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10.02.2025
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Alles neu macht der Mai

Half Waif
Charlotte Jacobs

Berlin, Privatclub
10.02.2025

Half Waif
Ein nicht ganz so schönes Beispiel für das, was das Leben gelegentlich mit uns macht, während wir andere Pläne machen, war das, was Nandi "Half Waif" Rose Plunkett durchleben musste, während sie ihr aktuelles Album "Meet You At The Maypole" in Angriff nahm. Als sie mit der Vorbereitung beschäftigt war, erfuhr sie, dass sie mit ihrem ersten Kind schwanger war und freute sich darauf, ihre neue Musik als Feier des aufkeimenden, neuen Lebens anzugehen. Es folgte dann der Schock einer Fehlgeburt, in Folge deren sich Nandis Perspektive logischerweise vollkommen änderte, so dass es ab dieser Situation nur noch darum gehen konnte, über die Musik wieder ins Leben zurückzufinden und die Stücke, die nach dieser Diagnose entstanden, dann in kathartischer Hinsicht neu zu bewerten. Das Ergebnis war dann die LP "Meet You At The Maypole" - "Ich treffe dich beim Maibaum", die Nandi schließlich alleine mit ihrem musikalischen Partner Zubin Hensler in der Zeit der Pandemie fertig stellte und die sie nun, auf der laufenden Tour, auch bei ihrem zunächst einzigen Auftritt in Deutschland bei ihrer Show im Berliner Privatclub in einem entsprechend reduzierten Setting präsentierte (allerdings nicht zusammen mit Zubin Hensler, sondern mit dem Pinegrove-Gitarristen Josh Marre als musikalischem Sparrings-Parnter).

Als Support-Act war die belgische Avantgarde-Popperin Charlotte Jacobs gebucht worden, die ihr Material in einem ähnlichen Setting (also mit einem Begleit-Musiker und einem minimalen Keyboard-Setup) präsentierte - allerdings auf einer seltsam abstrakten Ebene. Ging es später bei Half Waif darum, die Emotionen und die Spiritualität, die die Basis der neuen Half Waif-Songs ausmachen, im Vortrag einzufangen und wiederzugeben, so schien es bei Charlotte Jacobs und ihrem hyperaktiven Jazz-Drummer Raf Vertessen darum zu gehen, die musikalischen Ideen möglichst verkopft gegen jeden erkennbaren Strich zu bürsten. Das weitestgehend auf improvisatorischen Elementen basierende Material artete dann in angeschrägten, effektbeladenen, atonalen Gesangpartien, minimalistischen Bassläufe (die weitestgehend vorprogrammiert abgerufen wurden) und den wilden Exaltationen des hyperaktiv agierenden Drummers aus. Da lief wenig zusammen - weder in Richtung Harmonie oder Melodie - noch in rhythmischer Hinsicht. Fast schien es, als arbeiteten die beiden Protagonisten auf der Bühne gegeneinander. Nur dann, wenn der Flow ein Mal stimmte und beide Musiker zumindest das gleiche Ziel - oder den gleichen Song - im Sinn hatten, kam so etwas wie Unterhaltung auf. Wer sich gefragt haben mochte, wer sich diese Kombination ausgedacht hatte, der wurde im Kleingedruckten fündig: Auf Charlotte Jacobs Album "a t l a s" (auf dem sich die ganze Sache deutlich versöhnlicher anhört) saß Zubin Hensler als Produzent und Tontechniker hinter den Regeln.

