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24.02.2025
http://www.gaesteliste.de/konzerte/show.html?_nr=3656
 
Spannend

Gina Été
Faira

Köln, Tsunami-Club
24.02.2025

Gina Été
Die gemeinsame Geschichte von Gina Corti (Été) und Sophia "Faira" Spies reicht schon einige Jahre zurück. Denn im Jahre 2016 zogen beide zufällig unabhängig voneinander in die Domstadt Köln, lernten sich dort kennen, freundeten sich an und begannen auch damals schon gemeinsam zu musizieren. Zwar musste die Baseler Musikerin Gina Été im Rahmen der Pandemie-Beschränkungen aus fiskalischen Gründen zurück in die Schweiz ziehen - aber Sophia wohnt bis heute in Köln, so dass es logisch erschien, dass beide dann auch beim Kölner Termin der von Gaesteliste.de präsentierten Tour zu Ginas aktuellem Album "Prosopagnosia" zusammen im Tsunami-Club spielen würden.

Die Show in der Reihe "Tsunami-Session" begann dann mit einem Set, zu dem Faira ihre Gesangspartnerin Emilia Renn mitgebracht hatte, die inzwischen auch mit einem eigenen Projekt am Start ist. Nicht nur ihre Musik betreffend, sondern auch die Outfits ist Sophia Spies immer für eine Überraschung gut. So kam sie im Tsunami-Club als Kreuzung zwischen einer japanischen Onna und einem 20er-Jahre Showgirl daher. Das hatte jetzt nicht direkt mit der musikalischen Darbietung zu tun, bot dann aber natürlich einen theatralischen, performerischen Mehrwert, der eigentlich nur dadurch kaputt gemacht wurde, dass den ganzen Abend lang der gesamte Raum in funzeliges Rotlicht getaucht war, was das erkennen der Musiker - geschweige denn deren performerische Nuancen - nicht eben erleichterte.

Für ihre Show im Tsunami-Club hatte sich Sophia als Faira ein klassisches Folksetting ausgesucht und präsentierte die Songs demzufolge alleine mit akustischer Gitarre (und eben zwei Gesangsstimmen), während auf ihrer aktuellen EP "Skies, Waters" - die neben einigen neuen Tracks - im Zentrum stand, auch fülligere Arrangements zu hören sind. Auf diese Weise wurde das Augen- bzw. Ohrenmerk dann noch ein Mal besonders auf die Komplexität von Sophias Kompositionen gelenkt, die in diesem auf das Notwendigste reduzierten Setting besonders deutlich wurde. Immer wieder entdeckt Faira dabei neue, abenteuerliche Pfade jenseits des gewohnten, denen als Zuhörer zu folgen nicht ganz einfach, aber immens lohnend erscheint. Besonders deutlich wurde das zum Beispiel bei dem Track "Hemisphere" von der EP, denn während auf der Studioversion gar keine Gitarren, sondern Keyboards und Electronics zu hören sind, wurde die komplexe Melodieführung des Tracks und dessen abenteuerliche Struktur im akustischen Folksetting besonders deutlich.

Auch bei Gina Été und ihrer Band gab es im Live-Setting eine Abkehr vom Sound der Studioproduktion ihrer aktuellen LP "Prosopagnosia" - aber auf eine andere Weise, als vielleicht gedacht. Denn während es auf der LP überwiegend elektronische Sounds zu hören gibt, so stand bei der Show in Köln ganz klar die Besetzung mit einem Streichquartett im Vordergrund (zu dem Gina selbst dann als federführende Viola-Spielerin gehörte.) Ergänzt wurde das Line-Up dann noch durch den langjährigen Été-Begleiter Noé Franklé, der im Hintergrund an Keyboards, einem elektronischen Drumpad und punktuell mit Synth-Bass oder Gitarre für spannende Akzente sorgte. Die Piano-Passagen wurden dann teils von Gina Été selbst auf einem Mini-Keyboard beigetragen. Insbesondere die Solo-Passagen auf der Viola erwiesen sich als veritable Alternative zu den Gitarren-Partien, die auf Ginas erster LP "Erased By Thought" das Sounddesign bestimmt hatten. Das Programm der Show bestand zunächst mal aus den Tracks des neuen Albums, wobei im späteren Verlauf der Show dann noch einige ältere Tracks - wie der Publikumsfavorit "Mach's gut" vom ersten Album gespielt wurden. Am Ende kam dann noch ein Mal Sophia Spies auf die Bühne zurück, wobei dann im Zugabenblock Material aus den gemeinsamen Anfangstagen gespielt wurde, das die beiden Künstlerinnen zuvor im Soundcheck noch mal aufgefrischt hatten (wobei man Sophia dann hier auch mal auf Deutsch singen hören konnte).

