21.09.2023 http://www.gaesteliste.de/konzerte/show.html?_nr=3527 |
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Volles Programm Reeperbahn Festival 2023 - 2. Teil Hamburg, Reeperbahn 21.09.2023 |
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Der Festival-Donnerstag (und der Freitag) stand(en) in diesem Jahr zum Glück wieder im Zeichen der großen Länder-Showcases - was bedeutete, dass das Programm im Canada House dann wieder bereits um 11:30 Uhr los ging. Schon manch heitere Anekdote hatte sich in der Vergangenheit daraus ergeben, dass mancher Kanadier angenommen hatte, dass mit 11:30 ein Abendtermin gemeint gewesen sei.
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Nicht so Noah Derksen aus dem in der kanadischen Prärie gelegenen Winnipeg in der Provinz Manitoba. Der in diesem Sinne auch im wörtlichen Sinne aufgeweckte Mann hat gerade sein drittes Album "Sanctity Of Silence" veröffentlicht und betrachtet das Spielen vor Publikum als Teil jener Therapie, mit der er - in typischer Männerschmerz-Manier - eine für ihn schwierige Zeit in seiner Musik verarbeitet. Musikalisch bedeutete das, dass es da keine lauten Töne gab und Derksen seine melancholischen Balladen im Trio-Format - ohne Bassisten, dafür aber mit einem wandlungsfähigen Keyboarder - im gesitteten Country-Setting präsentierte. Eigentlich kein schlechtes Rezept, einen für die Fans sicherlich ereignisreichen Konzerttag auf entspannte Art einzuläuten. Zudem erfreute der sympathische Performer das Publikum mit seinen recht ordentlichen Schul-Deutsch-Kenntnissen.
In diesem Jahr waren offensichtlich so viele kanadische Acts angereist, dass alleine im Canada-House im Uwe-Club nicht alle untergebracht werden konnten. Insofern kam es zupass, dass parallel im Bahnhof Pauli Showcases mit nordamerikanischen Acts angesetzt waren, bei denen dann auch noch einige kanadische Acts unter kamen. Die Songwriterin Olivia Wendel indes stammt aus Massachusetts und lebt zur Zeit in NY. Ihre Karriere als Songwriterin startete Olivia, indem sie sich mit einer Voicemail für einen Slot im legendären New Yorker Club The Bitter End bewarb - und genommen wurde, woraufhin sie sich als feste Größe im Live-Zirkus des New Yorker Village entwickelte. Bei ihrem ersten Auftritt auf einem europäischen Festival spielte die selbsternannte "Chatterbox" Songs bei diesem Slot die naturverbundenen Songs ihres Debüt-Albums "Windthrow" in einem eher zurückhaltenden, konventionellen Folkpop-Setting, das aber ihrer angenehm mädchenhaften Gesangsstimme viel Raum zur Entfaltung bot. Die Sängerin und Schauspielerin Aviva Mongillo a.k.a. Carys kommt aber tatsächlich aus Kanada und präsentierte eine Reihe von aufwendig produzierten Pop-Songs, die sie seit 2016 in einer Reihe von Singles und EPs veröffentlicht hat. Mit Songs wie "Princesses Don't Cry" - einem Empowerment-Track, den sie dann mit ihrem eigenartig gestylten Bühnenkostüm auch schauspielerisch interpretierte - hat sie auch schon Hits vorzuweisen, die - wie heutzutage üblich - über TikTok & Co. an die Öffentlichkeit gelangten. Carys trat mit einem Drummer und einer Keyboarderin auf, die aber weitestgehend die vorproduzierten Backing-Tracks triggerte. Die Frage, inwieweit das dann noch echte Live-Musik - oder zumindest teilweise Vollplayback - war, konnte Carys durch ihre Performance nicht eindeutig beantworten. Parallel zu den nordamerikanischen Showcases gab es dann die Showcases der koreanischen Creative Content Agency auf der XL-Bühne am Spielbuden-Platz. Echte Live-Musik aus Korea ist ja in unseren Breiten - im Gegensatz zum Retorten-K-Pop - immer noch eine Seltenheit und so gab es eine gute Gelegenheit, mal in das hineinzuschnuppern, was Musiker mit Instrumenten in Korea so auf der Bühne veranstalten können. Im Falle des Math-Rock-Quartetts cotoba war das dann eine unglaublich energiegeladene Postpunk-Show, bei der sich die Frontfrau DyoN Joo als quirlige Rampensau empfahl, die mit ihren stadienreifen Rockstar-Posen ihre Mitstreiter (zu denen auch Gitarrist und Produzent Dafne gehört) ganz schön blass aussehen ließ. Im wesentlichen deutet das, was cotoba da auf ihrem Debütalbum "4pricot" - und natürlich auf der Bühne - fabrizieren in Richtung des japanischen Visual-Kei-Sounds; kommt aber ohne die Anime- und Cosplay-Elemente aus und ist auch weniger im Hardrock, als im Indie-Artrock verankert. Aber wie gesagt: der eigentliche Reiz ging von der hyperaktiven Bühnenpräsenz DyoN Joos aus. Ziemlich eilig hatte es wohl die amerikanische Songwriterin Maddie Zahm, die im Alter von 13 Jahren den Kirchenchor im heimischen Boise, Idaho hinter sich ließ, um sich in Los Angeles eine Karriere als Musikerin aufzubauen. Das gelang der inzwischen in ihren 20ern angekommenen Künstlerin so gut, dass sie bereits ausverkaufte US-Tourneen und Abermillionen TikTok-Hits vorzuweisen hat - noch bevor ihre Debüt LP "Now That I've Been Honest" überhaupt das Licht der Welt erblickt hat. Wie Maddie bei ihrem Auftritt auf der Bühne des NJoy-Busses dann mit beeindruckendem Stimmvolumen demonstrierte, liegt ihr Erfolgsgeheimnis darin, dass die sie ihre klassischen Coming-Of Age und Selbstfindungs-Songs in Form von gefälligen Balladen anrichtet, die ihrer offensichtlich klassisch ausgebildeten Stimme viel Raum zur Entfaltung bieten. Dabei hat sie das Sounddesign stets im Kopf. Auf die Frage, warum sie so viel mit geschlossenen Augen singe, antwortete sie, dass das damit zusammenhänge, dass die Sessions beim N-Joy-Bus ja im Radio gesendet würden - und da müsse sie sich besonders konzentrieren und könne sie sich keine gesanglichen Fehler leisten. Vor klanglichen Fehlern haben Marie Van Uitvanck und Amber Piddington - besser bekannt als Kids With Buns - überhaupt keine Probleme, denn im Werk des belgischen Paares geht es nicht um handwerkliche Perfektion, sondern um songwriterische Authentizität. Und so kümmerten sich Marie und Amber auch gar nicht erst darum, etwa den Sound ihrer Band in dem stark reduzierten, akustischen Setting bei dem N-Joy-Bus zu emulieren, sondern die bemerkenswert freimütigen Lyrics (mittels derer die Kids ihre Teenager-Zeit abschließend und umfassend dokumentieren) und vor allen Dingen Maries unglaublichen Alto-Gesang ins Zentrum zu stellen. Amber hingegen augmentierte den Akustik-Sound dann mit psychedelischen Klangfarben. Das belgische Indie-Pop-Duo hat mit einigen Singles und Touren schon ordentlich vorgelegt und veröffentlicht in Kürze das Debüt-Album "Out Of Place". "Wenn dir unsere LP gefällt, dann solltest du unbedingt zu unserer Show mit Band kommen", empfahl Marie, "denn das klingt dann mehr nach dem, was wir auf 'Out Of Place' machen." Freilich: Als musikalische Visitenkarte und Empfehlung war auch dieser Teaser-Auftritt schon durchaus geeignet. Aus dem kalifornischen Clovis im Fresno County kommt die Songwriterin Bel - mit richtigem Namen Isabel Whelan - die ihre musikalische Laufbahn erstmal als Streaming-Künstlerin angestoßen hat, nun aber einige EPs veröffentlicht hat. Nach eigener Aussage fühlt sich Bel durchaus vom Laurel Canyon-Flair inspiriert und verehrt Joni Mitchell oder Stevie Nicks - musikalisch