Angesichts des eingangs bereits beschriebenen Szenarios konnte es beim Vortrag von Half Waif im Folgenden dann nicht um Kompromisse gehen: Nandi und Josh spielten schlicht das ganze "Maypole"-Album von vorne bis hinten durch - ergänzt lediglich um die einzige herausgeklatschte (äußerst passend gewählte) Zugabe "Party's Over" vom letzten Album "Mythopoetics". Was sich auf dem Papier erst mal langweilig anhört (zumal die organischen Bestandteile der Produktion ja mit dem Set-Up Keyboard und Gitarre nicht wirklich nachempfunden werden konnten), erwies sich aufgrund der Dramaturgie und der lebendigen Reduktion auf das Wesentlich dann aber als erstaunlich effektiv und berührend. So legte Nandi Rose im Vortrag dann das Hauptgewicht nicht auf Instrumentierung oder Arrangements-Treue, sondern auf die emotionalen Aspekte der Spiritualität. Dabei kamen dann die esoterischen Elemente, die der Musik von Half Waif gemeinhin öfter zugrunde liegen, dann natürlich schon zum Tragen - blieben aber deutlich unterhalb einer sendungsbewussten Schmerz- und Peinlichkeitsgrenze. So unterlegte Nandi ihren Vortrag mit theatralischen Gesten, bei denen sie mit einer Leuchtkugel, verschiedenen Tüchern und am Ende sogar einem symbolischen Maibaum hantierte, um die inneren Spannungen, die den Songs zugrunde liegen, entsprechend zum Ausdruck zu bringen - und wirkte dabei auch äußerst authentisch. Eine kurze Phase, bei der sie sich am Rande der Bühne auf den Boden legte und von dort aus mit großen Gesten weiter performte, dürfte den meisten Zuschauern aufgrund der Club-Situation dabei sogar verborgen geblieben sein. Auf ihren Social Media-Kanälen hatte Nandi die Fans gebeten, zu den Konzerten auf Tour organische Gegenstände mitzubringen und auf dem "Bühnenaltar" abzulegen, aus denen sie dann nach der Tour ein spirituelles Totem basteln wollte. Das hatte sich allerdings wohl nicht so richtig herumgesprochen, so dass am Ende nur zwei Strohblumen und ein Bonbon auf dem Bühnenboden lagen.

Musikalisch gefiel dann das Ganze dadurch, dass das Duo gar nicht erst versuchte, den Sound, den Half Waif in den USA mit Band auf Tour erzeugen zu emulieren, sondern sich auf das Wesentliche konzentrierten. Und dazu gehörte dann auch, dass alle relevanten Partien auch live gespielt wurden (anstatt diese von der Harddisk abzurufen). So spielte Nandi die Klavierparts auf dem Keyboard und Gitarrist Josh Marre gefiel, indem er über sein riesiges Effektpedal mit einem flächigen, psychedelischen Sounddesign knapp unterhalb der Übersteuerungsgrenze experimentierte und so den Eindruck erweckte, ständig vor sich hinzuköcheln (es aber niemals zum Ausbruch oder zum Überkochen kommen ließ). Da es auf der "Maypole"-Scheibe nur wenige Tracks mit echten Grooves - wie z.B. "Big Dipper" oder "The Museum" gibt, konnte es sich Nandi leisten, dann auch noch Bass und Beats live einzuspielen, während sie Josh punktuell auch noch mit einem zweiten Keyboard unterstützte.

Kurzum: Am Ende fehlte da gar nichts - und so blieb mehr Raum für die Emotionen und die Dramatik. Richtig depressiv wurde die Sache dann auch schon alleine deswegen nicht, weil Nandi inzwischen ja auch Mutter eines gesunden Kindes geworden ist (das ihr Ehemann während der Show im Backstage-Raum betreute), ihre emotionale Erdung wiedergefunden hat und insofern den Gedanken der Hoffnung, der Zuversicht und der durch den Maibaum symbolisierte Wiedergeburt ans Ende der Show stellte und die Zuhörer dann eher mit einem wohlig/heimeligen als etwa einem desolat/melancholischen Grundtenor in die (eisige) Nacht entließ.

Surfempfehlung:
halfwaif.com
www.instagram.com/halfwaif
halfwaif.bandcamp.com/album/see-you-at-the-maypole
www.youtube.com/user/halfwaif

Text: -Ullrich Maurer-
Foto: -Ullrich Maurer-
 

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