Tatsächlich darf man sich bei Sophie Chassées Auftritt in Essen einbilden, dass für sie der private Neuanfang mit einem Umdenken als Künstlerin Hand in Hand gegangen ist. War sie in der Vergangenheit vor allem als Liebling aller Gitarren-Nerds bekannt, rücken die filigranen solistischen Modern-Fingerstyle-Momente wie schon auf dem neuen Album nun auch auf der Bühne ein Stück weit in den Hintergrund und die Liebe zur Popmusik, die auch schon bei Sophies alten Liedern immer mal wieder durchgeschienen hatte, tritt spürbar in den Vordergrund. Die neue Dynamik kann man hören und spüren, aber auch sehen, denn zusätzlich zu zwei Akustikgitarren ergänzen nun Stromgitarre, Sampler und eine elaborierte Deko das Bild auf der Bühne.

Auch wenn das kunstvoll virtuose "Haunting Shadow" gleich zu Beginn verdeutlicht, dass Sophie nicht vergessen hat, wer Andy McKee ist, stehen im Zentrum des 95-minütigen Auftritts, der anders als zuvor ohne Pause auskommt, die Songs, die sie mit Stromgitarre und Backingtracks auf ungewohntes Terrain im Pop-Dunstkreis führen. Auch die meisten der wenigen alten Songs, die an diesem Abend zu hören sind, tragen dieser Entwicklung Rechnung: Mit "November", ihrer Hommage an das von ihr ungewöhnlicherweise sehr geschätzte Fritz-Walter-Wetter, "Should Have Known Better" - mit echtem Singalong! - oder dem John-Mayer-inspirierten "City Lights" rutschen nur die eingängigsten Nummern ihres letzten Albums "Lesson Learned" ins Set.

Das Herzstück der Show sind allerdings die Songs, mit denen die inzwischen in Köln heimische Musikerin das Publikum unverblümt am Gefühlschaos nach ihrer Trennung teilhaben lässt, wenn sie uns mit einer Handvoll facettenreicher Songs aus "Attachment Theory" durch die Stufen der Verarbeitung des Erlebten geleitet und dabei von "What I'm Not" über "User Not Found" und das wunderbar emotionale "Dear Marie" zu "Bury You Alive" und am Ende zu der Feststellung "I Don't Give A F***" führt - oder wie sie selbst über ihre "Rache"-Songs augenzwinkernd sagt: "Macht nie Schluss mit einer Musiker, sonst bekommt ihr es von links und rechts!" Etwas ganz Ähnliches gilt übrigens auch für abwesende Väter, wie Sophie beweist, wenn sie in "What Fathers Do" ihrer Enttäuschung freien Lauf lässt und dabei die gleiche Entschlossenheit an den Tag legt, die auch bei ihren ausführlichen und oft betont selbstbewussten Ansagen zwischen den Songs immer wieder aufblitzt.

Dass Pop nicht das einzige Werkzeug ist, mit dem sie die Bandbreite ihrer Auftritte organisch ausweitet, zeigt derweil "The Last Journey Of The Wren", ein beeindruckendes, ihrer vor drei Jahren verstorbenen Großmutter gewidmetes Instrumental, mit dem sie ihr Können an der Gitarre in den Fokus rückt, ohne sich nur auf alte Tugenden zu stützen. Nachdem sie sich bei der Zugabe mit dem Tracy-Chapman-Medley "Fast Car / Talkin' About A Revolution" verabschiedet hat, verlässt man deshalb das Grend in der Gewissheit, dass Sophie Chassée ihre eigene "Revolution" - sprich: die Umwälzungen in ihrem Leben in den letzten 18 Monaten - als Künstlerin und Mensch bravourös gemeistert hat.