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26.07.2024
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Hallo Euphoria - Teil 1

Heimspiel Knyphausen

Eltville, Draiser Hof
26.07.2024

Susan O'Neill
Wie wird eigentlich aus einem sehr guten Festival ein ausgezeichnetes? Vielleicht ja durch die schöne Gewissheit, dass die Veranstalter sich kritisches Feedback nicht nur mit freundlicher Miene anhören (und dann geflissentlich ignorieren), sondern tatsächlich Konsequenzen daraus ziehen, um ihr ohnehin tolles Festival sogar noch ein bisschen besser zu machen.

Nein, wir reden hier nicht etwa vom Bierausschank, auf den man auf dem Draiser Hof trotz flehentlicher Bitten mancher Besucher aus leicht nachvollziehbaren Gründen auch weiterhin verzichtete, sondern über die durchaus etwas besorgniserregende Entwicklung, dass zuletzt von Jahr zu Jahr immer mehr Kinder - manchmal sogar ohne vernünftigen Gehörschutz - auf den Boxen direkt vor der Bühne herumturnten und dadurch manchmal auch die auftretenden Künstler irritierten. In diesem Jahr verhinderte nun ein Fotograben derartige Aktionen, ohne dass man das Gefühl bekommen musste, plötzlich zu weit vom Bühnengeschehen entfernt zu sein. Damit auch die jüngsten Gäste weiterhin die Möglichkeit hatten, die Auftritte aus nächster Nähe zu verfolgen, wurde für Kinder bis zum Alter von 12 Jahren (und vorwitzige Fotografen) eine neue Aussichtsplattform aufgestellt - der (Kletter-)Baumbestand schräg gegenüber von der Bühne im Gegenzug aber eingezäunt, was möglicherweise etwas spielverderbermäßig herüberkam, Eltern und Bäumen aber sicherlich einige Sorgenfalten bzw. -rinden erspart haben dürfte.

Die Wahl-Hamburgerin Brockhoff, die mit ihrer Band das umgestaltete Festivalgelände als Erste bespielen durfte, betonte während ihres Auftritts mehrfach, welch große Ehre es für sie sei, das diesjährige Heimspiel eröffnen zu dürfen. Im Gepäck hatte sie vor allem Songs ihrer beiden EPs "Sharks" (2022) und "I've Stopped Getting Chills For A While Now" (2023) mit reichlich College-Rock-Anklängen. Etwas irritierend war, dass Brocki, wie sie von ihren Fans genannt wird, während ihrer Ansagen sehr oft die erste Person Singular verwendete, wodurch ihre drei Bandkollegen über weite Strecken ziemlich in den Hintergrund rückten - doch das dürfte vor allem ihrer Aufregung während eines ansonsten äußerst sympathischen Auftritts geschuldet gewesen sein.

Brookln Dekker (nein, da fehlt kein "y"!) und seine Frau Ruth erlangten ursprünglich durch ihre gemeinsame Band Rue Royale Bekanntheit. Nun ist Ersterer seit einiger Zeit als Dekker solo unterwegs und steht für einen wunderbar tanzbaren und souligen Sound, der ein wenig an Junip und Fink denken lässt. Dekkers visuelles Markenzeichen, ein ziemlich überdimensioniert wirkender Hut, sorgte dafür, dass auch in Eltville nur die Leute in den vordersten Reihen Blickkontakt mit dem Künstler aufnehmen konnten - das war einerseits etwas schade, bot andererseits aber auch die Gelegenheit, die Musik besonders aufmerksam durch den eigenen Körper fließen und zu passenden Bewegungen werden zu lassen.

Dieses Jahr machte das Heimspiel seinem Namen mal wieder alle Ehre, denn auch Gisbert zu Knyphausen & Band waren Bestandteil des Line-Ups. Nachdem Gisbert sich in den letzten Jahren entweder auf die Rolle als Duett-Partner beschränkt hatte (z.B. 2023 beim Auftritt von DOTA) oder mit Nebenprojekten aufgetreten war (z.B. 2022 mit Husten), war es diesmal wieder einmal Zeit für ein Konzert mit seinen ureigensten Songs. Im Zuge der Veröffentlichung des diesjährigen Line-Ups war das Konzert zunächst als Solo-Show angekündigt worden, doch dann bekam Gisbert offensichtlich doch Lust, alte Weggefährten zusammenzutrommeln und eine richtige Bandshow abzuliefern - eine hervorragende Entscheidung! Gleiches galt für die Ansetzung zur besten Headliner-Zeit am Freitagabend, nachdem Gisbert diese Slots zuvor höflicherweise oft und gerne anderen Künstlern überlassen und sich selbst mit vermeintlich unlukrativen Zeiten begnügt hatte - etwa 2018, als er - ebenfalls mit Band - sein damals noch recht frisches Album "Das Licht dieser Welt" am frühen Sonntagnachmittag präsentierte. 2024 gab er dem Publikum mit einem Greatest Hits-Programm die volle "melancholische Breitseite" und verlieh dem ersten Abend dadurch einen mehr als würdigen Abschluss.