Wie nicht anders zu erwarten standen auch bei dieser Show die getragen/düsteren Elegien Ginas im Zentrum, die aber aufgrund der warmherzigen Inszenierung mit den Streichern und Ginas gut gelaunter Ansagen und Introductions gar nicht mehr so getragen/düster, sondern eher hypnotisch wirkten. Natürlich macht Gina Été keine klassische Popmusik in dem Sinne - trotzdem gab es Passagen, wo es auf der Bühne ganz gut abging. Etwa bei den Tracks "Blindside" und mehr noch bei "F***you:you", wo Noé Franklé am live gespielten E-Drum-Pad unerwartete dynamische Ambitionen entwickelte und den ganzen Club zum Beben brachte. Immer wieder erfreulich ist dabei der Umstand, wie ungezwungen gerade Schweizer Musiker - so natürlich auch Gina Été - zwischen den jeweiligen Sprachen (in dem Fall Englisch, Französisch, Schrift- und Schweizerdeutsch) hin und her wechseln können, ohne in ein Identitätskrise zu verfallen.

Dem Publikum gefiel all dies offensichtlich ganz prächtig, denn das hing Gina Été (und auch Sophia Spies und Emilia Renn) begeistert an den Lippen - ohne dabei irgendwie störend durch Plappern in Erscheinung zu treten, was in solchen Settings nicht ganz selbstverständlich ist. Was Gina nach eigener Aussage beim Live-Spielen am wichtigsten ist, ist dass sich alle - also Musiker und Publikum - auch menschlich finden, denn ansonsten (so Gina) gäbe es alleine ja auch keinen Spaß bei der Performance. Gina Été hat es also offensichtlich geschafft, auf diese Weise eine enge Verbindung mit ihren Fans aufzubauen - und mehr kann man von einem gelungenen Live-Konzert von den auftretenden Künstlern ja eigentlich auch gar nicht erwarten.

NACHGEHAKT BEI: Gina Été

GL.de: Warum gibt es eigentlich auf dem neuen Album - anders als auf der ersten LP - keine bzw. kaum noch Gitarren zu hören?

Gina: Es sind ja welche dabei - wenn auch nur ganz wenig. Der Grund-Unterschied zur ersten LP ist der, dass ich damals zwar alles selber geschrieben, dann aber alles mit meiner Band arrangiert habe. Wir sind dann ins Studio gegangen und haben alles in zwei Wochen mit Drums, Kontrabass und Gitarre live auf Tape eingespielt. Es gab dann immer viele Meinungen und das Arrangieren war durch die Band-Besetzung gegeben - dadurch sind meine Stimme und die Streicher-Sachen zu kurz gekommen. Dafür wollte ich mir auf der neuen Scheibe dann mehr Zeit nehmen - und das hat sich auch ergeben, weil ich in den Lockdowns mehr Zeit zum Schreiben und Komponieren habe. Deswegen finde ich, dass es auf der neuen Scheibe "mehr ich" zu hören gibt. Für dieses Album habe ich dann alle Basic-Demons alleine gemacht und dann mit Noé Franklé produziert. Deswegen gibt es auch so viele Streicher und mehr Keyboards.

