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04.10.2003
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Familientreffen des ProgMetal

ProgPower Europe 2003, Teil 1

Baarlo, Sjiwa
04.10.2003

Green Carnation
Die kleine, aber feine europäische Version des ProgPower-Festivals blickt mittlerweile auf eine fünfjährige Tradition zurück und darf daher ruhig als Institution bezeichnet werden. In sehr überschaubarem Rahmen treffen sich hier Fans und Bands aus den verschiedensten Ecken Europas und sogar aus Übersee, um alljährlich in angenehmer, familiärer Atmosphäre ein progressives Powermetal-Fest zu feiern, das an Qualität in dieser Größenordnung sicherlich seinesgleichen sucht. Schon in den Vorjahren konnten hier Genregrößen wie Anathema, Pain Of Salvation, Dead Soul Tribe oder Threshold begrüßt werden, aber auch zahlreiche Lokalmatadore oder Newcomer aus ganz Europa, die den Genannten nicht in vielem nachstanden. Organisator René Janssen, der bei der Auswahl der Acts ein geschicktes Händchen beweist, hält das Event bewusst klein, um die persönliche Atmosphäre zu bewahren, die das Festival deutlich von anderen abhebt; hier mischen sich die aktuellen Bühnenakteure und Macher des Festivals bunt mit den Musikern der Vorjahre, man lernt schnell Leute kennen und interessante Kontakte werden problemlos geknüpft.

So waren in diesem Jahr an beiden Tagen jeweils 400 bis 500 Musikhungrige vertreten, die bequem in der Konzerthalle des Jugendzentrums Sjiwa Platz fanden. Baarlo selbst ist ein kleines, schmuckes Backsteindorf nur wenige Kilometer von Venlo entfernt, also von Deutschland aus quasi im Handstreich zu nehmen; aber auch Besucher beispielsweise aus Skandinavien scheuen den langen Ritt nicht, um in festivalarmer Zeit diesem netten Familienfest beizuwohnen. Auf die Minute pünktlich ging es los. Ist die Rolle des Openers bei anderen Festivals oft eher eine Strafe, so konnten Symmetry aus Holland bereits nach wenigen Nummern auf eine immerhin mehr als halb gefüllte Halle herabblicken. Der sympathische Trupp heizte dann auch tüchtig ein. Kernaussage war, wie beim Großteil des diesjährigen Lineups, progressiver Powermetal. Von Abgehnummern über ruhigere oder komplexe Parts bis hin zu jazzigen Einlagen wurde das Songmaterial sehr engagiert und emotional rübergebracht. Stellenweise erinnert der Gesang an ältere Queensryche-Nummern. Optischer Leckerbissen war ein imposanter Six String-Fretlessbass, dessen Handhabung seinem Zupfer sicherlich die eine oder andere Stunde in der Muckibude abnötigt. Symmetry strahlten 45 Minuten lang unverbrauchte Spielfreude aus und haben auch Spaß an kleineren Rangeleien auf der Bühne; die Hörerschaft war auf ganzer Linie einverstanden.

Eine halbe Stunde Umbaupause ließ Zeit für ein Bierchen und etwas Smalltalk auf dem idyllischen Dorfplatz mit nebenstehendem, etwas überdimensioniertem Kirchturm. Dann waren Chrome Shift an der Reihe, zugleich Überraschung und im Nachhinein einer der heimlichen Headliner des Festivals. Die fünf noch weitgehend unbekannten Dänen, die als ihre Inspiratoren Genregrößen wie Dream Theater, Pain Of Salvation oder King's X nennen (und Dänen lügen bekanntlich nicht), haben in diesem Jahr ihr von der Presse hochgelobtes Debutalbum herausgebracht und sind bei DVS Records unter Vertrag, einem Label, das von Festivalchef René Janssen ebenfalls in Eigenregie betrieben wird. Die Songs wirken etwas schwerer und härter, eher im Midtempobereich angesiedelt, und kommen trotzdem gutgelaunt rüber. Fett und straight, mit hymnischen, mehrstimmigen Chorpassagen verwoben wurde hier ProgMetal vom Feinsten geboten. Erstaunlich, wie songdienlich Chrome Shift technische, komplexe Frickelparts - hier ist das bombastisch anmutende Instrumentalstück "Kosmonauten Er Dot" hervorzuheben (was immer das auch heißen mag) - mit äußerst melodischem Progmetal verschmelzen. Epische, vielschichtige Mukke ohne nervzehrende Soloexzesse in Zigarettenlänge, aber mit überraschenden Rhythmuswechseln bohrte sich dem Hörer 50 Minuten lang ins Ohr, als müsste sie genau so und nicht anders klingen. Dazu kommt das symphatische Auftreten besonders von Shouter Rasmus Bak und eine Liveperformance, als hätte Chrome Shift nie was anderes gemacht. Das Publikum schwankte zwischen Überraschung und Begeisterung. Großes Kino, meine Herren, von denen wird man sicherlich noch hören!

Jetzt war vorübergehend Themenwechsel angesagt: Novembre aus Italien sind eher im doomigen Bereich angesiedelt. Düstermucke so zwischen Gothic und Death Metal, der Gesang pendelt - passend zur Jahreszeit und dem Bandnamen - zwischen ruhigen, melancholischen Klageliedern mit teils hymnischen Charakter und malträtiertem Todeskreischen. Novembre liefen in keinem Moment Gefahr, den Spaßfaktor der vorigen Bands zu verkaufen und hatten sicher auch nicht die Absicht. Das Auftreten war dem Stil entsprechend deutlich distanzierter. Eigentlich sehr schön, nur leider wurde der Sound durch die stark halllastige Abmischung sehr matschig. Zwar konnten jetzt vor der Bühne erste, zaghafte Ansätze von Headbanging beobachtet werden; einem Teil des Publikums war es dann aber wohl doch zu viel der Kontraste, und so war die Halle nur locker gefüllt.