Bereits 2018 stach der Heimspiel-Liner erstmals unter Festivalflagge "in Fluss", hat durch die Verknüpfung mit exklusiven Konzerten seit dem Vorjahr aber noch deutlich an Attraktivität gewonnen. Für die beiden Bootstouren zu Beginn des Festivalsamstags (um 11 und 13 Uhr) konnte Goodwin verpflichtet werden, das Soloprojekt von Rob Goodwin, dem Frontmann von The Slow Show. Während man sich auf Streamingplattformen und Videokanälen heutzutage ja manchmal selbst in die frischsten Newcomerbands anhand umfangreicher Playlisten einarbeiten kann, waren von Goodwin im Vorfeld noch keinerlei Mitschnitte auffindbar. Wer die Musik von Robs Hauptband schätzt, dürfte beim Hören des bislang unveröffentlichten Materials jedoch keinerlei Anlass zur Fremdelei gehabt haben, spielen sich die Songs doch in einem sehr ähnlichen Klangkosmos ab. Überspitzt könnte man vielleicht sogar sagen, dass es sich bei Goodwin um "The Slow Show in langsam" handelt. Von den neuen Songs blieb vor allem das eindringliche "Whiskey" hängen, bei dem Rob Unterstützung von einer Duettpartnerin namens Lilli bekam. Um seinem Publikum jedoch zum einen auch ein paar altbekannte Zeilen an die Hand zu geben und zum anderen sein erstes Konzert auf einem Schiff zu feiern, sang Rob kurz vor Ende seines Sets den Kinks-Klassiker "Waterloo Sunset": Erwartungsgemäß funktionierte der Song über den River Thames auch auf dem Rhein bestens und lieferte zugleich den idealen Ohrwurm-Soundtrack, um anschließend summend von der Anlegestelle zum Draiser Hof zu schlendern.

Dort wartete als nächste Band des regulären Festival-Line-Ups das Schweizer Quintett Soft Loft, das im Frühjahr 2024 sein Debütalbum "The Party And The Mess" vorgelegt hat. Darauf findet sich formvollendeter Indie-Pop, der trotz Eingängigkeit nie in Richtung Beliebig- oder Belanglosigkeit abbiegt und auch live an diesem Nachmittag voll zu überzeugen wusste - sowohl in seiner Midtempo-Ausprägung ("Is It Me?") als auch als rührende Ballade (vgl. den Titeltrack der LP). Die Stimme von Frontfrau Jorina Stamm begeisterte dabei mit einer wunderbaren Mischung aus Kraft und Zerbrechlichkeit.

Mit ähnlichen Worten ließe sich auch Susan O'Neill treffend beschreiben, die im Anschluss für einen der herausragendsten Auftritte des Festivals sorgte. Der irischen Singer/Songwriterin gelang der Durchbruch mit einem Kollaborationsalbum mit ihrem Landsmann Mick Flannery, im September 2024 wird nun ihr neues Album "Now In A Minute" erscheinen, von dem es in Eltville schon einige Kostproben zu hören gab. Begleitet wurde sie lediglich von einem E-Pianisten, was ihre bemerkenswerte Stimme, die an Weltstars wie Adele oder Amy Winehouse denken lässt, ganz wunderbar zur Geltung brachte. Neben ihren bluesigen Folk-Songs hatte Susan aber auch einige amüsant-nachdenkliche Ansagen auf Lager, zum Beispiel die Geschichte von einem Kind, das selbstbewusst ankündigte, ein Bild von Gott malen zu wollen. Nachdem ihm zu bedenken gegeben wurde, dass "nobody knows what God looks like", sagte es wohl trocken: "Well, you will in a minute." Nach Veröffentlichung ihrer neuen LP wird Susan im November übrigens noch mit einer eigenen kleinen Tour in Deutschland unterwegs sein - ein schneller Ticketkauf erscheint sinnvoll und geboten, denn die dafür ausgewählten Locations sind deutlich kleiner als es ihr Talent eigentlich vermuten lassen würde. Doch auch schon im späteren Verlauf des Samstagabends sollte das Publikum in Eltville noch unverhofft eine kleine, aber mehr als feine Zugabe bekommen...

Weiter zum 2. Teil...

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Text: -Achim Fischelmanns-
Foto: -Ullrich Maurer-
 

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