Die quirlige Australierin Alex Lynn, die sich witzigerweise
Alex The Astronaut nennt, gehört sozusagen schon zu den Veteraninnen der aktuell florierenden australischen Indie-Szene; denn obwohl sie noch keinen Longplayer anzubieten hat ("Soon" antwortet sie auf die Frage, wann das denn mal soweit sein wird), geistert sie schon seit einiger Zeit auf den einschlägigen Festivals herum, um ihre humorvollen und selbstironischen - aber nicht ins Comedy-hafte umschlagenden - Folkpop-Songs darzubieten. Da sie dabei mit einer akustischen Gitarre - bzw. einer wie eine akustischen Gitarre gespielten E-Gitarre mit einem Mikro-Verstärker auskommt, war der Slot in der Kirche natürlich nicht unangebracht. Selbst für Alex überraschend kam dann der Auftrag, um kurz nach 19 Uhr eine zweite Show im Niederrhein-Zelt zu absolvieren. Hier wie da gelang es ihr auf eine fast unaufdringliche Art, mit dem Publikum zu kommunizieren und dieses zum Mitmachen zu animieren.
Auf die Idee, Deutschlands zur Zeit wohl beste Live-Band Gurr ausgerechnet Mittags in der Haldern Pop Bar auftreten zu lassen, muss man selbst als verwegener Festivaldirektor ja auch erst mal kommen. Mitten im schönsten Gewittersturm drängelten sich die glücklichen Fans, die es in die kleine Kneipe geschafft hatten, vor der Bühne, um mit der Band in mehr oder minder direkten Körperkontakt zu treten. Was ja kaum zu vermeiden ist, denn Andreya Casablanca ist ja schon seit Jahren die ungekrönte Königin des Crowd-Surfens, während Laura ihr diesbezüglich in der Disziplin des Liegend-Spielens Konkurrenz macht. Musikalisch begeisterten die Mädels (und Drummer Elias) mit einem überraschend ausgefeilten Vortrag, der eine deutliche Weiterentwicklung (übrigens auch das Songwriting betreffend) gegenüber der noch eher stürmischen als virtuosen Anfangstage auszeichnet. Die Sache mit dem Crowdsurfing gestaltete sich hier etwas kompliziert. Zum einen war das eigentlich auf dem Festivalgelände verboten (weswegen Andreya kurzerhand aus dem Fenster kletterte und außerhalb der Bar und dann wieder zum Fenster hineinsurfte) und zum anderen war eigentlich nicht genug Platz dafür in der kleinen Lokalität. "Heute Abend spielen wir noch eine etwas andere Show im Niederrhein-Zelt", erklärte Andreya abschließend, "dann spielen wir nämlich nur Kracher und nicht so einen Scheiß wie jetzt." Besagter zweiter Gig brachte dann das Niederrhein-Tent an seine Belastungsgrenze, weil sich nun auch das Publikum kinetisch am Gurr-Vortrag beteiligen konnte. Und Fenster zum rausklettern gab es hier ja auch keine.
Im Spiegelzeit hatte sich derweil der Londoner Neo-Folkie Josh Edwards mit seinem Ensemble Blanco White eingerichtet. Das erklärte Ziel des Meisters, seine Erfahrungen des Gitarrenstudiums in Spanien und Churango-Spiels in Bolivien zu nutzen, um Latin Flair mit den Folk-Traditionen seiner britischen Heimat in einem zeitgemäßen Kontext zusammenzuführen, geriet beim Auftritt im Spiegelzelt zum Glück ein wenig zur Nebensache, denn Joshs Songs seiner aktuellen EP "On The Other Side" präsentierte er im modernen Band-Format inklusive zweier singender (und Keyboard spielender) Geigerinnen und einem mächtig ausufernden Drumset mit einer letztlich eigenen Note. Folk- bzw. Folklore war das dann nur am Rande. Im Zentrum standen Joshs einfühlsam intepretierte Songs und die phantasievoll angerichteten Arrangements.
Ebenfalls aus Australien stammt Stella Donnelly, die es sich nehmen ließ, sie Songs ihres zu recht gefeierten Debüt-LP "Beware Of The Dogs" im Anschluss an ihre erste internationale Headliner-Tour nochmals auf ein paar Festivals zu präsentieren, bevor es im Herbst auf eine bereits teilweise ausverkaufte Tour in Australien geht. Stella gehört zu jener Spezies von Musikerinnen, die offensichtlich auf der Bühne geboren wurden - oder sich zumindest dort am wohlsten fühlen. Dennoch ist es fast schon rätselhaft, wo Stella die Begeisterung und die gute Laune hernimmt, mit der sie ihr Material präsentiert. Dabei ist sie sich nicht zu schade, immer wieder die gleichen Geschichten und Anekdötchen zu präsentieren - tut das jedoch mit einer Verve, als täte sie das zum ersten Mal und achtet auch drauf, ihre Stories zumindest ansatzweise zu variieren. Sei es drum: Spaß macht das allemal und auch das Spiegelzelt eroberte Stella letztlich im Sturm.
Von einem ganz anderen Kaliber ist der Kanadier Jesse Mac Cormack. Mit performerischen Überschwang hat Jesse jedenfalls so gar nichts am Hut. Mit großer Ernsthaftigkeit und manischer Intensität präsentierte er die Songs seines Debütalbums "Now" in einem bratzig/schmirgelnden Blues-Rock-Setting. Das kam insofern überraschend, als dass er auf der Scheibe eine im Vergleich dann wesentlich poppigere oder doch zumindest gefälligere Wesie angerichtet sind. Auf der Bühne im Spiegelzelt stand jedoch ganz sie inbrünstige Ader des Mannes im Zentrum, die sogar eine Spur Desolation-Blues entwickelte.
Etwas verloren wirkte im Anschluss der britische Flamenco-Aficinado Charlie Cunningham auf der riesigen aber eben auch leer wirkenden Hauptbühne. Das lag daran, dass sich Cunningham mit seinen drei Musikern statisch auf der Bühne platziert hatte: Aufgrund des Flamenco-Styles saß der Meister während des Vortrages und Drumkit und zwei Keyboard-Stationen seiner Mitmusiker waren weit voneinander entfernt aufgebaut. Kurz gesagt: Das Ganze hätte - auch musikalisch - mehr Sinn im Zelt gemacht, denn gerade Singer/Songwriter wie Charlie Cunningham, bei denen es ja nicht um die große Geste oder Produktionsvolumen, sondern um subtile Zwischentöne geht, sind für die Mainstage eher ungeeignet.
Auf der Mainstage demonstrierte derweil Josh Tillman alias Father John Misty als Haldern-Wiederholungstäter erneut seine offensichtlich ständig expandierende musikalische Weltsicht. Es ist nach wie vor kaum zu glauben, dass der Mann mal als schüchterner Männerschmerz-Folkie seine Solo-Laufbahn begonnen hat. Heutzutage kennt der Barde mit dem Jim Morrison-Gedächtnis-Bart nur noch ein Ziel: In möglichst allen Belangen immer noch eins draufzusetzen. "Very nice", kommentierte Josh den begeisterten Applaus des Festivalpublikums, nachdem er - sozusagen mit Pauken und Trompeten - seine ironische Selbstbeweihräucherungshymne "Mr. Tillman" rausgehauen hatte. Father John Misty weiß schon, was er an seinem hiesigen Publikum hat, denn - wie er auf dem letzten Take Root Festival erklärte - er sei ein typischer Americana-Künstler; und das sei schließlich eine Musikrichtung, die von Amerikanern gemacht, aber nur von Europäern gehört würde.