Es folgte eine einstündige Pause - eine der netten Besonderheiten von ProgPower -, in der es Gelegenheit für ein Schwätzchen mit den Musici gab. Oder mal wieder für das eine oder andere Bier. Apropos: der Bierpreis ging in Ordnung, nur über die Qualität holländischer Braukunst wurde in dem doch recht international besetzten Publikum zum Teil engagiert diskutiert - sehr unterhaltsam das alles. Im Keller, der wegen des zeitweilig einsetzenden Regens gut besucht war, konnte man einem funkigen Instrumentaltrio sein Ohr leihen. Oder sich einfach mal für eine Stunde die Ruhe reintun.

Frisch gestärkt ging es wieder vor die Bühne, wo jetzt Green Carnation sehnlichst erwartet wurde. Die Norweger um Gitarrenmann Tchort als einziges verbliebenes Gründungsmitglied (der zwischenzeitlich u.a. bei den leider schon historischen Emperor oder bei Carpathian Forest erheblich härtere Töne anschlug) wurden durch ihr tonträgerfüllendes Epos "Light Of Day, Day Of Darkness" bekannt, das sie 2002 bei ihrem hochgelobten Wacken-Auftritt in voller Länge präsentierten und auch dem Progpower-Publikum zumindest ausschnittweise nicht vorenthielten. Die Erwartungshaltung war groß und wurde nicht enttäuscht. Multitalent und Cheflyriker Tchort hielt sich vornehm zurück - auf der Bühne steht Kjetil Nordhus mit seinem charismatischen Gesang im Vordergrund. Kraftvoll legten Green Carnation los, mal mit harten, schweren Rhythmen, mal melancholisch mit hypnotischen Melodien. Neben "Light Of Day..." wurden auch Stücke vom aktuellen Album geboten, so etwa die synkopische Progmetalnummer "Rain". Oder "As Life Flows By", das als kernige Rocknummer startet und sich nach einem ruhigen Mittelteil mit poetischem Gesang zu einem wahren Gewitter steigert. Ein sehr eindrucksvoller Auftritt, der für etliche Besucher das Highlight des Festivals darstellte.

Mit Nightingale aus Schweden deutete sich ein weiterer Stilwechsel an: Zunächst wenig progressive Klänge, dafür Hardrock mit deutlichen Bluesanleihen, straight & loud! Das Quartett bewies aber im Verlauf ihres Auftritts eine größere Bandbreite; schöne Mucke mit gefühlvollen Wendungen, bei denen der Keyboarder sich auch als virtuoser Saitenzupfer erwies. So ist beispielsweise "Eternal" dem Titel entsprechend ein ewig langer, melancholischer Track mit härteren und mittlerweile dann doch progressiv angehauchten Zwischentönen. Schade nur, dass die an sich geilen Leads teilweise so leise abgemischt waren, dass man sie ohne direkten Blickkontakt auf die Finger des Künstlers fast nur erahnen konnte. "Black Tear" dagegen ging ab wie die Sau; einmal wachrütteln bitte!

Jetzt war erstmal Schluss mit den angenehm kurzen Umbaupausen. Vanden Plas aus deutschen Landen, die wie auch Green Carnation im Vorjahr das Wacken Open Air beschallen durften, ließen sich als offizielle Headliner des ersten Tages und gewiss die bekannteste Band des ersten Tages für den Spannungs- und Bühnenaufbau fast eine Stunde Zeit und erklommen dann zu einem dramatischen, vom Band eingespielten Requiem-Intro die Bretter, die an diesem Wochenende zweifellos die Welt bedeuteten. Vanden Plas spielen progressiven Powermetal, der eines Headliners würdig ist. Routiniert, einprägsam, nicht ohne Kommerz und ein bisschen latentes Posertum von Shouter Andy Kuntz, der seine Stimme im Übrigen wirkungsvoll einzusetzen weiß. Viele der Songs haben Mitsingcharakter, wie z.B. der melodische Bombastmetaltrack "Into The Sun" oder der noch bekanntere "Rainmaker". Immer wieder wurde das Publikum mit sehr schönen, einfühlsamen Gitarrensoli von Saitenzerrer Stephan Lill beglückt, im Ganzen spielen die Keyboards aber eine tragendere Rolle als bei den vorherigen Bands. Vereinzelte Schnulzen wurden nicht zum Dauerläufer, sondern ließen genug Raum für so mitreißende Prog-Tracks wie "We're Not God", bei dem sich Tasten und Saiten ein geniales Duell lieferten. Auch neues Material brachte man zu Gehör, und zum Ende durften sich Vanden Plas, denen ohnehin eine längere Spielzeit eingeräumt wurde, als einzige Band des Abends für Zugaben auf die Bühne bitten lassen.

Zum Abschluss des ersten Tages konnten sich die von der progressiven Vollbedienung zum Teil doch etwas erschöpften Besucher noch im Keller zu Metalklängen mit den Stars des Abends im Kicker, Billard, der Biervernichtung oder einfach nur im Smalltalk messen.

weiter zu Teil 2

Surfempfehlung:
www.progpower.com

Text: -Stephan Kunze-
Foto: -Stephan Kunze-
 

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