schlug sich das bei ihrer Show im Bahnhof Pauli dann nicht besonders nieder, denn obwohl sie für einige Songs selbst zur Gitarre griff, präsentierte Bel ihr Material mit vorproduzierten, poppigen Backing-Tracks, die sie mit einem Handy triggerte. Grundsätzlich sind Songs wie Bels aktuelle Single "Are You Okay" dabei sowieso als muntere - wenngleich nicht immer fröhliche - Pop-Songs angelegt, die immer dann, wenn Bel selbst Gitarre spielt auch einen gewissen Indie-Touch bieten. Auch im letzten Jahr waren Lexie Jay und Jon Fedorsen a.k.a. Featurette im Rahmen der Canada House-Showcases zu Gast auf dem Reeperbahn Festival gewesen. Damals spielten sie auch einen gefeierten Gig auf der XL-Bühne gegeben, das ihren "Heavy Hitting Electro-Pop-Sound" - vor allen Dingen aber die unglaubliche Bühnenshow - einem größeren Publikum bekannt gemacht hatte. Diese Erfahrung war wohl so erfreulich, dass Featurette auch in diesem Jahr wieder für einen Auftritt gebucht worden waren. Dieses Mal fand die Show ebenfalls im Bahnhof Pauli statt, wo sich eine erkleckliche Anzahl von Fans, die Featurette im letzten Jahr gewonnen hatte, eingefunden hatte. Die Sache ist dabei die: Lexie Jay ist eine personifizierte Rampensau sondergleichen. Mit einer unglaublichen Energie und einer augenscheinlich improvisierten, lebhaften Choreografie - die indes viele effektive Rockstar-Posen und - Moves enthält wirbelt sie über die Bühne und motiviert ihre Musiker, das Publikum und nicht zuletzt immer wieder zu spontanen Begeisterungsausbrüchen. Das beinhaltet dann auch schon mal, dass Lexi von der Bühne springt oder auf dem Bühnenrand sitzend mit dem Publikum flirtet. Meistens geht die Musik von Featurette gut nach vorne los und enthält etliche Trip-Hop und Club-Elemente - während bei der Live-Show dann auch noch Gitarrensounds hinzukommen (denn Produzent Marc Koecher ist mittlerweile als Multiinstrumentalist assoziiertes Mitglied des Projektes). Und diesem Jahr war dann noch ein Posaunist dabei, um das Klangbild noch etwas auszuweiten. Es ist hierzulande ja nicht so ganz einfach, mit englischsprachigen Lyrics eine Karriere als Recording- und Performing-Artist loszutreten. Diese Erfahrung machte wohl auch Katha Pauer, die bei ihrem Auftritt beim N-Joy-Bus Songs ihrer vor kurzem erschienenen deutschsprachigen Debüt-EP "Fühlt halt mal" vortrug. Denn begonnen hatte Katha ihre musikalische Laufbahn als Kadie mit englischsprachigem R'n'B-Pop. Diese Zeiten sind nun offensichtlich vorbei, denn als Katha einen Italiener traf, der kein Deutsch sprach, war Englisch die einfachste Methode sich zu verständigen. Und da fiel Katha auf, dass das Deutsche näher dran war an ihr selbst und beschloss, neue Songs dann auch gleich in ihrer Muttersprache zu schreiben. Musikalisch geht die Sache dann ein wenig mehr in Richtung New Wave Pop, auch wenn R'n'B-Grooves immer noch eine gewisse Rolle spielen. Auch wenn Katha mit ihren beiden Musikern beim N-Joy-Bus nur einen schwachen Eindruck von der musikalischen Bandbreite ihres Repertoires vermitteln konnte, war das Potential dennoch zu erkennen. Die irische Songwriterin Susan O'Neill zeigte am Abend im Imperial-Theater dann, dass man auch ohne laute Töne und einem Programm, das fast ausschließlich aus epischen Balladen besteht, das Publikum in seinen Bann ziehen kann. Das liegt zum Einen an Susans souliger Gesangsstimme, aber auch an der fast schon poetischen Art, mit der sie zwischen den Tracks die Geschichten hinter ihren Songs erläuterte. Musikalisch tat sich da im Solo-Vortrag und im Zusammenspiel mit ihren