieb auch so ziemlich das einzige, was Blondshell außer der Ansagen einige Tracks von sich gab. Dafür allerdings war dann die besagte Performance auch außerordentlich cool und intensiv. Blondshell hat sich eine körperbetonte Theatralik zurecht gelegt, mittels derer sie die Tracks sozusagen begleitend interpretiert, sich dabei immer wieder auf den Boden hockt, den Körper verdreht, in den Himmel (bzw. zur Hallendecke) schaut und mit ihren Boys flirtet (wie sie das nennt, wenn sie sich diesen während der Gitarrenparts zuwendet). Originellerweise spielt Blondshell selbst keine Gitarre und kann sich somit voll und ganz auf die effektive Bühnenchoreografie konzentrieren.

Neben den Songs der aktuellen Scheibe hatte Blondshell auch bereits neues Material im Gepäck - wobei sie interessanterweise die Tradition mit knappen Songtiteln, die sie auf dem Album eingeläutet hatte mit Titeln wie "Street Rat" oder "Charm You" weiter fortführte. Musikalisch überzeugte die Show - wie auch schon die Scheibe es getan hatte - durch die Vielseitigkeit und den Variantenreichtum des Materials. Blondshell, die Songwriterin, hakt nun wirklich jede Box ab, über die sich der Indie-Rock heutzutage definiert. Grunge, Schrammel-, Jangle-, Dream- und Power-Pop lösen sich da in munterer Reihenfolge ab - nur nicht so einspurig wie bei vielen von Blondshells Kolleginnen und oft genug im konventionellem Korsett eines klassischen Songformates. Gerade das ist es aber, was die Qualität des Materials dann auszeichnet, denn musikalisch passiert auch auf der Bühne nicht mehr als das Notwendige. Aber wenn man das dann mitsummen, -singen, -fühlen und -tanzen kann, dann macht Blondshell hier wohl irgend etwas richtig. Sogar eine spannende Dramaturgie legte Blondshell hin: Nachdem mit der Hommage an "Veronica Mars" die Sache noch erwartbar los ging, mischte sie im ersten Drittel die neuen Songs ins Programm und sparte sich die stärksten Tracks wie "Olympus", "Salad" und "Kiss City" für das letzte Dritte der Show auf und ließ zum Ausklang dann auch die köchelnden Downer "Tarmac" und "Dangerous" folgen und nutzte hier dann die Möglichkeiten der Dynamik, um das Publikum bei der Stange zu halten.

So richtig zu meckern gab es dann eigentlich nichts. Blondshell ist jetzt schon ein Level höher anzusiedeln als Phoebe Bridgers zu Beginn ihrer Laufbahn und es bedarf nicht viel prophetisches Geschick vorherzusagen, dass man Blondshell nicht wieder in einem so intimen Umfeld erleben können wird. Denn die eigentliche Zielgruppe Blondshells - junge, therapiebedürftige Teeniemädels - haben noch gar nicht mitbekommen, was das abgeht und waren demzufolge noch nicht anwesend. Diejenigen also, die aus Neugier oder Überzeugung bereits an dieser Veranstaltung partizipiert haben, haben hier nicht mehr oder weniger erlebt, als die Geburt einer Legende.

Surfempfehlung:
www.blondshellmusic.com
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girlandgirl.bandcamp.com
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Text: -Ullrich Maurer-
Foto: -Ullrich Maurer-
 

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