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29.09.2003
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Unschädlich

Ray Wilson
Harmful

Köln, Underground
29.09.2003

Ray Wilson
Dass der schottische Romantiker es allein, nur mit Wandergitarre oder nur mit kammermusikalischer Trio-Besetzung kann, durfte Gaesteliste.de schon erleben und ausführlich berichten. Nun war die Gelegenheit gekommen, Ray Wilson mit vollständigen Rock-Outfit zu erleben. Und sie wurde dankbar ergriffen - um so williger, da der Rockpalast an diesem Abend eine "Bootleg"-Folge aufzeichnete, denn wenige Disziplinen machen mehr Spaß, als sich beim Fotografieren ohne Fotograben mit WDR-Kameraleuten herumzubalgen.

Doch vor diese Übung und das Wiedersehen mit Ray hatte die tourplanende Vorsehung Harmful gesetzt. Das hessische Powertrio ist ohnehin schier unermüdlich auf Tour und hat überdies aktuell mit "Sanguine" ein neues Album auf Steamhammer zu promoten, das just an diesem Tage auch noch Erstverkaufstag hätte haben sollen (wurde aber nun auf den 06.10. verschoben). Über den Umstand hinaus, dass sowohl Ray Wilsons Label InsideOut wie auch Steamhammer die großegroße SPV als Distributor nutzen, fällt es jedoch schwer, irgendwelche Gemeinsamkeiten zwischen beiden Bands auszumachen. Dies schien auch den im Underground versammelten Publikumsmix umzutreiben, denn das Auditorium tauschte sich zwischen beiden Bands nahezu komplett aus: Wer wegen Rays Musik gekommen war, entschwand nach einigen Harmful-Takten in die nächste Kölschkornkneipe oder zum naheliegenden MacDreck, was den Hessen leider nur noch knapp 40 Leute (ohne WDR- oder Presseausweise) vor der Bühne übrig ließ. Von diesen aber blieb wiederum kaum jemand bis nach dem (allerdings auch quälend langen) Umbau / Soundcheck der Wilson Band, die sich aber über ein mit neuen Gesichter frisch befülltes Underground freuen konnte.

Zunächst aber Harmful: Die Combo existiert seit '92 in heutiger Besetzung, hat schon fünf Alben (bei drei verschiedenen Labels) am Start, ist u.a. in den Staaten mit Machine Head, Clutch, Iggy Pop und Prong aufgetreten, wobei ihnen Ähnlichkeiten zu Letztgenannten nachgesagt wird. Von Konserve fallen beim jüngsten Album gerade bei reduzierteren Tempi angenehme Ähnlichkeiten mit US-Alterno-Größen wie Staind & Co. ("Overfed") auf. Bei "I Remember You" klingt Sänger / Gitarrist Aren Emirze gar wie ein verjüngter Bob Mould. Live blieb davon allerdings wenig über, wohl auch da mit wenigen Ausnahmen (schön: "Aftermath" vom Album "Counterbalance"; klasse: das grungige "Give It All" von "Wromantic") eher das harte Brett gereicht wurde. Heißt: Aren bellte überwiegend so getrieben, dass man auch bei einem weniger katastrophalen Sound nichts von den bei Harmful eher wichtigen Texten verstanden hätte. Außerdem legte der Frontmann eine beklagenswerte Leidenschaft zu Feedback-Orgien an den Tag. Nichts gegen lange Rückkoppelungen, aber gepflegt müssen sie sein... Doch Arens Telecaster und Verstärker waren zumeist nur zu einem ohrenverwüstenden Quietschkeifen bereit - und schließlich nicht mal mehr dazu. Was in minutenlangem Gefummel resultierte. Aren: "Das ist das Tolle am Fernsehen: Zum Glück kann man das Schneiden." [Pause] "Aber Ihr habt's gesehen". Hernach klang die Schraddel allerdings immer noch genau wie vorher. Schade um den Klangbrei, der auch von der auf Platte enorm tighten Ensembleleistung von Chris Aidonopoulos am Bass und Nico Heimann am Schlagzeug wenig durchließ.

Nach dem angedeuteten Exodus der Harmful-Getreuen und rund 50minütigen Wartezeit konnte das Publikum endlich den Ex-Stiltskin- und Genesis-Frontmann Ray Wilson benebst neuer Band begrüßen. Wie schön, dass wie bei früheren Auftritten, mit denen Rays Comeback begann, sein Bruder Steve (im weißen Oberhemd wie ein Buchhalter anzuschauen, spielt aber eine enorm flüssige Leadgitarre) und die Ausnahmesängerin Amanda Lyon dabei sind. Der Gig schien sehr überlegt aufgebaut, die Band begann mit "Another Day" noch recht akustisch und legte spätestens bei der alten Stiltskin-Nummer "Sunshine And Butterflies" ein gut brennendes Brikett nach. Besonders Steves Solo bei dieser Nummer war schlicht beeindruckend - kein Ton oder Schlenker zuviel, aber doch erzählte es eine eigene Geschichte.

Der "Genesis"-Teil wurde dann wieder fast unplugged gegeben, was Nummern wie "Not About Us" - heute mit Akkordeonbegleitung - ja auch erst das volle Gänsehautpotenzial zu entlocken scheint. Und es war auch wieder einmal eine Offenbarung, wie Amanda für "Don't Give Up" immerhin mal so eben den Originalpart einer Kate Bush re-interpretiert. Bei der einzigen Zugabe war laut Ray der Plan, "to rock it a bit". Für den Stiltskin-Klopfer "Footsteps" zeigte er, dass auch er eine zünftige Leadgitarre zu zupfen versteht. Tolles Konzert! Ob diese Songs im Band- oder im Triokonzept besser wirken? Zumindest Schaden fügen diesen starken Kompositionen weder eine völlig genrefremde Vorgruppe noch die Bandarrangements zu. Aber noch intensiver ist Ray Wilson vielleicht doch rein akustisch. (P.S.: Der Auftritt von Ray & Co. wird am 09.11. ab 1:00 Uhr im WDR übertragen.)

Surfempfehlung:
www.raywilson.co.uk
www.genesis-music.com/Callingray.htm
www.genesis-web.co.uk/cas/ray_wilson.html
www.harmfulweb.de

Text: -Klaus Reckert-
Foto: -Klaus Reckert-
 

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