beiden Bandmusikern zwischen Folk, Jazz und Ambient so einiges, was nicht unbedingt zu erwarten gewesen wäre - beispielsweise dann, wenn Susan zu einer Trompete griff und atmosphärische Klangteppiche erzeugte. Susan O'Neill ist schon einige Zeit im Geschäft - teilweise auch unter dem Projektnamen SON - wurde bei uns indes erst durch das Album "In The Game" bekannt, das sie zusammen mit ihrem Kollegen Mick Flannery einspielte. Im Imperial-Theater beeindruckte sie indes in eigenem Namen nachhaltig. Bei der unglücklichen Pandemie-Ausgabe des Reeperbahn Festivals 2021 hatte Thala - damals im klassischen Band-Format - mit ihrer Debüt-LP "Adolescence" sozusagen ihren Einstand als Indie-Pop-Queen du jour gegeben. Inzwischen ist viel passiert. Insbesondere im UK und auch in den USA hat Thala mit ihrem authentischen Indie-Sound inzwischen zumindest mal Fuß gefasst. Zwischen unzähligen Live-Auftritten hatte Thala aber dennoch Zeit gefunden, neue Songs einzuspielen. Als erstes hatte sie im Sommer eine EP namens "In Theory Depression" eingespielt - und diese stellte sie bei ihrem kurzfristig angesetzten Gig im Sommersalon dann auch im Live-Ambiente vor - und zwar bemerkenswerterweise im Duo-Format mit einem Gitarristen und einer Boombox. Das war insofern dann überraschend, als dass die Songs der EP im klassischen Thala-Dreampop-Setting eingespielt worden waren, das auch ihre LP ausgezeichnet hatte. Bei der Show im Sommersalon wurden dann aber die rockigeren Elemente gerade dieser Songs betont. Ohne Frage überzeugte Thala dabei dann - mit Breitwand-Power-Chords, ein wenig Psychedelia und harten Beats - auch mit Rock-Sounds. Diese sind zwar auf den Studio-Fassungen von Songs wie "You Had 2", "Are You Thinking Of Me" oder "In Theory Depression" durchaus auch vorhanden, aber produktionstechnisch ganz soft im Hintergrund versteckt. Es wäre direkt mal eine gute Idee, so etwas auch mal im Studio etwas konkreter anzugehen. Thalas nächste EP "Twotwentytwo" ist zwar bereits fertig - aber da ist das Sounddesign dann noch ähnlich angelegt wie "In Theory Depression". In der Molotow Skybar wartete derweil Vanilla Jenner mit ihren Musikern darauf, den Soundcheck für das Deutschland-Debüt ihres Bandprojektes Viji in Angriff nehmen zu können. Die Band der österreichisch/brasilianischen Wahl-Londonerin gilt als Next Big Thing in Sachen Rockmusik aus dem UK. Und zwar mit gutem Grund: Zusammen mit dem Produzenten Dan Carey (Speedy Wonderground) entwickelte Vanilla für ihre anstehende Viji-Debüt-LP "So Vanilla" ein Sounddesign, das allen Freunden klassischer Grunge- und Indie-Rock-Sounds der 90er Freudentränen in die Ohren treiben dürfte. Wird auf der LP indes jeder produktionstechnische Trick genutzt, dieses Sounddesign in Richtung Pop aufzubohren, gab es bei der Show im Molotow dann die volle, pure Rockdröhnung - ganz ohne Firlefanz und immer im Breitwandformat. Das hing - so Vanilla - irgendwie damit zusammen, dass der Original-Gitarrist von Viji in Urlaub sei und so alles etwas straighter hätte umgemodelt werden müssen. Das allerdings erwies sich als absolut förderlich, denn so kamen die Fans in den Genuss einer perfekten Rockshow. Dass Vanilla ein wenig verrückt ist und mit dem Image einer durchgeknallten Psycho-Queen spielte, schadete dabei natürlich keinesfalls, denn coole Rockmusik muss halt auch einfach deutlich größer als das Leben des Normalbürgers sein. |
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Text: -Ullrich Maurer / David Bluhm-
Foto: -Ullrich Maurer- |
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