Was soll man machen, wenn man mit der Promotion seiner brillanten Debüt-LP, den anschließenden erfolgreichen Release-Touren, der noch laufenden Festival-Saison, dem Schreiben neuer Songs, einem Dayjob als Lehrerin, der Verantwortung als Aktivistin und dem Verarbeiten einer noch frischen, interessanten ADHS-Diagnose immer noch nicht ausgelastet ist? Nun: Die Bielefelder Songwriterin Mina Richman machte das Naheliegendste und streute zwischen den zuvor beschriebenen Aktivitäten noch flugs eine Akustik-Tour ein und begab sich mit ihrem Gitarristen Friedrich Schnorr von Caroslfeld und Bassist Alex Mau auf eine Konzertreise durch für diese Zwecke bestens geeignete Spielstätten, wie etwa das Alte Pfandhaus in Köln (wo ansonsten gern mal elitäre Jazz- und Klassik-Veranstaltungen stattfinden).
|
Fast, so schien es, gefiel Mina Richman das gediegene Setting im historischen Versteigerungssaal des Pfandhauses, bei dem sie und ihre Musiker ebenerdig im Fokus der im Amphiteater-Stil sitzenden Zuschauer stand dabei noch besser, als das übliche Setting in Rock-Clubs oder konventionellen Konzertbühnen. Wahrscheinlich auch deshalb, weil sie in diesem Setting noch intensiver mit dem Publikum in Kontakt treten konnte und ihrem Drang, sich in zum Teil hanebüchen komischen Geschichten aus ihrem Leben, hemmungslos nachgeben konnte. Dabei geht es dann schon lange nicht mehr alleine darum, alleine die Geschichten hinter den Songs zu erzählen, sondern auch darum, die eigenen Verdauungsprobleme zu diskutieren, sich über die eigene ADHS-Diagnose lustig zu machen, von den eigenartigen Konzert-Eskapaden von Bernd Begemann zu erzählen, der mit ihrer Mutter auf die Schule gegangen sei oder mit den Musikern und dem Publikum herumzuflachsen und dabei des Öfteren auch mal selbstironisch "zu oversharen", wie sie das nennt. "Ich habe keine Geheimnisse", brachte sie das in einem Nebensatz auf dem Punkt und berichtete davon, dass sie ja auch schon mal ihre IBAN-Nummer zum Thema des Anekdoten-Erzählens gemacht habe. Ernster wird es dann, wenn sie den Hintergrund zu politisch relevanten Songs wie "Song Of Consent" oder "Baba Said" erklärt. Das ist man als Fan von Mina Richman natürlich gewohnt - es überrascht dann aber schon, wie sie die Anekdoten und Stories immer wieder neu "interpretiert" anstatt sich (wie viele Kolleg(inn)en) auf exakt einstudierte Formulierungen zurückzuziehen.
Musikalisch bestand das Programm logischerweise aus für den Anlass umstrukturierten Akustikversionen der Tracks ihrer LP "Grown Up" - aber auch einigen neuen Tracks, die gegebenenfalls auch zum Gegenstand einer geplanten neuen LP werden könnten. (Das wird noch diskutiert.) Während die bekannten Nummern dabei teilweise so entschleunigt, entkernt und - meist mit einem bluesigen Unterton - wieder neu zusammengesetzt wurden, dass dabei Aspekte ins Ohr sprangen, die man so noch gar nicht auf dem Schirm gehabt hatte, befinden sich die neuen Tracks teilweise noch in einer Rohfassung. Einer davon hat zum Beispiel bislang nur den Arbeitstitel "Wake Up" und wurde an diesem Abend erst zum zweiten Mal überhaupt vor Publikum gespielt.
Auch zu diesen neuen Tracks hatte Mina aber bereits coole Anekdoten auf Tasche. Da sie selbst zur Zeit glücklich sei, müsse sie sich jetzt in ihrem Bekanntenkreis umsehen, um Trennungs-Geschichten als Grundlagen für neue Songs finden zu können, kündigte sie etwa den neuen Track "Weak Man" an - einen Song, den sie demzufolge für eine Freundin geschrieben habe, die von einem schwachen Mann verlassen worden sei. Auch ihre ADHS-Diagnose machte sie in dem Song "A.D.H.D." zum Thema. Wenn man ADHS habe, so erklärte sie, erkläre das im Nachhinein so Einiges - aber man sollte dann unbedingt eine Therapie machen, weil man da coole Medikamente bekäme und sich dann länger als drei Sekunden am Stück konzentrieren könne. Die Medikamente habe sie aber an diesem Tage nicht genommen, was dann die Impulskontrolle wieder erschwere. Der Song "Home" handelt wohl von Minas Heimatstadt Bielefeld, in der es keine Tacos gebe, die sie doch so gerne esse, weil es dort nur wenige Restaurants gebe, die gar nicht mal so gut seien, weswegen sie sich manchmal frage, warum sie überhaupt dort lebe. Der Song "Past 25" handele schließlich von einer Situation aus Minas Jugend, bei der sie einer älteren Dame Komplimente über die vielen schönen Lachfalten gemacht habe, weil sie damals dachte, dass Lachfalten das Zeichen eines glücklichen Lebens seien, weil die Betreffenden ja so viel gelacht haben müssten. Dass das nicht gut ankam, machte sie dann zum Thema des Songs, ergänzte die Geschichte aber noch um die Anekdote, dass ihr Idol Joan Wasser sich irgendwann sogar glücklich darüber gezeigt habe, dass sie mit über 50 ihr Leben als Künstlerin genießen dürfe.
Mag sein, dass sich Mina Richman selbst also nicht so ganz ernst nimmt - ihre Musik nimmt sie hingegen sehr ernst. Das wird besonders dann deutlich, wenn sie bei ihren (dieses Mal jeweils gegen Ende der zweigeteilten Show solo auf der Ukulele vorgetragenen) Schlüsseltracks "Baba Said" und "The Woman I Am Now" die Comedy beiseite lässt, und beispielsweise eindringliche Appelle an das Publikum richtet, sich politisch zu engagieren - etwa für inhaftierte Dissidenten im Iran. Es gibt wohl kaum jemand anderen, der bei seinen Konzerten so viel von sich selbst preisgibt, wie das Mina Richman tut. Viele der Besucher im Alten Pfandhaus waren an diesem Abend auf ihrem ersten Mina-Konzert. Jede Wette, dass sie danach dann auch das Gefühl hatten, eine "mehrbändige Biographie über Mina Richman" schreiben zu können, wie das Kollege Carsten Wohlfeld mal formulierte.
|