GL.de: Auf deiner neuen LP "Prosopagnosia" geht es ja um ein Krankheitsbild, das es Betroffenen erheblich erschwert, andere Personen alleine an ihrem Gesicht wiedererkennen zu können. Bist du davon selbst betroffen?

Gina: Also was die Prosopagnosie betrifft habe ich da ein paar Tests gemacht und ich bin - je nach Ergebnis - so am unteren Limit dessen, was noch als "normal" gilt oder aber leicht betroffen davon, dass man eben Gesichter nicht wiedererkennt. Das merke ich im Alltag, wenn ich Leute nicht klar aus dem Kontext oder der Kleidung oder den Haaren identifizieren kann. Wenn andere Leute das dann verändern, weiß ich nie, wer das ist - auch wenn ich die schon tausend Mal gesehen habe. Die Gesichtszüge an sich kann ich mir nur bei Leuten merken, denen ich nahe stehe. Ich vergesse aber die Leute selbst nicht, sondern ich erkenne sie nicht am Gesicht. Was den Albumtitel betrifft, so geht es mehr so um Grenzen und Wahrnehmungen und was es mit einem macht, wenn man durchs Äußere in Boxen eingeordnet wird. Das Album stellt sich ganz stark gegen das. Und deswegen ist das eine Hommage an die Prosopagnosie, denn wenn man Leute nicht wiedererkennt, dann muss man offen sein.

GL.de: Wozu nutzt du dann deine Musik? Geht es um das therapeutische Verarbeiten? Das Beobachten? Das Kommentieren?

Gina: Es geht schon viel um das Verarbeiten. Gerade die wütenden und traurigen Songs sind dann die, in denen ich viel verarbeiten möchte - oder muss; denn ich habe da keine Wahl in dieser Hinsicht. Ich kann auch in Englisch oder Französisch ganz gut reflektieren. Wenn ich etwas aufgeschrieben habe, geht es mir dann auch schon viel besser.

GL.de: Wie stehst du denn zur Wahl der Sprache und welche ist am schwierigsten zu handhaben?

Gina: Also in meiner Muttersprache schweizerdeutsch ist das am schwierigsten. Ich versuche oft, etwas zu schreiben - aber das klingt dann zu "stoppig" und nicht so natürlich. Im Deutschen ist ist das ähnlich. Zwischen Englisch und Französisch kann ich aber ziemlich gut switchen. Ich probiere in beiden Sprachen rum und schaue dann, was mir besser gefällt. In der Muttersprache hingegen hat man vielleicht das größte Vokabular - aber da ist die Scham dann am höchsten, etwas peinliches zu sagen. Im Englischen ist das viel einfacher, weil man da alles sagen kann und sich weniger assoziiert. Und im Französischen klingt sowieso alles schön.

GL.de: Welche musikalischen Inspirationen gab es denn auf der neuen Scheibe?

Gina: Ich hatte einfach Lust, dieses Mal möglichst viel selber zu produzieren und habe deswegen ziemlich viel Bratsche, Synthies und Stimme verwendet - was den Sound natürlich mega krass verändert hat. Ich habe aber auf der anderen Seite auch ein paar Sachen wie FKA Twigs, Vasilii oder Douglas Dare rauf und runter gehört. Gleichzeitig ist viel von den ursprünglichen Demos drin. Zum Beispiel habe ich einen Computer auf das Klavier im Gang zu Hause aufgestellt - und das dann für die Produktion verwendet.

GL.de: Letzte Frage: Wieso klingt deine Musik meist so getragen und melancholisch? Du kannst doch auch anders, wie z.B. der Song "F***you:you" belegt?

Gina: Ich schreibe halt viel am Klavier und ich schreibe dann, wenn mich Sachen zum Nachdenken bringen. Wenn es mir einfach gut geht, dann bin ich halt unterwegs und schreibe nicht.

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Konzert: -Ullrich Maurer-
Interview: -Ullrich Maurer-
Foto: -Ullrich Maurer-
 

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